Schwerpunkt

Smarte Wahl der Benchmark und erfolgreiches Portfoliomanagement

Kapitalanlage unterliegt praktisch immer einer strikten Zweckbindung, oder, in der Sprache der Bilanzierung ausgedrückt, steht in einem Aktiv-Passiv-Zusammenhang. Für den Privatanleger kann sich die Passivseite beispielsweise als angestrebter zukünftiger Konsum oder Ersatz von fehlendem Arbeitseinkommen im Alter darstellen, für den institutionellen Investor ist die Passivseite regelmäßig vertraglich zum Beispiel in Form von Versicherungsleistungen oder Altersvorsorgezusagen definiert. Für fast keinen Anleger besteht die Herausforderung in der Kapitalanlage darin, einen Börsenindex zu schlagen. Die im eigentlichen Sinne korrekte Benchmark (im Sinne der Mindestzielerfüllung) besteht darin, den eingegangenen Verpflichtungen nachzukommen. Die Ansätze des Liability-Driven-Investing greifen diesen Gedanken auf.

Große Bedeutung von Börsenindizes

Trotzdem haben Börsenindizes im Tagesgeschäft der Vermögensanlage - gerade auch für institutionelle Anleger - eine sehr große Bedeutung. Ihre Verteilungsparameter (etwa erwarteter Return, Risikokennzahlen) gehen in die Modellierungen zur strategischen Asset Allocation im Rahmen des Asset-Liability-Managements ein, sie dienen oft als Benchmarks, gegen die die Leistungen von Portfoliomanagern gemessen werden, und in zunehmenden Maße beeinflussen sie auch das Produkt-Design, wie zum Beispiel bei Exchange Traded Funds.1)

Sogenannte Alternative-Beta-Strategien und aktives Portfoliomanagement in Form des "Unconstrained Investing" bereichern seit einiger Zeit die Aktiv-Passiv-Debatte. Die Frage "Lohnt sich aktives Portfoliomanagement?" wird dadurch differenzierter betrachtet. Für den Anleger ist es damit aber nicht leichter geworden, den Überblick zu bewahren. Im Folgenden soll diese Thematik unter Anlage- und Steuerungssowie Kontrollaspekten beleuchtet werden.

Sinn und Unsinn der Indexorientierung

Marktwertgewichtete Indizes messen den Vermögenszuwachs des Indexuniversums (zum Beispiel europäische Aktien) innerhalb einer Periode. Der Vermögenszuwachs aller Anlagestrategien, die das gleiche Indexuniversum adressieren, muss (vor Kosten) zwangsweise der Performance des Indexes entsprechen. Damit ist eine solche indexreplizierende Anlagestrategie die einzige, die gleichzeitig von allen Anlegern umgesetzt werden könnte. Das heißt jedoch nicht, dass sie unter irgendeinem Optimalitätskriterium für den Anleger die beste ist. Ganz im Gegenteil zeigt sich bei fast allen gängigen Börsenindizes, dass sie relativ ineffizient sind: Es können viele andere Portfolios bestehend aus den gleichen Indexkomponenten (Aktien) gebildet werden, die einen höheren erwarteten Return und ein geringeres Risiko aufweisen.

Dennoch haben Asset Manager vor geraumer Zeit begonnen, ihre Anlagestrategien im Hinblick auf Börsenindizes zu definieren und den Anlageerfolg gegen diese zu messen. Immer wieder zeigen aber empirische Untersuchungen, dass es aktiven Managern offenbar schwerfällt, mittel- und langfristig nach Kosten den relevanten Index zu schlagen. Jüngere Studien bestätigen dies einerseits, zeigen aber andererseits auch ein sehr viel differenzierteres Bild.2)

Danach gibt es eine relativ hohe Erfolgswahrscheinlichkeit im Sinne einer Outperformance für sogenannte "Stock Picking"-Strategien, die in erster Linie aktienspezifische Risiken adressieren und Faktorrisiken (zum Beispiel Branchenrisiken) weitgehend neutralisieren, also auf Indexniveau halten. Solche Stock-Picking-Ansätze weisen in der Regel relativ starke Abweichungen des Portfolios vom Index auf der Einzeltitelebene auf (hoher sogenannter "Active Share"). Ihr Abweichungsrisiko, ausgedrückt als Tracking Error (also Volatilität der Differenzreturns zwischen Portfolio und Index), ist dagegen meist unterdurchschnittlich.

Traditional Beta - eigentlich seit Langem überholt

Aus der Not der aktiven Manager den Index zu schlagen, haben die Anbieter börsenindexorientierter passiver Fonds eine Tugend gemacht, indem sie voll- oder teilreplizierend oder auch derivativ den Index und damit auch seine Wertentwicklung (nach Kosten) abbilden. Da auf den realen Kapitalmärkten ein Indexportfolio nicht kostenfrei gekauft werden kann, erfüllen diese passiven Produkte eine wichtige Funktion, indem sie mit ihrer Gesamtkostenquote dem Anleger einen guten Anhaltspunkt für die Kosten des Marktzugangs bieten.

