Leitartikel

Risse im Bündnis?

Von der großen Sparkassenfamilie zu sprechen, wie das die Organisation so gerne kultiviert und alle drei Jahre im Umfeld der Sparkassentage geradezu demonstrativ zelebriert, fällt dieser Tage schwer. Denn anders als bei dem jüngsten Gruppentreffen vor gut einem Jahr in Bochum stecken Sparkassen, Landesbanken, Verbundunternehmen und ihre Verbände bei allem grundsätzlichen Bekenntnis der Zusammengehörigkeit momentan noch ein bisschen sichtbarer als üblich, ihre jeweils eigenen Interessen ab. In weiter Auslegung des S-Bündnisses - also einschließlich der öffentlichen Versicherer - stellt sich der Bedarf an gruppeninterner Konfliktbereinigung sogar noch komplizierter dar. Sicht- und hörbar wird das in den letzten Wochen und Monaten in der Positionierung einzelner Gruppenmitglieder nach innen und außen. So sorgen etwa Bemerkungen von und zwischen Landesbankern und/oder Sparkassenmenschen inner- und außerhalb der Organisation für Irritationen. Gibt es also ernsthafte Zerwürfnisse im öffentlich-rechtlichen Lager?

Betrachtet man die Gesamtlage der deutschen Bankenszene, sollte man diese vergleichsweise unharmonische Momentaufnahme der Sparkassenorganisation nicht überbewerten. Sie kann sich ebenso schnell wieder beruhigen. Denn notwendige Klärungsprozesse im Innern der dezentralen S-Gruppe laufen erfahrungsgemäß umso geräuschvoller ab, je weniger akute Angriffe von außen auftreten - sei es durch massiven Druck der privaten Banken auf die hiesige Bankenstruktur, durch Vorgaben auf (europa-)politischer Ebene oder durch kritische Statements zur Zukunftsfähigkeit des öffent-lich-rechtlichen Bankensektors, etwa durch internationale Organisationen, Analysten oder Ratingagenturen. So überraschend das im Zuge der aktuellen Finanzmarktkrise auch klingen mag, all diese Bedrohungen von außen sind zwar nicht gänzlich verschwunden, aber weniger akut als früher.

Trotz der unbestreitbaren Belastungen im deutschen Landesbankensektor durch die Finanzmarktkrise einschließlich der bekannten Stützungsmaßnahmen durch Sparkassen wie auch die öffentliche Hand als deren Eigentümer können jedenfalls die privaten Banken nicht ernsthaft behaupten, dass es in ihrem Sektor eindeutig besser gelaufen wäre - in Deutschland nicht und erst recht nicht in anderen Ländern. Zumindest auf der Primärbankebene hat sich die öffentlichrechtliche Kreditwirtschaft in Deutschland als stabil erwiesen. Mit dem Geschäftsmodell der Marktbearbeitung in der Region, so darf sich DSGV-Präsident Haasis entsprechend selbstbewusst zeigen (siehe Interview in diesem Heft), lassen sich zwar nicht jene Eigenkapitalrenditen erwirtschaften, wie sie die börsennotierten Institute dem Markt in den vergangenen Jahren als Benchmark vorgegeben haben. Aber bei Sparkassen wurden eben anders als bei Landesbanken und vielen anderen Häusern weltweit auch nicht in unvertretbarer Weise die Risiken strukturierter Produkte eingefangen, mit denen Institute in nahezu allen Ländern zu kämpfen haben. Selbst die großen spanischen Banken, die noch im ersten Quartal dieses Jahres mit positiven Ergebnissen überzeugt haben, können ihre Refinanzierungsfähigkeit seit Monaten nicht mehr über die ausgetrockneten regulären Verbriefungsmärkte sichern, sondern sie reichen ihre strukturierten Finanzprodukte der notenbankfähigen höchstrangigen Senior-Tranche im Rahmen der weltweit abgestimmten Zentralbankmaßnahmen in erheblichem Maße an die EZB weiter. Für wirklich gesicherte Urteile über die Folgewirkungen im Zuge der aktuellen Finanzmarktkrise und damit auch die Güte nationaler Bankenstrukturen ist es freilich zu früh. Noch stehen bei den internationalen Organisationen wie auch den diversen Vereinigungen der privaten Kreditwirtschaft vertrauensbildende Maßnahmen zur Stabilisierung der Kapitalmärkte ganz oben auf der Agenda.

