Aufsätze

Risikomanagement - Nachholbedarf bei institutionellen Anlegern

Im Spannungsfeld zwischen Rendite- und Risikomanagement gehen deutsche
Investoren auf "Nummer Sicher". Getrieben durch die teils dramatischen
Erfahrungen mit dem Einbruch der Aktienmärkte vor gut fünf Jahren
sowie durch die Vorgaben des regulatorischen Umfeldes verhält sich die
überwiegende Mehrheit heute betont sicherheitsorientiert. 86 Prozent
der institutionellen Anleger, so das Ergebnis einer Studie von Union
Investment zur Investmentkultur institutioneller Anleger in
Deutschland, scheuen das Risiko und präferieren eine sichere Anlage
ihrer Gelder. Ein effizientes Risikomanagement betrachten viele daher
folgerichtig als zentrale Anforderung an ihre Kapitalanlage.
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Risikobewusstsein gefordert
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An diesem Ergebnis ist grundsätzlich nichts auszusetzen. Problematisch
erscheint es allerdings vor dem Hintergrund einer zweiten, aus
derselben Studie resultierenden Erkenntnis. Insbesondere das
grundlegende Risikoverständnis der Investoren ist danach hierzulande
nicht differenziert genug. In der Praxis jedenfalls wird
Risikobewusstsein nur allzu oft mit Risikovermeidung gleichgesetzt.
Mehrheitlich verzichten Investoren darauf, Risiken gezielt und
kontrolliert einzugehen. Ausgeprägte Risikovermeidung geht vor
Performance-Optimierung.
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Dieses Verhalten negiert jedoch den in der Kapitalanlage fundamentalen
Zusammenhang von Rendite und Risiko. Danach wird nur derjenige
Investor langfristig mit höheren Renditen belohnt, der dazu bereit
ist, höhere Risiken einzugehen. Risikomanagement kann vor diesem
Hintergrund also keinesfalls heißen, jedwedes Risiko vollständig zu
vermeiden. Im Gegenteil: Nur über die möglichst vollständige Kenntnis,
Akzeptanz und sachgerechte Steuerung von Risiken können Investoren
ihre Anlageziele dauerhaft erreichen. Oder anders ausgedrückt: Wer
Risiken bei der Kapitalanlage meidet, geht damit das vielleicht größte
Risiko ein - nämlich das, seine Vorgaben nicht optimal oder gar nicht
erreichen zu können.
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Was aber ist Risiko, wie ist es zu steuern, und wie lässt es sich im
Rahmen der Kapitalanlage kontrolliert in eine adjustierte
Risiko-Rendite-Struktur des Gesamtportfolios einpassen? Während der
Begriff der Rendite eindeutig definiert und damit im
Kapitalanlage-Management einfach zu erfassen ist, weist die
entsprechende Definition von Risiko in Wissenschaft und Praxis
gegenwärtig noch eine gewisse Unschärfe auf. Für Abhilfe sorgt vor
diesem Hintergrund eine zweite, ebenfalls von Union Investment in
Auftrag gegebene Detailstudie zum Risikomanagement. Hierin untersuchen
die Autoren (Professor Dr. Bernd Rudolph vom Institut für
Kapitalmarktforschung und Finanzierung der LMU München sowie
Professor.Dr.Lutz Johanning und Christian Funke von der European
Business School in Oestrich-Winkel) den Begriff des Risikos aus dem
Blickwinkel der "Verlust- und Risikopräferenzen institutioneller
Anleger".*
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Unterschied zwischen Risiko- und Verlustaversion
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Bisher bezeichnete Risiko im Kapitalanlagemanagement allgemein die
über eine Wahrscheinlichkeitsverteilung spezifizierte Unsicherheit
bezüglich künftiger Finanzergebnisse. Risiko in diesem Sinne misst
Schadensfälle beziehungsweise Ergebnisschwankungen im normalen
Geschäftsbetrieb (Going Concern). Dieser klassischen Definition von
Risiko stellt die Studie von Rudolph und Johanning nun erstmals eine
weitere, bisher in der Anlagepraxis nur unzureichend berücksichtigte
neue Dimension des Risikos gegenüber: Die Gefahr nämlich, eingegangene
Leistungsversprechen nicht mehr erfüllen zu können. Dieses Risiko
bezieht sich vor allem auf den möglichen Eintritt von
anlegerspezifischen Worst-Case-Verlusten und ist somit von den
Going-Concern-Risiken grundsätzlich zu unterscheiden.
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Institutionelle Kapitalanleger weisen also sowohl eine Risiko- als
auch eine Verlustaversion auf. Diese Unterscheidung ist auch außerhalb
des Elfenbeinturms der Wissenschaft relevant. Denn aus den
unterschiedlichen Risikodimensionen erwachsen in der Praxis nicht nur
differenzierte Risikoprofile mit einer entsprechend differenzierten
Bedeutung des Risikomanagements, sondern vor allem auch
unterschiedliche Anlagestrategien.
