Aufsätze

Fondsgeschäft - Plädoyer für eine langfristige Orientierung

Nachhaltiges, intelligentes und integratives Wachstum - dieses Ziel stellt die EU-Kommission in den Mittelpunkt ihrer Agenda "Europa 2020". Eine Reihe von Maßnahmen soll die Voraussetzungen dafür schaffen, dass dieses ambitionierte Programm erreicht wird.

"Patient capital", also langfristig verfügbare Investitionsmittel, sind hierfür ein wesentlicher Baustein. Der Ausbau der Infrastruktur, die ökologische Transformation und ausreichende Finanzierungsbedingungen für kleine und mittlere Unternehmen erfordern erhebliche Mittel, die weitgehend durch den privaten Sektor aufgebracht werden müssen. Allein für den Ausbau der Infrastruktur in der EU werden 1500 bis 2000 Milliarden Euro bis 2020 veranschlagt. Für den Aktienmarkt schätzt McKinsey, dass in Europa bis 2020 eine Lücke zwischen Bedarf und Angebot an neuem Aktienkapital von über 2000 Euro entstehen wird.1)

Rückbesinnung auf langfristige Ausrichtung

Können die Spar- und Investmentmärkte diesen Bedarf stemmen? Gerade an der geforderten Fähigkeit, Mittel langfristig bereitzustellen, bestehen zunehmend Zweifel. Eine Untersuchung der OECD kommt zu dem Schluss, dass sich der Anlagehorizont institutioneller Investoren in den vergangenen zwei Jahrzehnten verkürzt hat.2) Zu befürchten ist, dass gerade die klassischen Langfristinvestoren - Versicherungen und Pensionsfonds - diese Rolle in Zukunft noch weniger ausfüllen können.3) Hierzu wird nicht zuletzt der kombinierte Effekt aus Marktbewertung von Forderungen und Verbindlichkeiten (IASB) und Kapitalunterlegungspflichten (Solvency II) beitragen. Dieser erschwert es, durch feste Leistungszusagen langfristige Verbindlichkeiten einzugehen und gleichzeitig risikobehaftete Investitionen zu tätigen. Eine restriktive Wirkung dürfte auch Basel III im Bankensektor ausüben.

Wie kann die Tragfähigkeit von Risiken dann überhaupt verbreitert werden? Es scheint wichtig, dass sich auch der private Haushaltssektor an den Anlageergebnissen langfristiger Investitionen beteiligen kann. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach dem Beitrag, den Investmentfonds für die langfristige Kapitalbildung leisten können.

Investmentfonds sind darauf ausgelegt, Anleger unmittelbarer und in optimierter Weise an Chancen und Risiken zu beteiligen. Zudem stellen sie in Europa den größten Pool kollektiver Kapitalanlagen, gleichauf mit Versicherungen und deutlich vor Pensionsfonds. Investmentfonds haben die Chance, ihren Beitrag zur langfristigen Finanzierung zu erhöhen damit auch die eigene Bedeutung für die Realwirtschaft unter Beweis zu stellen.

Verschärfter Performancewettbewerb

Leider hat auch das Fondsgeschäft - entgegen der klassischen Mission - an langfristiger Orientierung verloren. Abzulesen ist das an der Zusammensetzung der Assets ebenso wie an der hohen Volatilität von Fondsanteilsumsätzen, die darauf hinweist, dass die Anleger selbst kurzfristiger agieren. Anleger können bei Publikumsfonds üblicherweise jederzeit ihr Geld abziehen. Das verschärft den Performancewettbewerb, auch auf kurze Sicht, sodass es für Fondsmanager schwieriger wird, als "patient investor" langfristig zu agieren. Auch die Produktwelt spiegelt diesen

Trend. Viele neu entstandene Fondstypen eignen sich eher für kürzere als für längere Anlagezeiträume; das gilt ausgeprägt für Fonds, die alternative Handelsstrategien abbilden und generell für viele Fonds des Absolute-Return-Typus. Auch das stark gewachsene ETF-Segment dient vorwiegend der Umsetzung von Timing-Strategien durch Großanleger und erhöht damit seinerseits die Volatilität an den Märkten.

Wenn das Fondsgeschäft die realwirtschaftliche Erneuerung wirksam unterstützen will, muss es deshalb selbst (wieder) an langfristiger Orientierung gewinnen. Hierzu bedarf es zum einen einer Verbesserung der relevanten Rahmenbedingungen, vor allem regulatorischer Art. Es sind aber auch Veränderungen erforderlich, die die Fondsindustrie selbst anstoßen muss.

