Aufsätze

Die Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank - eine aktuelle Bewertung

Der Schweizer Franken gilt seit Jahrzehnten als sicherer Hafen. Neben der politischen und sozialen Stabilität der Schweiz ist dafür nicht zuletzt die monetäre Stabilität verantwortlich. Diese spiegelt sich in einer sehr niedrigen Teuerungsrate wider. In den vergangenen Jahrzehnten konnte nur Deutschland eine ähnlich stabile Entwicklung der Verbraucherpreise vorweisen (Abbildung 1). Die durchschnittliche Jahresteuerung seit 1955 betrug in der Schweiz und in Deutschland 2,8 Prozent, in den USA 3,9 Prozent und in Großbritannien 5,4 Prozent. Die Unterschiede gehen vor allem auf die inflationären siebziger Jahre zurück - während viele Länder damals einen starken Anstieg ihres Preisniveaus erlebten, konnte ein solcher in Deutschland und der Schweiz weitgehend vermieden werden. Seit den neunziger Jahren sind die Unterschiede in der Teuerungsentwicklung weniger augenfällig. Da das inländische Preisniveau langfristig gänzlich von der Geldpolitik bestimmt wird, kann aus der Teuerungsrate direkt auf den Erfolg einer preisstabilitätsorientierten Geldpolitik geschlossen werden. Stützt man sich auf die Entwicklung der Verbraucherpreise, so können die Schweizerische Nationalbank (SNB) und die Deutsche Bundesbank als erfolgreichste Notenbanken der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts bezeichnet werden.

Von der Geldmengensteuerung zur Inflationsprognose

Ein Großteil des historischen Erfolgs der SNB bei der Inflationsbekämpfung fällt in die Periode von 1975 bis 1999, als sie ein Geldmengenziel verfolgte. Zusammen mit der Bundesbank war die SNB eine der ersten Notenbanken, die Mitte der siebziger Jahre eine regelgebundene geldpolitische Strategie einführte. Mittels der Geldmengensteuerung konnte die SNB zwar die Inflation erfolgreich zügeln. Allerdings wurde aufgrund zunehmender Nachfrageschwankungen nach Notenbankgeld die Einhaltung der Geldmengenziele immer schwieriger und die Zielabweichungen größer. Ende 1999 führte die SNB daher ein neues geldpolitisches Konzept ein.

Im Mittelpunkt des aktuellen Konzepts der SNB steht eine Inflationsprognose mit einem Horizont von drei Jahren. Es handelt sich dabei um eine bedingte Prognose. Das heisst, dass die Prognose unter der Annahme erstellt wird, dass der Leitzins über den Prognosezeitraum unverändert bleibt. Ein zweites wichtiges Element des Konzepts ist die Definition von Preisstabilität als eine jährliche Teuerung der Verbraucherpreise von unter zwei Prozent (jedoch über null Prozent). Zeigt die Inflationsprognose, die anlässlich der vierteljährlichen Lagebeurteilung publiziert wird, im Prognosehorizont eine Verletzung der Preisstabilität an, so ist über kurz oder lang mit einer Anpassung der Geldpolitik zu rechnen. Eine Besonderheit des neuen Konzepts ist dessen Implementierung am Geldmarkt: Während andere Notenbanken ihre Geldpolitik meist über die Fixierung eines sehr kurzfristigen Geldmarktzinssatzes implementieren, legt die SNB ein Zielband für den Dreimonats-Libor mit einer Schwankungsbreite von üblicherweise 100 Basispunkten fest. Den Dreimonats-Libor wiederum steuert sie im Normalfall mittels der einwöchigen Repo-Sätze im Rahmen ihrer täglichen liquiditätszuführenden Repo-Auktionen.

Unterschiede zum Inflation Targeting

Obwohl die SNB die Unterschiede ihres geldpolitischen Konzepts zum klassischen "Inflation Targeting" betont, ist das Konzept sehr stark von ebendiesem geprägt. Ein Hauptunterschied besteht darin, dass die SNB selbst definiert, was sie unter Preisstabilität versteht; dies im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen das Inflationsziel im politischen Prozess bestimmt und verändert werden kann. Ferner betreibt die SNB keine Feinsteuerung der Konjunktur- und Teuerungsentwicklung und strebt daher nicht ein Punktziel für die Inflation an. In einer kleinen offenen Volkswirtschaft müssen gelegentlich temporäre Abweichungen vom Inflationsziel in Kauf genommen werden, wie dies in den vergangenen Jahren aufgrund der hohen Volatilität der Ölpreise geschah. Nach einer Verletzung der Preisstabilität verfügt die SNB ferner über einen Ermessensspielraum bezüglich des Zeitraums, über den sie die Teuerungsrate wieder in den Bereich der

Preisstabilität zurückführen kann. Der Prognosezeitraum von drei Jahren ist zudem vergleichsweise lang. Die Abweichungen vom lehrbuchmäßigen "Inflation Targeting" gewähren der SNB mehr Flexibilität, ohne dass dadurch ihre Glaubwürdigkeit leidet.

