Aufsätze

Corporate Governance Kodex: Wie wirksam sind Selbstverpflichtungen der Wirtschaft?

Als im Jahre 2001 die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex von der Bundesregierung einberufen wurde, um einen Kodex für börsennotierte Unternehmen zu entwickeln, wurde in der Politik und den Medien eine Debatte über die zulässige Anzahl von Aufsichtsratsmandaten pro Person geführt. Nicht selten wurde die gesetzlich zulässige Anzahl auch ausgenutzt. Die Aufsichtsräte tagten in der Regel viermal im Jahr. Arbeitsausschüsse waren mehr oder weniger unbekannt. Anforderungsprofile für Aufsichtsräte waren eher die Ausnahme. Vergütungsregeln wurden nur pauschal publiziert. Das Thema Corporate Governance war vor etwas mehr als zehn Jahren nur ein Thema für Spezialisten, für das sich auch die Medien nicht wirklich interessierten, da es ihnen viel zu kompliziert war. Ausländische Investoren waren darauf angewiesen, sich durch eine Vielzahl von Gesetzestexten und andere Regelwerken zu arbeiten, wollten sie ein Verständnis über das ihnen unbekannte zweistufige deutsche Governance-Modell bekommen.

Öffentlichkeit als eine Art "Schiedsrichter"

Dieses Bild hat sich seitdem komplett geändert. Nicht zuletzt, weil die öffentliche Beobachtung als Korrektiv viel intensiver geworden ist. Reputation ist heute Teil des Risikomanagements. Und die Öffentlichkeit ist neben den Aktionären eine Art "Schiedsrichter" über gute oder schlechte Unternehmensführung. Das Thema Corporate Governance gehört heute zum Alltag in den deutschen börsennotierten Unternehmen. Das deutsche Modell ist im Ausland nicht mehr eine Unbekannte. Der Kodex und vor allem die Diskussionen, die er ausgelöst hat, haben hier einen wichtigen Beitrag geleistet.

Der Kodex soll - wie es in seiner Präambel heißt - das deutsche Corporate-Governance-System transparent und nachvollziehbar machen. Er will das Vertrauen der internationalen und nationalen Anleger, der Kunden, der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit in die Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften fördern. Diesem Ziel entsprechend hat der Kodex sowohl eine Informations- als auch eine Steuerungsfunktion. Dies ist für das Verständnis von grundlegender Bedeutung. Denn der Kodex informiert nicht nur über wesentliche gesetzliche Vorschriften zur Leitung und Überwachung deutscher börsennotierter Gesellschaften. Er stellt darüber hinaus auch Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung auf, die er zur Beachtung empfiehlt. Im Kodex sind also stets zu unterscheiden, die in leicht verständlicher Form wiedergegebenen gesetzlichen Bestimmungen, die Empfehlungen der Regierungskommission und bloße Anregungen.

Im Wege freiwilliger Selbstverpflichtung

Der Corporate Governance Kodex ist somit dreistufig aufgebaut. Die geltenden gesetzlichen Bestimmungen bilden die Grundlage. Dazu gehören die im Aktiengesetz geregelten Rechte und Pflichten des Vorstands und des Aufsichtsrats als Leitungs- und Kontrollorgane der Gesellschaft. Es ist klar: Diese Bestimmungen müssen in jedem Fall eingehalten werden. Im Mittelpunkt des Kodex stehen jedoch die von der Regierungskommission erarbeiteten Empfehlungen. Sie richten sich an den Vorstand und den Aufsichtsrat börsennotierter Gesellschaften und ergänzen damit die zwingenden Vorschriften des Aktienrechts. Eine rechtliche Verpflichtung, diese Empfehlungen zu befolgen, besteht nicht. Der Kodex setzt auf freiwillige Akzeptanz. Unternehmen können deshalb von den Empfehlungen abweichen, falls sie dies aus guten Gründen für geboten halten. Das ermöglicht ihnen zum Beispiel die Berücksichtigung branchen- oder unternehmensspezifischer Bedürfnisse.

Hierin liegt ein wesentlicher Vorteil der Kodex-Empfehlungen gegenüber dem zwingenden Recht. Es war von Anfang an eine Grundidee für die Arbeit am Kodex, Verbesserungen der Unternehmensführung und -überwachung im Wege freiwilliger Selbstverpflichtung der deutschen Wirtschaft zu erreichen.

