Aufsätze

Der Behavioral-Finance-Ansatz im Portfoliomanagement - eine empirische Untersuchung internationaler Investmentfonds

Die moderne Portfoliotheorie wurde in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts von Markowitz entwickelt und hat als Basis des professionellen Portfoliomanagements eine hohe theoretische und praktische Relevanz.1) Während neoklassische Modelle anfangs durch empi rische Untersuchungen bestätigt wurden, gibt es zunehmend Entwicklungen an den Kapitalmärkten, die durch die traditionellen Konzepte nicht erklärt werden können.2) Dazu gehören Preisanomalien und hohe Volatilitäten, die in Extremfällen zu immer häufiger auftretenden Spekulationsblasen führen, bei denen auf Preisübertreibungen starke Kurskorrekturen folgen.

Hier liefert Behavioral Finance durch die Kombination von ökonomischen, psychologischen, soziologischen, entscheidungs- und verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen neue Erklärungsansätze.3) Während die moderne Portfoliotheorie optimale Märkte modelliert, beschreibt Behavioral Finance das tatsächliche Verhalten der Marktteilnehmer und dessen Auswirkung auf die Marktentwicklung. Kognitive und emotionale Faktoren können demnach zu Abweichungen von den Annahmen der traditionellen Modelle führen, die in Summe die Marktpreisbildung beeinflussen können.4)

Der größte Teil des an den Kapitalmärkten investierten Kapitals wird von institutionellen Anlegern verwaltet, sodass insbesondere deren Neigung zu möglichen irrationalen Entscheidungen für die Preisbildung am Kapitalmarkt relevant ist.5) In dieser Arbeit wird daher untersucht, welche Relevanz Behavioral Finance im Portfoliomanagement hat. Dazu wird in einem ersten Schritt ein aktueller Überblick über integrierte Modelle beziehungsweise Ansätze von Behavioral Finance und Portfoliotheorie dargestellt. Anschließend erfolgt eine empirische Untersuchung bei von internationalen Kapitalanlagegesellschaften selbst deklarierten Behavioral Finance Investmentfonds, mit dem Ziel mögliche signi fikante Unterschiede bei Rendite- und Risikostrukturen gegenüber traditionell gemanagten Fonds beziehungsweise Benchmarks zu eruieren.

Prospect-Theorie und mentale Konten

Shefrin & Statman haben basierend auf der Prospect-Theorie und dem Konzept der mentalen Konten die Behavioral Portfoliotheorie entwickelt.6) Es werden dabei zwei Ansätze unterschieden, bei denen die Anlagen auf ein beziehungsweise mehrere mentale Konten verteilt werden, für die jeweils ein Anspruchsniveau festgelegt wird. Beim Ein-Konto-Ansatz werden die Kovarianzen zwischen den einzelnen Anlagen berücksichtigt und das optimale Portfolio maximiert das erwartete Vermögen unter Minimierung der Wahrscheinlichkeit, dass das tatsächliche Vermögen unter das festgelegte Anspruchsniveau fällt. Der Grad der Diversifikation ist von der Höhe des Zielniveaus und den Eigenschaften der verfügbaren Titel abhängig. Das Ein-Konto-Behavioral-Portfolio ähnelt somit dem Portfolioansatz von Markowitz unter Verwendung anderer Optimierungsparameter. In dieser Analogie wird das Risiko durch die Wahrscheinlichkeit der Unterschreitung des Anpruchsniveaus definiert.7) Ist dieses kons tant, ändert sich die Portfoliozusammensetzung in Abhängigkeit vom Vermögen; bei einer konstanten Anspruchsniveau-Vermögens-Relation entwickelt sich das Portfolio proportional.8) Beispiele für Anlagen sortiert nach steigendem Anspruchsniveau sind Schuldverschreibungen, Anleihen, Kapitalbeteiligungen, Aktien, Optionsscheine und Lotterielose.