Längerfristige private Anlagen ermutigen

Das Verhalten der (End-)Anleger gehört zu den wichtigsten Rahmenbedingungen. Längerfristige Anlagebereitschaft der Sparer erhöht den Spielraum für Investmentfonds, ihrerseits in langfristige Instrumente zu investieren. Es geht nicht darum, Anleger dazu zu bewegen, sich gegen ihren Willen langfristig zu binden. Vielmehr sollen Anleger in die Lage versetzt werden, den effektiv verfügbaren Anlagehorizont, der oft beträchtlich ist, auch tatsächlich auszunutzen - zu ihrem eigenen Vorteil, denn die langfristige Anlage kann durch Vereinnahmung zusätzlicher Risikoprämien und Ersparnis von Transaktionskosten Vorteile bieten.

Wie aber können Anleger ermutigt werden, Anlagehorizonte auszunutzen? Produktinformationen müssen hier einen Beitrag leisten. Sie sollten aufzeigen, welche Chancen-Risiko-Profile mit unterschiedlichen Anlagezeiträumen verbunden sind.

Das ist heute leider nicht der Fall. Die standardisierte Produktinformation bei EU-Fonds schreibt einen Chance-Risiko-Indikator vor, der auf der Wertschwankung der zurückliegenden fünf Jahre beruht; damit wird ein relativ kurzer Zeitraum quasi zum Standard der Risikenbetrachtung gemacht. Für die Vergleichbarkeit unterschiedlicher Fonds mag das vorteilhaft sein, die Ausschöpfung verfügbarer Anlagehorizonte wird damit nicht gefördert.

Da die meisten Anleger allerdings nicht allein entscheiden, ist die Rolle der Anlageberatung von großer Bedeutung. Zu den gesetzlichen Beratungspflichten gehört, Anlageempfehlungen auf das Profil des Anlegers abzustimmen, das zu diesem Zweck zu erheben ist. Die ESMA fordert in einer kürzlich gestarteten Konsultation hierzu, dass Anlageberatung bei wenig liquiden Anlagen explizit prüfen soll, ob der Anlagehorizont entsprechend groß ist.4) Damit wird aber zu kurz gegriffen. Es sollte vielmehr grundsätzlich die Pflicht bestehen, den Anlagehorizont zu erheben, um dann Anlageempfehlungen hiernach auszurichten. Weiterhin gilt es zu vermeiden, dass Anlageberater finanzielle Anreize haben, unnötig kurzfristige Anlagen zu empfehlen; damit ist das weite Feld der Produktprovisionen angesprochen, die aktuell im Rahmen der MiFID-Neuregelung diskutiert werden.

Produktstandards erweitern

Vor allem aber die Produktregeln für Investmentfonds selbst können die langfristige Orientierung fördern. Hier ist auf eine wesentliche Restriktion zu verweisen, denen EU-Publikumsfonds (Ucits) und vergleichbare Fondstypen unterliegen: es gilt eine jederzeitige Rücknahmeverpflichtung für Fondsanteile. Diese dient zwar dem Anlegerschutz, begrenzt aber die Anlagemöglichkeiten. Ucits können im Wesentlichen nur in jederzeit liquide Anlagen investieren, vor allem börsennotierte Instrumente. Weniger liquide langfristige Instrumente - zum Beispiel in Infrastruktur, nicht börsennotierte Beteiligungen - sind für Offene Fonds, die jederzeit Anteile zurücknehmen müssen, konsequenterweise nur in begrenztem Umfang zulässig.

Die Börse ist das klassische Instrument, um langfristige Verfügbarkeit (für den Emittenten) und hohe Liquidität (für den Anleger) zu verbinden. Es wäre wünschenswert, wenn Privathaushalte stärker in langfristige Börsenwerte, vor allem Aktien, investieren würden. Dass dies nicht der Fall ist, hat verschiedene Gründe, auch steuerliche. Man muss aber vermuten, dass auch die hohe Volatilität an den Börsen, die auch auf die Wertentwicklung von Fonds durchschlägt, Anleger auf die Dauer abschreckt; es scheint, dass das wachsende Gewicht von Hochfrequenzhandel und anderen Kurzfristakteuren zum Rückzug der eher langsam agierenden Privatkunden beiträgt, nicht nur in Deutschland. Man darf gespannt sein, zu welchen Schlussfolgerungen der Kay Review kommen wird, der sich im Auftrag der britischen Regierung mit eben dieser Frage beschäftigt.5)

