Aufsätze

Universitäre Lehrprogramme: Anpassungen und Lehren aus der Finanzkrise

Wenn die globalen Finanzmärkte von der schwersten Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschüttert werden, kann es nicht verwundern, dass nicht nur nach Systemanpassungen für die Zukunft gefragt, sondern viel Energie auf die Suche nach Schuldigen eingesetzt wird. Bei dieser Suche sind auch die Universitäten ins Blickfeld geraten, wobei neben fachspezifischen Studieninhalten auch Maßnahmen zur Charakterbildung der Studierenden gefordert wurden. Die führenden deutschen Hochschulen haben sich dieser Diskussion längst gestellt, Studienkonzepte wurden überdacht und zahlreiche Maßnahmen für die Entwicklung von Nachwuchsführungskräften gerade auch für das Bankgewerbe umgesetzt. Einige der strukturellen Änderungen werden nachfolgend am Beispiel von zwei Institutionen erläutert.

Viele Gründe für Veränderungen der Lehrprogramme

Es hat sich nicht nur durch Lehren aus der Finanzkrise Anpassungsbedarf ergeben, auch demografische Verschiebungen und politische Entscheidungen fordern Adjustierungen der universitären Lehre allgemein und insbesondere auch im Bereich der Bank- und Finanzwirtschaft. Verkürzte Gymnasialzeiten und das Aussetzen der Wehrpflicht einerseits sowie die gegenüber alten Diplomstudiengängen stärkere Durchstrukturierung der Bachelor- und Masterprogramme andererseits bleiben nicht ohne Auswirkungen auf das Verhalten im Hörsaal. Nie waren die Studierenden im Durchschnitt so jung beim Eintritt in die Hochschulen, sie sind noch viel weniger gefestigt und unreifer als früher. Der Anteil der Studierenden, die noch nicht volljährig sind, ist stark gestiegen.

Wenn junge Menschen immer jünger in stärker strukturierten Studiengängen ausgebildet werden, wächst die Gefahr, dass viele Pfade in die selbstverantwortliche Eigenständigkeit verloren gehen. Zusätzlich trägt die (zumindest gefühlte) zeitliche Belastung in den Bachelorstudiengängen dazu bei, dass vielerorts die Bereitschaft, sich außercurricular zu engagieren, abnimmt. Damit entfällt ein bedeutendes traditionelles Feld zur Entwicklung von Führungs- und weichen Managementqualifikationen.

Die universitäre Lehre streckt sich in dieser Gemengelage im Spagat. Einerseits achten gerade auch die Akkreditierungsagenturen sehr darauf, dass Studiengänge in der vorgesehenen Regelstudienzeit studierbar bleiben, was die Aufnahme zusätzlicher Lehrinhalte stark limitiert. Andererseits soll auch der Bachelorabschluss berufsqualifizierend sein, was natürlich auch die Soft Skills der Absolventen adressiert. Um als Rekrutierungsziel für die Personalabteilungen der beliebtesten Arbeitgeber attraktiv zu bleiben, sind Absolventen mit Persönlichkeit gefragt. Die Bereitschaft und Fähigkeit, eigenständig Lehrinhalte zu erarbeiten und kritisch zu reflektieren, muss also noch stärker als früher gefördert werden und wohl auch anders, als dies in den früheren Diplomstudiengängen der Fall war. Ein abschließend befriedigender Ansatz zur Umsetzung in der universitären Lehre steht aber meist noch aus.

Notwendige Anpassungen der Inhalte

Mit Blick auf Anpassungen in den Lehrinhalten gilt es zunächst, im Erststudium noch klarer als bislang Finanzinnovationen und veränderte Finanzierungsstrategien zu erläutern und auch kritisch zu hinterfragen. Zu viele Hochschulabsolventen mit Studienschwerpunkten im Bereich der Finanzwirtschaft konnten auch 2011 weder spezielle Instrumente wie Credit Default Swaps und Collateralized Debt Obligations genau erklären noch waren sie in der Lage, sauber die Entwicklung hin zur Finanzkrise zu skizzieren oder die angedachten Strukturänderungen umsichtig zu diskutieren.

