Aufsätze

Europäisierte Finanz- und Kapitalmarktrechtssysteme: ein gefährliches, aber notwendiges Übel!

Das Kapitalmarktrecht hat in den letzten Jahren eine rasante Entwicklung genommen.* Diese Entwicklung ging und geht zunehmend mit erheblichsten Abstimmungsproblemen, namentlich auch mit Blickrichtung auf die strafrechtlichen Konsequenzen der fortschreitenden Europäisierung beziehungsweise Internationalisierung der Kapitalmarktrechtssysteme, einher. Wesentlich beeinflusst und verstärkt wird dieses Problem dadurch, dass die nationalen und/oder europäischen (Neu-)Regelungen in diesem Bereich allzu oft in geradezu sklavischer Manier das Ergebnis der bloßen und weitestgehend kritiklosen Adaption der US-amerikanischen Vorgaben sowie der dortigen Rechtsvorstellungen bilden.

Oftmals kommt es allein schon aus diesem Grund zu erheblichsten Abstimmungskonflikten in Anbetracht gewachsener und im Widerspruch zum angloamerikanischen Rechtsverständnis stehender kontinentaleuropäischer Rechtsgrundsätze. Auch dies wird nachfolgend anhand einiger Beispiele zu verdeutlichen sein. Diese schlaglichtartigen Darlegungen werden überdies belegen, dass die Errichtung eines autonomen gesamteuropäischen Kapitalmarktrechtssystems dringender erforderlich ist denn je, da nur auf diesem Wege schwerwiegende und teilweise latent bereits existierende Justizkonflikte im deutsch/europäisch-(US-)amerikanischen Rechtsverkehr zukünftig vermieden werden können.

Strafrechtliche Risiken - eine bislang nicht hinreichend bedachte Konsequenz

Generell ist eine wachsende Bedeutung des Strafrechts im kapitalmarktrelevanten Umfeld zu konstatieren. Die Gründe hierfür sind mannigfaltig, nur einige der wesentlichsten seien an dieser Stelle erwähnt. So stellt eine der Voraussetzungen für die Errichtung funktionierender Kapitalmärkte die Gewährleistung einer möglichst umfassenden Transparenz und Publizität dar. Namentlich aufgrund angloamerikanischer Rechtstraditionen wurde und wird hierbei auch in Europa primär auf die strafrechtliche Sanktionierung diesbezüglicher gesetzlicher (Publizitäts-)Pflichten der Emittenten sowie sonstiger Kapitalmarktteilnehmer gesetzt.

Hinzu tritt, dass auch die Europäisierung der Kapitalmärkte zu dieser Entwicklung beiträgt, denn die Regulierung dieser Märkte mit Hilfe des Strafrechts ist in anderen europäischen Ländern, wie beispielsweise Frankreich, in weit höherem Maße Tradition als in Deutschland. Vor diesem Hintergrund führt die stetig fortschreitende Europäisierung der Kapitalmärkte, namentlich aus deutscher Sicht, zu wachsenden strafrechtlichen Risiken.

Dies kann beispielhaft anhand zweier Bereiche dargestellt werden. Zum einen handelt es sich hierbei um die, ausgehend von der diesbezüglichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, spezifische Bedeutung des Untreuetatbestandes im Bankensektor. So stellte der Bundesgerichtshof mit seinem Urteil vom 15. November 2001 (Az.: 1 StR 185/01) fest, dass einem bloßen (Formal-)Verstoß gegen die Ordnungs- und Prüfvorschrift des § 18 KWG bei der Kreditvergabe eine wesentliche Indizwirkung im Hinblick auf die unter dem Gesichtspunkt der Untreue gemäß § 266 StGB strafrechtliche Beurteilung des Handelns des betroffenen Bankmitarbeiters zukommt.

Mit anderen Worten: Allein der Verstoß gegen Formalvorschriften wird in dieser Entscheidung als grundsätzlich ausreichendes Indiz für die Annahme strafrechtlich relevanten Handelns eines Bankmitarbeiters anerkannt.

Wachsende Bedeutung des "Unternehmensstrafrechts"

Trotz aller Kritik, die diese Rechtsprechung in der Praxis erfahren hat, dürfte diese nach wie vor, gerade auch in der konkreten Anwendung durch die Instanzgerichte, vollumfänglich Bestand haben.

