Leitartikel

Reichen Bochumer Beschwörungen?

"Die besten Reformer sind die, die bei sich selber anfangen! " Dieses alte Zitat von George Bernard Shaw hätte man auch sehr schön als Leitspruch auf die Fahnen und Plakate des Deutschen Sparkassentags 2007 in Bochum schreiben können. Denn hier wird es vielleicht mehr denn je darauf ankommen, die immer mit heterogenen Interessen ausgestattete Gruppe der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute nach außen wie innen als homogene Kraft zu präsentieren und fühlbar zu machen.

Chris de Noose, Chairman des Europäischen Sparkassenverbandes, stellt gleich zu Beginn seines Beitrags auf den folgenden Seiten die Fragen, die Sparkassen wie Landesbanken in Deutschland und Europa im Frühjahr 2007 beschäftigen: Wird die Zukunft von Finanzinstituten allein durch ihre

Größe und ihre Reichweite bestimmt oder haben auch lokal orientierte Banken eine Daseinsberechtigung? Und ist der vielbesungene Shareholder-Value die einzige richtige Größe, mit der Erfolg zu messen ist oder mag es da noch etwas anderes geben? Beide Fragen könnten schnell beantwortet werden. Natürlich gibt es selbst in einer zunehmend globalisierten und technisierten Welt (vielleicht mehr als früher) Raum für lokale Nähe, für Erfolg versprechende Nischen und fokussierte Geschäftskonzepte. Nur weil jemand alles kann, heißt das noch nicht, dass er alles gleich gut kann. "Fair.

Menschlich. Nah. Sparkassen. Gut für Deutschland", so lautet denn ja auch das Motto zum Sparkassentag 2007. Und natürlich kann eine Bank oder Sparkasse mehr Nutzen stiften als allein den Profit der meist ohnehin schon vermögenden (Groß-)Aktionäre weiter zu vermehren. Ihr Beitrag zur sozialen und kulturellen Entwicklung in ihren jeweiligen Heimatkreisen wird gegenwärtig auf jeder Bilanzpressekonferenz eifrigst dargestellt.

Aber wie das bei Sponsoring im weiten wie engen Sinne immer so ist: Wenn darüber geredet werden muss, hat es an Wirkung schon verloren. Und so klingt es auch bei den öf-fentlich-rechtlichen Kreditinstituten mehr wie ein Alibi aus der Erklärungsnot heraus, warum in Zeiten zunehmender Renditenorientierung für ihre Eigentümer nicht genug erwirtschaftet wird. Weil, ja weil doch der Spielmannszug und das Museum und der Kindergarten und, und, und unterstützt werden. Zurück zu Frage 1: Es reicht freilich nicht aus, den berechtigten Diskussionen um größere Einheiten nur mit der Aussicht auf mehr und bessere Geschäfte durch mehr Kundennähe zu begegnen. "Finanzverbünde sind die Gewinner im Markt. Die flächendeckende Kundennähe durch unsere Zusammenarbeit mit den Sparkassen, die individuelle Beratung sowie das maßgeschneiderte Produktangebot sichern unseren weiteren Markterfolg." So formuliert es Christian Badde von der LBS West stellvertretend für so Viele. Das mag für fein aufgestellte und klug gesteuerte Verbundunternehmen zutreffen, nicht aber für die kleine Sparkasse vor Ort. Ihr wird es nur schwer gelingen, das keineswegs auskömmliche Zinsniveau, das eine Fristentransformation nahezu unmöglich macht, durch mehr Provisionsgeschäft auszugleichen.

Denn zum einen fällt es diesen Instituten schwer, für die gezielte Kundenansprache geeignete Mitarbeiter zu finden. Immer noch sind unabhängig vom Produkt 80 Prozent des Geschäftes Bringgeschäfte und lediglich 20 Prozent werden von Mitarbeitern aktiv eingeholt. Zum anderen ist der Kunde schon lange nicht mehr treu. Das Rosinenpicken wird nicht nachlassen, sondern zunehmen: das Girokonto hier, das verzinsliche Tagesgeld dort, den Fondssparplan für die Altersvorsorge da und die Baufinanzierung drüben, ist nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Schätzungen zufolge haben heute schon gut die Hälfte aller Durchschnittsdeutschen zwei oder mehr Bankverbindungen.