Im Regelfall verfolgen Investoren verschiedene Ziele mit unterschiedlichen Anspruchniveaus und Risikoeinstellungen, zum Beispiel der Existenzsicherung oder dem Aufbau von Vermögen.9) Dies wird im Multiple-Konten-Ansatz abgebildet. Jedem Anspruchsniveau beziehungsweise Ziel wird ein mentales Konto zugeordnet, das pyramidenförmig geschichtet wird. Jedes Konto kann ein separates Subportfolio beinhalten, das nach denselben Kriterien wie im Ein-Konto-Ansatz optimiert wird.10) Die untere Schicht dient der sicherheitsorientierten Existenzsicherung (zum Beispiel Geldmarktfonds), während die obere Schicht die risikoreichere Vermögenserweiterung (zum Beispiel spekulative Aktien) umfasst. Bei der Allokation des aktuellen Vermögens wird zunächst in das Ziel der unteren Schicht investiert, das heißt das Sicherheitsbestreben wird über das Vermögenswachstum gestellt. Darüber hinaus ist die Portfoliozusammensetzung von den gesetzten Referenzpunkten abhängig.11) Abhängigkeiten und Diversifikationseffekte zwischen den Konten werden nicht beachtet, was empirischen Befunden entspricht.12) Im Extremfall können sich bei Kostenverursachung die Ergebnisse mehrerer Konten gegenseitig aufheben. Durch die Führung der mentalen Konten und die jeweiligen Zielsetzungen unterscheidet sich die Risikoneigung in den einzelnen Schichten stark.13)

Quantitative Ansätze

Davies & de Servigny haben basierend auf der Portfoliotheorie von Markowitz einen Ansatz entwickelt, bei dem das Risiko nicht universell über die Standardabweichung, sondern für jeden Anleger festgelegt wird.14) Es wird angenommen, dass die Risikoneigung individuell ist, bezogen auf einen festen Betrag mit zunehmendem Vermögen abnimmt, aber relativ zum Vermögen konstant ist. Das Modell wird basierend auf logarithmierten Renditen formuliert. Das verhaltensbasierte Risiko (Behavioral Risk) Sigma B wird mittels der Standardabweichung definiert und berücksichtigt die Risikoeinstellung E, die Schiefe und die Excess-Kurtosis WBexc einer Renditeverteilung.

Formel

Für normalverteilte Renditen entspricht das Behavioral Risk der Standardabweichung, Linksschiefe und erhöhte Wölbung führen zu einem Risikoaufschlag, der über die Risikoeinstellung gewichtet wird. Größere Werte für E stehen für eine höhere Risikotoleranz.15) Die erwartete Rendite setzt sich zusammen aus dem risikofreien Zins, dem mit der Risikoeinstellung gewichteten Behavioral Risk und einem Risikozuschlag D (Desirability) als Anreiz, das erhöhte Risiko einzugehen. Die Desirability steht dabei für das psychologische, emotionale Risiko, da das tatsächliche Risiko bereits über den risikofreien Zins und das Behavioral Risk kompensiert wird (siehe Formel 2 unten).

Formel

Ein Investment mit D = 0 erzielt trotz der höheren Rendite einen mit einer Anlage zum risikofreien Zins gleichwertigen Nutzen, ein Investment mit D < 0 wird nicht getätigt.16) Die Zusammenhänge sind in Abbildung 1 dargestellt.

Zwischen Rendite und Risiko besteht im Gegensatz zur Sharpe-Ratio kein relativer, sondern ein linearer Zusammenhang, sodass sich Anlagen mit identischer Sharpe-Ratio bezüglich der Desirability unterschei den können. Mit der geänderten Risiko- und Renditedefinition lässt sich eine von der neoklassischen abweichende Effizienzkurve ermitteln. Die von der Risikoeinstellung abhängigen optimalen Portfolios liegen auf der sich in Abhängigkeit von der Renditeverteilung ändernden Effizienzkurve.

Maeke hat ein Prospect-Theoriebasiertes investorspezifisches Performancemaß (PTIP) entwickelt, das die Eigenschaften der Wertfunktion der Prospect-Theorie abbildet.17) Das Risikomaß zur Beschreibung des Verlustbereichs verwendet die Lower Partial Moments (LPM), ein Downsiderisikomaß für asymmetrische Verteilungen. Dabei werden die Renditen betrachtet, die die individuell festlegbare positive Referenzrendite Tau für das Moment m unterschreiten. Je größer die positive reelle Zahl für m, desto größer ist die Risikoaversion.

