Aufsätze

Kredit- und Realwirtschaft im Spannungsfeld von Regulierung und Niedrigzinsphase

Die nunmehr vor sieben Jahren ausgebrochene Finanz- und Staatsschuldenkrise scheint zumindest vorläufig in ruhigeren Bahnen zu verlaufen. Die Risikoaufschläge für Staatsanleihen der Krisenländer in Südeuropa haben sich zurückgebildet und nach Jahren des wirtschaftlichen Abschwungs zeigen sich erste Anzeichen einer konjunkturellen Belebung. Dennoch wäre es verfrüht, das Ende des Krisenmodus auszurufen.

Auswirkungen auf die Realwirtschaft

Die EZB hat gerade den Hauptrefinanzierungszinssatz erneut gesenkt und überdies deutlich gemacht, dass mit einem Ende der Niedrigzinsphase auf absehbare Zeit nicht zu rechnen ist. Bei vielen Staaten ist zudem offen, ob es gelingt, die nicht zuletzt wegen der Übertreibungen im Bankensektor aus dem Ruder gelaufenen Staatsfinanzen zu konsolidieren. Die aus Anlass der Bankenkrise auf den Weg gebrachten bankaufsichtsrechtlichen Veränderungen könnten Auswirkungen haben, die so nicht gewollt waren. Vor diesem Hintergrund stellt sich wie zu Beginn der Finanzmarktkrise erneut die Frage des Übergreifens auf die Realwirtschaft.

In der Zeit der unmittelbaren Subprime-Krise mit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers als Höhepunkt waren es in Deutschland die Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken, die über eine kräftige Ausweitung ihrer Ausleihungen eine Kreditklemme und damit einen noch stärkeren wirtschaftlichen Einbruch verhindert haben. Darüber hinaus waren sie mit ihren Einlagenüberschüssen als Liquiditätsspender im Bankenmarkt ein stabilisierendes Element von Gewicht. Während eine Vielzahl in- und ausländischer Kreditinstitute angesichts aus getrockneter Kapitalmärkte vor teilweise erheblichen Liquiditäts- und Refinanzierungsproblemen standen und daher ihre Kreditausreichungen einschränken mussten, hat es derartige Problemstellungen bei Sparkassen zu keinem Zeitpunkt gegeben. Sie standen ihren Kunden im Ab- und im Aufschwung als verlässliche Partner zur Seite. 2007 bis 2010 wurden Kredite an Unternehmen in Höhe von 15,2 Milliarden Euro allein in Hessen-Thüringen ausgereicht. Davon haben nicht nur die traditionellen Kunden der Sparkassen - die kleinen und mittleren Unternehmen - profitiert, sondern auch Größenklassen bis hinauf zu den Dax-Unternehmen. Denn nicht selten sind Sparkassen bei großen Projektfinanzierungen über Konsortialbeteiligungen bei Adressen Kreditgeber, die vormals ausschließlich Kunden der Großbanken waren.

Der über die langjährige intensive Marktbearbeitung des Retailsegments aufgebaute Einlagenüberschuss hat in Hessen-Thüringen und weiteren Sparkassen in Deutschland über die Anlage bei der anerkannt soliden Landesbank Hessen-Thüringen dafür gesorgt, dass diese auf dem Höhepunkt der Finanzmarktkrise zu jedem Zeitpunkt in der Lage war, neues, sehr interessantes Geschäft zu übernehmen.

Die deutsche Wirtschaft hat den scharfen Einbruch des Jahres 2009 im Wesentlichen deshalb so schnell überwinden können, weil ihr Rückgrat - die Industrie und der starke Mittelstand - auch dank der flankierenden Maßnahmen der damaligen großen Koalition an seinen Belegschaften festgehalten hat und so die sich im Aufschwung bietenden Chancen schnell nutzen konnte. Die dezentralen Verbünde haben sowohl den Finanzierungsbedarf im Abschwung als auch den im Aufschwung als das kreditwirtschaftliche Pendant auf der Ebene der kleinen und mittleren Unternehmen zuverlässig abgedeckt.

Dies ist auch international weithin anerkannt. Der britische Wirtschaftsminister John Vincent Cable sagte trotz London als Kapitale des Investment Bankings in Europa: "Wir können nur neidvoll nach Deutschland schauen, wo sehr leistungsfähige, regional verwurzelte und gemeinnützige Sparkassen das tun, was Banken eigentlich tun sollten: Unsere Ersparnisse auf sicherem Weg in Investitionen umwandeln, die einen realwirtschaftlichen Nutzen stiften". Deshalb kommt es jetzt darauf an, mit einer zielgerichteten und abgestimmten Regulierung Strukturen zu stärken, die diese Stabilität absichern helfen.