Zum anderen ist, nicht zuletzt auch infolge der sich auch in diesem Zusammenhang verstärkenden Orientierung an US-amerikanischen Rechtsvorstellungen, nunmehr auch in Deutschland eine wachsende Bedeutung des sogenannten "Unternehmensstrafrechts" festzustellen. Zwar gilt nach wie vor in der deutschen Jurisprudenz der allgemeine Lehrsatz, dass es in Deutschland kein Unternehmensstrafrecht im klassischen Sinne gibt. Dieser aus Unternehmenssicht zunächst beruhigend anmutende Lehrsatz ist jedoch irreführend. Dies zeigt gerade auch ein in der Öffentlichkeit derzeit intensiv diskutierter Sachverhalt, nämlich die sogenannte "Korruptionsaffäre Siemens". So wurde die Siemens AG in diesem Zusammenhang in Deutschland bereits dazu verurteilt, eine "Strafe" in Höhe von 201 Millionen Euro zu zahlen. Die entsprechenden Rechtsgrundlagen stellen in derartigen Sachverhalten regelmäßig die Regelungen des Ordnungswidrigkeitenrechts zum Verfall und/oder, eher untypisch, zur Einziehung dar.

Zunehmende Formalisierung und Bürokratisierung

Welche erheblichen Risiken die Europäisierung der Kapitalmarktrechtssysteme unter anderem wegen der mit ihr einhergehenden zunehmenden Formalisierung und Bürokratisierung aus Sicht der jeweils handelnden Bankmitarbeiter, aber auch generell der Finanzdienstleistungsbranche, mit sich bringt, lässt sich vor diesem geschilderten rechtlichen Hintergrund mit Hilfe folgender Überlegungen exemplarisch verdeutlichen:

- Durch die EU-Richtlinie über Märkte und Finanzinstrumente (MiFiD) sowie deren Umsetzung in nationales Recht wurden insbesondere auch gesteigerte formale Anforderungen zulasten der Finanzdienstleistungsbranche normiert. So enthält beispielsweise die neue Fassung des § 34 Abs. 1 WpHG jetzt erstmals aus Sicht der Finanzdienstleister umfassende Dokumentationspflichten für den Bereich der Anlageberatung. Zwar wurden die hieraus resultierenden zivilrechtlichen Konsequenzen in der juristischen Literatur bereits umfassend erörtert, Überlegungen zu denkbaren strafrechtlichen Konsequenzen einer Verletzung dieser Dokumentationspflichten suchte man bislang jedoch vergebens. Dies ist umso überraschender, als vor dem Hintergrund der vorstehend bereits erwähnten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur sogenannten "Bankenuntreue" die Argumentation nahe liegt, einen Bankmitarbeiter, der diese Dokumentationspflicht verletzt, auch unter dem strafrechtlichen Gesichtspunkt der Erfüllung des Straftatbestandes der Untreue zu belangen.

- Auch die unter dem Stichwort "Basel II/Kapitaladäquanzrichtlinie" behandelten umfangreichen Regelungskomplexe stellen aufgrund der einführend kurz beschriebenen Bedeutung reiner Formalverstöße im Bereich des Strafrechts ein nicht zu unterschätzendes und erhöhtes Risikopotenzial dar. Denn der Schritt zur strafrechtlichen Relevanz einer Kreditvergabe unter Missachtung der in diesen Regelungskomplexen enthaltenen detaillierten Rating-Vorschriften betreffend die Risikoanalyse ist oftmals nur ein marginaler. Auch im Falle einer infolge formal verfehlter Anwendung der Rating-Vorgaben zu geringen Verzinsung beziehungsweise Risikoprämie in Ansehung des konkret gewährten Kredits stellt sich insoweit die Frage nach der Strafbarkeit eines derartigen Verhaltens; jedenfalls aber kann nicht ausgeschlossen werden, dass die deutschen Ermittlungsbehörden zukünftig in diese Richtung argumentieren werden. Auf der Grundlage all dieser Überlegungen sei lediglich noch am Rande und zur Abrundung erwähnt, dass auch die in der Praxis bereits aus anderen Gründen durchaus als problematisch qualifizierten MaRisk in vielfältigster Hinsicht strafrechtliche Bedeutung erlangen können.

Bedauerliche Entwicklung?

