Aufsätze

Vom Glück geprägte Geldgeschäfte: das aleatorische Risiko

Der schlimmste aller möglichen Unfälle der Gau des Weltfinanzsystems - ist ausgeblieben. Doch der Preis dafür war hoch, die Schuldentürme sind weltweit in die Höhe geschossen und das drohende Menetekel: Griechenland und Portugal wird von der Anzeigentafel, an der die Börsenkurse notiert werden, nicht einfach verschwinden. Auf dem 3. Bayerischen Finanzgipfel vom 4. November 2009 in München brachte es Rolf-Peter Hoenen, Präsident des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungen (GDV), auf den Punkt: "Der Patient ist von der Intensivstation auf die Normalstation verlegt worden, und nun raucht er sogar schon wieder" - er wettet und zockt als wäre nichts geschehen, ja er setzt sogar den Euro aufs Spiel.

Das Prinzip der Gewinnmaximierung von seinem Sockel gestürzt

Geändert hat sich in der Tat wenig - viel zu wenig: Nach zwei spektakulären "Fototerminen" der G20-Staaten in London (Frühjahr 2009) und in Pittsburgh (Herbst 2009) war ein wirkliches Umdenken im Handel und Wandel der Banken nicht zu erkennen. Der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, warnte sogar völlig ungeniert vor weiteren "Zeitbomben".1) Bundeskanzlerin Angela Merkel konterte, so mancher Banker riskiere schon wieder "eine dicke Lippe". Doch die von der Regierung angekündigten Gesetze etwa zur Banken-Besteuerung beziehungsweise -Zerschlagung konnten selbst auf dem jüngsten G20-Treffen (April 2010) nicht überzeugen. Und es bleibt eine abwegige Idee, die Besteuerung2) - ohne Gerichtsurteil als kollektive Strafmaßnahme einzusetzen.

Schlagworte wie "Casino-Kapitalismus" auch "Kartenhaus" oder "Basar statt Börse" und "Wette oder Glücksspiel", machen die Runde, wenn es darum geht, der Wirtschafts- und Finanzkrise auf den Grund zu gehen.3) Selbst das Prinzip der Gewinnmaximierung wurde von seinem Sockel gestürzt und hat sogar in den Augen des deutschen Bundespräsidenten und früheren IMF-Managing-Director, Horst Köhler, seine Akzeptanz verloren.4) In Bestsellern wie: "Markt ohne Moral" oder "Im freien Fall"5) wird das Versagen der Marktwirtschaft mit einer Wucht kritisiert, wie das zuvor nur Karl Marx getan hat.

Unter den Hochschullehrern der ökonomischen Fakultäten wagt es niemand mehr, jene in Verruf geratenen Manager - die sie an den Universitäten selbst erzogen haben - gegen den Vorwurf hemmungsloser "Gier" und "Zockerei" in Schutz zu nehmen. Vertreter der vielgescholtenen Manager-Eliten müssen sich sogar gegen den strafrechtlich relevanten Vorwurf der Untreue, ja des Betrugs zur Wehr setzen,6) ein Sachverhalt, der in den Fachbüchern der Bankbetriebslehre bislang völlig übergangen wurde. US-Präsident Barack Obama ging mit der Wall Street ins Gericht und las den Vertretern der Hochfinanz die Leviten, wie das niemand für möglich gehalten hätte.7) Die amerikanische Investmentbank Goldman Sachs und im Anschluss daran auch die Deutsche Bank müssen sich auf Betreiben der amerikanischen Aufsichtsbehörde SEC mit dem Strafrecht herumschlagen.

Man darf aber das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Es ist weder alles gut noch alles schlecht, was die Banken treiben. Man muss die gewöhnlichen von den Geldgeschäften gut unterscheiden, die vom Glück geprägt werden. Wetten und Spiele haben in Kreditinstituten nichts verloren, stehen dort aber auf der Tagesordnung, weil sie die lukrativsten Bankgeschäfte sind und einen sehr kurzfristigen Return on Investment bieten.