Formel

Die analog gebildeten Upper Partial Moments (UPM) mit dem Moment n, das die Chancenfreudigkeit ausdrückt, charakterisieren den Gewinnbereich.18)

Formel

Zur Berechnung des PTIP werden diese Größen ins Verhältnis gesetzt, wobei die Restriktionen für m und n einen Funktionsverlauf wie von der Prospect-Theorie beschrieben sicherstellen. Um den investorspezifischen Nutzen zu betrachten, wird das PTIP mit Nettorenditen berechnet, die individuelle Kosten des Anlegers berücksichtigen.

Formel

Es gilt: Je größer das PTIP, desto besser erfüllt der betrachtete Titel ceteris paribus die Anforderungen des Anlegers. Die Referenzrendite soll so gewählt werden, dass es Beobachtungswerte gibt, die diese überund unterschreiten, damit die Upper und Lower Partial Moments einen Wert ungleich Null annehmen und die Berechnung des Quotienten sinnvoll ist.19)

Empirische Untersuchung internationaler Investmentfonds

Aufbauend auf den Erläuterungen zu integrierten Ansätzen wird im Folgenden die Anwendung von Behavioral Finance in selbst deklarierten Behavioral Finance Investmentfonds im Zeitraum vom 31. Dezember 2007 bis zum 31. Dezember 2012 empirisch untersucht. Zum einen wird qualitativ betrachtet, wie Behavioral Finance für die ausgewählten Fonds definiert und umgesetzt wird. Hier werden die von den Kapitalanlagegesellschaften zur Verfügung gestellten Dokumentationen wie Prospekte und Internetauftritte ausgewertet. Aufgrund unvollständiger Daten können die während des Untersuchungszeitraums verwendeten Definitionen nicht betrachtet werden. Gleiches gilt auch für die Stilkategorisierung. Stattdessen wird auf derzeit verfügbare Dokumentationen zurückgegriffen. Daher ist nicht sichergestellt, dass die Kategorisierung für den gesamten Betrachtungszeitraum Gültigkeit hat. Jaunich stellt jedoch bei von Kapitalanlagegesellschaften als Behavioral Finance Fonds deklarierten Titeln eine zeitlich stabile Stilkosistenz fest.20) Zum anderen wird quantitativ eine statistische Rendite- und Risikountersuchung durchgeführt, um zu ermitteln, ob Behavioral Finance Fonds eine signifikant bessere Performance im Vergleich zu konventionellen Vergleichsfonds und als Benchmark geeigneten Indices aufweisen. Für die Auswertung werden Bloomberg-Daten verwendet, die in Euro ermittelt beziehungsweise umgerechnet werden. Es werden Rendite- und Risikomaße sowie daraus ableitbare zweidimensionale Performancekennzahlen untersucht.21)

Als Ausgangspunkt werden alle weltweit ermittelbaren Investmentfonds genommen, die nach eigenen Angaben Behavioral-Finance-Kriterien berücksichtigen.22) Anschließend wird die Auswahl auf offene Fonds beschränkt, da hier davon ausgegangen werden kann, dass Marktpreise als Grundlage für die Renditeberechnung vorhanden sind. Außerdem enthalten offene Fonds kaum Derivate zur Absicherung der Entwicklung,23) sodass diese Strategiekomponente wenig Einfluss hat. Die Fonds müssen vor dem 31. Dezember 2007 aufgelegt worden sein und mindestens bis zum 31. Dezember 2012 existiert haben, damit der gesamte ausgewählte Zeitraum betrachtet werden kann. Um eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten, werden ausschließlich Fonds in die Stichprobe aufgenommen, die schwerpunktmäßig in Eigenkapital beziehungsweise Aktien investieren. Dies trifft allgemein auf die Mehrheit der Investmentfonds und auch der Behavioral Finance Fonds zu.24)