Kein einheitliches Zielsystem

Leider lässt die Vielzahl von Regulierungsthemen eine solche Ausrichtung nicht einmal ansatzweise erkennen. Darüber hinaus fehlt die Verpflichtung aller Akteure auf ein einheitliches Zielsystem, sodass die meisten Regulierungsvorhaben mehr oder weniger unabhängig und unabgestimmt voneinander betrieben werden. Die Struktur der aktuellen EU-Aufsichtsarchitektur lässt sich nur noch über komplexe Schaubilder abbilden. Nationale Notenbanken, die EZB, EBA, EIOPA, ESM, EU-Kommission und andere mehr sind hier allesamt mit dabei. Bei der Bankenunion ist es nicht viel anders, von zahlreichen ungelösten Fragestellungen einmal ganz abgesehen. Bei dem unter dem Stichwort "Basel III" firmierenden Regelwerk können auch strukturelle Veränderungen in der Kreditwirtschaft und in dessen Folge in der Realwirtschaft nicht ausgeschlossen werden, wenn die vorgesehenen Liquiditäts- und Refinanzierungsregeln einmal tatsächlich in Kraft treten sollten. Dies betrifft zum Beispiel die Tradition der langfristigen Finanzierung von Investitionsvorhaben.

Und schließlich hat die Regulierung des Wertpapiergeschäfts beziehungsweise der Wertpapierberatung im Ergebnis dazu geführt, dass ausgerechnet in einer Niedrigzinsphase der Anteil des auf Beratung zurückgehenden Wertpapiergeschäfts drastisch gesunken ist. Die Anlageberatung ist so verkompliziert worden, dass sie immer seltener stattfindet. Dies sind wenige Beispiele, die jeweils nur in aller Kürze angesprochen werden konnten. Sie zeigen aber, dass der Regulierung ein Rahmen, eine gemeinsame Orientierung und die Verpflichtung auf eine einheitliche Zielsetzung fehlt, die Maßnahmenbündel und Regelwerke nicht miteinander abgestimmt und die Auswirkungen der Regulierung in ihrer Gesamtheit vollständig offen sind.

Subsidiaritätsprinzip beachten

Aus Sparkassensicht ist es nicht nur deshalb bedauerlich, weil hieraus erhebliche Kostensteigerungen und teilweise auch Ertragseinbußen resultieren. Wesentlich gravierender ist, dass die Rolle der Sparkassen als Stützpfeiler von funktionierenden mittelständischen Strukturen als Rückhalt der Realwirtschaft als in Zukunft gefährdet angesehen werden muss. Deshalb haben sich die Sparkassen zum Beispiel gegen eine EU-weite Einlagensicherung gewehrt, die zur Abwicklung europäischer Großbanken zweckentfremdet werden kann. Die Sparkassen sichern mit der Institutssicherung stets die Existenz des Instituts ab und nicht nur Einlagen bis zu einer Höhe von 100 000 Euro. Trotz der bereits vorhandenen Absicherung werden die Sparkassen ihre Stützungsfonds bis hin zur geforderten Höhe aufstocken. Aber es ist nicht einzusehen, dass diese Gelder für das Scheitern von Geschäftsmodellen zur Verfügung gestellt werden, die den Sparkassen wesensfremd sind. Aus den gleichen Gründen lehnen die Sparkassen die Einzahlung in einen europäischen Abwicklungsfonds ab. Davon abgesehen sollte das Subsidiaritätsprinzip, welches gerade in Brüssel eine bescheidene Renaissance feiert, auch bei Regulierungsthemen in den Vordergrund gerückt werden. Die aus verständlichen Gründen einheitlichen Aufsichtsregelungen für große europäische Banken den regional tätigen Sparkassen überzustülpen, ergibt keinen Sinn. Der derzeitige sogenannte Single Supervisory Mechanism (SSM) sieht aber einheitliche Regelungen für alle 6 000 Kreditinstitute in Europa vor - mit möglicherweise unangenehmen Folgen für die Sparkassen. Diese Regelungen können sich natürlich ändern. Zum Beispiel könnte eine einheitliche Rechnungslegung nach IFRS verlangt werden. Für Sparkassen wäre das ungeeignet und würde zudem einen erheblichen Kostenschub gerade für die kleineren Häuser bedeuten. An diesem Beispiel wird deutlich, wie über die Regulierungsebene kreditwirtschaftliche Strukturen ins Rutschen geraten können. Dies hätte unmittelbare Folgen nicht nur für die mittelständischen Unternehmen, sondern für die Kreditversorgung in der Fläche insgesamt bis hin zur Beeinflussung des Wettbewerbs auf den Retailmärkten. Deshalb müssen Regulierungsthemen zu Ende gedacht werden.