Ohne Risiko kein Bankgeschäft

Zwar werden unter §§762, 763 BGB Spiel und Wette abgehandelt, doch ohne diese Begriffe näher zu erläutern. Nun sind Würfel- oder andere Glücksspiele wie etwa Roulette wahrlich keine Geheimnisse. Auch ist aus der Fernsehsendung "Wetten dass ...?" bekannt, was eine Wette ist. Doch so harmlos ist das alles nicht. Weil man sich durch Spiel und Wette um Haus und Hof bringen kann, ist beides zwar nicht verboten, rechtlich aber unverbindlich. Man kann deshalb nicht dazu gezwungen werden, Spielschulden zu bezahlen oder eingegangene Wetten tatsächlich einzuhalten.

Die Rechtsordnung will so den "einfachen Mann auf der Straße" gegen die ins Uferlose reichenden Gefahren schützen, die von Spiel und Wette ausgehen. Freilich geht dieser Schutzgedanke nicht so weit, dass man zurückverlangen kann, was man bereits geleistet hat. Doch was hat das mit der Wirtschafts- und Finanzkrise zu tun? Und ist nicht sogar die Vorschrift in §764 BGB über Differenzgeschäfte durch das 4. Finanzmarktförderungsgesetz vom 21. Juni 20028) ganz gestrichen worden? Ein Schritt in die falsche Richtung? Eine fatale Fehlentscheidung?

So viel steht fest: "Ohne Risiko gibt es kein Bankgeschäft".9) Wie man weiß, ist jeder Handel mit Effekten riskant, Aktienkurse etwa können "in den Keller" gehen, Schecks und Wechsel können "platzen". Und wer sich mit dem Erwerb von Aktien etwa an der Panama-Gesellschaft beteiligt hat, die 1890 Bankrott machte, der hat sein Geld dabei verloren. Das alles zählt aber zu den gewöhnlichen Risiken. Spiele und Wetten können sich zu vergleichbaren Gefahren auftürmen. Hier sollen aber die Bürger durch §§ 762, 763 BGB - wenn auch nur bis zu einem gewissen Grad - vor sich selbst geschützt werden. Und das wäre vollkommen in Ordnung, wenn da nicht die Banken und die Börse wären. Denn unter Kaufleuten ist alles anders.

Wetten und Spiele - Kaufleute mit den Gefahren vertraut

Werden insbesondere in sogenannten Investmentbanken oder über die Börsen Spiele gemacht und Wetten abgeschlossen, hat man es nicht mit gewöhnlichen, sondern mit einer ganz anderen Kategorie von Risiken zu tun, nämlich mit aleatorischen Risiken, die vom Schicksal, bildlich gesagt vom "Glück des Würfels" abhängen. Entscheidend ist, dass man den Verlockungen der aleatorischen Risiken leicht aus dem Wege gehen könnte. Doch genau diese Spiele oder Wetten sind nach dem Wertpapier-handels-Gesetz nicht nur zulässig, sondern auch uneingeschränkt rechtswirksam, wenn sie unter Kaufleuten abgewickelt werden.

Kaufleute sind mit den besonderen Gefahren des Geschäftslebens wohl vertraut. Sie wissen auch wie in den Banken und an den Börsen "gespielt" wird. Deshalb darf man sie getrost ihrem Schicksal überlassen. Daher waren sie früher schon durch § 51 BörsenG und heute durch § 31 a WpHG, von den Schutzbestimmungen ausgenommen, die für hochriskante Differenzgeschäfte galten.10) Dabei ist es aber nicht geblieben. Die hohen Gewinne aus Spiel und Wette wollte man - weshalb auch immer - nicht nur Kaufleuten, sondern auch Privatleuten zukommen lassen, vorausgesetzt, dass sie zu Protokoll geben, über die erforderlichen Sachkenntnisse zu verfügen und formpflichtig bekräftigen, dass sie wirklich wollen, was sie tun.

Eine Unterschrift genügt und schon kann jede Hausfrau - mitgerissen von der allgemeinen Gier, meistens aber auch falsch beraten von der auf ihre Provision bedachten Hausbank und den von ihnen durch hohe Boni angestachelten Bankberatern - leider auch mit Zustimmung des Bundesgerichtshofs (BGH)11)und später des Gesetzgebers - ihr Häuschen beleihen, ihr Sparbuch "plündern", ihre Pfandbriefe oder Aktien zur Sparkasse tragen und mit dem Gegenwert in hochriskante Börsenspiele einsteigen oder an Wetten, auf etwa Aktienkurse, und Währungen ihr Glück versuchen.