Unter dem Aspekt der Allokationseffizienz sind aber die meisten börsenindexorientierten passiven Ansätze - im heutigen Sprachgebrauch oftmals subsummiert unter dem Begriff Traditional Beta - eigentlich seit längerer Zeit überholt. Erstens bilden sie oftmals ineffiziente Portfolios ab. Zweitens richten sich die verwendeten Indizes oft nach dem "Belegenheitskriterium" der Börsennotiz beziehungsweise dem Sitz der Aktiengesellschaften aus, was, wie empirische Untersuchungen zeigen, kein signifikant bewertungsrelevantes Risikomerkmal darstellt. Im Rahmen der Globalisierung der Weltwirtschaft und der zunehmenden Integration der Kapitalmärkte haben Länderfaktoren zugunsten anderer Faktoren, wie zum Beispiel Branchen, stark an Bedeutung verloren.

Wie aus Alpha Beta wurde

Auch die im Rahmen von Bewertungskonzepten der modernen Finanzierungstheorie, wie zum Beispiel dem Capital-Asset-Pricing-Modell (CAPM), vorgebrachten Begründungen für Anlagen in etablierte marktwertgewichtete Indizes sind eher einem Missverständnis dieser Modelle geschuldet. Das CAPM referenziert auf ein (praktisch nicht messbares) allumfassendes, globales Vermögensaggregat (das sogenannte Marktportfolio) und nicht auf ein kleines Teilaggregat aller Anlagemöglichkeiten in Form eines Börsenindexes. Dieses Missverständnis führt auch regelmäßig zu einer Verwechslung des Beta-Faktors des CAPM mit dem Beta-Faktor von Zeitreihen- und Risikoanalysemodellen wie dem Sharpe'schen Ein-Index-Modell.3)

Die Indexmodelle im Allgemeinen waren dann auch bereits in den späten siebziger Jahren der Ausgangspunkt für sehr differenzierte ökonometrische Risikoanalysen von Aktienportfolios. Ein erstes Ziel dieser Studien war es, herauszufinden, ob die Returns von Aktien in einer Zeitreihenbetrachtung durch eine begrenzte Anzahl ökonomisch fundierter Faktoren (Hauptreturnkomponenten) erklärt werden können, und ob zweitens in einer Querschnittbetrachtung über viele Aktien hinweg für diese Risikofaktoren am Markt im Mittel eine Risikoprämie erzielt werden kann. Das sogenannte Arbitrage-Pricing-Modell der Kapitalmarkttheorie bot die theoretische Basis für diese Vorgehensweise. Beide Fragen konnten im Wesentlichen positiv beantwortet werden, wenngleich sich auch zeigte, dass sowohl die Faktoren selbst als auch die mit ihnen verknüpften Risikoprämien erheblichen Variationen im Zeitablauf unterworfen waren.

Die Mehrfaktorenmodelle waren und sind auch einer der wichtigsten Methodenbausteine quantitativer Investmentprozesse. Sie haben darüber hinaus auch wesentlich zum Verständnis der originären Anlageleistung im Portfoliomanagement über Markt- oder Faktoreneffekte hinaus - dem sogenannten Alpha - beigetragen. Umgangssprachlich hat Alpha den Begriff der Outperformance verdrängt, seine eigentliche Bedeutung ist allerdings anspruchsvoller. Gemeint ist damit die residuale Performance, die sich nach Abzug der risikoadäquaten Performance, also des Teils der Wertentwicklung, die der Übernahme systematischer Risiken durch den Portfoliomanager geschuldet ist, ergibt. Die tiefere empirische Durchdringung der Kapitalmärkte hat zu einer Identifikation weiterer systematischer Faktoren geführt und damit tendenziell das Angebot an Alpha schrumpfen lassen: aus Alpha wurde \&{H9252};.

Alternative-Beta-Ansätze

Alternative-Beta-Ansätze machen sich die se Erkenntnisse zunutzen, indem sie entweder direkt einzelne risikoprämientragende systematische Faktoren im Portfolio adressieren (zum Beispiel Quality, Value oder eine hohe Dividendenrendite) oder in Form einer "Portfolio of Portfolios"-Lösung mehrere Faktorrisiken kombinieren, um damit dem Anleger die Timing-Entscheidung bezüglich der gerade opportunen Faktoren abzunehmen.