Neben der Regulierungswelle ist die anhaltende extreme Niedrigzinsphase die augenscheinlichste und mit Abstand folgenschwerste Auswirkung der Finanz- und Staatsschuldenkrise. Für die Sparkassen heißt dies, dass der Zinsüberschuss zunehmend unter Druck gerät. Die Eigenanlage der bereits erwähnten Anlagenüberschüsse mit vertretbaren Risiken wirft immer weniger ab, und der kalkulatorische Ertrag des Eigenkapitals geht parallel mit der sinkenden Durchschnittsverzinsung der Aktivseite zurück. Da die Sparkassen sehr stabil und solide aufgestellt sind, werden sie auch mit einer noch länger anhaltenden Niedrigzinsphase fertig werden. Die Kernkapitalquote der Sparkassen in Hessen und Thüringen liegt derzeit jenseits der 15-Prozent-Marke.

Größere Sorgen machen die Auswirkungen der "Nullzinsen" mit einer Reihe gesamtwirtschaftlicher Folgewirkungen. So ist die Lenkungsfunktion des Zinses weitgehend außer Kraft gesetzt. Der Preis von Fremdkapital ist künstlich verbilligt worden. Auf Dauer kann dies zu erheblichen Verwerfungen führen, die sich teilweise bereits abzeichnen. Für Anleger sind die extremen Niedrigzinsen ein erhebliches Problem. Viele Sparer haben bereits jetzt in ihren Sparanstrengungen unter anderem für die private Altersvorsorge nachgelassen. Die EZB hat mit ihrer Niedrigzinspolitik, der überaus großzügigen Bereitstellung von Liquidität für Banken und der Ankündigung - falls notwendig - Staatsanleihen in unbegrenztem Umfang zu erwerben, eine Finanzmarktkrise 2.0 vorerst abgewendet. Nebenwirkungen konnten dabei nicht ausbleiben und sind bereits heute spürbar. Andere Kollateralschäden werden sich erst später zeigen. Inwieweit die EZB mit ihren Maßnahmen den Druck, die notwendigen Strukturreformen in den Schuldnerstaaten durchzuführen, vermindert hat, ist umstritten. Nicht zu übersehen ist, dass die EZB immer mehr in den politischen Raum abzudriften droht.

Zielbild und Orientierungsrahmen

Aus Sparkassensicht ist die Niedrigzinsphase eine Belastungsprobe. Ähnlich werden das die meisten Kreditinstitute sehen. Entlastet werden in erster Linie diejenigen Banken, die in mehr oder weniger großen Schwierigkeiten stecken. Auch an dieser Stelle sind die Grenzen zwischen der Sicherstellung der Liquiditätsversorgung, Beeinflussung von Banken- und Wettbewerbsstrukturen sowie Staatsfinanzierung fließend. In Deutschland wachsen die negativen Auswirkungen der außerordentlich niedrigen Zinsen trotz unvorhersehbar positiver Effekte zum Beispiel auf die öffentlichen Haushalte. Dies gilt für die Kredit-, aber auch für die Realwirtschaft.

Zusammen mit den Folgen der Regulierungswelle wird die Kreditwirtschaft in den nächsten Jahren einem mehrjährigen Stresstest im Sinne eines Realexperiments unterzogen. Die Sparkassen werden das wiederum aushalten. Eine Schwächung des Kreditsektors in Deutschland mit den Sparkassen als wichtigem Stützpfeiler bliebe nicht ohne Auswirkungen gerade auch auf die mittelständischen Strukturen in der Realwirtschaft. Da dies niemand ernsthaft wollen kann, gilt es, in den derzeit nicht erkennbaren Orientierungsrahmen für die regulatorischen Maßnahmen ein Zielbild zu implementieren, welches die Stärkung funktionsfähiger real- und kreditwirtschaftlicher Strukturen zur Richtschnur allen Handelns macht.

Gerhard Grandke , Geschäftsführender Präsident, Sparkassen- und Giroverband Hessen-Thüringen (SGVHT), Frankfurt und Erfurt
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