Vergleich mit konventionellen Fonds und Indices

Um neben den Kriterien der Datenverfügbarkeit im Untersuchungszeitraum und dem Schwerpunkt auf Eigenkapital geeignete konventionelle Vergleichsfonds undindices ermitteln zu können, wird die Stichprobe zunächst charakterisiert. Es wird die Kategorisierung nach Marktkapitalisierung und Titelselektionsstil von Morningstar verwendet25), was eine einheitliche, von den Angaben der Kapitalanlagegesellschaften unabhängige Zuordnung erlaubt. Dort wird zwischen small, mid und large caps sowie Growth, Blend und Value unterschieden.26) Blend umfasst sowohl Growthals auch Value-Eigenschaften. Außerdem lassen sich geografische Schwerpunkte auf Europa, USA und Japan feststellen. Da die Fonds mehrheitlich dem Bereich large zugeordnet sind, werden die Gruppen mid und small kombiniert. Da nur ein Growth-Fonds vorliegt, wird die erweiterte Kategorie Blend/Growth eingeführt. Außerdem werden die wenigen auf Japan fokussierten Fonds der Region Welt zugeordnet. Die in Tabelle 1 dargestellten Kategorien dienen der Charakterisierung der Stichprobe zur Festlegung entsprechender Vergleichsfonds und Indices.

Zur Ermittlung konventioneller Vergleichsfonds werden Produkte der Kapitalanlagegesellschaften, die bereits in der Stichprobe vertreten sind, ausgewählt, um die Verzerrung durch die grundsätzliche Gesellschaftsphilosophie zu minimieren. Die Verteilung auf die Kategorien ist in Tabelle 2 dargestellt. Da die konventionellen Fonds vermehrt dem Selektionsstil Growth zugeordnet werden, ist die gewählte Stichprobe kleiner als die der Behavioral Finance Fonds, um ein ähnliches Verhältnis zwischen den Kategorien zu erzielen.

Außerdem werden, auch im Hinblick auf die Effizienzmarkthypothese nach Fama27), zur Beurteilung aller aktiv gemanagten Fonds Indices als Benchmark herangezogen. Zu den Aktienindices, die mehrere Märkte umfassen, gehören die MSCI-Indices. Entsprechend der geografischen Kategorien werden der MSCI World, MSCI Europe und MSCI USA verwendet. Zur Untersuchung der Forschungsfrage liegt der Schwerpunkt auf den Unterschieden zwischen den Behavioral Finance Fonds und den Vergleichsgruppen, sodass die weiteren Unterscheidungen für die Analyse aufgegeben werden, zumal einige Untergruppen eine geringe Anzahl von Objekten enthalten.

Qualitative Ergebnisse

Im Folgenden wird untersucht, wie Behavioral Finance für die betrachteten Fonds definiert und angewendet wird. Sofern der Begriff über die Verwendung des Schlagworts hinaus konkretisiert wird, interpretieren die Kapitalanlagegesellschaften Behavioral Finance als wissenschaftlichen Term für psychologisch bedingte Preisineffizienzen, die die Anlagestrategie ausnutzen soll. Wie Behavioral Finance umgesetzt wird, ist dagegen kaum beschrieben. Einen Hinweis auf die Konstruktion der Portfolios der Behavioral Finance Fonds entsprechend des Pyramidenmodells der Behavioral Portfoliotheorie gibt es nicht. Ein optimales Behavioral Portfolio enthält außerdem verschiedene Assetklassen, während sich die Behavioral Finance Fonds mehrheitlich auf Aktien fokussieren.28)

Viele der untersuchten Behavioral-Finance-Fonds investieren schwerpunktmäßig in Aktien des heimischen Marktes, was auf das Home-Bias-Phänomen hinweisen könnte.29) Rationale Erklärungen von institutionellen Anlegern sind eine bessere Informationslage, geringere Transaktionskosten, Vermeidung von Fremdwährungs- und Inflationsrisiken durch die Korrelation mit der heimischen Währung sowie indirekte Diversifikation über Investitionen in heimische, internationale Unternehmen.30) Erklärungsansätze aus Behavioral-Finance- Sicht sind die Selbstüberschätzung (Overconfidence), die Entwicklung heimischer Titel besser prognostizieren zu können, stärker empfundene Reue, wenn ein Investment in ausländische Titel sich schlechter entwickelt als heimische Titel sowie Patriotismus und soziale Identifikation. Aus der Dokumentation der untersuchten Fonds ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen der geografische Schwerpunkt gelegt wurde.