Weniger Druck auf den Sparkassensektor kommt derzeit auch von den Ratingagenturen, den Analysten und den selbst ernannten Experten aus den Medien und der einschlägigen Beratungsbranche. Die Überlegenheit ausländischer Bankensysteme an der Eigenkapitalrendite und der Cost Income Ratio der Institute in den verschiedenen Ländern festmachen zu wollen, wie diese Mitspieler der Finanzmarktkommunikation es in den vergangenen Jahren wiederholt getan - beziehungsweise aus Sicht der hiesigen Sparkassenorganisation teilweise ausgekostet - haben, wirkt derzeit jedenfalls kühn. Das gilt aus empirischer Sicht zumindest solange, als die ohnehin umstrittene Aussagekraft von Statistiken und Studien nur auf Zahlen aus dem Jahr 2006 oder allenfalls 2007 zurückgreifen kann. Vornehme Zurückhaltung gibt es nicht zuletzt bei den Ratingagenturen. Denn diese stehen momentan bei Politik und Aufsichtsbehörden weltweit so sehr auf der Watchlist, dass sie kaum unnötige Konfliktfelder auf unsicherem Terrain aufbauen werden. Kurzum: Bei nahezu jeder Analyse der Finanzmarktturbulenzen im Inland tauchen zwar auch Landesbanken als Sündenbock auf. Aber solange die Krise anhält und keine wirklich belastbaren Zahlen und Wertungen etwa aus Forschungsergebnissen der Notenbanken und/oder der amtlichen Statistik vorliegen, hat die deutsche Sparkassenorganisation ein Zeitfenster zur Aufarbeitung der Lage und Gestaltung der Zukunftsausrichtung in den eigenen Reihen.

Ein gewisser Druck auf die zügige Inangriffnahme einer Konsolidierung im Landesbankenbereich wie er etwa von den Beihilfeprüfungen der EU-Kommission in Sachen LBBW/Sachsen-LB sowie der Begleitung der Zweckgesellschaften der WestLB und Bayern-LB ausgeht, dürfte zumindest weiten Teilen der Sparkassenbasis sogar willkommen sein. Denn der Sache nach ist die Notwendigkeit einer Bereinigung des Landesbankensektors auf Primärebene bundesweit klar erkannt und wird seit Monaten entsprechend deutlich artikuliert. Kontrovers diskutiert werden innerhalb der Organisation lediglich der konkrete Weg dahin und vielleicht auch die Geschwindigkeit der Umsetzung. Dabei legt der DSGV-Präsident im Redaktionsgespräch zwar größten Wert darauf, die "Verdichtung von Kapazitäten" im Landesbankenbereich nicht als "intelligenzloses Zusammenschieben durch Fusionen" zu verstehen und erst recht nicht als Konfliktlinie zwischen Sparkassen und Landesbanken zu deuten. Doch mit Blick auf die Dringlichkeit des Projektes mahnt er gleichzeitig an, "in der Phase der Aufarbeitung der Turbulenzen, schon die Basis für neue Strukturen zu legen". Auch inhaltlich formuliert er einige Eckpunkte für die Vorstellungen der Sparkassenseite. Anfreunden kann er sich etwa mit der Fortentwicklung der Landesbanken - wie viele auch verbleiben mögen - als Spezialinstitute. Die Landesbank Berlin Holding als Kern einer Konsolidierung schließt er dabei ausdrücklich aus, kann sich aber sehr wohl eines Tages einige ihrer Bestandteile in neuer Konstellation vorstellen. Eng mit der Konstruktion des Haftungsverbundes verknüpft und damit in der praktischen Relevanz faktisch begrenzt, sieht er schließlich die Hereinnahme privaten Kapitals.

Dass der deutsche Sparkassenpräsident heute im Meinungsbildungsprozess der Gruppe solch gestalterische Positionen formuliert und einer gemeinsam oder auch nur mehrheitlich gefundenen Richtung zur Umsetzung verhelfen will, unterstreicht den in den vergangenen zwanzig Jahren sichtbaren Machtzuwachs im Amt. Als der frühere DSGV-Präsident Helmut Geiger, der dieser Tage seinen achtzigsten Geburtstag feiert, Ende der achtziger Jahre das legendäre McKinsey-Gutachten in Auftrag gab, scheiterte er noch auf ganzer Linie mit der Umsetzung der dort verankerten Gedanken einer Bündelung der Landesbankenkräfte in einem Haus. Drei Amtsträger später hütet sich Heinrich Haasis zwar ebenfalls davor, seiner Organisation allzu konkret den Weg der Konsolidierung vorzuschreiben. Und er lässt klugerweise auch offen, wie viele Landesbanken er für wünschenswert hält. Aber dank der schon unter seinen Vorgängern verankerten strategischen Zuständigkeit für die Gesamtgruppe hat er im Zuge der Finanzmarktkrise doch deutlich höhere Erfolgsaussichten für das Ziel von Fusionen einschließlich einer gleichzeitigen Reduktion von Risikoaktiva. Durchaus selbstbewusst lässt er dabei keinen Zweifel daran, dem gemeinsamen Ganzen zur Umsetzung verhelfen zu wollen - gegebenenfalls auch gegen nachvollziehbare Einzelinteressen.