Basierend auf dem vorstehend kursorisch beschriebenen Befund der stetig wachsenden strafrechtlichen Risiken infolge der Schaffung eines einheitlichen europäischen Kapitalmarktrechtssystems, könnte man nun versucht sein, diese Entwicklung zu bedauern, oder gar zu verteufeln. Dies wäre indes ein fataler Fehler: Nur mit Hilfe der Entwicklung eines einheitlichen und autonomen europäischen Kapitalmarktrechtssystems unter Berücksichtigung gewachsener kontinentaleuropäischer Rechtstraditionen können weit gravierendere negative Konsequenzen aus Sicht der Finanzdienstleistungsbranche und ihrer Mitarbeiter verhindert werden.

Denn, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, ist dies der wohl einzig gangbare Weg, um zukünftig die allzu kritiklose und oftmals höchst problematische Übernahme US-amerikanischer Rechtsvorstellungen zu vermeiden und vielmehr ein in sich abgestimmtes und schlüssiges gesamteuropäisches Kapitalmarktrechtssystem zu schaffen.

Beträchtliches Konfliktpotenzial

Um das beträchtliche Konfliktpotenzial zwischen dem angloamerikanischen Rechtsverständnis zum einen und gewachsenen kontinentaleuropäischen, beziehungsweise vor allem auch deutschen, Rechtstraditionen im kapitalmarktrelevanten Bereich zum anderen sowie die damit verbundene Notwendigkeit eines autonomen gesamteuropäischen Kapitalmarktrechtsystems exemplarisch zu verdeutlichen, sei kurz auf die folgenden Gesichtspunkte eingegangen:

- Einer der spektakulärsten Fälle der deutschen Strafrechtshistorie mit wirtschaftsstrafrechtlichem Hintergrund dürfte wohl das Verfahren Ackermann/Esser unter anderem wegen "Mannesmann/Vodafone" sein. Anhand dieses Sachverhalts lässt sich einer der grundlegenden Unterschiede der deutschen und amerikanischen Rechtsvorstellungen im Hinblick auf das am Kapitalmarkt notierte Unternehmen belegen. Denn trotz all der vehement geführten Diskussionen, in denen sich die zwei Lager der Traditionalisten einerseits und der an US-amerikanischen Rechtsvorstellungen orientierten Vertreter der Jurisprudenz, aber auch der Wirtschaft, andererseits bis zuletzt unversöhnlich gegenüberstanden, lässt sich diese Auseinandersetzung auf eine Grundsatzfrage reduzieren: Letztendlich geht es in dieser Auseinandersetzung im Kern um die Fragestellung, ob man "das Unternehmen" als eigenständiges Rechtssubjekt begreift, wie dies die Traditionalisten auf der Grundlage deutschen Rechts tun, oder ob diese juristische Person lediglich als bloße Summe aller Aktionäre und des Aktionärinteresses anzusehen ist.

Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 21.12.2005 - Az.: 3 StR 470/04) hat diese Frage beantwortet; er hat die Freisprüche der Angeklagten aufgehoben und damit unter Zugrundelegung deutschen Rechts die Eigenständigkeit des Unternehmens und insbesondere seiner grundsätzlich auch gegenüber den Aktionärsinteressen schützenswerten Vermögensinteressen betont.

- Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang der unterschiedliche Stellenwert, den das Kapitalerhaltungsprinzip im US-amerikanischen Rechtssystem und deutschen beziehungsweise wohl sogar kontinentaleuropäischen Rechtskreis einnimmt. Während die US-amerikanische Seite insoweit eine den Grundsatz der Kapitalerhaltung eher nachrangig berücksichtigende Einstellung an den Tag legt, kann man trotz aller Aufweichungstendenzen gerade mit Blickrichtung auf Deutschland von einem nach wie vor ehernen Grundsatz der Kapitalerhaltung sprechen.

Andersartige Herangehensweisen

Ausgehend von diesen grundsätzlichen Wertungsunterschieden, gestalten sich sodann auch die weiteren Weichenstellungen im wirtschafts-(straf-)rechtlichen Bereich in den beiden Rechtskreisen sehr unterschiedlich. Die Tatsache, dass zwischenzeitlich angloamerikanische Finanzinvestoren von Unternehmen, an denen sie beteiligt sind, erhöhte Dividendenausschüttungen fordern, die letztlich nur über eine klassische Kreditaufnahme finanziert werden können, und insoweit teilweise auf den erbitterten Widerstand der deutschen Unternehmensverwaltungen stoßen, offenbart die in den beiden Rechtskreisen jeweils andersartige Herangehensweise in geradezu dramatischer Weise.