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Was dies konkret bedeutet, haben die Autoren der Studie anhand einer
Produktmatrix aufgezeigt (Abbildung 1). Dabei werden drei Stufen der
Risikoaversion (hoch, mittel und gering) sowie drei entsprechende
Stufen der Verlustaversion unterschieden. Insgesamt ergeben sich so
idealtypisch neun unterschiedliche Anlagestrategien, die je nach
Ausprägung der Risiko- und Verlustaversion mit verschiedenen Produkten
unterlegt sind. So wäre beispielsweise für Anleger mit gleichzeitig
hoher Risiko- und Verlustaversion eine Wertsicherungsstrategie mit
hohem Floor zu empfehlen. Das Portfolio würde bei hoher
Diversifikation hauptsächlich in Rentenpapiere investiert sein.
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Selbsteinschätzung der Risikoneigung
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Im Gegensatz dazu wäre für einen Anleger mit gleichzeitig niedriger
Risiko- und Verlustaversion eine aktives Aktienmandat ohne
entsprechende Absicherung zu bevorzugen. Ähnlich lassen sich für die
anderen Segmente idealtypisch entsprechende Produkte benennen.
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Interessant werden diese Erkenntnisse vor allem dann, wenn man die
theoretische Produktkategorisierung vor dem Hintergrund der
Selbsteinschätzung institutioneller Investoren mit deren tatsächlichem
Anlageverhalten vergleicht. Auf diese Weise lassen sich praxisnahe
Aussagen über den Umgang der Anleger mit dem Risiko generieren.
Abbildung 2 zeigt hierzu zunächst deskriptive Ergebnisse zur
Selbsteinschätzung der Risikoneigung. Es ist deutlich zu erkennen,
dass sich ein Großteil der Befragten als sehr sicherheitsorientiert
einschätzt. Dabei sind aber auch klare Branchenunterschiede
auszumachen. So erscheinen Banken und Unternehmen bei ihrer
Kapitalanlage risikofreudiger als Versicherungen und Stiftungen.
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Für die genauere Untersuchung der Befragungsdaten wurde zusätzlich
eine Clusteranalyse vorgenommen, um so Gruppen von Anlegern zu
bestimmen, die in Bezug auf bestimmte Variablen untereinander
möglichst homogen und im Vergleich zu den jeweils anderen Clustern
möglichst heterogen sind. Als Variablen dienten dabei die
Selbsteinschätzung zur Risikoaversion, zur Verlustaversion, zur
Underperformance-Vermeidung sowie zu den Anlagerestriktionen. Das
Ergebnis ergab eine relativ eindeutige Aufteilung der Investoren in
vier verschiedene Gruppen, die sich wie folgt in die Produktmatrix
eingliedern lassen (Abbildung 3).
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Während die Cluster 1 und 2 nahe beieinander liegen und eine hohe
Risikoaversion in Kombination mit einer hohen Verlustaversion
aufweisen, unterscheiden sich die übrigen Cluster hingegen deutlich.
Cluster 3 schätzt sich zwar hoch risikoavers ein, weist allerdings von
allen Clustern die geringste Risikoaversion auf. Cluster 4 ist im
Vergleich mit den anderen Gruppen am wenigsten risikoavers und mit
Blick auf die Verlustaversion im Mittelfeld anzusiedeln.
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Abweichendes Anlageverhalten
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Ob sich Selbsteinschätzung und Umsetzung decken, wurde in einem
weiteren Schritt anhand der tatsächlichen Anlagepolitik der Investoren
überprüft. Folgende Kriterien fanden dabei Berücksichtigung: der
Anteil von Rentenpapieren in Eigenverwaltung, der Anteil aktiver
Investmentphilosophien sowie die Anzahl unterschiedlicher
Anlageklassen.
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Genau wie bei der Selbsteinschätzung ergeben sich auch bei der
tatsächlichen Anlagepraxis vier unterschiedliche Gruppen, die sich in
das Muster der Produktmatrix einordnen lassen (Abbildung 4:
Umsetzungscluster in der Produktmatrix). Cluster 1 repräsentiert die
am meisten risiko- und verlustaversen Firmen, die zu einem hohen
Anteil in Renten investieren, einer passiven Anlagestrategie folgen
und eine hohe Diversifikation aufweisen. Cluster 2 hingegen verfolgt
eine aktivere Investmentphilosophie, bei höherer Diversifikation und
einer geringeren Rentenquote als Cluster 1. Cluster 3 kann man in der
zweiten Zeile der Produktmatrix einordnen, da ein deutlich niedriger
Rentenanteil vorliegt und die anderen Investitionen passiv gemanagt
werden. Auch die unterdurchschnittliche Diversifikation deutet auf
eine niedrigere Risikoaversion hin. Bei Cluster 4 handelt es sich um
die Gruppe von Anlegern mit der höchsten Risikoneigung. Sie
konzentrieren sich auf wenige Assetklassen und managen ihre Portfolios
aktiv.
