Gespräch des Tages

EZB - Nur Amtswechsel oder auch Richtungskorrektur?

War Jean-Claude Trichet ein guter EZB-Präsident? Hätte man diese Frage vor vier Jahren gestellt, wäre sie von der Politik über die Wissenschaft bis hin zu der breiten Öffentlichkeit mit einem eindeutigen "Ja" beantwortet worden. Heute scheiden sich an ihr die Geister. Das Spektrum der Ansichten reicht von uneingeschränktem Lob für die pragmatische Richtungsvorgabe einer klugen Notenbankpolitik bis zum bitteren Vorwurf, der Totengräber des Euros zu sein. Geschuldet ist diese Polarisierung maßgeblich dem äußerst schwierigen Umfeld der vergangenen Jahre. Denn anders als sein Vorgänger Wim Duisenberg, dessen Präsidentschaft trotz anfänglicher Bewertungsprobleme des Euros vergleichsweise ruhig verlief, hatte sich Trichet seit Beginn seiner Amtszeit bei der Justierung der Notenbankpolitik mit den Folgen der Aufweichung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes durch Deutschland und Frankreich auseinanderzusetzen. Und viel schlimmer noch hatte die EZB die gesamte zweite Hälfte seiner Wahlperiode mit Problemen einer Finanzkrise zu kämpfen, die in dieser Form neu war und weltweit das Instrumentarium der Notenbanken vor ganz neue Herausforderungen stellte.

Dass eine einheitliche Geldpolitik der EZB unterschiedliche Wirkungen in den einzelnen Ländern entfalten kann, darf bei der gewählten Konstruktion keine Überraschung sein. So muss die Notenbank bei ihren Entscheidungen immer ein wenig die unterschiedliche wirtschaftliche Lage in den einzelnen Euroländern im Auge haben. Und erschwert werden kann die Wirkung ihrer Maßnahmen nicht zuletzt durch eine von nationalen Wahlperioden getriebene unterschiedliche Finanz- und Wirtschaftspolitik. Insofern durfte und darf man grundsätzlich darüber streiten, für welche Länder der Eurozone die Zinsschritte und andere geldpolitische Maßnahmen zu früh oder zu spät kommen beziehungsweise gut und richtig sind. Aber bei all diesen Widrigkeiten durfte man bis zur Ausweitung der Subprimekrise zur massiven Bankenkrise im Herbst 2008 den Eindruck haben, als arbeite der EZB-Rat ziemlich losgelöst von nationalen Interessen und weitgehend unabhängig von der Politik. Ganz unbestritten hat sich die EZB in der gesamten Zeit unter Trichet als Garant für Preisstabilität erwiesen.

Der wahre Bruch in der Beurteilung von Trichets Amtszeit kam mit dem Ankauf von griechischen Staatsanleihen ab Mai 2010, dem dann auch noch Ankaufsprogramme für die Staatspapiere Italiens und Spaniens folgten. Erst mit dem schleichenden Übergang der Finanzkrise zur Staatsschulden- beziehungsweise Staatenkrise waren mehr und mehr die Konfliktlinien innerhalb des EZB-Rates deutlich geworden, die letztlich das Spiegelbild einer politischen Krise in Europa sind. Trichet hätte es zusammen mit dem EZB-Direktorium sowie den Notenbankengoverneuren sicher in der Hand gehabt, die Grundsatzentscheidungen der europäischen Staats- und Regierungschefs des jüngsten Euro-Gipfels Ende Oktober zeitlich nach vorne zu verlagern. Vielleicht hat es die noch junge Notenbank versäumt, vor den Weichenstellungen zum Kauf von Staatsanleihen offensiver ihren Widerspruch anzumelden und im Zweifel offen den Konflikt mit den politischen Instanzen zu suchen wie das die Deutsche Bundesbank früher gemacht hat. Doch obliegt es etwa der EZB, das Projekt Euro zu beenden?

Bei allem Einfluss der französischen Tradition von Ausbildungs- und Staatskarriere, die Trichet durchlaufen hat, wäre es verfehlt, ihm die Versäumnisse vorzuwerfen, die in erster Linie den europäischen Politikern anzulasten sind. Mit dem Aufkommen und der Zuspitzung der europäischen Schuldenkrise wäre es eindeutig deren Aufgabe gewesen, das Ziel eines Erhalts des Euros klar zu kommunizieren, ein Bekenntnis zur Bewältigung der Schwierigkeiten abzugeben und den Weg dorthin in inhaltlichen und zeitlichen Umrissen abzustecken. Dann hätte auch die EZB diesen Weg im Rahmen der normalen Spielräume ihrer Notenbankpolitik mitgehen können.

So hatte der ausgewiesene Europäer Jean-Claude Trichet einen unnötig zwiespältigen Abschied aus dem Amt. Und seinem Nachfolger Mario Draghi droht gleich ein schwieriger Start. Hoffentlich sind die jetzt beschlossenen Maßnahmen mit dem ernsthaften politischen Willen verbunden, den Euro zu erhalten. Und wenn das - wie nach all den Verwirrungen der vergangenen vier Jahre zu befürchten - derzeit nicht mehr uneingeschränkt von dem Willen der europäischen Bürger und Wähler getragen wird, solle man diesen möglichst schnell wieder eine konsensfähige Vision von den politischen und wirtschaftlichen Strukturen und Mechanismen eines vereinten Europas geben. Sonst wird das Bekenntnis zu Europa noch teurer. Von politischen Abschlusskommuniqués lassen sich die Finanzmärkte nur kurzzeitig beruhigen.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X