Darüber hinaus gibt es Ansätze, die - vermutlich initiiert durch die widersprüchlichen Ergebnisse der empirischen Überprüfung von Return-Risiko-Zusammenhängen wie dem CAPM - direkt bestimmte Risikostatistiken wie "Minimale Volatilität" oder "Maximale Diversifikation" als Ziel der Portfoliokons truktion verfolgen. Dazu zu zählen sind auch einfache Heuristiken wie zum Beispiel gleichgewichtete Portfolios. Diese Ansätze müssen mittlerweile als wissenschaftlich empirisch untermauert betrachtet werden, wobei eine wichtige Erkenntnis wohl darin besteht, dass ein Teil der Überperformance gegenüber Traditional-Beta-Strategien sogenannten Rebalancing-Gewinnen zuzuschreiben ist, die dadurch entstehen, dass systematisch Aktien mit guter und strategiegerechter Performance "nach oben" aus dem Portfolio he rausfallen und durch "frische" Titel ersetzt werden.4)

Gemeinsames Merkmal fast aller Alternative-Beta-Ansätze ist, dass sie gewissermaßen in "abgepackter" Form, das heißt, als Exchange Traded Funds oder als Derivat, angeboten werden. Es ist leicht vorstellbar, dass die Versuchung groß ist, durch eigenes Research proprietäre "performende" Risikofaktoren zu identifizieren, um diese Portfolios dann zu vermarkten. Erkenntnisse aus anderen Teilen der Wirtschaft, wie zum Beispiel der Pharmazie, sollten Anleger aber wachsam werden lassen, wenn es um die direkte und gegebenenfalls hochprofitable Zweckbindung von Research geht.5) Empirisch auch noch nicht ausreichend untersucht ist die Frage, wie hoch die Kapazität der Alternative-Beta-Strategien ist, das heißt, ab welchen aggregierten Anlagevolumina es zu einer "Self Fulfilling Destruction" kommt.6)

Aktives Management hat in den letzten 60 Jahren bereits mehrere Evolutionsstufen durchlaufen. Anfänglich hochkonzentrierte Portfolios wurden mit dem Eindringen der Markowitzschen Portfoliotheorie (die überhaupt erst den gedanklichen Sprung von der strikten Einzeltitelbetrachtung auf die Portfolioebene ermöglicht hat) zunehmend breiter diversifiziert und marktähnlicher, will heißen börsenindexähnlicher.

Für viele Anleger war und ist dieser Schritt bis heute nicht recht verständlich, das "Index Hugging", das heißt das nur moderate Abweichen von der Benchmark, bei dem viele Titel nur deshalb im Portfolio gehalten werden, um das Abweichungsrisiko in Maßen zu halten, stößt zunehmend auf Ablehnung. Der Portfoliomanager beginnt mit der Portfoliokonstruktion bei einem (meist) ineffizienten Index, fokussiert sich zu stark auf das Abweichungsrisiko, trifft dann in der Folge zu wenig ausgeprägte Anlageentscheidungen, die es dann wiederum unmöglich machen, in einer Nachkostenbetrachtung den Index zu übertreffen. Anleger erwarten vom aktiven Management im Wesentlichen zwei Dinge, nämlich, dass Anlageentscheidungen informiert gefällt werden und dass sie pointiert im Portfolio umgesetzt werden. Das Risiko einer Aktie (zum Beispiel die Volatilität) ist keine Naturkonstante und auch nicht für alle Anleger oder Portfoliomanager gleich. Je besser ein Portfoliomanager beispielsweise auf der Grundlage von rigorosem Unternehmensresearch in der Lage ist, die Differenz zwischen Preis und Wert einer Aktie zu bestimmen, umso weniger riskant ist dieser Titel ceteris paribus für ihn.7)

Ansätze des "Unconstrained Investing"

Die Ansätze des "Unconstrained Investing" gehen genau in diese Richtung. Sie zielen zuerst auf den Return des Portfolios ab, indem nur Titel Eingang in den Bestand finden, die aufgrund der Analyseergebnisse eine überdurchschnittliche Wertentwicklung erwarten lassen (ein geeignetes Maß hierfür wäre der Information Coefficient8)), und als Nebenbedingung wird ein notwendiges Maß an Diversifikation eingehalten. Angesteuert wird damit nicht das relative Risiko des Portfolios gegenüber einer Benchmark, sondern sein absolutes Risiko.

Praktische Erfahrungen zeigen, dass eine annähernde Gleichgewichtung der Portfoliotitel eine gute Ausgangsbasis für die Portfoliokonstruktion ist und auch, wie bereits erwähnt, bei ihrer regelmäßigen Anpassung (nämlich dann, wenn der Kurs eines Titels seinen prognostizierten Wert erreicht hat) zusätzlich Rebalancing-Gewinne zulässt. Damit kann Unconstrained Investing genau den genannten Stockpicking-Ansätzen zugeordnet werden, die auch nach Kosten eine bessere Performance als die Benchmark erwarten lassen.