Initiativen der EU-Kommission

Die EU-Kommission hat eine Reihe von Initiativen gestartet mit dem Ziel, langfristige Investitionen zu erleichtern. Mit "Project Bonds" sollen in Zusammenarbeit mit der EIB Instrumente geschaffen werden, die institutionellen Anlegern den Zugang zu Infrastruktur-Investments erleichtern. Mit dem "European Venture Capital Fund" (EVCF) soll ein EU-weiter Produktstandard etabliert werden, um der Fragmentierung und geringen Größe des europäischen VC-Marktes zu begegnen. Analog soll mit dem "European Social Entrepreneurship Fund" (EuSEF) ein Fondstypus geschaffen werden, der kleinen und mittleren Unternehmen mit sozialem Geschäftsansatz (social businesses) Eigen- und Fremdkapital zur Verfügung stellen kann.

Sowohl "EVCF" wie auch "EuSEF" sollen sich aber ausschließlich an professionelle Investoren richten dürfen, nicht zuletzt also institutionelle Investoren mit langfristiger Anlageperspektive. Das bedeutet aber, dass die erwähnten Restriktionen, denen gerade dieser Anlegerkreis ausgesetzt ist, auch hier zum Tragen kommen und die direktere Beteiligung der Privathaushalte nicht stattfindet.

Ein EU-Standard für langfristig orientierte Publikumsfonds

Damit stellt sich die Frage, ob nicht auch Publikums-Investmentfonds verstärkt Zugang zu nicht börsengehandelten langfristigen Instrumenten erhalten müssen. Anzuerkennen ist, dass der deutsche Gesetzgeber für Publikumsfonds bereits Möglichkeiten geschaffen hat, auch in weniger liquide Instrumente anzulegen und entsprechend die Rücknahmeverpflichtungen zu beschränken. Das gilt neben den bereits etablierten Offenen Immobilienfonds, auf die noch eingegangen wird - zum Beispiel für Infrastrukturfonds oder Mikrofinanzfonds.

An dieser Stelle sollte allerdings hier nicht auf halbem Wege stehen geblieben werden. Vielmehr sollte - sozusagen als Pendant zu Ucits - ein EU-Standard für langfristig orientierte Publikumsfonds geschaffen werden.6)Ein solcher "long term UCI" würde hinsichtlich Anforderungen etwa an die Fondsgesellschaft, Depotbank, Risikomanagement, Compliance die Ucits-Standards erfüllen, würde andererseits auch in weniger liquide Anlageinstrumente investieren können und würde keine jederzeitige Verfügbarkeit der Fondsanteile bieten, womit ein systemisches Risiko vermieden und der langfristige Charakter der Anlage klargestellt würde.

Liquidität und Verfügbarkeit

Der "long term UCI" sollte sich auch an Privatkunden richten, also einen EU-Pass analog Ucits erhalten können. Nicht zuletzt der Produkttyp des Geschlossenen Fonds in Deutschland zeigt, dass Privatanleger zu längerfristigen Engagements bereit und in der Lage sind. Aber auch die Erfahrungen mit Offenen Immobilienfonds unterstützen diesen Vorschlag.

Wichtige Elemente des Offenen Immobilienfonds - nämlich Diversifikation und Bewertung nach Ertragswert (Verzicht auf Mark-to-Market) - kommt dem Bedarf der Anleger entgegen. Andererseits können wenig liquide Assets auf Dauer nicht einhergehen mit jederzeitiger Verfügbarkeit der Anteile - ein Umstand dem die Bundesregierung kürzlich durch Anpassung des Investmentrechts bereits Rechnung getragen hat.

Beitrag der Fondsbranche

Bessere Rahmenbedingungen in Form langfristig ausgelegter Produkttypen helfen nur dann, wenn sie von der Fondsindustrie auch genutzt werden. Das setzt voraus, dass entsprechende Regeln praxistauglich sind. Bestehen daran Zweifel - wie teilweise bei den im InvG geregelten langfristigen Fonds und den neuen Vorschlägen der EU - muss auf entsprechende Verbesserungen hingewirkt werden. Erforderlich ist zudem die Entwicklung der notwendigen Investment-Expertise für neue Anlagesegmente wie zum Beispiel bestimmte nicht börsengehandelte Instrumente. Dies bedarf Investitionen, die wirtschaftlich gerechtfertigt sein müssen. Immerhin aber geht es, wie eingangs gezeigt wurde, um erhebliche Potenziale.