Erfolg des neuen Konzepts

Der Auftrag der SNB lautet gemäß Schweizerischem Nationalbankgesetz, eine Währungspolitik im Gesamtinteresse des Landes zu führen. Die SNB soll die Preisstabilität gewährleisten und dabei die konjunkturelle Entwicklung beachten. Misst man die SNB an ihrer Definition von Preisstabilität, nämlich einer Teuerungsrate der Verbraucherpreise von zwischen null Prozent und zwei Prozent, so hat sie seit der Einführung des neuen Konzeptes ihr Ziel grundsätzlich erreicht (Abbildung 2).

Die Verletzung der Preisstabilität in den Jahren 2008 und 2009 ist hauptsächlich auf die Entwicklung des Erdölpreises zurückzuführen. Dieser liegt außerhalb des Einflussbereichs der SNB. Somit kann sie nicht für die darauf zurückgehenden Verletzungen der Preisstabilität zur Rechenschaft gezogen werden. Auch bezüglich ihres Nebenziels, der Berücksichtigung der Konjunkturentwicklung, kann der SNB ein gutes Zeugnis ausgestellt werden. Die Flexibilität des neuen Konzeptes erlaubte es ihr, rasch und flexibel auf Veränderungen im globalen konjunkturellen Umfeld zu reagieren, ohne dogmatisch auf ein strenges Geldmengenziel Rücksicht zu nehmen. Das neue Konzept ermöglicht eine breite Abstützung der Geldpolitik und die Berücksichtigung sämtlicher relevanter Informationen.

Die Geldpolitik der SNB in der Finanzkrise

Das geldpolitische Konzept stellte sich in der Finanzkrise als äußerst flexibel heraus und ermöglichte es der SNB, auf die sich ändernden Herausforderungen rasch zu reagieren. Der Anstieg der Risikoprämien im Geldmarkt ab Herbst 2007 konnte durch eine Senkung der Repo-Sätze kompensiert werden, ohne dass die realwirtschaftlich wichtigeren Libor-Sätze anstiegen. Die sich abzeichnende Abschwächung der Wirtschaft erlaubte es ab Herbst 2008, die Geldpolitik rasch zu lockern. Zur Sicherstellung der Liquiditätsversorgung wurden erfolgreich unkonventionelle Mittel eingesetzt, wie die Ausweitung der Mengen und Fristigkeiten der Repo-Geschäfte und ein Devisenswap-Abkommen mit der EZB. Nachdem das Ziel für den Dreimonats-Libor Ende 2008 faktisch auf null gefallen war, begann die SNB im März 2009 mit dem Aufkauf von Obligationen privater Schuldner und mit Devisenkäufen. Erstere wurden schon nach einigen Monaten wieder eingestellt, während die Deviseninterventionen bis Juni 2010 andauerten. Zur Abschöpfung der neu geschaffenen Liquidität begann die SNB zudem damit, eigene Schuldverschreibungen auszugeben (SNB-Bills) und liquiditätsabschöpfende Repo-Geschäfte zu offerieren.

Aufgrund der mit den unkonventionellen Maßnahmen geschaffenen permanenten Liquidität befindet sich das Bankensystem mittlerweile nicht mehr in einem Liquiditätsdefizit, sondern in einem Liquiditätsüberschuss. Nach dem Ende der aktuellen Nullzinsphase wird die SNB den Dreimonats-Libor nicht mehr mittels liquiditätszuführender Repos, sondern mittels liquiditätsabschöpfender Repos und SNB-Bills steuern. Dies dürfte jedoch problemlos möglich sein.

