Gespräch des Tages

Gewerkschaften - Nachzügler und Vorreiter

Es war schon bemerkenswert, mit welchem Anspruchsniveau Verdi-Chef Frank Bsirske kürzlich vor Frankfurter Wirtschaftsjournalisten seine Anliegen vortrug. Zwar hat er seine Prioritätenliste an politischen Maßnahmen beziehungsweise Rezepten zur Überwindung der Wirtschaftskrise offensiv vertreten. Doch in dem geforderten Maß an Veränderungen präsentierte er sich erstaunlich oft in der Rolle des pragmatischen Nachzüglers mit Gespür für das derzeit Machbare. Bei der Höhe des wünschenswerten Mindestlohns, bei der Korrektur der Vermögensverteilung an der Spitze der Pyramide oder auch bei seinen Forderungen nach Aufstockung der öffentlichen Investitionen für Bildung, Infrastruktur und erneuerbare Energien orientierte er sich durchweg an dem Niveau der bereits erreichten Standards in der EU-25 oder den OECD-Ländern.

Ganz anders ist das mit der Forderung nach einem Festhalten an einer expansiven Geldpolitik der Notenbanken. Damit bewegt sich der Gewerkschaftsführer zumindest im aktuellen politischen und wissenschaftlichen Meinungsspektrum der weltweiten Staatengemeinschaft derzeit in einer Außenseiterrolle. Doch sollte sich die wirtschaftliche Durststrecke in den kommenden Monaten so negativ auf den Arbeitsmarkt auswirken wie das von vielen Fachleuten befürchtet wird, könnte diese Forderung zur Spitze einer Bewegung werden, die auch von politischer Seite mehr und mehr Unterstützung erhält. Ein verstärkter Druck auf die Unabhängigkeit der Notenbanken ist wieder mal abzusehen.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X