Gespräch des Tages

Regulierung - Zwischen Vision und Realismus

Am Ende des gerade abgelaufenen Jahres hat sich offensichtlich doch die Vernunft ihren Weg gebahnt beziehungsweise wenigstens die Einsicht auf eine Beschränkung auf das Machbare durchgesetzt. Als die Finanzminister der EU-Länder Mitte Dezember 2012 im Vorfeld des Gipfels der Regierungschefs endlich beschlossen hatten, den Start der gemeinsamen europäischen Bankenaufsicht erst in das Jahr 2014 zu verlegen und auch nur Kreditinstitute mit einer Bilanzsumme von über 30 Milliarden Euro direkt und unmittelbar von einer europäischen Instanz beaufsichtigen zu lassen, war eigentlich allen Beteiligten wie Betroffenen klar, dass damit eine Hängepartie zu Ende ging, die über viele Monate zuweilen jede Spur von Realismus hatte vermissen lassen.

Hätten sich alle Beteiligten die entscheidende Frage über die faktischen Umsetzungsmöglichkeiten für den Start einer zent ralen Bankenaufsicht über alle rund 6 000 europäischen Institute bei der EZB mit angemessenem Bedacht etwas früher gestellt, wären in der immer knapper werdenden Zeit bis zum Jahresende 2012 vermutlich einige eigenartige Stellungnahmen ausgeblieben und einige verbale Peinlichkeiten vermieden worden. Seit den zunächst noch sehr abstrakten politischen Willensbekundungen zur Schaffung einer Bankenunion im Frühjahr 2012 haben einfach zu viele Beteiligte wild durcheinander argumentiert - teilweise ohne auch nur in Ansätzen die rechtlichen Rahmenbedingungen in den einzelnen Ländern im Auge zu haben, geschweige denn die notwendige Flankierung in demokratischen Entscheidungsprozessen auf nationaler Ebene.

Erst im Zuge teils sehr kontroverser Diskussionen haben sich in der Politik, bei den Regulatoren und in der Finanzwirtschaft als die vier tragenden Elemente einer Bankenunion die gemeinsame Fiskalpolitik, die gemeinsame europäische Bankenaufsicht, die Ein lagensicherung und das Single Rule Book herauskristallisiert, wobei bis heute nicht so recht klar geworden ist, ob all diese Elemente gleichzeitig umgesetzt werden sollen beziehungsweise welche Prioritäten zu setzen sind. Trotz einem grundsätz lichen Bekenntnis zur Bankenunion hat es die europäische Politik nicht geschafft, diese Vision in den Köpfen der Bevölkerung zu verankern und mit einem festen Zeitrahmen zu versehen, selbst wenn dieser sich über mehrere Jahre oder auch ein ganzes Jahrzehnt erstrecken sollte. Ein konkreter Fahrplan für die weitere EU-Reform bleibt auf der politischen Agenda 2013.

Dass es diesen realistischen Stufen- und/oder Zeitplan nicht gibt, mag ein wenig an der Neigung der europäischen Politik liegen, Wunschvorstellungen für richtig zu halten wie Gunter Dunkel es im Interview formuliert (Seite 30). Doch der Vorstandsvorsitzende der Nord-LB sieht ebenso wie der Vorstandssprecher der Hypovereinsbank, Theodor Weimer (Seite 38), als noch wesentlicheren Grund die massiven unterschiedlichen Interessenlagen - sei es zwischen den USA und Europa oder auch innerhalb der europäischen Staaten. Auch als Beobachter der Szenerie muss man mit nüchternem Realismus zur Kenntnis nehmen, dass um das angestrebte Level Playing Field auf vielen einzelnen Entscheidungsfeldern immer wieder hart gerungen wird. Und darin wird sich auch im laufenden Jahr nichts ändern.

Als Ergebnis dieser gravierenden Interessenunterschiede wird freilich in Europa und Deutschland die Verunsicherung von Öffentlichkeit und Wirtschaft zum Dauerzustand. Wie bei der Einigung zur europäischen Bankenaufsicht wird man sich weiterhin damit zufriedengeben müssen, wenn die vernunftgetriebenen Fortschritte wenigstens in die richtige Richtung gehen.

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