Auch die Schaffung des Stabilitätsfonds zur Rettung der Schweizer Großbank UBS im Oktober 2008 kann als Erfolg betrachtet werden. Durch die Kombination einer Eigenkapitalzuführung durch den Staat in der Höhe von sechs Milliarden Franken und einer Liquiditätshilfe im Umfang von maximal 54 Milliarden US-Dollar durch die SNB wurde sehr rasch eine Stabilisierung

der Lage erreicht. Der Staat konnte sich schon nach weniger als einem Jahr und mit Gewinn von seiner Beteiligung an UBS trennen. Aus aktueller Sicht dürfte auch von Seiten des Stabilisierungsfonds kein oder höchstens ein geringer Verlust für den Steuerzahler resultieren.

Lehren aus der Krise

Die Finanzmarktkrise hat auch Schwachstellen im Konzept aufgedeckt. Zunächst hat es sich als problematisch erwiesen, einen unbesicherten Geldmarktzins wie den Libor zur Implementation der Geldpolitik zu verwenden. Einerseits ist die Liquidität auf dem ungedeckten Interbankengeldmarkt in der Krise praktisch über Nacht verschwunden. Andererseits sind vermehrt Zweifel an der Relevanz des Libor laut geworden, da der Libor nicht auf Marktpreisen beruht, sondern aufgrund einer Bankenbefragung ermittelt wird. Diese Einwände gegen den Libor dürften die SNB dazu bewogen haben, zusammen mit der Schweizer Börse seit 2008 Referenzzinssätze für den Repomarkt zu berechnen (Swiss Reference Rates). Es ist gut vorstellbar, dass die SNB in Zukunft den Dreimonats-Libor als Referenzsatz der Geldpolitik zugunsten eines Reposatzes aufgibt.

Eine weitere Lehre aus der Krise war, dass die SNB als Währungshüterin einer kleinen offenen Volkswirtschaft mit einem großen und global tätigen Bankensystem über ausreichende Währungsreserven und Eigenkapital verfügen muss. Die SNB verfügte zum Zeitpunkt der Rettungsaktion zugunsten der UBS über Devisenreserven (exklusiv Gold) in der Höhe von umgerechnet 50 Milliarden Franken, darunter zwölf Milliarden US-Dollar. Sie konnte die Initialfinanzierung ihres Kredits an den Stabilisierungsfonds nur dank eines Devisenswaps mit der US-Notenbank aufbringen. Mittlerweile sind die Devisenreserven aufgrund der Interventionen auf umgerechnet über 200 Milliarden Franken angewachsen, darunter über 50 Milliarden US-Dollar.

Aufgrund der Währungsverluste, welche die SNB wegen der Frankenaufwertung nach der Einstellung ihrer Deviseninterventionen verbuchen musste, ist das Eigenkapital jedoch deutlich geschrumpft von 62 Milliarden Franken zum Zeitpunkt der Rettungsaktion auf 53 Milliarden Franken im September 2010.

Die Bilanzstruktur der SNB hat sich in der Krise deutlich verschlechtert: Betrug das Eigenkapital vor der Finanzkrise über 50 Prozent der Bilanzsumme, so ist die Eigenkapitalquote mittlerweile auf unter 20 Prozent gefallen. Die Schweizerische Nationalbank dürfte in Zukunft höhere Devisenreserven als vor der Krise halten wollen und zudem versuchen, ihr Eigenkapital zu erhöhen, was zulasten der Gewinnausschüttungen gehen wird.

Nach wie vor umstritten ist die Frage, wie die Geldpolitik mit den Vermögenspreisen umzugehen hat. Konkret handelt es sich im Falle der Schweiz bei den zur Diskussion stehenden Vermögenspreisen um die Immobilienpreise und den Außenwert des Franken - beide werden stark von der Geldpolitik der SNB beeinflusst. Der schweizerische Aktienmarkt hingegen unterliegt weitgehend globalen Einflussfaktoren. Wie praktisch alle anderen Notenbanken argumentiert auch die SNB, dass sie die Vermögenspreise zwar berücksichtigt, allerdings nur in demjenigen Ausmaß, in welchem sie die Teuerungsaussichten beeinflussen.

Der Autor dieses Beitrags zählt sich zu einer Minderheit, die argumentiert, dass Notenbanken die Vermögenspreise in ihrer Geldpolitik zu gering gewichten und den Verbraucherpreisen ein zu starkes Gewicht beimessen. Die Wechselwirkung zwischen Vermögenspreisen, Geldpolitik und Verbraucherpreisen ist längerfristiger und komplexer, nicht-linearer Natur. Die Berücksichtigung der Vermögenspreise in linearen, stark vereinfachten Wirtschaftsmodellen mit einem zu kurzen Horizont wird ihrer tatsächlichen Rolle nicht gerecht. Ganz zu schweigen davon, dass viele Vermögenspreise in den Wirtschaftsmodellen ohnehin unberücksichtigt bleiben.

