Aufsätze

Die Rolle und Bedeutung der Medien für den Kapitalmarkt

"Dem kleinen Capitalisten stehen jene Verbindungen mit einflussreichen Persönlichkeiten, jene blitzschnellen Mittheilungen verlässlicher Correspondenten und Associes auf allen Punkten des Erdballes nicht zu Gebote, wie den Männern, die über Millionen gebieten. Er ist darauf angewiesen, in Zeitungsblättern Belehrung zu suchen." (Erstausgabe der Berliner Börsen-Zeitung vom 1. Juli 1855) Informationen sind der Sauerstoff im Blutkreislauf der Kapitalmärkte. Märkte, die nicht mehr mit Informationen versorgt werden, trocknen aus und sterben ab. Eine wichtige Rolle im Informationstransport zu den Märkten, in der Flut der Informationen, die rund um die Uhr auf Marktteilnehmer einströmen, spielen die Medien. Es ist eine mehrfache Rolle: Sie sind Gatekeeper, Transporteur, Verstärker, Filter und Interpret dieser Informationen. Sie haben nicht nur die Funktion eines Intermediärs zwischen den Primärquellen wie beispielsweise den Emittenten und den Marktteilnehmern, sondern auch zwischen den Marktteilnehmern selbst. Ergebnis gezielten Handelns Nach der neoklassischen Kapitalmarkttheorie, in der Transparenz und Informationseffizienz unterstellt werden, dürften Medien keinen Einfluss auf den Kapitalmarkt haben. Doch die Kapitalmarktwirklichkeit zeigt auch hier ein völlig anderes Bild. Marktteilnehmer handeln nicht nur auf Basis reiner Informationen, sondern werden in ihren Entscheidungen von Erwartungen und Einschätzungen Dritter beeinflusst. Die neuen, elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten haben zwar einerseits für die Allgegenwärtigkeit von Informationen durch die Medien gesorgt und deren traditionelle Rolle als Gatekeeper geschwächt. Andererseits gehört zur Zielsetzung der Medien die Vermittlung von Informationsvorsprüngen und somit am Kapitalmarkt die Möglichkeit zur Arbitrage. Damit ist also der Einfluss von Medien auf den Kapitalmarkt kein Zufallsprodukt, sondern Ergebnis gezielten Handelns, zum einen auf der Seite der Informationsanbieter und zum anderen auf der Seite der Informationsnachfrager. Einfluss der "sozialen Medien" "Die Medien" sind ein weiter Begriff, der sich laufend verändert und erweitert. Insbesondere Internet und mobile Kommunikation mit den sogenannten "sozialen Medien" wie Facebook oder Twitter haben dank ihrer Reichweite und ihrer Multiplikatoreffekte erheblichen Einfluss auch auf die Kapitalmärkte. Gerade die "sozialen Medien" sind geeignet, den inhärenten Herdentrieb der Marktteilnehmer noch zu verstärken und durch die Verbreitungsgeschwindigkeit von Informationen die Volatilität der Märkte zu erhöhen. Allerdings treten in der elektronischen Kommunikation mit Blick auf die Marktbeeinflussung zunehmend Primärquellen in Konkurrenz zu den Medien als klassischer Sekundärquelle. Man denke an die Ad-hoc-Publizität der Emittenten oder an die Kommunikation von Institutionen wie den Notenbanken oder den Ratingagenturen, die mit ihren Entscheidungen die Märkte bewegen. Die Medien übernehmen dabei die Rolle des Transporteurs der Information. Sie haben insofern auch im Zeitalter der elektronischen Kommunikation ihre Bedeutung, weil sie die Verbindung zu den potenziellen und tatsächlichen Marktteilnehmern herstellen. Hohe Bedeutung klassischer Printmedien für Privatanleger Eine besonders große Rolle spielen die elektronischen Medien bei den kurzfristig orientierten Marktteilnehmern, insbesondere Daytradern. Das gilt einerseits für den Zeitaspekt, andererseits für die in einschlägigen Internetforen und in sozialen Medien verbreiteten Gerüchte und Spekulationen. Die Halbwertszeit vieler dieser Informationen ist allerdings gering und findet dann auch selten Eingang in andere Medien wie Zeitungen und Zeitschriften. Gleichwohl sollen im Folgenden die traditionellen Medien wie Print und Nachrichtenagenturen im Zentrum der Betrachtung stehen. Denn diese Medien dominieren nach wie vor die Informationsversorgung aus Sekundärquellen. Vor allem aber geht ihre Bedeutung weit über die kurzfristige Beeinflussung einzelner Märkte für Assetklassen