Und weil das so schön ist, wurde die bewährte Schutzbestimmung in § 764ff BGB für "veraltet" erklärt, gestrichen und im Bundesgesetzblatt mit Stolz verkündet, dass nach dem 4. Finanzmarktförderungsgesetz - endlich - mitmachen kann, wer mitmachen will. Das Bürgerliche Gesetzbuch nahm in seiner ursprünglichen Fassung zwar eine sehr liberale Position ein. Wer sein Glück versuchen will und von den aleatorischen Risiken nicht lassen kann, dem wollte der Gesetzgeber nicht durch ein Verbot entgegentreten, aber auch nicht hilfreich unter die Arme greifen. Wetten und Spiele konnten deshalb nicht rechtswirksam vereinbart werden. Und es bestand überhaupt keine Anlass dazu, diese Türe, die ja keineswegs vollständig verschlossen war, noch weiter zu öffnen.

Treten die klassischen Geldanlagen in den Hintergrund, hat sich ein grundlegender Systemwechsel vollzogen: Das gewöhnliche Risiko, das der Handel etwa mit Aktien, Schuldverschreibungen und Devisen natürlich immer mit sich bringt, wird verdrängt durch die aleatorischen, vom bloßen Glück geprägten Unwägbarkeiten. Die finanzielle Beteiligung an Gewerbetätigkeiten, die immer Mühsal und Arbeit bedeuten, interessieren dann niemanden mehr. Aus der mitunternehmerisch geprägten Geldanlage mit allen Chancen, aber auch unvermeidbaren Gefahren, wird schließlich ein Mega-Casino, ein gigantisches Las Vegas, der Dreh- und Angelpunkt für die nächste Krise, wenn die sogenannte "Milchmädchen-Hausse" in sich zusammenbricht und der "run" auf die Bank alles mit sich reißt, wie das bei der britischen Bank, Northern Rock, im September 2007 ja der Fall war.

Bei den vielgestaltigen Termin- und vergleichbaren Hochrisiko-Geschäften gilt es unnachgiebig festzustellen, inwieweit sie aleatorische Risiken sind, die nie und nimmer zu den klassischen Bankrisiken gezählt werden dürfen. Allem zum Trotz mischen die sogenannten Investmentbanken dabei weiterhin an vorderster Front und nach Kräften mit. Auf die gewöhnlichen "Pfen-nig-Geschäfte" wie die Zinsmarge schauen sie mit "gerümpfter Nase" herab. Erschwerend kommt hinzu, dass sie das sogar mit Geld tun können, das überwiegend aus Einlagen der Bankkunden und den damit verbundenen Möglichkeiten der Geldschöpfung stammt.

Zu Recht hat Staatssekretär a. D. Heiner Flassbeck, Chefökonom der UNCTAD in Genf, davor gewarnt, "dass dieses Wetten, das globale Casino also, natürlich vollkommen unproduktiv war".12) Aufhorchen ließ deshalb, dass der Berater des Präsidenten der USA und frühere Notenbank-Chef der Federal Reserve Bank (FED) Paul Volcker, unterstützt von Mervyn King, dem Chef der Bank of England, zur Spartentrennung im Bankensystem nach dem Muster des Glass-Steagall-Act zurückkehren wollen. Die strikte Trennung zwischen Banken mit Kundeneinlagen und den sogenannten "Investmentbanken", die im Wertpapierhandel aktiv sind, wurde in den USA nach der großen Weltwirtschaftskrise von 1931 eingeführt. Doch wurde die Spartentrennung schließlich als "veraltet" angesehen und 1999 außer Kraft gesetzt13) - ein fataler Fehler!

Gewöhnliche und aleatorische Risiken

Es gilt also zuallererst zwischen den gewöhnlichen und den aleatorischen Risiken bei den Bankgeschäften zu differenzieren. In der Ausgabe vom 15. September 2009 hat "Kreditwesen" das getan und einen Beitrag unter der Überschrift veröffentlicht: "Kreditinstitute sind keine Spielbanken."14) Wetten seien "Buchmachergeschäfte" und hätten "in Banken nichts verloren". Differenzgeschäfte seien Spiele, im Sinne der früheren, inzwischen aber gestrichenen Bestimmung des § 674 BGB. "Spiele gehören grundsätzlich nicht in die Hände von Banken, sondern von Spielbanken".15) Es sei daher dem Bankkunden schon durch einen obligatorischen Firmenzusatz unmissverständlich klar zu machen, dass eine Investment- oder besser Spekulationsbank in der Sache eine Spielbank ist. Von einem Verbot war jedoch nicht die Rede.