Allerdings bedeutete dies nicht, dass der Deutsche Corporate Governance Kodex ein "zahnloser Tiger" ist, mit Regeln, an die man sich doch nicht halten muss. Den Empfehlungen des Kodex kommt - im Gegensatz zu den bloßen Anregungen - mittelbar durchaus auch eine rechtliche Bedeutung zu. Denn auf gesetzlicher Ebene wird der Kodex flankiert, und zwar durch die ebenfalls im Jahr 2002 in Kraft getretene Bestimmung des § 161 AktG. Diese Vorschrift verpflichtet die Unternehmen zwar nicht dazu, die Empfehlungen des Kodex zu befolgen. Börsennotierte Unternehmen sind aber nach § 161 AktG dazu verpflichtet, durch eine sogenannte "Entsprechenserklärung" bekannt zu geben, ob sie den Kodex-Empfehlungen gefolgt sind, und gegebenenfalls zu begründen, warum sie den Empfehlungen nicht entsprochen haben. Es obliegt dann den Aktionären, also den Eigentümern, und anderen Stakeholdern auf dieser Basis zu bewerten, ob das jeweilige Unternehmen aus ihrer Sicht über eine gute Corporate Governance verfügt oder nicht.

Die Kommission hat kein Mandat, eine Bewertung der Corporate Governance einzelner Unternehmen vorzunehmen. Durch § 161 AktG hat der Kodex eine gesetzliche Anerkennung gefunden. Der eben erwähnte, schon von Anfang an im Kodex geltende Grundsatz "Comply or Explain" - räumt den Unternehmen die notwendige Flexibilität ein und stellt gleichzeitig die erforderliche Transparenz sicher. Damit wird die Befolgung der Kodex-Empfehlungen gefördert, nicht aber erzwungen. Es bleibt somit den Investoren und der Öffentlichkeit überlassen, aus dem Wissen darüber, ob ein Unternehmen den Empfehlungen des Kodex folgt oder davon abweicht, Konsequenzen für dessen Bewertung zu ziehen. Das entspricht marktwirtschaftlichen Grundsätzen.

Ernst und angenommen

Eine unrichtige oder unvollständige Entsprechenserklärung kann, nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. Februar 2009 (BGH, Urt. v. 16. 2. 2009 - II ZR 185/07) unter bestimmten Voraussetzungen rechtliche Sanktionen nach sich ziehen. So hat er entschieden, dass Hauptversammlungsbeschlüsse über die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat anfechtbar sein können, sofern diese Organe eine unrichtige Erklärung über die Befolgung der Empfehlungen des Kodex abgegeben haben und sie die Unrichtigkeit kannten oder kennen mussten.

Wissenschaftliche Studien wie die des Berlin Center of Corporate Governance, das regelmäßig die Aufsichtsratsvorsitzenden und Vorstände der börsennotierten Unternehmen befragt, zeigen, dass der Kodex ernst und angenommen wird. So haben 41 Prozent der Studienteilnehmer 2012 angegeben, dass sie sich aufgrund der hohen Erwartung von sogenannten Proxy Advisors, den Medien und den Eigenkapitalgebern einen faktischen Zwang zur Umsetzung der Kodexbestimmungen ausgesetzt sehen. Unterstrichen wird dies durch Befolgungsquoten bei Dax-Unternehmen von knapp 98 Prozent und bei M-Dax-Unternehmen von knapp 96 Prozent.

Aber auch ein Blick in den Unternehmensalltag macht deutlich, dass sich innerhalb von nur zwei Legislaturperioden in den Unternehmen enorm viel verändert hat und wir heute in den Gremien ein ausgeprägtes Verständnis für Corporate Governance Fragen vorfinden. Daran ändern einzelne kritische Stimmen, die es immer geben wird, nichts. Tatsache ist, dass die Gremien heute viel professioneller arbeiten als noch vor zehn Jahren. Dies beginnt bei der Auswahl der Aufsichtsräte, die heute vor allem bei den großen Unternehmen in der Regel in professionellen Prozessen gesucht und für die unternehmensspezifische Anforderungsprofile erstellt werden. Aufsichtsräte nutzen die Möglichkeit einer spezialisierten und effizienten Arbeit in den Ausschüssen, um Entscheidungsvorlagen für das Plenum vorzubereiten. Auch die Tagungsfrequenzen des Aufsichtsratsplenums haben zugenommen, wie allein ein Blick in die Geschäftsberichte zeigt. Das wachsende Angebot im Markt macht deutlich, dass das Kodexgebot zur Weiterbildung der Aufsichtsräte ernst genommen wird. Die Anzahl der Mandate pro Person ist seit Jahren rückläufig, was eindeutig auf die zunehmende Arbeitsbelastung pro Mandat zurückzuführen ist. So empfiehlt der Kodex (seit 2011), dass ein Vorstand einer börsennotierten Gesellschaft, insgesamt nicht mehr als drei Aufsichtsratsmandate in konzernexternen börsennotierten Gesellschaften oder in Aufsichtsgremien von konzernexternen Gesellschaften, die vergleichbare Anforderungen stellen, wahrnehmen soll.