Die universitäre Lehre ist hier wohl in dreifacher Hinsicht gefordert. Sie sollte Lehrinhalte regelmäßig an neuere Entwicklungen und Instrumente anpassen. Dabei können historische Rückblicke zur Einordnung aktueller Situationen ("This time is not different.") sehr hilfreich sein. Besonders wichtig ist aber die interagierende kritische Reflexion und Bewertung neuer Finanzinstrumente und Finanzierungstrends. Um die Bedeutung dieser eigenständigen Urteilsfindung zu unterstützen, kann eine Anpassung in den Examensklausuren helfen. Wissensfragen sind wichtig und meist gut zu korrigieren, die Diskussion von Finanzierungsfragen ist aber nicht weniger wichtig, nur unhandlicher zu korrigieren - mündliche Prüfungen bieten sich hier an. Die Finanzkrise hat aber neben den Anpassungsnotwendigkeiten in den universitären Erststudiumsgängen auch gezeigt, wie wesentlich es ist, sich auf ständig ändernde Rahmenbedingungen und Finanzinnovationen einzustellen, sich also weiterzubilden. Der Trend zur Akademisierung einer Branche, die bislang primär durch berufsständische Aus- und Weiterbildungsprogramme charakterisiert ist, hat sich beschleunigt, lebenslanges Lernen wird zum Muss. Hier sind insbesondere auch die Universitäten gefordert, ihre Didaktikkonzepte und Lehrformate dieser neuen Nachfragergruppe anzupassen. Hochschulen mit langjähriger Weiterbildungserfahrung können den erst neu in dieses Feld eintretenden Universitäten als Vorbild dienen.

Die politischen Diskussionen in der Folge der Finanzkrise blieben natürlich nicht ohne Folge auf die Berufswünsche der Studierenden. Auch der moralisch integere Investmentbanker hat Imageprobleme, während andere Aufgabenfelder im Bankgewerbe völlig unabhängig vom Lehran gebot der Universitäten an Attraktivität zugelegt haben. Nun sind akkreditierte Bachelor- und Masterprogramme stabile Studiengänge, die durch kurzfristige Moden nicht in ihren Grundfesten erschüttert werden. Aber Universitäten reagieren in ihrer Ausrichtung und passen das Lehrprogramm an, entwickeln neue Programme und gestalten so den Wandel in einer Branche proaktiv mit.

Reaktionen an zwei Beispielinstitutionen

Nachfolgend soll stellvertretend für eine als Kaderschmiede für Investmentbanken und Corporate Finance bekannte Universität mit betriebswirtschaftlichen Studiengängen (EBS) und eine der führenden deutschen Technischen Universitäten mit Studienprogrammen in den Bereichen der Wirtschaftsinformatik und der Wirtschaftsingenieurwissenschaften (TU Darmstadt) aufgezeigt werden, welche strukturellen Änderungen die universitäre Lehre seit dem Ausbruch der Finanzkrise genommen hat.

Als Pionier der deutschen Business Schools ist die EBS seit über 40 Jahren im Markt vertreten und auch deshalb vielen längst ein Begriff. Die Diskussion über die Verantwortung für zukünftige Generationen, auch für zukünftige Generationen von Führungspersönlichkeiten, führte hier die Notwendigkeit vor Augen und bestätigte in dem Weg, nicht nur inhaltliche fachspezifische Ausbildung auf sehr hohem Niveau zu bieten, sondern darüber hinaus zudem den Anspruch zu rechtfertigen, die Studierenden als Persönlichkeiten zu qualifizieren und sich damit ein Alleinstellungsmerkmal aufzubauen und von Wettbewerbern zu differenzieren.