Mit dieser Positionierung befindet sich "Kreditwesen" auf einer Linie mit den beiden hochrangigen Experten des Geld- und Bankwesens Paul Volcker und Mervyn King. Beiden liegt daran, einem möglichen Bankenrun dadurch vorzubeugen, dass jedenfalls in Kreditinstituten keine aleatorischen Hochrisiko-Geschäfte gemacht werden können. Dort sind die Einlagen der Bankkunden sicher und müssen ohne Wenn und Aber garantiert werden - und zwar nicht durch die immer unter politischem Druck stehenden Regierungen, sondern einzig und allein durch die politisch unabhängig handelnden Notenbanken. Wetten und Spiele haben in Kreditinstituten nichts verloren. Vom gewöhnlichen Risiko muss man das aleatorische Risiko abtrennen. Es hat seinen gesetzlich streng geregelten Platz an anderer Stelle. "Aktienwetten" und "Börsenspiele" sind zwar nicht zu verbieten, können aber nicht verbindlich vereinbart, also auch nicht eingeklagt werden. Kaufleute sind davon auszunehmen, Privatleute nicht. Das ist in der Tat der erste große Schritt zur Sanierung des Finanzsystems.

Kein eigenes Insolvenzrecht für Kreditinstitute

Geld ist keine gewöhnliche Handelsware. Aus gutem Grund ist deshalb die Geldpolitik grundsätzlich nicht Sache der von ihrer Wiederwahl abhängigen Regierungen, sondern der Notenbanken, die von den mit der Politik verbundenen Zwängen unabhängig sind. Die Notenbank ist die Mutter aller Banken, "das Zentralgestirn am Firmament der Geschäftsbanken", gleichsam die Sonne, um die ihre Trabanten kreisen.

Die Währungshüterin beaufsichtigt die Geschäftsbanken und kann ihnen Auflagen machen. Es war deshalb richtig, die Bankenaufsicht wieder voll und ganz in die Hand der Bundesbank zurückzuverlegen. Sie beeinflusst außerdem den Zins, das heißt den Preis, den man entrichten muss, um ein Darlehen zu bekommen. Sie ist auch befugt, durch An- und Verkauf von Wertpapieren im großen Stil die Kurse an den Börsen zu manipulieren. Sie ist sogar berechtigt, von den Banken Mindestreserven einzufordern, die auf den Zentralbankkonten für schlechte Zeiten "eingefroren" werden. Einen neuen Sicherungsfonds, wie ihn zuerst Josef Ackermann ins Spiel gebracht hat, ist deshalb obsolet.

Weit mehr noch als das Gesundheitswesen ist auch das Geld- und Bankenwesen ein halbstaatlicher Bereich, der hoheitlich streng reguliert werden muss. Die Notenbanken verfügen deshalb über ein beeindruckendes, gewerbepolizeiliches Instrumentarium, um ihren Willen durchzusetzen. Ihre Sache ist es, die Bankschalter zu schließen ohne dabei Aufsehen zu erregen, wenn einem ihrer Trabanten die Insolvenz droht. Die Notenbanken haften für die Geschäftsbanken. Wie eine Mutter übernehmen sie die Verbindlichkeiten für ihre Kinder. Wozu also ein gesondertes Insolvenzrecht für Bankhäuser, es ist längst da.

In der Rolle des "Rückversicherers"

Ob sie will oder nicht, die Notenbank spielt die Rolle des "Rückversicherers" für alle gewöhnlichen Bankrisiken. Die aleatorischen Risiken, die nach der geforderten Spartentrennung nur mehr in den Spekulations- sprich Spielbanken getätigt werden dürfen und dafür eine entsprechende Konzession benötigen, sind von dem hoheitlichen Versicherungsschutz jedoch auszunehmen. Wer eine Spekulationsbankbetritt, sich also auf Spiele und Wetten einlässt, der tut das auf sein eigenes Risiko. Für den Zusammenbruch von Spekulationsbanken, kann und darf es keine amtliche Bankenrettung geben, weder mit Mitteln der Notenbank noch mit Hilfe von Steuergeldern. Sie müssen sich selbst versichern.