Kombination der Vorteile

Unter Steuerungs- und Kontrollaspekten (Governance) unterscheiden sich die genannten Vorgehensweisen. Wenn Anleger in ihrer Asset-Liability-Modellierung auf die traditionelle Klassifikation nach dem "Belegenheitsprinzip" zurückgreifen, so kann die daraus resultierende strategische Asset Allocation je nach Komplexitätsgrad der Modellierung in weiten Teilen durch Traditional-Beta-Ansätze abgebildet werden. Vorteile sind dabei die standardisierte Vorgehensweise, bei der etablierte Modelle zum Einsatz kommen und auch keine großen Anforderungen an den Datenhaushalt und die Datenanalyse gestellt werden. Die benötigten Strategiebausteine können aus einem großen Marktangebot kostengünstig ausgewählt werden und die zu erwartende Minderperformance nach Kosten (im Wesentlichen Managementgebühren, eventuelle Geld-Brief-Spannen und Verwahrkosten) gegenüber dem jeweiligen Index kann relativ gut abgeschätzt werden und erleichtert damit die Risikobudgetierung.

Die wesentlichen Nachteile bestehen zum einen darin, dass die Asset Allocation in großen Teilen mit ineffizienten Portfolios bestückt wird und damit von vorneherein ein Teil des Risikobudgets nicht richtig genutzt wird. Zum anderen werden die Returntreiber der Allokation nur unscharf erfasst und damit der eigentliche Zweck der Asset-Liability-Modellierung zum Teil konterkariert. Eine größere Notwendigkeit zur Kommunikation mit dem Strukturierer der passiven Produkte besteht nicht.

Alternative-Beta-Ansätze bieten dagegen die Möglichkeit, die wesentlichen Risikofaktoren der Allokation in der Modellierung abzubilden. Greift der Anleger nicht auf "Kombinationsprodukte" zurück, die einen (optimierten) Strategien-Mix abbilden, steht er vor der komplexen Aufgabe, aus der Vielzahl der fundamental- und risikomessgrößenorientierten Ansätze für seine Bedürfnisse eine passende dynamische Allokation zu finden (nicht zu vergessen das Selektionsproblem der jeweiligen Alternative-Beta-Strategie selbst). Die Anforderungen an die Governance dieser Vorgehensweise können somit sehr hoch sein.

Steuerung und Kontrolle begleiten

Unconstrained Investing stellt auf Seiten der Asset Manager die höchsten Anforderungen dar. Auf der einen Seite werden Schwächen in der Research- und Portfoliomanagementqualität relativ schnell offenbar, auf der anderen Seite bietet diese Vorgehensweise die besten Möglichkeiten, selektiv Vorteile der Alternative-Beta-Welt mit den Informationsvorsprüngen eines proprietären Researchs (sei es quantitativ und/oder fundamental) zu kombinieren.

Die Anlegerseite muss solche Ansätze mit einem geeigneten Instrumentarium in der Steuerung und Kontrolle begleiten, kann dafür aber in viel stärkerem Maße eigene Anforderungen an die Portfolioqualität einbringen und - mit einer höheren Wahrscheinlichkeit - ein besseres Anlageergebnis im Vergleich zu den reinen Beta-Strategien erwarten.

Fußnoten

1) Die weitere Darstellung beschränkt sich auf die Aktienmärkte, kann aber mit kleineren Anpassungen auch auf die Rentenmärkte übertragen werden.

2) Siehe zum Beispiel A. Petajisto, Active Share and Mutual Fund Performance, Working Paper, New York University, 2013.

3) Siehe dazu auch H. Markowitz, "The Two Beta Trap", Journal of Portfolio Management, 1984, Vol. 11, No. 1, pp. 12-20

4) Siehe dazu zum Beispiel D. B. Chaves/R. D. Arnott, Rebalancing and the Value Effect, Journal of Portfolio Management, 2012, Vol. 38, No. 4, pp.

5) Siehe dazu zum Beispiel J. P. A. Ioannidis, Why Most Published Research Findings Are False, PLoS Medicine, August 2005, Vol. 2, Issue 8, pp. 0696-0701.

6) Siehe zum Beispiel R. D. MacLean und J. Pontiff, Does Academic Research Destroy Stock Return Predictabilty, Working Paper, University of Alberta und MIT Sloan School of Management, 2013.

7) Für einen theoretisch allwissenden Manager wäre die Börse deterministisch und er könnte sich darauf beschränken, das Wertpapier mit der höchsten Performance auszuwählen.

8) Die Korrelation zwischen prognostizierten und tatsächlichen Returns.

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