Aufsätze

Mittendrin oder nur dabei? - Notwendigkeit differenzierter Eigenkapitalanforderungen

Nach dem Weltwirtschaftsgipfel der G20 in Pittsburgh zeigte sich die Bundeskanzlerin zufrieden mit den Ergebnissen. Für die Bürger gebe es nun mehr Sicherheit, so dass sich eine solche Krise nicht wiederholt ... Das Erreichbare sei im Wesentlichen erreicht.1) Der Genossenschaftsbanker neigt dazu, sich bei solchen Worten zunächst gelassen zurückzulehnen. Stehen doch die regionalen Genossenschaftsinstitute in ihren Interessen dem Bürger näher als manche andere Bankengruppe. Auch in Bezug zur Finanzkrise verbindet Genossenschaftsbank und Kunde, dass man sich wohl eher zu Betroffenen als zu den Beteiligten zählt. Doch die Erfahrungen mit der internationalen Bankenaufsicht lehren uns, dass man bei der Abarbeitung der regulatorischen Pflichtenhefte sehr schnell mittendrin und nicht nur dabei ist.

Aufsichtsrechtliches Ungemach?

Insofern verkehrt sich die Befriedigung darüber, möglicherweise einen Schritt weiter in Richtung auf ein international sichereres Bankwesen gekommen zu sein, sehr schnell in die Frage, welches aufsichtsrechtliche Ungemach den Genossenschaftsbanken und damit auch ihren Mitgliedern und Kunden nun droht.

Zweifellos enthalten die G20-Beschlüsse Vorgaben, die in die richtige Richtung gehen und grundsätzlich zu begrüßen sind. Einzig die Frage, ob man bei der Umsetzung auch die individuellen Ausgangssituationen der doch sehr inhomogenen Institutsgruppen im In- und Ausland ausreichend berücksichtigt, verunsichert. Letztlich lässt sich dies auch schon alleine daran festmachen, dass in Pittsburgh lediglich für die Aktienbanken annähernd verbindliche Aussagen zu den Bestandteilen des "neuen" Kernkapitals getroffen wurden. Die Geschäftsanteile der Genossenschaftsbanken blieben hingegen unerwähnt. Insofern besteht noch ein deutliches Verunsicherungspotenzial.

Core Tier 1-Eigenkapital

Grundsätzlich ist die verabschiedete stärkere Fokussierung auf das sogenannte Core Tier 1-Eigenkapital als zielführend auf dem Weg zu mehr Stabilität im Bankenwesen anzusehen. Auch wenn man sich dabei im Klaren sein muss, dass höhere Eigenkapitalquoten die Finanzkrise weder verhindert noch merklich abgeschwächt hätten. Die Finanzkrise war schließlich keine Eigen-kapital-, sondern eine Vertrauenskrise. Auch die Bankkunden, respektive die jeweiligen Sicherungseinrichtungen wären dadurch nur unwesentlich besser vor Bankendefaults geschützt gewesen, liegen doch die zu erwartenden Recovery-Quoten eher bei 20 Prozent als bei 90 Prozent. Insofern ist die Verlustausgleichsfunktion des Eigenkapitals wohl eher als "Tropfen auf den heißen Stein" anzusehen.

Nichtsdestotrotz kann die Renaissance des "harten" - verdienten Eigenkapitals durchaus disziplinierende Wirkung haben. Auch Überlegungen, hybride Eigenkapitalbestandteile stärker zu reglementieren, scheinen nicht unangebracht. Angesichts des globalen Dschungels individueller Gestaltungsformen tut eine vernünftige Standardisierung in diesem Segment not. Letztlich bleibt für die Genossenschaftsbanken hier nur die Sorge, wie die rechtsforminhärenten Spezifika, wie zum Beispiel die Geschäftsguthaben und der Haftsummenzuschlag, in der letztendlichen Einstufung als Eigenkapitalbestandteile abschneiden werden.

Sollten sich die Grundmerkmale der Aktie, nämlich unendliche Laufzeit und variable Dividende als Vorgabe für die Einstufung zum "neuen Kernkapital" durchsetzen, so würden die Geschäftsguthaben durch die dort üblichen Kündigungsmöglichkeiten diese Vorgaben nicht erfüllen. Dass sich bei einem dreigliedrigen Bankensystem gerade die Gesellschaftsform des in der Finanzkrise meistinvolvierten Drittels als Benchmark etabliert, dürfte für die Sparkassen- und die Genossenschaftsorganisation nur schwer verdaulich sein.

Bleibt zu hoffen, dass in den Baseler Verhandlungsrunden die Tatsache, dass die Kreditgenossenschaften wohl die gesündeste, weil granularste Eigentümerstruktur aufweisen (in der Regel gehen die Geschäftsguthaben der einzelnen Genossen kaum über wenige Hundert Euro hinaus), ausreichend gewürdigt wird. Diese Granularität und die zum Teil über viele Jahrzehnte hinausgehende Verweildauer der Geschäftsguthaben der Genossen sind auch künftig Garanten für ein "hartes" und krisensicheres Eigenkapital. Die Genossen stehen auch in Krisenzeiten treu und eng verbunden zu ihrer Kreditgenossenschaft.