Bis zum Jahre 2010 soll der Anteil auf mehr als zwei Drittel steigen. Klar ist: Den Sparkassen fehlt etwas - und zwar wahrnehmbare Einheiten: Sie haben keine Norisbank - jetzt Teambank -, die im Ratenkreditgeschäft der versammelten privaten wie öffentlich-rechtlichen Konkurrenz die Fersen zeigt. Sie haben keine Schwäbisch Hall, die nicht nur Marktführer im Bauspar- und Baufinanzierungsgeschäft in Deutschland ist, sondern zudem einer der wichtigsten Schrittmacher des genossenschaftlichen Verbundes in Sachen Vertriebsoptimierung und dem Zukunftsthema private Altersvorsorge. Sie haben keine R+V Versicherung, die als alleiniger Produktgeber dem genossenschaftlichen Verbund mehr als nur eine Versicherung gegen alle Ungemach des Wettbewerbs ist.

Im Sparkassenlager dagegen gibt es einerseits die sicherlich erfolgreichen Leuchtturmprodukte wie den Sparkassen-Privatkredit. Daneben will sich zum Beispiel aber die ehemalige ABC-Bank, jetzt Readybank, als zentraler Ratenkreditspezialist etablieren. Kann dieses Nebeneinander funktionieren oder muss einer zurückstehen? Ist die Trennung zwischen Filialgeschäft der Institute und Point-of-Sale-Aktion der West LB-Tochter ausreichend wie auskömmlich für beide Seiten? Von einer bundesweiten mobilen Offensive vor allem in den Ballungszentren wie gegenwärtig von den Volks- und Raiffeisenbanken gemeinsam mit Schwäbisch Hall forciert, ist bei den Öffentlich-Rechtlichen nichts zu sehen. Hier wird die Einmischung der mobilen Berater der Spezialisten vielfach immer noch zu sehr als Konkurrenz zum eigenen Geschäft denn als vielmehr nützlicher Beitrag zur ganzheitlichen Befriedigung des Kunden empfunden. Und im Versicherungsgeschäft hat die Konsolidierung gerade erst mühsam begonnen. S-Versicherung gegen Provinzial, Provinzial gegen Provinzial - den Wettbewerb freut´s.

Die Sparkassen haben aber auch etwas: Die Marke ist eine der stärksten der Welt. Allerdings wird es in naher Zukunft darauf ankommen, das Profil zu halten, zu bewahren.

Ist überall Sparkasse drin, wo Sparkasse draufsteht? Was für Inhalte erwartet der Kunde überhaupt? Beispiel Berlin: Würde der Kunde wirklich dauerhaft übel nehmen beziehungsweise zur Konkurrenz wechseln, wenn in der Bundeshauptstadt eine private Sparkasse agieren würde? Hat es dem Image der S-Organisation in der Vergangenheit geschadet, dass es in Frankfurt, Hamburg, Bremen keine Öffentlich-Rechtlichen gab? Nein. Würde dagegen eine Direktbank oder auch Distanzbank unter dem Namen Sparkasse der Marke schaden? Nur dann, wenn zu wenig sprachliche und werbliche Distanz vorhanden wäre. Aber der Klient weiß durchaus zu unterscheiden, ob er nun zur DKB oder der Sparkasse geht, und selbst in Frankfurt wird der Mix aus Frankfurter Sparkasse und 1822 direkt verstanden.

Viel gefährlicher als die Direktbankdiskussion ist das Agieren der früheren Girozentralen geworden. Nach der "Berliner Erklärung" aus dem Herbst 2005 (gibt es die eigentlich noch?), die die Zusammenarbeit innerhalb der S-Finanzgruppe regeln soll, ist es die Aufgabe der Verbundpartner, die individuellen Leistungen der einzelnen Sparkasse mit ihrem Spezialwissen zu unterstützen und zu ergänzen. Nun haben aber die Landesbanken auf der Suche nach neuen Ertragsquellen und der rastlosen Hast nach dem ein oder anderen Fitzelchen besserer Ratingbewertungen das Retailgeschäft für sich entdeckt: nicht immer nur unterstützend und zum Wohl der Vertriebssparkasse, sondern ganz klar eigensinnig für die eigene Bilanz und GuV. Der S-Präsident mahnt zu Recht zu "mehr Gemeinsamkeit", denn hier droht der schleichende Zerfall von innen heraus.