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Ein einfacher Vergleich der Clusterbildung zur Selbsteinschätzung und
zum Anlageverhalten, lässt sich über eine Kreuztabelle herstellen. In
der Darstellung der Abbildung 5 (Selbsteinschätzung/Umsetzung) sind
alle Felder mit einer theoretisch korrekten Entsprechung der
Clusterzugehörigkeiten dunkel eingefärbt. Dabei wird schnell
erkennbar, dass die tatsächliche Kapitalanlage vieler Investoren mit
deren Einschätzung zum Risiko nicht immer übereinstimmt.
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Schwierigkeiten im sachgerechten Umgang mit dem Risiko
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Es ist zu beobachten, dass diejenigen Investoren, die real umgesetzt
eine relativ niedrige Risikoaversion aufzeigen (Abbildung 5: Cluster 4
in Spalte 4), gemäß ihrer Selbsteinschätzung hauptsächlich zu den
stark risiko- und verlustaversen Clustern 1 und 2 (Zeilen 1 und 2)
oder aber zu dem am stärksten risikoaversen Cluster 3 (Zeile 3)
zählen. Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich einige
Anleger risikoaverser einschätzen, als es in Wirklichkeit ihren
umgesetzten Produkt- und Anlagepräferenzen entspräche.
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Die Tabelle zeigt allerdings auch, dass der umgekehrte Fall möglich
ist. So zeigen Anleger aus dem gemäß der Selbsteinschätzung am
wenigsten risikoaversen Cluster 4 (Zeile 4) ein äußerst risikoaverses
Anlageverhalten durch ihre Zugehörigkeit zu den Clustern 1 und 2 aus
der Umsetzungsanalyse (Spalten 1 und 2). Dies könnte darauf
zurückzuführen sein, dass Firmen aus dem Cluster 4 der
Selbsteinschätzung überdurchschnittliche Restriktionen ausgesetzt sind
und dadurch zu risikoaversen Verhalten "gezwungen" wird. In diesem
Cluster sind vor allem Banken zu finden, die einer Vielzahl externer
Restriktionen (zum Beispiel: Basel II oder Ba-Fin) unterliegen und
diese dementsprechend als interne Restriktion bei der eigenen
Kapitalanlage umsetzen.
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Alles in allem kann man aus der Analyse folgern, dass sich keine
wirklich ähnliche Clusterbildung aus Selbsteinschätzung und
Anlageverhalten ergibt. Es deutet vielmehr einiges darauf hin, dass
ein Teil der Anleger sich risiko- und verlustaverser einschätzt, als
dies in der Realität der Fall ist - und umgekehrt. Institutionelle
Investoren, so die grundsätzliche Erkenntnis, haben nach wie vor
Schwierigkeiten im sachgerechten Umgang mit dem Risiko.
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Renditeeinbußen durch sicherheitsorientierte Restriktionen
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Die Studienergebnisse verdeutlichen darüber hinaus, dass auch
institutionelle Investoren den Grundzusammenhang zwischen den
Anforderungen aus ihrem Geschäftsmodell, dem vorhandenen Verlustbudget
und der Renditen noch nicht ausreichend verinnerlicht haben. Die
Auseinandersetzung mit dem individuellen Risikoverständnis ist aber
unerlässlich. Aus ihr heraus erfolgt die zentrale Weichenstellung für
eine renditepotenzial-orientiertes Risikomanagement. Vermögensberater,
Consultants und Asset Manager sollten Investoren daher bei der
Ableitung der Verlust- und Risikopräferenzen aus ihren spezifischen
Geschäftszielen heraus unterstützen und über geeignete
Mandatsstrukturierungen aufklären. Im Rahmen von
Asset-Allocation-Studien sind zudem die Konsequenzen (Renditeeinbußen)
von Verlust- und Risikopräferenzen sowie der externen und internen
Anlegerestriktionen aufzuzeigen.
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Dass gerade letzterer Punkt nicht zu unterschätzen ist, ergab eine
Ergänzungsuntersuchung von Union Investment zur Frage, welchen
Einfluss zusätzliche Anlagerestriktionen auf das Ergebnis der
Kapitalanlage haben. Um hier Klarheit zu schaffen, wurden aus dem
Bestand bestehender Wert-sicherungs-Mandate (Immuno) zunächst Fonds
mit ähnlichen Verlustbudgets gruppiert und anschließend solche mit der
höchsten und der niedrigsten Performance innerhalb der Gruppen
miteinander verglichen. Das Ergebnis ist eindeutig: In 14 von 16
Gruppen (87,5 Prozent) weist der Per-formance-Spitzenreiter im
Vergleich zum Schlusslicht deutliche liberalere Anlagerestriktionen
auf. Dies äußert sich zum Beispiel durch einen höheren Spielraum bei
der maximal zulässigen Aktienquote. Je nach Umfang der
Anlagerestriktionen konnte die Ergänzungsuntersuchung so
Renditeeinbußen von bis zu 2,3 Prozentpunkten dokumentieren.
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* Die komplette Studie samt ausführlichem wissenschaftlichen Anhang
ist im Internet unter folgender Adresse hinterlegt:
www.union-investment.de/institutional, unter: Informationspool

Alexander Schindler , Mitglied des Vorstands , Union Investment
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