Im Zuge der Empfehlung für mehr Vielfalt in den deutschen Aufsichtsräten und hier vor allem für eine höhere Berücksichtigung von Frauen, wurden die Gremien internationaler und insbesondere mit mehr weiblichen Mitgliedern besetzt. Innerhalb der vergangenen drei Jahre ist der Anteil von Frauen in den Aufsichtsräten der Dax-30-Unternehmen von knapp 14 Prozent auf 22 Prozent angestiegen. Auch ohne gesetzliche Quote wird die von SPD und CDU/ CSU diskutierte Schwelle von 30 Prozent in den kommenden Jahren mit der auf die unternehmensspezifischen Verhältnisse zugeschnittene Kodexempfehlung erreicht und längerfristig überschritten werden.

Mehr Klarheit und Transparenz bei Vergütungsfragen

Mehr Klarheit und Transparenz im Sinne einer Professionalisierung der Arbeit von Aufsichtsrat und Vorstand gibt es heute auch bei den Vergütungsfragen. Insbesondere die in diesem Jahr verabschiedeten Kodexempfehlungen, die in den Unternehmen ganz überwiegend auf Zustimmung gestoßen sind, werden die Qualität und die Breite der Information, die der Aufsichtsrat für seine Entscheidung berücksichtigen soll, weiter erhöhen. Die Aufsichtsräte sollen sich über die Kriterien, nach denen sie Vorstandsvergütungen bemessen und über die möglichen Gesamtbezüge, also welche Beträge einschließlich der variablen Vergütungen und der Altersversorgung herauskommen können, Klarheit verschaffen und unternehmensspezifische, individuelle Obergrenzen definieren.

Diese Informationen, die für die Entscheidung des Aufsichtsrates gewonnen werden, werden auch den Aktionären letztendlich zur Verfügung stehen, die heute schon auf Basis des § 120 Aktiengesetzes von allen Dax-30-Aufsichtsräten und vielen anderen Unternehmen auf den Hauptversammlungen um Zustimmung zu den Vorstandsvergütungssystemen gebeten wer den. Die Praxis zeigt dabei, dass die Aktionäre in der Regel den im Einzelnen unter anderem im Vergütungsbericht erläuterten Systemen und Methoden der Vorstandsvergütung mit deutlichen Hauptversammlungsmehrheiten zustimmen, auch in den Fällen, die in der Öffentlichkeit zu Diskussionen und Kritik geführt haben. Mit den neuen Empfehlungen und der heute schon gelebten Praxis ist daher aus Sicht der Kommission eine neuerliche Änderung des Aktiengesetzes zur Einführung einer bindenden Abstimmung über die Vorstandsvergütungssysteme auf den Hauptversammlungen nicht notwendig. Eine solche gesetzliche Regelung, wie sie von SPD und CDU/CSU vorgeschlagen wird, würde in der Tendenz eher den Aufsichtsrat aus seiner Verantwortung entlassen und damit den bisherigen Bemühungen entgegenwirken, gerade den Aufsichtsrat im Sinne einer klaren Aufgabenbeschreibung und Verantwortlichkeit mehr in die Pflicht zu nehmen.

Die Aufsichtsräte haben diese Pflicht in aller Regel angenommen. Zwar sind im Durchschnitt die Vorstandsvergütungen in Deutschland in den letzten Jahren stärker gestiegen als die Einkommen der Mitarbeiter allgemein, sie bewegen sich aber ganz überwiegend noch auf einem akzeptablen Niveau. Zu Diskussionen führen immer wieder Einzelfälle, die in den Medien aber nicht als Ausnahmen, sondern als Normalfall dargestellt werden. Diese Verallgemeinerung ist ein Problem, weil sie den Gesetzgeber zu nicht marktkonformen Eingriffen verführen kann, die die Verantwortung des Aufsichtsrates beeinträchtigen.

Akzeptanz gegenüber der Wirtschaft erhalten

Grundsätzlich müssen sich alle so verhalten, dass die Gesellschaft das Verhalten der Wirtschaft akzeptieren kann, weil es dem Bild eines ehrbaren Kaufmanns entspricht. Das gilt vor allem für große, aber auch für kleine und mittlere Unternehmen. Wenn diese Akzeptanz gegenüber der Wirtschaft verloren geht, ist das marktwirtschaftliche System gefährdet. Die Folge wären weitere Regulierungen, die über die Einschränkung der unternehmerischen Freiheit langfristig für die Gesellschaft generell zu Freiheitsverlusten führen.

Der Kodex gibt den deutschen börsennotierten Unternehmen die Möglichkeit, im Rahmen der Selbstregulierung praktikable und wirkungsvolle Rahmenbedingungen für eine auch im internationalen Vergleich gute Corporate Governance aufzustellen. Ein gelebter und von den Unternehmen anerkannter Corporate Governance Kodex hilft, die Akzeptanz gegenüber der Wirtschaft zu unterstützen und zu fördern.

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