und Wertpapiere hinaus. Sie sind in der Lage, die Strukturen und Funktionsweise des Kapitalmarktes zu hinterfragen und damit zu verändern. Vor allem Privatanleger messen den klassischen Printmedien hohe Bedeutung zu und bringen ihnen großes Vertrauen entgegen. In ihrer Anlegerstudie 2012 kam die Universität Leipzig, Abteilung Kommunikationsmanagement und Public Relations, zu dem Ergebnis, dass Zeitungen und Zeitschriften die mit Abstand am häufigsten genutzten Informationsquellen von Privatanlegern sind. Im Internet dagegen bevorzugen Privatanleger kostenfreie Informationsportale und Anlegerforen. Diese Portale lägen hinsichtlich Nutzung, Glaubwürdigkeit der Quelle und Qualität der Information sogar vor kostenpflichtigen professionellen Angeboten wie Bloomberg und Reuters, so das Ergebnis der Studie. Es spricht viel für die Annahme, dass es sich mit der Wertschätzung bei den institutionellen Anlegern, die nicht Untersuchungsgegenstand der Studie waren, genau umgekehrt verhält. Wechselwirkung zwischen Medien und Marktakteuren Soziale Medien spielen bei der Informationsbeschaffung für Privatanleger laut der Studie noch eine untergeordnete Rolle, was jedoch auch mit der Altersstruktur der Erhebung begründet wird. Auch für professionelle Investoren dürfte die Relevanz sozialer Medien begrenzt sein und nur in Ausnahmefällen eine Bedeutung für die Kapitalmärkte erhalten, zum Beispiel im Falle sogenannter Shitstorms hinsichtlich einzelner Unternehmen und Emittenten. Selbst beim jüngst erfolgten Börsengang des sozialen Mediums Facebook war es die Berichterstattung und Kommentierung in den traditionellen Medien, die erst für den Hype und anschließend für die Ernüchterung gesorgt haben, indem sie investigativ über die handwerklichen Fehler und Manipulationsversuche der am IPO beteiligten Parteien berichtet haben. Während man aus dem Bereich der Politik die Agenda-Setting-Funktion der Medien schon lange kennt und vielfältig untersucht hat, ist dieses Phänomen mit Blick auf die Kapitalmärkte noch relativ neu. Hier wirken Medien, indem sie durch das Setzen thematischer Schwerpunkte und durch die Auswahl der Informationen die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit maßgeblich beeinflussen. Beispiel Staatsschuldenkrise Deutlich in Erscheinung getreten ist dies mit der Finanzkrise und der Staatsschuldenkrise in Euroland. Die an eine Kampagne erinnernde Berichterstattung und Kommentierung zum angeblich bevorstehenden Auseinanderbrechen Eurolands in vielen angelsächsischen Medien hat erheblichen Einfluss auf die Kapitalmärkte gehabt, wie umgekehrt vermutlich einige Spieler am Kapitalmarkt (Hedgefonds und Investmentbanken) ihre eigene Agenda durch gezielte Informationen an Medien unterstützt haben. Hierzulande war die zugespitzte Berichterstattung über Griechenland im deutschen "Leitmedium" Bild-Zeitung Auslöser für eine Flut ähnlicher Berichte in anderen Medien und dürfte erheblich zum Vertrauensverlust des Landes an den Kapitalmärkten beigetragen haben. Die Wirkung der Medien auf die Kapitalmärkte ist in jenen Fällen, in denen es sich um politische Ereignisse und deren Behandlung in den Medien handelt, leicht nachzuvollziehen. Denn hier kommen zusätzliche Phänomene der Beeinflussung durch die Medien zum Tragen. So ist bekannt, dass Unterhaltung in den Medien einen immer größeren Stellenwert einnimmt und vom Medienpublikum auch nachgefragt wird. Damit rückt neben den Informationsgehalt der Unterhaltungswert der Berichterstattung. Dem haben viele Medien beim erwähnten Beispiel Griechenland entsprochen, indem aufsehenerregende und dreiste Einzelbeispiele etwa von Steuerhinterziehung, Korruption, Missmanagement, Kapitalflucht in Griechenland geschildert wurden, die es in ähnlicher Form auch in jedem anderen Land der Eurozone geben dürfte. Bekannt ist außerdem, dass die Beeinflussung des Medienpublikums zunimmt, wenn ähnliche Informationen von einer Vielzahl unterschiedlicher Medien und Publikationen verbreitet werden, wie das im Falle Griechenlands durch die Bild-Zeitung und die Folgeberichte in anderen Blättern der Fall