Belegt wird diese These alleine schon dadurch, dass selbst im Krisenjahr 2008 die Anzahl der Mitglieder an Kreditgenossenschaften nicht etwa gefallen, sondern sogar um 0,2 Prozent gestiegen ist.2)

Leverage Ratios und Schaffung von Kapitalpuffern

Auch gegen die Grundidee der Einführung eines Leverage Ratio ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Führten doch gerade die mit "Finanzinstrumenten aller Art" aufgeblähten Bilanzen internationaler Banken zu den in der Finanzkrise aufgetretenen Dominoeffekten. Wichtig ist nur, dass man behutsam und differenziert mit solchen Instrumenten umgeht. Deleveraging kann letztlich auch dazu führen, nicht wie gewünscht, nur "Luft" aus den Bilanzen abzulassen, sondern alle Aktiva - auch Kundenkredite - zurückzuführen. Insofern wäre hier eine nach den verschiedenen Assetklassen gewichtete Vorgehensweise wünschenswert. Ferner müssen die unterschiedlichen Bilanzierungsmethoden und die nationalen Besonderheiten zwingend Berücksichtigung finden.

In die ähnliche Richtung geht die Absicht, für bestimmte risikoreichere Geschäfte selektiv die Eigenkapitalanforderungen zu erhöhen (zum Beispiel Handelsbestände). Auch dadurch werden Aufblähungen gerade in Assets, die dann im Krisenfall panikartig abgestoßen werden und die Aufnahmefähigkeit der Kapitalmärkte überfordern, perspektivisch zurückgeführt.

Nach spanischem Vorbild sollen dynamische Eigenkapitalvorschriften die Banken dazu zwingen, in konjunkturellen Aufschwungphasen Eigenkapitalpuffer aufzubauen. Das ist letztlich ein Instrument, das - wenn auch auf freiwilliger Basis - jedem konservativ agierenden Kreditgenossenschaftsvorstand schon immer zum Beispiel durch die Bildung von § 340 f HGB-Reserven offenstand und wovon im Genossenschaftswesen regelmäßig in guten Geschäftsjahren Gebrauch gemacht wurde.

Too big to fail versus small enough to fail

Einerseits profitierten alle - Banken wie Bankkunden - davon, dass es durch staatliche Stützungsmaßnahmen nicht zu einem zweiten Lehman-Fall kam, andererseits stellt sich natürlich die Frage, ob sich die in der Too-big-to-fail-Problematik inhärente Differenzierung zwischen den systemrelevanten- und den nicht-systemrelevanten Banken auch in den neuen Eigenkapitalvorschriften niederschlägt. Letztlich kann dies dadurch erreicht werden, dass große Institute entweder höhere Eigenkapitalunterlegungen oder Liquiditätspolster vorweisen müssen oder ihnen nur entsprechend niedrigere Leverage Ratios zugestanden werden.

Mehr als ein Feinschliff

Es bleibt hier abzuwarten, ob die Bankenaufsicht und letztlich die Politik den Mut und die Stärke aufbringen, dies durchzusetzen. Es bedeutet nämlich auch die Abkehr von der Politik der "nationalen Champions" in der Bankenbranche, denn das Überschreiten bestimmter Größenschwellen wird dann gleichzusetzen sein mit einem Rückgang an Profitabilität.

Dass gerade bei den Genossenschaftsbanken der Geldkreislauf zwischen Kunden und Bank zu jeder Zeit während und nach der Finanzkrise funktionstüchtig blieb (siehe Tabelle), sollte Beleg genug dafür sein, dass sich das Geschäftsmodell der Genossenschaften auch in der schwersten Krise bewährt hat. Wie die Tabelle zeigt, kann bei den Kreditgenossenschaften von Kreditklemme nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil - die Kreditvergaben an Nichtbanken sind bei den Kreditgenossenschaften nach der Finanzkrise nicht zurückgegangen, sondern haben sich gegenüber dem Vergleichszeitraum 2007/2008 mehr als verdoppelt.

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die im "Leaders' statement" von Pittsburgh festgehaltenen Beschlüsse der G20-Regierungschefs zwar potenziell durchaus geeignet erscheinen, mehr Stabilität in die Finanzmärkte zu bringen, aber noch mehr als nur einen Feinschliff brauchen, um Risiken und Nebenwirkungen so gering wie möglich zu halten.

Die europäischen und insbesondere die deutschen Verantwortungsträger aus Politik und Bankenaufsicht haben noch ein gutes Stück Arbeit vor sich, wenn aus dem vorliegenden Rohling ein auf das europäische beziehungsweise deutsche Bankensystem passendes, nutzenstiftendes Regelwerk entstehen soll.

Bedachtsame Entscheidungen erwünscht

Für die Genossenschaftsbanken bleibt zu hoffen, dass man sich ausreichend Zeit nimmt, die kumulierten Auswirkungen all dieser Regelungsbestandteile zu untersuchen, um negative Folgen insbesondere auch für den momentan mehr als sensiblen Bereich der Kreditversorgung der deutschen Wirtschaft zu vermeiden. Es wäre für den deutschen Mittelstand äußerst nachteilig, wenn durch unbedachte Regulierungsmaßnahmen gerade dort, wo die Kreditversorgung noch funktioniert, diese abgewürgt würde.

Bleibt also nur noch der Bundeskanzlerin und den Vertretern im Baseler Ausschuss einen langen Atem und eine glückliche Hand bei der Umsetzung der G20-Beschlüsse zu wünschen. Fußnoten

1) Vgl.: o. V.: G20 billigen strengeres Regelwerk. In Börsenzeitung Nr. 185, 26. September 2009, Seite 5.

2) Vgl.: BVR (Hrsg.): Jährlicher Betriebsvergleich 2008, 19. Mai 2009, Seite 17.

3) Vgl.: Internet: http://www.bundesbank.de/statistik/statistik_zeitreihen.php?open=banken.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X