Mehr Zurückhaltung - weniger mit Blick auf die Landesbanken als vielmehr die zahlreichen produktliefernden Verbundunternehmen - gilt sicherlich auch für die schlagkräftigen Vertriebssparkassen, die natürlich den Kunden dauerhaft selbstständig und ganzheitlich an sich binden wollen. Wie gut das Miteinander funktionieren kann, zeigt zum Beispiel die Deutsche Leasing. 2006 stieg das mit den Sparkassen realisierte Neugeschäft um über 30 Prozent. Am gesamten von der Deutsche-Leasing-Gruppe akquirierten Neugeschäft an Mobilien- und Immobilien-Leasing entspricht das aber gerade mal 35 Prozent. Der Rest kommt über den inländischen Direktvertrieb und das Auslandsgeschäft. Das wird von den Ortsbanken klaglos akzeptiert, denn nur so können in diesem natürlich speziellen Fall beide Parteien leben, ohne dass es einer an etwas mangelt. Auch bei den Landesbausparkassen funktioniert die Parallelität von S-Vertrieb und eigenem Außendienst in der Regel geräusch- und problemlos. Denn selbstverständlich hat die Sparkassen-Finanzgruppe ein für alle Beteiligten auskömmliches Kundenpotenzial.

360 000 Beschäftigte stehen bei einer Sparkasse in Lohn und Brot, mehr als 60 Prozent der Bundesbürger haben ein Konto bei einer Sparkasse, 44 Prozent der Unternehmens- und 67 Prozent der Handwerkskredite werden von öffentlichrechtlichen Kreditinstituten ausgelegt und für 46 Prozent der Unternehmen ist die Sparkasse sogar erste Bankverbindung. (Weit her kann es da mit den medial besungenen Mittelstandsoffensiven diverser Großbanken nicht sein.)

Einer solchen Unternehmensgruppe wird nun doch niemand schaden können und wollen, schon gar nicht Politiker gleich ob auf Bundes-, Landes- oder Kommunalebene, sagt der (Irr-)Glaube. Diese Argumentation erinnert auffallend stark an den "too-big-to-fail"-Schutz für Großkonzerne, der nicht uneingeschränkt aber doch abgeleitet gelten kann. Denn auch wenn die Institute in der Regel zu klein sind, um alleine einen Flächenbrand auszulösen, so ist doch jede Sparkassenpleite eine Systempleite, bei der der Haftungsverbund versagt hat. Und wenn das Vertrauen erst erschüttert ist, kann sehr schnell auch das große Ganze zu wanken beginnen.

Um all das geht es in Bochum? Da ist der Präsident gefragt. Doch Heinrich Haasis kann dies. Er ist genug Sparkässler, um die Wünsche und Bedürfnisse der Basis zu hören und zu verstehen. Er ist genug Pragmatiker, um nicht all diesen Wünschen nachzugeben, sondern vielmehr das Machbare zu sehen. Und er ist genug Politiker, um die Koalitionen zu schmieden und Vertraute zu verbinden. Ob es in zehn Jahren immer noch 457 eigenständige Sparkassen, elf Landesbanken, elf Landesbausparkassen, zwölf öffentliche, regionale Erstversicherungsgruppen, die Dekabank sowie zahlreiche Kapitalbeteiligungsgesellschaften und weitere Spezialinstitute unter dem roten S geben wird? Sicherlich und auch hoffentlich nicht. Es wird Veränderungen, Konzentrationen und neue Arbeitsteilungen geben müssen. Doch weder in Bochum noch in Berlin 2007 wird sich das Schicksal der S-Finanzgruppe entscheiden. Denn dieses Schicksal ist nicht "Event"-abhängig. Allein der gewöhnliche Sparkassenalltag prägt es: Menschen im Markt. P. O.

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