So gesehen wäre es - eigentlich - richtig gewesen, die Lehman-Bank, die ja eine In-vestment-, also Spekulationsbank war, in die Insolvenz gehen zu lassen. Leider hatte man die Spartentrennung des Class-Steagall-Act 1999 fallen lassen. Eine überzeugende Bestandsgarantie der Notenbank für die Sparte der Kreditinstitute, die vom hochriskanten Investmentbanking durch eine "firewall" abgetrennt waren und sich mit den gewöhnlichen Bankrisiken beschäftigte, die gab es nicht mehr. Weil aber die "Brandschutzmauer" 1999 unter Präsident Bill Clinton niedergerissen wurde, hätte man deshalb umgekehrt Lehman unbedingt retten müssen. Das aber hat man nicht getan und damit eine Katastrophe ausgelöst.

Es genügt allerdings nicht, zwischen Kreditinstituten, die sich mit den "ehrlichen" Risiken beschäftigen und den Spekulationsbeziehungsweise Spielbanken, die ihr Glück vermehrt im Bereich der aleatorische Risiken suchen, einen scharfen Trennungsstrich zu ziehen. Darüber hinaus muss die Spartentrennung auch auf den fälschlich sogenannten "Eigenhandel" ausgedehnt werden. Dabei steht nicht nur der Gedanke im Vordergrund, dass es zu Interessenkonflikten16) kommen kann, wenn eine Bank zugleich Geschäfte in fremdem und eigenem Namen beziehungsweise auf fremde und auf eigene Rechnung abwickelt.

Die Kundeneinlagen haben mit dem "Eigenhandel" der Banken nichts zu tun. Sie dürfen daher nicht in damit verbundene Risiken verwickelt werden. Wer seine Ersparnisse bei einer Bank deponiert, muss ohne Wenn und Aber sicher sein, dass er nicht mittelbar zum Mitglied einer Wettgemeinschaft wird. Darüber hinaus muss er auch davor sicher sein, dass er mittelbar keinen Risiken schultern muss, die von dem Kreditinstitut in eigenem Namen und auf eigene Rechnung eingegangen werden.

Dieser Gedanke klingt radikal, ist es aber nicht. Denn der wirkliche Eigenhandel kann nach wie vor betrieben werden, nur nicht in Kreditinstituten mit Kundeneinlagen. Wenn diese ihre Einlagen in Gestalt von Krediten wieder ausreichen, ist das Risiko genug. Das Einlagengeschäft ist außerdem Grundlage für die Geldschöpfung, durch die der fälschlich sogenannte "Eigenhandel" um ein Mehrfaches der Kundeneinlagen aufgetürmt werden kann. Doch wenn es einmal anders kommt, als man es haben will, gibt es kein Halten mehr. Die Bankkunden müssen folglich davor geschützt werden, dass sie jemals "die Zeche" für Eigenhandel von Banken zu zahlen haben.

Investment- und Spekulationsbanken müssen nicht nur ihre Mittel für Spiel und Wette, sondern für den gesamten Eigenhandel auf anderen Wegen aufbringen. Nicht etwa Verbot, sondern Trennung dieser Bankgeschäfte, so lautet hier die Devise. Und Geschäfte, die aus gutem Grund den Kaufleuten vorbehalten sind, soll man nicht für Privatleute öffnen.

Banken- und Staatskrise ein gegenseitiges Aufschaukeln

Der Staat ist selbst einer der wichtigsten Mitspieler auf dem Finanzmarkt. Die Staatsverschuldung kann also nicht ausgeklammert werden, will man die Lehren aus der Wirtschafts- und Finanzkrise ziehen und einer "ewigen Wiederkehr des Gleichen" wirksam entgegentreten. Die Regierungen von Irland, Island, Ungarn und Rumänien, aber auch Dubai, und nach Griechenland wohl auch Portugal, vielleicht sogar Spanien, Italien und Großbritannien müssen sich selbst mit auf die Anklagebank setzen, wenn sie die Schuldigen an der Wirtschafts- und Finanzkrise suchen.