Wie auch die Verbraucherpreise geben Vermögenspreise Anhaltspunkte über die Entwicklung des Geldwertes. Die Geldpolitik sollte sie daher über ihren direkten Einfluss auf die Inflationsprognose hinaus berücksichtigen. Am besten geschieht dies über die Berücksichtigung der Geld- und Kreditaggregate - diese korrelieren langfristig mit der Entwicklung der Vermögenspreise.

Ein lobenswertes Beispiel für einen derartigen Ansatz ist das Zwei-Säulen-Konzept der EZB. Die monetäre Analyse, welche die eine Säule des Konzeptes darstellt, kann letztlich als Berücksichtigung der Vermögenspreise auf die Wirtschaftsentwicklung über deren direkte und kurzfristige Wirkung hinaus interpretiert werden.

Aktuelle Herausforderung Immobilienpreise

Die Konzentration auf die Verbraucherpreisstabilität erlaubte es der SNB (wie auch vielen anderen Notenbanken) in den vergangenen Jahren, eine expansive Geldpolitik zu betreiben. So waren zum Beispiel die Realzinsen (Dreimonats-Libor abzüglich Jahresteuerung) in den vergangenen zehn Jahren des Öfteren negativ (siehe Abbildung 2). Nicht zuletzt diese expansive Geldpolitik hat dazu geführt, dass die Preise für Wohnimmobilien in der Schweiz in den vergangenen Jahren stark angestiegen sind - seit der Einführung des neuen Konzepts Ende 1999 sind die Preise für Eigentumswohnungen landesweit real um 38 Prozent und die Preise für Einfamilienhäuser um 21 Prozent angestiegen.

Dahinter verbergen sich regional stark unterschiedliche Entwicklungen. Den größten Anstieg verzeichnete die Region Genfersee. Ein Teil des Anstiegs ist durch Bevölkerungszunahme und Einkommenswachstum erklärbar. Es ist jedoch beinahe unbestritten, dass regionale Überhitzungen im Immobilienmarkt bestehen. Zudem kann das Risiko nicht ausgeschlossen werden, dass sich eine flächendeckende Immobilienblase entwickelt. Die SNB hat diese Gefahr in jüngster Zeit zwar verschiedentlich thematisiert und die Banken vor einer zu lockeren Kreditvergabe gewarnt.

Die expansive Geldpolitik dürfte jedoch auf absehbare Zeit für ein weiteres Ansteigen der Immobilienpreise sorgen. Das Platzen der letzten Immobilienblase Ende der achtziger Jahre bescherte dem Bankensystem riesige Verluste und dürfte mitverantwortlich für die mehrjährige wirtschaftliche Stagnation der neunziger Jahre gewesen sein. Sollte die SNB aufgrund ihrer expansiven Geldpolitik eine Immobilienblase verursachen, so dürfte die bisher fast makellose Bilanz ihrer Geldpolitik seit Einführung des neuen Konzeptes stark getrübt werden.

Zweckdienliches Konzept

Das Konzept der SNB hat sich als zweckdienlich erwiesen. Es gelang der SNB in den vergangenen Jahren weitgehend, die Teuerung der Verbraucherpreise in Schach zu halten. In der Krise bewies das Konzept große Flexibilität. Die Krise hat allerdings auch Schwachstellen bloßgelegt - nicht zuletzt die spärliche Ausstattung der SNB mit Devisenreserven und Eigenkapital. Der Umgang mit Vermögenspreisen kann als eine der großen und im Konzept nicht zufriedenstellend gelösten Herausforderungen an die SNB betrachtet werden.

Bibliografie

Danthine, Jean-Pierre (2010). "Mediengespräch", 17. Juni 2010, Genf. www.snb.ch.

Jordan, Thomas (2007). "Wie hat sich das geldpolitische Konzept der SNB bewährt?" Vortrag vor der Vereinigung Berner Wirtschaftswissenschafter, Bern. www.snb.ch.

Jordan, Thomas (2009). "Der Schweizer Franken und die Finanzmarktkrise". Vortrag am Kapitalmarktforum 2009 der WGZ-Bank Luxembourg SA, Luxembourg. www.snb.ch.

Schweizerische Nationalbank (2007). Festschrift "Die Schweizerische Nationalbank 1907-2007". Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich. www.snb.ch.

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