Gespräch des Tages

Deutsche Bundesbank - Fingerzeig

Wer kennt ihn nicht, den moralischen Zeigefinger? Das gehört sich nicht, das macht man nicht. Wie Lehrer Lämpel aus Wilhelm Buschs Max und Moritz hebt man den Zeigefinger und verurteilt damit das unmoralische Verhalten seines Gegenübers. Als EZB-Präsident Draghi etwa Ankäufe von Staatsanleihen in Aussicht stellte, brach der Sturm der Entrüstung über ihn herein. Die Bundesregierung wendete sich mehr oder weniger deutlich gegen dieses Vorhaben, und die Bundesbank warnte vor einem Tabubruch. Je tadelloser dabei die Historie der moralischen Instanz ist, umso wirkungsvoller ist der erhobene Zeigefinger in der Öffentlichkeit.

Analysten der französischen Großbank BNP Paribas haben nun recherchiert, dass die Bundesbank vor langer Zeit in Sachen Anleihekäufen wohl selber einen Tabubruch begangen hat. Im Sommer 1975 kaufte der deutsche Währungshüter nämlich für 7,6 Milliarden D-Mark Staatsanleihen und Anleihen der staatlichen Deutschen Bundespost. Das entsprach damals immerhin einem Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Bundesrepublik steckte mitten in der schwersten Wirtschaftskrise ihrer Geschichte. Gleichzeitig gab es einen dramatischen Nachfragerückgang bei lang laufenden deutschen Staatsanleihen. Um die steigenden Renditen zu drücken, fühlte sich die Bundesbank deshalb zu diesem Markteingriff veranlasst. Die Frankfurter Währungshüter, so schrieb der Spiegel in seiner Aus gabe 44/1975, wollten dabei eigentlich nur die Zins-Spekulanten besänftigen und gleichzeitig die Finanzierung der öffentlichen Defizite erleichtern. Offenbar sah sich die Bundesbank in Begründungszwang, und der damalige Bundesbankdirektor Helmut Schlesinger betonte, die Bundesbank dürfe nur zur Regulierung des Geldmarktes, nicht aber zur Finanzierung des Staatshaushalts Offenmarktpolitik betreiben.

In ihrem Papier heben die Analysten der BNP Paribas hervor, dass es deutliche Parallelen zwischen der Situation im Sommer 1975 und der Situation im Sommer 2012 gibt. Sie halten es deshalb für durchaus denkbar, dass Mario Draghi, als er in seiner ersten Pressekonferenz als EZB-Präsident seiner großen Bewunderung für die Bundesbank Ausdruck verlieh, nicht ihre geldpolitischen Erfolge vor Augen hatte, sondern eben auch jene Anleihekäufe aus dem Jahr 1975. Diese Vermutung wird allerdings nur Draghi selber bestätigen können. Die von den Analysten hervorgehobenen Parallelen scheinen allerdings doch weit hergeholt: Eine europäische Gemeinschaftswährung ohne politische Union, eine Finanz- und Staatsschuldenkrise sowie eine völlig veränderte Bedeutung der Finanz- gegenüber der Realwirtschaft sind nur einige grundlegende Rahmenbedingungen, die es 1975 nicht gab. Gleichwohl ist der von der Online-Ausgabe des Spiegel als Jugendsünde titulierte Verstoß der Bundesbank gegen die eigenen Grundsätze ein schönes Fundstück. Auf der Suche nach aktuellen Argumenten für oder gegen den Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB kann dieses Fundstück jedoch allenfalls eine Randnotiz sein.

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