Auch bei bestehenden Fonds mit stetiger Rücknahmeverpflichtung kann die längerfristige Orientierung gestärkt werden. So sollte - was verschiedene Anbieter bereits tun - für jeden Fonds eine explizite (Min-dest-)Haltedauer empfohlen werden. Performancemessung und -vergleiche sowie Vergütungssysteme müssen dann konsequenterweise so ausgestaltet werden, dass Incentives bestehen, Anlageergebnisse auf den vorgesehenen und dem Anleger vorgeschlagenen Zeithorizont hin zu optimieren.

Ein wichtiges Thema ist die Produktentwicklung. Eine Studie von Lipper hat zu dem Ergebnis geführt, dass der Mittelzufluss der europäischen Fondsbranche im vergangenen Jahrzehnt praktisch ausschließlich aus neu aufgelegten Produkten gespeist wurde.7) Zu viele Produktneuheiten können dazu beitragen, den Fondsanteilsumschlag zu erhöhen und den Anleger zu kürzerem Horizont zu veranlassen. Eine verantwortliche Produktentwicklung kann somit die Langfristorientierung fördern. So hat Ralf Lochmüller unlängst eine Qualitätsoffensive und quasi-industrielle Teststrecken für Produktneuheiten gefordert.

Nachhaltige Investitionsstrategien

Ein weiteres Feld betrifft nachhaltige Investitionsstrategien. Fondsmanager (und andere institutionelle Anleger) können unmittelbar dazu beitragen, dass Unternehmen, in die sie investieren, nachhaltige und langfristige Geschäfts- und Investitionsmodelle verfolgen. Das betrifft sowohl die Anlageentscheidungen als auch die Wahrnehmung von Aktionärs- und Gläubigerrechten.

Es ist deshalb positiv, dass sich viele Fondsmanager dazu bekennen, Portfolio-Unternehmen auch nach ökologischen, sozialen und Governance-Kriterien zu analysieren und zu bewerten. Responsible Investing wird dadurch zu einem integrierten Anlage- und Risikomanagement für potenziell alle Anlagen und verlässt den engen Raum "grüner" Fonds. Allerdings führt dieser verbreiterte Ansatz dazu, dass von außen nur noch schwer identifizerbar ist, in welchem Umfang und welcher Intensität Responsible Investment erfolgt, und welche Unterschiede sich diesbezüglich zwischen Produkten oder im Zeitverlauf zeigen.

Mehr Transparenz auf diesem Felde würde dem nachhaltigen Investieren sicher stärkere Impulse geben. Bestehende freiwillige Initiativen haben den Nachteil fehlender Überprüfbarkeit und Verbindlichkeit. Besser wären einheitliche und verbindliche Kriterien, durch welche die Nachhaltigkeit von Unternehmensstrategien und Investitionsentscheidungen institutioneller Anleger transparent wird, und die auch für die Verwendung des Labels "nachhaltig" durch Finanzprodukte gelten würden. Es darf die Prognose gewagt werden, dass es für diese Standards anderenfalls früher oder später gesetzliche Vorgaben geben wird.

Langfristige Entwicklungen unterstützen

Auch kurzfristige Anlagen und Strategien sind Teil der Kapitalmärkte und wichtig zum Beispiel für Liquidität und Preisfindung. Vieles weist aber darauf hin, dass die Fähigkeit der Märkte, langfristige Entwicklungen zu unterstützen, wachsen muss. Investmentfonds können hier eine stärkere Rolle spielen, wenn die Rahmenbedingungen und die eigenen Prioritäten dies unterstützen.

Fußnoten

1) The emerging equity gap: Growth and stability in the new investor landscape, McKinsey & Company, 2011.

2) Promoting Longer-Term Investments by Institutional Investors: Selected Issues and Policies, OECD, Financial Market Trends, Vol. 2011, Issue 1.

3) The Future of Long-Term Investing, A World Economic Forum Report in collaboration with Oliver Wyman, 2011

4) ESMA, Guidelines on certain aspects of the MiFID suitability requirements, Consultation paper, December 2011.

5) www.bis.gov.uk/kayreview.

6) Diesen Vorschlag machen auch unter anderem: Gian-Luigi Costanzo, The contribution of the Asset Management Industry to Long-Term Growth, OECD Financial Market Trends 2011 Vol.1; Noel Amenc, Quelques réflexions sur la régulation de la gestion d'actifs pour vraiment tenir compte de la crise financière, Edhec Risk and Asset Management Research Centre, Juni 2009.

7) New product launches shed light on distribution in the fund industry, Lipper Fund Industry Insight Report, July 2011.

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