Das Verfolgen einer Value-Strategie (Contrarian-Strategie) bedeutet, entgegen der allgemeinen Meinung zu investieren und so von Unterbewertungen aufgrund von überschätzter Repräsentativität der Vergangenheitswerte zu profitieren.31) Viele der untersuchten Kapitalanlagegesellschaften setzen Behavioral Finance mit der Ausnutzung von Unterbewertungen gleich, was erklären kann, dass die Behavioral Finance Fonds mehrheitlich der Kategorie Value zugeordnet sind. Dagegen konnten nur wenige konventionelle Fonds gefunden werden, die diese Strategie verfolgen. Aufgrund psychologischer Einflüsse sind Anlagen der Kategorie Growth häufig beliebter und den Anlegern besser vermittelbar, was die andere Schwerpunktsetzung bei den konventionellen Fonds erklären kann.

Größeneffekt selten genutzt

Möglicherweise erzielt die Bezeichnung Behavioral Finance einen Framingeffekt, wodurch die den Investoren schwer vermittelbare Value-Strategie besser vermarktet werden kann. Da Titel mit hoher Marktkapitalisierung häufiger analysiert und beobachtet werden als Titel mit geringer Marktkapitalisierung, sind die erzielbaren Value- und Informationseffekte geringer.32) Dennoch sind die Behavioral Finance Fonds mehrheitlich der Kategorie "large" zugeordnet. Folglich wird selten versucht, den Größeneffekt auszunutzen. Andererseits bevorzugen uninformierte Investoren Titel mit hoher Marktkapitalisierung, was Potenzial für verhaltensbedingte Anomalien birgt.33)

Da sich Fonds an eine Vielzahl von Anlegern wenden, ist ein Zuschneiden auf individuelle Neigungen und Einstellungen nicht möglich. Dennoch können allgemeingültige Präferenzen berücksichtigt werden. Ausschüttungen führen zu einer höheren Attraktivität des Investments.34) Obwohl bei der Stichprobenselektion nach Möglichkeit thesaurierende Fonds gewählt wurden, schüttet die Mehrheit der untersuchten Fonds Erträge aus, was als Erfüllung der psychologisch motivierten Dividendenpräferenz interpretiert werden kann.

Investoren sehen sich einer wachsenden Zahl ähnlicher Fonds gegenüber, was zu einer großen, nicht verarbeitbaren Anzahl an Informationen führt, ohne dass signifikante Unterscheidungsmerkmale vorliegen.35) Die Kennzeichnung Behavioral Finance kann ein solches Unterscheidungs- und damit Entscheidungsmerkmal liefern (Kontrasteffekt). Einige Autoren stellen fest, dass die Investmentfondsbranche bewusst Rahmenabhängigkeiten der weniger informierten Anleger ausnutzt.36) Entscheidungen sind außerdem vom Image abhängig: Entspricht eine Alternative den Vorstellungen, Zielen und Plänen des Entscheiders wird eine positive Entscheidung begünstigt.37) Hat sich ein Anleger als Ziel gesetzt, Irrationalitäten zu erkennen und zu vermeiden, kann ein Fonds mit der Bezeichnung Behavioral Finance dieses Image erfüllen. Die durchgeführte Untersuchung mit Fokus auf Rendite und Risiko kann nicht beurteilen, ob die Kapitalanlagegesellschaften aufgrund von Marketingeffekten Vorteile durch die Behavioral-Finance-Strategie erzielen können.