Die betriebswirtschaftlichen Studiengänge der EBS Business School

Ein wesentlicher Bestandteil des Studiums an der EBS Business School/EBS Universität ist vor diesem Hintergrund das Coaching-Programm, dessen Einsatz seit der Finanzkrise nochmals massiv intensiviert wurde. Allen Studierenden wird die Möglichkeit gegeben, an diesem Programm teilzunehmen, um an ihren persönliche Stärken und Schwächen zu arbeiten und sich über ihre individuellen Perspektiven Klarheit zu verschaffen. Auch wenn hier kein Pflichtelement gegeben ist, bildet das Coaching eine wesentliche Voraussetzung, um die künftigen Absolventen auf die Aufgaben einer Führungspersönlichkeit in der beruflichen Laufbahn vorzubereiten. Dies gilt umso mehr angesichts der eingangs beschriebenen Situation, immer jüngere Studenten an den Hochschulen auszubilden und jüngere Absolventen in den Arbeitsmarkt zu entlassen. "Coaching@EBS" bietet allen Studierenden die Möglichkeit, Coaching-Gespräche mit einem persönlichen Coach aus den unterschiedlichsten Branchen wie Industrie, Finanzen, Marketing oder Bildungswesen zu führen und über die eigene Entwicklung zu reflektieren.

Dies schafft einen hohen Mehrwert und soll dazu beitragen, trotz der Jugend der Absolventen gefestigte Charaktere zu fördern. Ergänzt wird die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung durch in allen Studiengängen verpflichtende Module wie Studium Fundamentale und Personal Mastery sowie eine Auswahl an vielfältigen Studenteninitiativen mit Wahlpflichtcharakter. In diesen Kursen werden die Studierenden gefordert, veränderte Maßstäbe an bekannte und eigentlich klare Sachverhalte anzulegen und Perspektiv- beziehungsweise Paradigmenwechsel vorzunehmen. Verstärkt wurde dieser Ansatz noch durch die Akkreditierung der EBS Business School als Programmpartner des CFA Instituts. Das CFA Institut legt einen hohen Standard an seine Charter Holder an, dies beinhaltet auch einen hohen ethischen Standard. So wurden hierfür Kurse wie "Code of Ethics and Standards of Professional Conduct" in das Curriculum integriert. Auch auf Ebene der Lehrinhalte wurden Justierungen vorgenommen. Das Programm Master in Finance wurde so angepasst, dass es neben dem etablierten und bewährten, fundierten, praxisorientierten Knowhow im Bereich Finance auch gleichzeitig eine zusätzliche Flexibilität in der Zusammenstellung der Studienschwerpunkte bietet, durch die auch in bestehenden akkreditierten Programmen auf Veränderungen an den Finanz märkten schnell und tiefgehend reagiert werden kann. Dieser Blick in neue Themenbereiche verstärkt den erwähnten und gewünschten Perspektivwechsel.

Aber nicht nur in der Ausbildung hat die EBS reagiert, sondern auch in der Weiterbildung (die Teilnahme an "Coaching@ebs" ist hier ebenfalls - optional - möglich) wurde durch die Einführung des Programms Master in Wealth Management (MA) auf gestiegene Anforderungen durch zunehmende Regulierungen (Stichwort Anlegerschutz- und Funktionsverbesserungsgesetz) im Privatkundengeschäft neue Akzente gesetzt. Dieser berufsbegleitende (Teilzeit-)Studiengang mit praxisorientiertem Profil greift zum einen die Idee des lebenslangen Lernens auf. Berufliche Weiterbildungen lassen sich in diesem Programm mit akademischen Weiterbildungen kombinieren und schaffen für die Teilnehmer einen deutlichen Wissensvorsprung am Arbeitsmarkt. Zum anderen wird gerade auch bei bereits seit Längerem berufstätigen Studierenden in den Weiterbildungsprogrammen allgemein und in diesem sehr kundennahen Bereich des Bankgeschäfts ganz besonders auf die wiederholte Diskussion der zentralen Normen und ethischen Standards geachtet. Weiterbildung ist auch fortgesetzte Charakterbildung.