Man darf nicht für die eigenen Fehler an eine fremde Brust schlagen. Es kann also nicht sein, dass die von den Politikern gemachten Fehler den Banken in die Schuhe geschoben werden. Wenn die Verursacher der Krise zur Verantwortung gezogen werden sollen, können die Politiker davon nicht ausgenommen werden. Die Volkswirtschaften der globalisierten Welt stehen nicht nur vor einer Bankenkrise, sie stehen vor allem auch vor einer Staatskrise. Banken- und Staatskrise schaukeln sich gegenseitig auf.

Begrenzung der Staatsschulden eine politische Herkulesarbeit

Staatsanleihen ziehen die Ersparnisse an sich, zuerst aber das Geld der institutionellen Großanleger, vor allem der großen Versicherungen und Banken. Staatsanleihen verdrängen aber nicht nur die Industrieobligationen aus den Kapitalmärkten. Der öffentliche Sektor wirft nicht allein mit Steuergeldern den privaten Sektor aus dem Markt, der im Zinswettlauf nicht mehr mithalten kann. Durch die steigende Nachfrage des Staates steigen vor allem auch die Zinsen. Das treibt die Inflation, die nur bedingt von der Notenbank zurückgestaut werden kann. Denn dies führt zu falschen Investitionsanreizen und fördert die Blasenbildung. Neu aufgenommene Staatsschulden dürfen deshalb Zukunftsinvestitionen grundsätzlich nicht überschreiten.

Die hohen Risikoaufschläge, die überschuldete Staaten auf sich nehmen müssen, wirken ambivalent: Sie sind für die institutionellen Anleger ein hoher Anreiz, aber auch ein riskantes Geschäft, wenn der Staat zahlungsunfähig wird. Je wackliger die Staaten werden, umso größer das Geschäft, bis die Statik der öffentlichen Haushalte eine weitere Aufstockung der Staatsschulden nicht mehr zulässt und der babylonische Schuldenturm umfällt. Die "gewieften" Bankhäuser haben dann den Return on Investment schon längst wieder in der Kasse und verschwinden lautlos von der Bildfläche.

Durch Deckelung der Staatsschulden, wie sie in den berühmten Konvergenz-Kriterien der Verträge von Maastricht europaweit Anerkennung gefunden haben, muss das eigene Haus und die Häuser der Nachbarn in Europa krisenfest gemacht und den Währungsspekulanten den Wind aus den Segeln genommen werden. Staatsanleihen von Nationen, die in ihrer Verfassung keine Deckelung der Staatsschulden haben und den berühmten Maastricht- Kriterien nicht entsprechen - vor allem dass die Neuverschuldung drei Prozent und der Schuldenstand 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, BIP, nicht überschreiten dürfen müssen durch ein amtliches EU-Rating bewertet werden. Und diese öffentlichrechtliche Publizität würde auch Deutschland treffen, das natürlich niemals mit Triple-A davonkommen würde.

Der volkswirtschaftliche Grundgedanke, nachkommenden Generationen für Zins und Tilgung von kreditfinanzierten Zukunftsinvestitionen mit heranzuziehen, ist zwar allgemein anerkannt. Vollkommen anders ist das aber beim Gegenwartskonsum. Die Neuverschuldung darf die investiven Ausgaben deshalb allenfalls bei schwersten Naturkatastrophen überschreiten.17) Dies ist nicht nur im völkerrechtlichen Regelwerk der EU, sondern vor allem in den Verfassungen einzelner Staaten unwiderruflich zu verankern - eine politische Herkulesarbeit.

Kreditfinanzierte Krisenabwehr eine Hilfe nur bis zur nächsten Krise

Die Lehren aus der gegenwärtigen Staatskrise, die nicht nur Griechenland, sondern ganz Europa bedroht, sind denkbar einfach. Jeder Staat muss seine Ausgaben durch Steuern finanzieren. Die Neuverschuldung darf die Zukunftsinvestitionen nicht überschreiten. Eine kreditfinanzierte Krisenabwehr hilft nur bis zur nächsten Krise. Irgendwann platzt der Wechsel doch. Notleidende Kredite kann man nur auf kurze Zeit bei der Notenbank abladen oder nach Art eines "heimlichen" Währungsfonds, den man buchstäblich über Nacht aus dem Boden gestampft hat, vorübergehend auf die Gemeinschaft umlegen. Genau das hat man in Frankfurt und in Brüssel gerade getan. Doch löst es die Probleme nicht, wenn im Schulterschluss mit der EZB die EU-Mitglieder die Staatsverschuldung gemeinsam in die Höhe treiben.

