Gespräch des Tages

Hypothekenfinanzierung - Gute und schlechte Vorbilder

"Die Hypothekenmärkte im Euroraum und in den Vereinigten Staaten unterscheiden sich in mehrfacher Hinsicht." Mit dieser bemerkenswerten und wahrlich nicht sonderlich überraschenden Feststellung beginnt eine mehrseitige Abhandlung im aktuellen Monatsbericht der Europäischen Zentralbank. Wer es nach nunmehr über zwei Jahren Finanzkrise nicht gemerkt hat, hier hat er es schwarz auf weiß. Doch genug des Spotts, natürlich sind in den Ausführungen auch wesentliche und wichtige strukturelle Unterschiede erläutert. Zu allererst sind die stark divergierenden Refinanzierungsgewohnheiten bei Hypothekenfinanzierungen zu nennen. Bereits in den achtziger Jahren entwickelte sich als Folge der massiven Savings- und Loan-Krise in den USA die Gepflogenheit, dass die Spar- und Kreditbanken die vergebenen Hypothekendarlehen nicht etwa auf der eigenen Bilanz behielten, sondern stattdessen an die beiden staatlichen und im Zuge der aktuellen Finanzmarktturbulenzen ebenfalls tief in die roten Zahlen gerutschten Anbieter Fannie Mae und Freddie Mac weiterreichten. Über die Verpackung und Platzierung standardisierter hypothekarisch besicherter Wertpapiere trugen die beiden Institute zudem zu einer hohen Liquidität am amerikanischen Sekundärmarkt für Hypotheken bei.

In Europa gibt es eine vergleichbare staatliche Förderung des "Häuslebauer"-Marktes nicht. Regierungen haben vor der Finanzmarktkrise weitestgehend darauf verzichtet, die Refinanzierungskosten der Banken für Hypothekarkredite zu senken oder die Ausbuchung von Forderungen zu erleichtern. Dies hat sich in den vergangenen Monaten durch die erzwungenen staatlichen Stützungsmaßnahmen ein klein wenig gewandelt. Die Erleichterungen werden allerdings sicherlich nicht von Dauer sein - dafür sind die Erfahrungen aus den USA zu deprimierend. Die Folge dieser beiden Verfahren ist eindeutig: Während in den USA die Finanzierung des Hypothekarkreditmarktes eindeutig durch die beiden staatlichen Institute sowie den Kapitalmarkt, über den Hypotheken in Form von MBS verbrieft werden, erfolgt, spielen in Europa nach wie vor die Banken und Sparkassen die tragende Rolle. Ihr Anteil an den Finanzierungen, der jenseits des Atlantiks kaum ein Viertel beträgt, liegt in Europa im Schnitt bei über 80 Prozent. Das führt zur Bevorzugung von variabel verzinsten Darlehen, da die Institute die Risiken aus Zinsänderungen selber tragen müssen. In den USA findet man dagegen nahezu ausschließlich festverzinste Kredite. Auch kann dort die vorzeitige Ablösung des Kredits fast ohne Gebühren erfolgen, während in Europa teils happige Prämien bei vorzeitiger Rückzahlung fällig werden - was den Verbraucherschützern ein steter Stein des Anstoßes bleibt.

Das alles erklärt auch die stark unterschiedliche Verschuldungssituation der Haushalte in den USA und Europa. Aufgrund der deutlich laxeren Kreditvergabepraktiken jenseits des Atlantiks - die Banken tragen schließlich das Risiko nicht - liegt die Zahl der Pri-vat-Insolvenzen dort immer noch deutlich höher. Hinzu kommt das vom europäischen Zivilrecht abweichende auf dem Gewohnheitsrecht basierende Common Law. In der Mehrzahl der US-amerikanischen Bundesstaaten funktioniert das System in der Praxis folgendermaßen, dass es sich um rückgriffsfreie Kredite handelt. Das heißt, die Kredite werden ausschließlich durch Sicherheiten, in der Regel das zu finanzierende Objekt, gedeckt, für die der Kreditnehmer jedoch nicht haftbar ist. Das hat zur Folge, dass ein Schuldner, der seine Hypotheken nicht mehr zahlen kann, der Bank einfach den Schlüssel des Hauses in den Briefkasten wirft und in eine günstigere Variante umzieht - finanziert von einer anderen Bank, abgesichert über die staatlichen Stützungsinstitute für den Hypothekenmarkt. In Ländern mit Zivilrechtssystem dagegen können sich Schuldner ihren Verpflichtungen nicht so einfach entziehen. Sie haften für die Differenz zwischen dem Wert des Eigentums und dem Kreditbetrag, tragen also das Risiko eines Preisverfalls. Die Investoren in ostdeutsche Wohnungen haben in den neunziger Jahren damit ihre Erfahrungen gemacht.

Es bliebe zu wünschen, dass sich die USA ein klein wenig von den europäischen Praktiken abschauen würden, fördern diese doch in ganz anderem Maße Stabilität und Transparenz. Es wird allerdings nur ein frommer Wunsch bleiben, denn wer kann die "US-Boys" schon nachhaltig ändern? Wahrscheinlich noch nicht einmal die schwerste Finanzkrise seit vielen Jahrzehnten.

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