Die kombinierten Studiengänge an der TU Darmstadt

Die Technische Universität Darmstadt gehört zu den breit aufgestellten Hochschulen, an denen die betriebswirtschaftlich ausgerichteten Studiengänge eine wesentliche, aber nicht unbedingt im Mittelpunkt stehende Bedeutung haben und gemeinsam mit jeweils einem anderen Fachbereich unterrichtet werden. Aber auch in diesem organisational komplexeren Umfeld sind Anpassungen nach Lehren aus der Finanzkrise möglich und existent.

Bei mehr als 2 500 Studierenden im Fachbereich sind individuelle Coaching-Programme, wie sie die EBS anbieten kann, zwar nicht flächendeckend zu implementieren. Aber immerhin konnten mehrere Praxispartner gewonnen werden, um hier studiumsbegleitend vergleichbare Instrumente in kleinerem Umfang anzubieten, die sich wachsender Beliebtheit erfreuen. Zur Stärkung des außercurricularen Engagements wird mit der Fachschaft als studentische Vertretung der Studierenden über mehr eigenverantwortliche Ausrichtung von Veranstaltungen des Fachbereichs verhandelt. Zudem soll Selbstständigkeit und Selbstreflexion verstärkt durch eine Zeit jenseits des bekannten, behüteten Umfelds gefördert werden. Mit der Zahl der Partneruniversitäten wächst die Zahl der Studierenden weiter, die mindestens ein Semester im Ausland verbringen. Diese Auslandssemester tragen nicht nur zur Erweiterung des Lehrangebots bei, sondern sind ursprünglich zur Persönlichkeitsentwicklung geplant worden. Und die Steigerung der Zahl sogenannter "Outgoer" ist fixer Bestandteil der schriftlich festgehaltenen Zielvereinbarung zwischen Universitätsleitung und Fachbereich.

Bei den Lehrinhalten wurden die geringen Gestaltungsfreiräume voll ausgeschöpft. So wurden die Bachelorstudiengänge in Wirtschaftsingenieurwesen und Wirtschaftsinformatik um eine zusätzliche Wahlmöglichkeit zur Bewertung von Finanztiteln ergänzt, um schon frühzeitig die Studierenden anzuregen, sich mit Wertschaffung und Wertermittlung intensiv zu befassen. Neue Finanzierungstrends werden regelmäßig in den Masterveranstaltungen aufgegriffen und dort auch immer wieder im Plenum interaktiv hinterfragt und diskutiert. Die Einsichten dieser Diskussionsrunden werden in den mündlichen Examensprüfungen gerne wieder aufgegriffen. Und in der Weiterbildung konzentriert man sich auf die Gruppe der Gymnasiallehrer, die mit Weiterbildungsmodulen das Angebot mitbekommen, gemeinsam mit Referenten aus der TU die Finanzkrise in den Lehrplan der Oberstufe zu integrieren. Auch hier gibt es positive Resonanz.

Die führenden Universitäten haben auf die Finanzkrise reagiert und ihre Programme ergänzt, erweitert und angepasst. Sie scheinen gut sensibilisiert zu sein, sich nicht noch einmal von breiten Trends an den Finanzmärkten etwas unvorbereitet überrollen zu lassen. Die inhaltlichen Hausarbeiten wurden also gemacht. Aber es gibt Grenzen. Rück blickend wird der Mangel an Persönlichkeit und Charakter bei allen Finanzmarktakteuren gerne als eine der Hauptursachen für das Ausmaß der Finanzkrise genannt. Die universitäre Lehre nimmt diesen Aspekt gerne auf und versucht, hier unterstützend in der Persönlichkeitsentwicklung zu agieren. Es sollte aber allen klar sein, dass die Banken als Rekrutierer und Arbeitgeber damit nicht aus der Verantwortung kommen, hier selbst wesentlich mehr Augenmerk auf ihre Personalentwicklung zu legen.

Prof. Dr. Dirk Schiereck , Leiter des Fachgebiets Unternehmensfinan­zierung , Technische Universität Darmstadt
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