Quantitative Ergebnisse

Zur statistischen Analyse werden die Lagemaße auf Ebene der Gruppen Behavioral Finance (BF), konventionelle Fonds (KV) und Indices (EU: MSCI Europe, US: MSCI USA, WO: MSCI World) betrachtet. Da es im Bereich der Fondsperformanceanalyse bisher kaum Ergebnisse zu verhaltensorientierten Maßen gibt,38) wird mehrheitlich auf Maßzahlen der neoklassischen Portfoliotheorie zurückgegriffen. Bei den untersuchten Renditen handelt es sich um diskrete Renditen. Abweichend davon werden das Behavioral Risk und die Desirability modellkonform auf Basis stetiger Renditen berechnet. Für das Behavioral Risk wird eine moderate Risikoeinstellung (E = 1) verwendet. Da die Betrachtungen auf Bruttorenditen basieren, wird abweichend von der Originaldefinition mit Nettorenditen ein Brutto-PTIP berechnet. Als Referenzrendite wird als Schätzer für einen realistischen Erwartungswert der Mittelwert aller betrachteten Titel verwendet. Für die Werte von Risikoeinstellung und Chancenfreudigkeit wird in Anlehnung an Maeke m = 0,3 und n = 0,5 festgelegt.39) Aufgrund der Betrachtung in Euro werden zur Berechnung der Sharpe-Ratios Euribor-Sätze mit entsprechender Fristigkeit als Schätzer für den risikofreien Zins verwendet.

Um die Anwendbarkeit einiger Maßzahlen sicherzustellen, wird zunächst anhand von Schiefe (sf) und Wölbung (wb) untersucht, ob bei den monatlichen Renditen von einer Normalverteilung ausgegangen werden kann. Die durchschnittlichen Werte sind in Tabelle 3 dargestellt. Bei vielen Einzelfonds liegt eine leichte Linksschiefe und höhere Wölbung vor, die Durchschnitte entsprechen einer Normalverteilung. Im Allgemeinen kann bei einer Periodenlänge von einem Jahr sowie bei Aktien beziehungsweise Eigenkapital basierten Investmentfonds eine Normalverteilung unterstellt werden.40)

Des Weiteren zeigt Tabelle 3, wie sich die monatlichen Renditen der Behavioral Finance Fonds von den Vergleichsgruppen unterscheiden. Mit Ausnahme von Minimum, Maximum und Spannweite, die zur Betrachtung von Extremwerten alle Einzelfonds berücksichtigen, handelt es sich um arithmetische Mittel der jeweiligen Kennzahl bezogen auf die Betrachtungsgruppe. Bezüglich der Renditemittelwerte, der Anteile der Perioden mit negativen Renditen, der Schiefe und Wölbung lassen sich keine großen Unterschiede feststellen. Bei den absoluten Minima und Maxima weisen die aktiv gemanagten Fonds (BF/KV) deutlich höhere Werte auf, wobei die Behavioral Finance Fonds insbesondere in Bezug auf das Minimum die konventionellen Fonds übersteigen. Dies spiegelt sich auch in einer höheren Spannweite wider.

Bei Betrachtung der Einzelfonds zeigt sich, dass 77 Prozent der Minima im Jahr 2008 und 95 Prozent der Maxima im April 2009 erzielt wurden, was darauf schließen lässt, dass diese Werte von den allgemeinen Marktbedingungen41) und nicht von der Gestaltung der Einzelfonds beeinflusst werden. Es weisen jeweils sechs Behavioral Finance und konventionelle Fonds negative Mittelwerte auf. Bei den durchschnittlichen kumulierten Renditen übertrifft der MSCI USA deutlich die untersuchten Fonds, die mehrheitlich einen Investitionsschwerpunkt in den USA haben. Dabei weisen die Behavioral Finance Fonds auch im Vergleich zum MSCI World und den konventionellen Fonds eine geringere Wertsteigerung auf. Auf Einzelfondsebene haben sechs Behavioral Finance, acht konventionelle Fonds und der MSCI Europe im betrachteten Zeitraum an Wert verloren.