Eine gemeinschaftliche Sanierung der Staatsfinanzen ist nicht in Sicht. Die Gelegenheit war da. Beim Treffen der Staatschefs und Finanzminister in Brüssel am 7., 8. und 9. Mai 2010 stand das politische Zeitfenster ein Wochenende lang offen, um die Deckelung der Staatsschulden in den Verfassungen der EU-Mitglieder zu verankern. Man hat diese einmalige Chance verstreichen lassen - "Tant pis pour l'Europe! "

Fußnoten

1)Vgl. Handelsblatt vom 3. Dezember 2009.

2)Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 26. April 2010 Regierungen verschonen Banken. Nulla poena sine lege: Die Sparkassen und Genossenschaftsbanken hatten betont, sie träfe keine Schuld an der Spekulationsblase und könnten dafür nicht bestraft werden. Vgl. dazu Süddeutsche Zeitung vom 29. März 2010.

3)Sinn, Casino-Kapitalismus, 2. Auflage, Berlin 2009, Woodman, Bazar statt Börse, München, 2009; Eichhorn/Solte, Das Kartenhaus Weltfinanzsystem, Frankfurt a. M., 2009; Koslowski, FAZ vom 23. Oktober 2009: Spekulation, Wette oder Glücksspiel?; derselbe Ethik der Banken, München, 2010.

4)Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 30. April /2. Mai 2010: Köhler geißelt den Finanzkapitalismus.

5)Schmidt, Susanne, Markt ohne Moral, München, 2010; und Stiglitz, Im freien Fall, München, 2010.

6)Statt aller: Der Spiegel, 5/2010, Seite 64: Sehnsucht nach Sühne mit dem bisher ausführlichsten Bericht zu § 266 StGB, Untreue im Bankgeschäft. Außerdem Süddeutsche Zeitung vom 20. April 2010: Die Abrechnung; ebenda Der Fall Goldman Sachs zieht Kreise; zuletzt Süddeutsche Zeitung vom 29. April 2010: Strafverfahren gegen Goldmann gefordert.

7)Vgl. dazu die Grundsatzrede des US-Präsidenten Barack Obama in New York vom 23. April 2010.

8)Vgl. Bundesgesetzblatt: BGBl I 2010, 4. Finanzmarktförderungsgesetz vom 21. Juni 2002.

9)So Kemmer auf dem 3. Bayerischen Finanzgipfel vom 3. November 2009 in München; ähnlich Hässig, Der UBS-Crash, 2. Auflage 2009, Seite 107: Banking ist ein Geschäft mit Risiken.

10)Näheres bei Palandt, 69. Auflage 2010, § 762 ff.

11)Vgl. BGH, NJW 1992 1879.

12)Vgl. Flassbeck, Süddeutsche Zeitung vom 6. April 2009: Gipfel der Belanglosigkeit (zum G20-Treffen in London).

13)Der Glass-Steagall-Act von 1932 beziehungsweise 1933, der das Einlagen- vom Wertpapiergeschäft abgetrennt hat, um so eine Kumulation von Risiken zu unterbinden, geht auf die beiden US-Senatoren Carter Glass und Henry B. Steagall zurück. Die Spartentrennung wurde 1999 unter Präsident Bill Clinton für Konzerngesellschaften außer Kraft gesetzt.

14)Vgl. Kreditwesen 18/2009, Seiten 887 ff.

15)Vgl. Kreditwesen, aaO, (Fn 14) Seite 887.

16)Zum Interessenkonflikt vgl. Süddeutsche Zeitung vom 29. April 2010: Angriff auf Goldman.

17)Art. 115 GG vom 23. Mai 1949 besagte ursprünglich: Die Neuverschuldung dürfe die investiven Ausgaben nicht übersteigen. Dieser klare und kurzgefasste Verfassungsgrundsatz wurde von der Großen Koalition 1969 durch den Zusatz zu Fall gebracht, zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts seien Ausnahmen zulässig. Inzwischen ist die Neuaufnahme von Staatsschulden für den Normalfall ganz ausgeschlossen worden - eine unhaltbare Übertreibung, wie sich noch zeigen wird.

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