war. Tendenz zur positiven Behandlung von Unternehmen Weniger offensichtlich ist die Beeinflussung der Märkte durch die Medien in der Wirtschaftsberichterstattung im engeren Sinn, beispielsweise in der Unternehmensberichterstattung. In empirischen Untersuchungen wurde belegt, dass auch hier Medien ihre Berichterstattung an den Wünschen des Publikums sprich der Zielgruppe ausrichten und dafür wohl auch ihre Neutralität hintanstellen. Da Leser beispielsweise positive Nachrichten über jene Unternehmen goutieren, von denen sie Aktien besitzen, führt dies tendenziell zu mehr positiven als negativen Berichten über einzelne Unternehmen, und zwar selbst in Medien, die sonst eher kritisch und mit eher negativem Zungenschlag über die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung berichten. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an die Medienberichterstattung über den Neuen Markt, als bestimmte Zeitschriften und Börsendienste fast nur Kaufempfehlungen verbreiteten und Aktien mancher Unternehmen hochjubelten, da sich diese Geschichten wesentlich besser verkauften und die Auflage steigerten als kritische Berichte oder gar Verkaufsempfehlungen. Wettlauf der Zuspitzung Aber auch unabhängig von solchen Boomphasen und ihren medial unterstützten Übertreibungen gibt es eine empirisch nachgewiesene Tendenz zur positiven Behandlung von Unternehmen. Sie dürfte auf das Abhängigkeitsverhältnis der Journalisten von ihren Informationsquellen zurückzuführen sein. So jedenfalls ließe sich erklären, dass die positive Berichterstattung in den Medien mit der Unternehmensgröße negativ korreliert ist, also je kleiner das Unternehmen, desto positiver die Medienbeurteilung. Denn je kleiner das Unternehmen, desto weniger unabhängige Informationsquellen stehen zur Verfügung beziehungsweise desto abhängiger ist der Journalist von den Informationen durch das Unternehmen selbst beziehungsweise den Emittenten. Da der Wettbewerb zwischen den Medien und damit auch unter den Journalisten seit Jahren zunimmt, wächst für die Unternehmen die Möglichkeit, im Falle negativer Berichterstattung einzelne Medien vom Informationszugang auszuschließen. Tatsächlich hat eine empirische Auswertung der Berichterstattung über Dax-, MDax- und SDax-Unternehmen ergeben, dass über die Dax-Unternehmen relativ ausgewogen berichtet wurde, während bei MDax- und SDax-Werten die positive Berichterstattung überwog. Zunehmende Versuche zur Instrumentalisierung von Medien Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Medien erstens eine immer wichtigere Rolle für den Kapitalmarkt spielen und zweitens die Versuche zunehmen, Medien für Kapitalmarktzwecke zu instrumentalisieren, beziehungsweise die Bereitschaft mancher Medien gewachsen ist, sich instrumentalisieren zu lassen. Die faktenorientierte Berichterstattung in den Printmedien weicht zunehmend einer meinungs- und unterhaltungsorientierten Präsentation von Themen, die Spiegelung tagesaktueller Ereignisse weicht dem Agenda-Setting und der magazinigen Aufbereitung von Themen. Der Kampf der Medien um Wahrnehmung (und Auflage beziehungsweise Clicks) hat zu einem Wettlauf der Zuspitzung, der Skandalisierung und der Dehnung von Wahrheit geführt, die im Bereich der Wirtschafts- und Finanzthemen auch die Kapitalmärkte tangiert. Zu den zweifelhaften Auswüchsen dieser Entwicklung gehört beispielsweise, dass Mitarbeiter von Medien, insbesondere Journalisten von Nachrichtenagenturen, daran gemessen und entsprechend incentiviert werden, inwieweit sie mit "ihren" Meldungen in der Lage sind, die Märkte zu bewegen. Wer sich Gedanken über die Integrität der Märkte und die Regulierung der Märkte macht, um Marktversagen oder gar Marktmissbrauch vorzubeugen, kommt nicht umhin, sich auch Gedanken über die Rolle der Medien, über Medienmacht und Qualitätsjournalismus zu machen. "Ein Finanzplatz von Format ist nicht denkbar ohne eine Finanzpresse von Format" - so lautet eine von der (Frankfurter) Börsen-Zeitung seit vielen Jahren vertretene These. Sie hat mehr denn je Berechtigung.

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