Bezüglich der durchschnittlichen Standardabweichung (s) unterscheiden sich die Fondsgruppen kaum und übersteigen den MSCI USA und MSCI World. Die Sharpe-Ratio liefert durchgängig negative Werte aufgrund der negativen Renditen während der Finanzkrise von 2007 bis 2009, sodass diese Kennzahl nicht aussagekräftig ist. Der Value at Risk der Fonds und des MSCI Europe sind ähnlich, MSCI USA und MSCI World weisen bessere Werte auf. Das Behavioral Risk ist aufgrund der Linksschiefe und der erhöhten Wölbung leicht höher als die Standardabweichung, die Unterscheidung ist wegen der annähernden Normalverteilung aber gering. Die durchgängig negativen Desirabilities zeigen, dass in der ex post Betrachtung nach diesem Kriterium keine Anlage zu tätigen gewesen wäre.

Gleichgerichtete Entwicklungen

Das Brutto-PTIP der Fondsgruppen und des MSCI World sind ähnlich, der mehrheitlich inferiore MSCI Europe weist den besten, der die anderen Maßzahlen dominierende MSCI USA den schlechtesten Wert aus. Insgesamt weist der MSCI USA bei zehn von dreizehn auswertbaren Kennzahlen den besten Wert aus. Der MSCI World übertrifft die Behavioral Finance Fonds in zehn und die konventionellen in acht Fällen. Im Vergleich zum MSCI Europe schneiden die aktiven Fonds besser ab (BF: acht Fälle, KV: neun Fälle), wobei der Schwerpunkt Europa insbesondere bei den konventionellen Fonds unterrepräsentiert ist. Die Behavioral Finance Fonds übertreffen die konventionellen Fonds bei drei Kennzahlen: absolutes Maximum, Anteil der Perioden mit negativer Rendite und Brutto-PTIP. Bei acht Kennzahlen ist der Unterschied zwischen Behavioral Finance und konventionellen Fonds allerdings gering.

Die vorangegangenen Betrachtungen legen nahe, dass zwischen den Behavioral Finance und den konventionellen Fonds starke Zusammenhänge bestehen und auch die Indices eine gleichgerichtete Entwicklung aufweisen. Alle untersuchten Kombinationen weisen entsprechende Korrelationskoeffizienten auf, die auf einen starken Zusammenhang hinweisen. Dies ist ein Indikator dafür, dass die Renditeentwicklung maßgeblich von für alle Vergleichsgruppen relevanten Faktoren beeinflusst wurde, die von der Strategie unabhängig sind. Die stärkste Korrelation (r= 0,994) besteht zwischen Behavioral Finance und konventionellen Fonds. Die p-Werte des t-Tests zeigen über alle Kategorien Ergebnisse, die zwischen 0,641 (EU/ US) und 0,996 (BF/WO) liegen. Zwischen BF und KV liegt der p-Wert bei 0,910.

Marketingeffekte

Ziel der Untersuchung war es, festzustellen, ob durch die Anwendung von Erkenntnissen des Behavioral-Finance-Ansatzes Vorteile gegenüber traditionellen Analysemethoden erzielt werden können. Selbst deklarierte Behavioral Finance Fonds unterscheiden sich in der empirischen Untersuchung im Hinblick auf die Rendite einerseits nicht von konventionellen Fonds und erzielen andererseits keine Überrenditen gegenüber Benchmark-Indices. Des Weiteren sind die Portfolios nicht entsprechend der Behavioral-Portfoliotheorie konstruiert, was auch den Ergebnissen anderer Studien entspricht.42) Die Bezeichnung Behavioral Finance liefert somit unter Renditegesichtspunkten kein Entscheidungskriterium für den Investor, vielmehr ist eine Evaluierung der einzelnen Fonds notwendig.

Von diesen Anforderungen unabhängig kann es für die Kapitalanlagegesellschaften aus Marketinggründen lohnend sein, passiv und aktiv gemanagte sowie Behavioral Finance Fonds anzubieten. Die Bezeichnung Behavioral Finance kann ungeachtet von der Performance zu einer höheren Attraktivität für Investoren und zu höheren Kapitalzuflüssen für die Gesellschaften führen. Da die Behavioral Finance spezifischen Portfolioselektionsverfahren nicht konkretisiert werden, kann der Eindruck entstehen, dass die Bezeichnung zur Verkaufsförderung eingesetzt wird, um bewusst Framingeffekte zu erzielen. Eine Offenlegung kann dem entgegenwirken und eine spezifische wissenschaftliche Analyse ermöglichen.