- Der Hang des US-amerikanischen Kapitalmarktrechts zur dokumentierten (Fehl-) Vorstellung, man könne gerade in diesem, häufig sehr gewinnträchtigen Bereich mit strafrechtlichen Normen Fehlentwicklungen präventiv und umfassend verhindern, führt dazu, dass, wie bereits geschildert, auf europäischer Ebene eine Flut an strafrechtlichen Normen in diesem Zusammenhang installiert wird. Nicht berücksichtigt wird hierbei jedoch, dass, anders als im deutschen Rechtskreis, im US-amerikanischen Rechtssystem das sogenannte "Opportunitätsprinzip" gilt, das es den dortigen Ermittlungsbehörden erlaubt, Straf- beziehungsweise Ermittlungsverfahren nach eigenem Ermessen und regelmäßig gegen hohe finanzielle Leistungen des jeweils beschuldigten Unternehmens und/oder Täters einzustellen. Demgegenüber gilt in Deutschland nach wie vor der sogenannte "Legalitätsgrundsatz", sodass eine deutsche Ermittlungsbehörde grundsätzlich ermitteln und repressiv handeln muss, wenn eine Straftat vorliegt. Demzufolge ist in der Praxis auch bereits eine gefährliche Überlastung und Überforderung der Ermittlungsbehörden im Hinblick auf Fälle mit kapitalmarktstrafrechtlichem Bezug zu konstatieren.

Beispiel Sarbanes-Oxley-Act

In besonderem Maße offenkundig wurden die negativen Konsequenzen dieser unterschiedlichen strafverfahrensrechtlichen Herangehensweise in den USA und in Deutschland im Zusammenhang mit den Diskussionen über den Sarbanes-Oxley-Act aus dem Jahre 2002, der die US-amerikanische Antwort auf verschiedenste Skandale am dortigen Kapitalmarkt darstellte. Dieses Regelungswerk führte zu einer drastischen Verschärfung der Berichtspflichten und der Vorschriften zur Haftung von Vorständen und Wirtschaftsprüfern, gleichzeitig ist es mit ihm aber auch zu einer exzessiven Ausweitung kapitalmarktrechtlicher Strafvorschriften gekommen.

Vor diesem Hintergrund wurde sodann auch von verschiedenster Seite vehement eine spiegelbildliche Verschärfung der deutschen Strafvorschriften in diesem Bereich gefordert. Auch in der diesbezüglichen Diskussion wurde und wird immer wieder die Tatsache übersehen, dass nach wie vor in Deutschland das weniger flexible und die Ermittlungsbehörden weit stärker bindende Legalitätsprinzip gilt.

- Auch in vielfacher anderer Hinsicht ist der Sarbanes-Oxley-Act sowie die internationale Diskussion über den von USamerikanischer Seite betonten weltweiten Geltungsanspruch dieser Normen für Unternehmen, deren Wertpapiere, vereinfacht ausgedrückt, in den USA gehandelt werden, ein treffliches Beispiel für die Inkompatibilität der US-amerikanischen und kontinentaleuropäischen beziehungsweise deutschen Rechtsvorstellungen.

Justizkonflikt im Verborgenen

Dass man in diesem Zusammenhang wahrlich bereits von einem bislang leider nur im Verborgenen ausgetragenen Justizkonflikt ausgehen muss, zeigt - pars pro toto - das dort zum Ausdruck kommende US-amerikanische Verständnis der Rolle eines Anwalts. So enthält der Sarbanes-Oxley-Act zum Beispiel auch Normen über Mitteilungspflichten von Anwälten, die nach deutschem Rechts- und Anwaltsverständnis eventuell sogar unter den Tatbestand des Parteiverrats gemäß § 356 StGB subsumiert werden könnten, jedenfalls aber erhebliche Interessenkonflikte zur Folge haben.

