Gespräch des Tages

Bankenaufsicht - Eine neue Verfassung

"Die Verfassung eines Staates sollte so sein, dass sie die Verfassung des Bürgers nicht ruiniert", so Stanislaw Jerzy Lec in seinen "Unfrisierten Gedanken". Seit Beginn der Subprime-Krise wird von politischer Seite überlegt, wie das Finanzsystem "verfasst" sein muss, damit es die "Verfasstheit" der Akteure, auch ihr legitimes Renditestreben, zwar reguliert, aber nicht stranguliert. Gleichzeitig geraten die Finanzmarktakteure selbst außer Fassung bei dem Gedanken, par ordre de Mufti eine strengere "Verfassung" zu erhalten, sprich, sich zukünftig verstärkt Transparenz- und Aufsichtsvorschriften beugen zu müssen. Daher sprießen jetzt die Angebote zu freiwilligen "Best-Practice"-Regelungen aus dem Boden - von Ratingagenturen, privaten Banken und selbst von britischen Hedgefonds.

Wenn sich Bundesfinanzminister Steinbrück nun über die "Hochnäsigkeit der Manager" beklagt und EZB-Präsident Trichet auf die zahlreichen Veröffentlichungen seines Hauses verweist, die vor den Gefahren eines Zusammenbruchs des US-Hypothekenmarktes gewarnt hatten, dann kann man auch fragen: Und warum wurde aufsichtsrechtlich nicht früher gehandelt? Denn so wenig wie die Subprime-Krise über Nacht kam, so wenig agierten die Aufseher präemptiv. Dass sich jetzt Bankenaufseher zugutehalten, dass ab Januar mit Basel II auch unterjährige Zweckgesellschaften (Conduits) mit Eigenkapital unterlegt werden müssen, zeigt eine für das Finanzsystem kostspielige Diskrepanz zwischen finanzsystemischer Erkenntnis und aufsichtsrechtlicher Ableitung. "Wenn man noch vor einem halben Jahr dazu geraten hätte, vermehrt Risikovorsorge für den Ausfall von US-Hypothekenkrediten zu bilden, wäre man als 'Kassandra-Rufer' abgestempelt worden", sagt rückblickend ein Bankenaufseher. Doch offensichtlich sind bei vielen Finanzmarktakteuren die Kosten noch nicht hoch genug. Wie ließe es sich sonst erklären, dass vor einem "Overshooting", einer über das Ziel hinausschießenden Gesetzgebung zur Verschärfung der Aufsichtsregeln gewarnt wird - im Übrigen von den gleichen Marktteilnehmern, die jetzt zu Jahresende Liquidität bunkern und sich im Interbankenhandel kein Geld mehr leihen, weil sie die Risiken des Gegenübers nicht einschätzen können.

Ein Beispiel für Regelungsbedarf ist die Bewertung von Ausfallrisiken durch Ratingagenturen: Soll man es ihnen selbst über lassen, ab wann sie wegen Intransparenz ein Rating etwa von Zweckgesellschaften ablehnen oder aber sollte der Gesetzgeber nicht Mindeststandards für solche Anlagevehikel formulieren, auch unter dem Gesichtspunkt, dass damit ein aussagekräftiges Rating erst möglich wird? Denn der Interessenkonflikt für die Agenturen ist schon jetzt absehbar: Aus finanziellen Motiven werden irgendwann Ratings vergeben, die man nicht vergeben dürfte - und sie werden vielleicht immer noch vom Emittenten bezahlt. Die Gescholtenen, auch das ist vorauszusehen, sind dann wieder die Agenturen.

Es wird kein Weg daran vorbeiführen, an Finanzakteure "Best-Practice"-Anforderungen und an besonders intransparente und risikobehaftete Finanzinstrumente Anforderungen in Form formalisierter Mindeststandards zu stellen. "Probleme bei der Fristentransformation einzelner Finanzierungsinstrumente wird es immer geben, ebenso eine Regulierungsarbitrage - die Frage ist doch, wie setzen wir unseren eigenen Maßstab von 'qualitativer' Aufsicht um", sagt ein Bankenaufseher. Noch aber streitet man sich in Deutschland darum, wer in Zukunft basierend auf welcher Verordnung die Bankenaufsicht wie ausüben darf. Stattdessen wird es höchste Zeit, dass der Gesetzgeber die wirklichen Probleme erkennt - und etwas "verfasst". Bettina Wieß

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