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Fußnoten

1) Vgl. Markowitz, H. (2009), S. 1ff.

2) Vgl. Barberis, N. & Thaler, R. H. (2005), S. 1.

3) Vgl. Jaunich, A. O. (2008), S. 25.

4) Vgl. De Bondt, W. et al. (2008), S. 7.

5) Vgl. Puetz, A. & Ruenzi, S. (2011), S. 685.

6) Vgl. Shefrin, H. & Statman, M. (2000), S. 133.

7) Vgl. Das, S. R. & Statman, M. (2013), S. 138.

8) Vgl. Shefrin, H. & Statman, M. (2000), S. 147f.

9) Vgl. Brunel, J. L. P. (2006), S. 19.

10) Vgl. Das, S. R. & Statman, M. (2013), S. 137.

11) Vgl. Shefrin, H. (2008), S. 484f.

12) Vgl. Jiang, C. et al. (2013), S. 648; Roßbach, P. (2001), S. 19f.

13) Vgl. Shefrin, H. (2008), S. 437.

14) Vgl. Davies, G. B. & de Servigny, A. (2012), S. 142.

15) Beispielsweise steht E = 0,5 für eine hohe Risikoaversion, E = 1 für eine moderate Risikoeinstellung und E = 1,5 für eine hohe Risikotoleranz.

16) Vgl. Davies, G. B. & de Servigny, A. (2012), S. 166.

17) Vgl. Maeke, R. D. (2009), S. 95ff.

18) Vgl. Maeke, R. D. (2009), S. 85f.

19) Vgl. Maeke, R. D. (2009), S. 236.

20) Vgl. Jaunich, A. O. (2008), S. 172.

21) Hierbei werden Bruttowerte verwendet und keine Inflationsbereinigung vorgenommen.

22) Vgl. Goodfellow, C. et al. (2013), S. 115. Jaunich verwendet dagegen eine weitergehende Definition von Behavioral Finance Fonds, die sämtliche Titel umfasst, die Strategien mit verhaltensbasierten Anomalien anwenden, vgl. Jaunich, A. O. (2008), S. 12.

23) Vgl. Ciccotello, C. S. (2010), S. 7.

24) Vgl. Elton, E. J. & Gruber, N. J. (2012), S. 1015.

25) Morningstar ist führend im Bereich der Analyse von Investmentfonds.

26) Vgl. Vishwanath, S. R. (2009), S. 571.

27) Vgl. Fama, E. (1970), S. 383ff.

28) Vgl. Jaunich, A. O. (2008), S. 135.

29) Vgl. Foad, H. (2010), S. 279.

30) Vgl. Ackert, L. F. & Deaves, R. (2010), S. 139.

31) Vgl. Lakonishok, J. et al. (1994), S. 1542.

32) Vgl. Lakonishok, J. et al. (1994), S. 1555.

33) Vgl. Reinhart, W. J. & Brennan, M. (2007), S. 2ff.

34) Vgl. Ben-David, I. (2010), S. 446.

35) Vgl. Agnew, J. & Szykman, L. (2010), S. 26f.

36) Vgl. Agnew, J. & Szykman, L. (2010), S. 42; Shefrin, H. (2002), S. 159 ff.

37) Vgl. Kiehling, H. (2001), S. 55f.

38) Vgl. Forbes, W. (2009), S. 10; Jaunich, A. O. (2008), S. 9.

39) Vgl. Maeke, R. D. (2009), S. 182.

40) Vgl. Davies, G. B. & de Servigny, A. (2012), S. 162.

41) Zwischen Oktober 2007 und Februar 2009 wurden aufgrund der Finanzkrise allgemein stark negative Renditen erzielt.

42) Vgl. Goodfellow, C. et al. (2013), S. 113 ff.; Reinhart, W.J. & Brennan, M. (2007), S. 3ff.

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