- Fast schon traditionell versucht die nach US-amerikanischem Rechtsverständnis geradezu allmächtige Securities Exchange Commission (SEC), die US-amerikanischen Kapitalmarktvorschriften weltweit durchzusetzen und insoweit auch als Ermittlungsbehörde umfassend und ubiquitär aufzutreten. Nachdem es zu Beginn der neunziger Jahre zunächst so aussah, als wolle die SEC insoweit primär wieder auf die Kooperation und vorherige Abstimmung mit nationalen Kapitalmarkt- und Ermittlungsbehörden setzen, hat sich zwischenzeitlich ein Phänomen etabliert, das kurzfristig zu extremen (Justiz-)Konflikten zwischen den betroffenen Staaten, namentlich auch den europäischen und den USA beziehungsweise der SEC führen wird, und führen muss.

Beispiel "Siemens-Korruptionsaffäre"

So zeigt beispielsweise die vehement öffentlich diskutierte "Siemens-Korruptionsaffäre", wie die SEC in diesem Zusammenhang zwischenzeitlich generell vorgeht und damit letztlich aus deutscher, aber auch aus europäischer Sicht bestehende rechtsstaatliche Garantien und Grundsätze aushebelt.

Dieses Vorgehen gestaltet sich wie folgt: Das jeweils betroffene Unternehmen, das im Einflussbereich der SEC tätig ist, wird mit zunächst oftmals nur vagen Vorwürfen konfrontiert. Durch eine vom deutschen beziehungsweise kontinentaleuropäischen Rechtsverständnis abweichende rechtliche Grundüberzeugung geprägt, geht die SEC sodann auf das betroffene Unternehmen mit der Forderung zu, eine ihrer US-amerikanischen "Vertrauenskanzleien" mit der umfassenden Aufklärung sämtlicher Umstände des inmitten stehenden Vorwurfs zu beauftragen.

Nach Auffassung der SEC soll und muss diese Beauftragung selbstverständlich durch das jeweils betroffene Unternehmen und auf dessen Kosten erfolgen, gleichzeitig jedoch wird sichergestellt, dass die auf diesem Wege eingeschaltete Rechtsanwaltskanzlei gegenüber der SEC in vollem Umfang zur Auskunft berechtigt und auch verpflichtet ist. Ausdrücklich zu betonen ist, dass die entsprechende Beauftragung der Vertrauenskanzlei der SEC regelmäßig mit der Drohung ansonsten fällig werdender erheblichster Strafzahlungen und/oder, je nach Lage des Einzelfalls, sonstiger existenzvernichtender Einzelmaßnahmen faktisch erzwungen wird.

Damit umgeht die SEC zwingende Verfahrensvorschriften zur internationalen Rechtshilfe in Strafsachen. Weitere, sogar verfassungsrechtlich verankerte Rechtstraditionen, wie beispielsweise diejenige des sogenannten "Selbstbelastungsverbots" beziehungsweise "nemo tenetur-Grundsatzes" stehen damit aus deutscher und europäischer Sicht auf dem Spiel. Umso problematischer ist das geschilderte Vorgehen der SEC, wenn man bedenkt, dass üblicherweise derartige investigative Maßnahmen nicht etwa auf einen konkreten, strafrechtlich relevanten Tatvorwurf beschränkt sind, sondern vielmehr die gesamte Unternehmensorganisation und mithin das gezielte Ausspähen und Fahnden nach weiteren Verfehlungen im weitesten Sinne zum Gegenstand haben.

Um insoweit jeglichem diesbezüglichen Einwand vorzubeugen: Es geht hier nicht etwa um die Frage der Verwerflichkeit zu ahndender Taten, sondern ausschließlich um die Frage, ob zugunsten der handelnden Personen/Unternehmen bestehende Rechtsschutzgarantien, wie sie die deutsche Verfassung nun einmal dankenswerterweise vorsieht, auch faktisch tatsächlich gewährt werden oder auf dem Altar der Amerikanisierung der Kapitalmärkte klammheimlich geopfert werden.

Keine kritiklose Übernahme

US-amerikanischer Rechtsvorstellungen Die wesentlichen Kernaussagen und ersten Konsequenzen der vorstehenden Ausführungen lassen sich thesenartig wie folgt zusammenfassen:

- Die stetig wachsende Bedeutung des Strafrechts im kapitalmarktrelevanten Bereich wird bislang weder in der juristischen Praxis noch in der Wissenschaft hinreichend berücksichtigt. Gerade auch in Gesetzgebungsverfahren werden die strafrechtlichen Konsequenzen neuer kapitalmarktrechtlicher Regelungswerke oftmals nicht, jedenfalls aber nicht in der gebotenen Form, bedacht. Dies führt in der Praxis zu vermeidbaren Abstimmungsproblemen und erheblichen Risiken für Finanzdienstleistungsinstitute und deren Mitarbeiter.