Dass just diese Gemengelage von wünschbaren Anliegen der verschiedenen S-Gruppierungen im Innern mangels wirklicher Anfeindung von Außen offen in der Öffentlichkeit ausgetragen wird, lässt die Sparkassenorganisation wieder einmal als besonders streitsüchtig erscheinen. Fast täglich finden sich in den Medien höchst anschauliche Beispiele für das gruppeninterne Positionsgerangel. So sucht die Landespolitik in Nordrhein-Westfalen beim Referentenentwurf zur Novelle des dortigen Sparkassengesetzes durch die optionale Einführung von Trägerkapital und der gesetzlichen Festschreibung der Zusammenarbeit zwischen Sparkassen und WestLB allem Anschein nach weiter den Konflikt mit der Sparkassenbasis. Sie lässt damit einmal mehr Zweifel aufkommen, ob sie wirklich ihre Lektion aus ihrer fragwürdigen Rolle bei der Neupositionierung der WestLB gelernt hat.

In Hessen wertete der noch bis September amtierende Vorstandsvorsitzende der Helaba die deutliche Haltung des DSGV in der Frage der Landesbankenkonsolidierung kürzlich als geschäftsschädigend für sein Haus und die ganze Gruppe der Landesbanken, was den Bundesobmann der deutschen Sparkassenvorstände prompt zu einer Gegenreaktion veranlasste. Letzterer verteidigt ausdrücklich die DSGV-Positionen nach Fusionen bei den Landesbanken und einem Abbau von Risikoaktiva als "einheitliche Auffassung der deutschen Sparkassenvorstände" und mahnt gleichzeitig eine loyale Unterstützung dieser erklärten Sparkassenlinie durch die Landesbanken an. Auch einige der verbalen Parteinahmen zur Sache sind Ausdruck handfester Interessen. So ist es nicht sonderlich überraschend, dass der VÖB in diesen Fragen eher zur Landesbankenseite tendiert und in Kreisen der bayerischen Sparkassen die Tragfähigkeit des hessisch/thüringischen Stand-Alone-Modells eher zurückhaltend bewertet wird. Im ersten Fall muss der Verband schlicht und einfach um einen wichtigen Teil seiner Mitgliedsbanken fürchten, und in Bayern will man möglicherweise auf Dauer lieber auf einer breiten Südschiene paktieren.

Heinrich Haasis und der DSGV sind also mitten drin in der Strategiediskussion der S-Gruppe. Themen wie die Inflationsbekämpfung und die Einlagensicherung (siehe Beiträge von Joachim Starbatty und Manfred Weber), die für Helmut Geiger noch eine sehr wichtige Rolle spielten und bis heute sein Bild in der Öffentlichkeit prägen, sind hingegen in den Hintergrund gerückt. So hat der heutige DSGV-Präsident zwar Ende Mai die Arbeit der Europäischen Zentralbank zum zehnjährigen Bestehen gelobt und ausdrücklich deren Geldpolitik gewürdigt. In der Sache liegt die Begleitung dieser Sachdisziplin in der Sparkassenorganisation wie bei den anderen Bankenverbänden aber bei den volkswirtschaftlichen Abteilungen. Durch die stärkere Verflechtung der Weltwirtschaft und den Übergang der Verantwortung der Geldpolitik auf die EZB sind die Dinge auch da einfach komplexer geworden. Freilich war die Geldwertstabilität im Zuge der disziplinierten Wirtschaftspolitik bis zur Einführung des Euros und der bisherigen Arbeit der EZB auch kein wahres Thema für öffentlichkeitswirksame Verbandspolitik. Angesichts der jüngsten Preisentwicklungen ist der Präsident der deutschen Sparkassenorganisation demnächst aber vielleicht wieder persönlich als Anwalt der Geldwertstabilität gefordert. Mo.

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