- Neben anderen Faktoren werden die strafrechtlichen Risiken aus Sicht der Finanzdienstleistungsbranche maßgeblich auch durch die fortschreitende Europäisierung der Banken- und Kapitalmarktlandschaft erhöht. Wenn diese Entwicklung auch teilweise durch eine frühzeitige Berücksichtigung strafrechtlicher Konsequenzen einschlägiger Gesetzeswerke vermieden werden könnte, so ist doch festzustellen, dass dieser Umstand, jedenfalls in Teilbereichen, die geradezu zwingende Kehrseite der notwendigen Harmonisierung der europäischen Kapitalmärkte ist.

- Der allzu vorschnelle Rückgriff auf strafrechtlich sanktionierte Verbote und Gebote im (Fehl-)Glauben an deren vermeintliche Präventivwirkung hat eine Vielzahl von negativen Konsequenzen zur Folge. Diese, insbesondere auch auf der kritiklosen Übernahme US-amerikanischer Rechtsvorstellungen ohne Berücksichtigung gewachsener kontinentaleuropäischer und deutscher Rechtstraditionen basierende Entwicklung ist nicht nur, aber vor allem auch aus Sicht der Finanzdienstleistungsinstitute, höchst problematisch.

Rückbesinnung auf andere rechtstechnische Möglichkeiten

Es bedarf daher der Rückbesinnung auf andere rechtstechnische Möglichkeiten, den zunehmend zu konstatierenden Fehlentwicklungen an den deutschen und europäischen Kapitalmärkten Einhalt zu gebieten. In Betracht kämen hier beispielsweise aufsichtsrechtliche Maßnahmen ebenso wie die Schaffung eines zivilrechtlichen Sanktionssystems mit Hilfe der Normierung entsprechender Primär- und/oder Sekundäransprüche, und zwar zum Beispiel in der Form eines in sich geschlossenen Haftungssystems.

- Die geradezu sklavische Orientierung an US-amerikanischen Vorgaben beim Versuch, ein deutsches beziehungsweise sogar ein einheitliches europäisches Kapitalmarktrechtssystem zu schaffen, ist als verfehlt zu qualifizieren. Die hieraus resultierenden und im Zuge der vorstehenden Ausführungen beschriebenen, primär straf- und strafverfahrensrechtlichen Probleme werden kurz- beziehungsweise zumindest mittelfristig zu nicht zu unterschätzenden Justizkonflikten im deutsch/europäischen-(US-)amerikanischen Rechtsverkehr führen.

- Wie exemplarisch der aktuell vehement in der öffentlichen Diskussion befindliche Fall "Siemens", aber auch eine Vielzahl weiterer Sachverhalte zeigen, nutzt die US-amerikanische Wertpapieraufsichtsbehörde (SEC) zwischenzeitlich ein ausgeklügeltes und nur scheinbar unangreifbares Instrumentarium, um ihre US-amerikanischen straf- und strafverfahrensrechtlichen Vorstellungen weltweit zur Geltung zu bringen. Allerdings, und dies konnte mit den gemachten Ausführungen exemplarisch belegt werden, stellt diese Vorgehensweise der SEC häufig eine schlichte Umgehung rechtsstaatlicher Garantien in dem jeweils betroffenen Zielstaat dar. Auch um diesem Missstand erfolgreich entgegenzutreten, ist die Schaffung eines einheitlichen und starken europäischen Kapitalmarkts auf der Grundlage eines harmonisierten europäischen Rechtsrahmens dringend erforderlich.

- Allein der Versuch, auf materiell-rechtlicher Ebene ein einheitliches europäisches Kapitalmarktrechtssystem zu entwickeln, dürfte aufgrund der vorgegebenen internationalen Machtstrukturen im kapitalmarktrelevanten Umfeld wohl zum Scheitern verurteilt sein. Die Etablierung einer (gesamt-)europäischen Kapitalmarktaufsichts- und Kapitalmarktüberwachungsbehörde, die auch über weitgehende Befugnisse im Hinblick auf die Abstimmung mit außereuropäischen Kapitalmarktsystemen und den dortigen Behörden verfügt, ist dringend geboten.

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