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Versicherungen - Wege zu einem zukunftsfähigen Asset Management

Die neue Investmentwelt mit niedrigen Zinsen stellt private und institutionelle Investoren vor enorme Herausforderungen. Davon sind auch die Versicherer betroffen: Die zinsbedingten Mindereinnahmen der Versicherungsbranche beliefen sich 2012 auf vier Milliarden Euro, hat der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. (GDV) berechnet. Angesichts dieser Tatsache verwundert es nicht, dass die Versicherer umdenken.

Die Lebensversicherer zum Beispiel denken laut darüber nach, wie sie mit dem Niedrigzinsumfeld umgehen könnten: Dabei reichen die Ideen vom kompletten Ausstieg aus dem Verkauf klassischer Lebenspolicen mit Garantiezins über eine Reform des bisherigen Garantiemodells bis hin zu neuen Produkten. Eine Idee ist, den Garantiezins auf die Ansparphase zu begrenzen und bei Rentenbeginn einen neuen Satz festzulegen.

Marktumfeld - Zwang zum Umdenken

Hintergrund dieser Überlegungen ist, dass sich die Versicherer auch für die Zukunft auf extrem magere Zinsen einstellen - zu Recht. Denn das Niedrigzinsumfeld bringt die bisherigen Geschäftsmodelle der Versicherer unter Druck. Schließlich benötigen die Gesellschaften regelmäßige Erträge, um ihren laufenden Verpflichtungen nachkommen zu können.

Beispiel Lebensversicherer: Lebenspolicen sind eines der Lieblingsprodukte der deutschen Sparer. Insgesamt besitzen diese mehr als 90 Millionen entsprechender Verträge - das macht mehr als einen pro Kopf. Die große Nachfrage hat die Policen dank der damit verbundenen Provisionen auch bei den Finanzvertrieben zu einem der beliebtesten Produkte gemacht. Doch nun drohen Lebensversicherungen an Attraktivität zu verlieren, denn die Renditen schrumpfen zusehends. Der Grund dafür sind die niedrigen Zinsen.

Jahrelang war die relativ hohe Verzinsung für Anbieter und Finanzvertriebe eines der wichtigsten Argumente für den Verkauf ihrer Policen. Vor zehn Jahren lag der Höchstrechnungszins, den die Lebensversicherer für ihre Deckungsrückstellungen maximal zugrunde legen dürfen, noch bei vier Prozent. Doch in den vergangenen Jahren hat das Bundesfinanzministerium diesen Zinssatz Schritt für Schritt gesenkt: Seit Anfang 2012 dürfen Versicherer ihren Neukunden nur noch eine Verzinsung von höchstens 1,75 Prozent pro Jahr versprechen.

Der Grund dafür: Die Höhe des Höchstrechnungszinses für Lebensversicherungen berechnet sich nach der durchschnittlichen Umlaufrendite zehnjähriger Staatsanleihen, welche auf Euro lauten. Der Rechnungszins darf höchstens 60 Prozent der durchschnittlichen Rendite dieser zehnjährigen Staatsanleihen aus dem Euroraum betragen.

Garantiezins schwer erreichbar

1,75 Prozent garantierte Verzinsung klingt nicht gerade üppig. Aber angesichts der Tatsache, dass die Rendite zehnjähriger Bundesanleihe momentan nur 1,5 Prozent beträgt, ist selbst dieser Satz schwer zu erwirtschaften. Hinzu kommen die Verpflichtungen aus Altverträgen, für die auch heute noch der bei Abschluss zugesagte und weitaus höhere Garantiezins gilt. Zusätzlich zum Garantiezins haben die Versicherer oft Überschussbeteiligungen zum Ablauf der Versicherung prognostiziert, die längst nicht mehr zu halten sind. Angesichts dessen warnt der Bund der Versicherten (BdV) vor Einbußen von bis zu 30 Prozent gegenüber einer vor 20 Jahren vor dem Hintergrund eines höheren Zinsniveaus berechneten Auszahlungssumme.

Solche Szenarien und die niedrigeren Höchstzinssätze belasten das Neugeschäft der deutschen Assekuranzen. Im Jahr 2011 haben sie in der Lebensversicherung (einschließlich Pensionskassen und -fonds) 3,9 Prozent weniger Beiträge eingenommen als im Jahr zuvor, zeigen Zahlen des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft. 2012 sind die Einnahmen gegenüber 2011 nach GDV-Schätzungen nochmals um 0,7 Prozent auf 86,2 Milliarden Euro zurückgegangen.

Dies zeigt, in welchem Dilemma die Versicherer stecken: Einerseits sind sie verpflichtet, das Geld ihrer Kunden sicher anzulegen - etwa in Staatsanleihen, Bundeswertpapiere oder Pfandbriefe. Knapp 90 Prozent der etwa 740 Milliarden Euro Versichertenvermögen in Deutschland sind dem GDV zufolge so investiert. Andererseits bieten diese Wertpapiere angesichts niedriger Zinsen nur magere Renditen. Und die aktuelle Aktienrallye dürfte an den meisten Versicherern nahezu spurlos vorübergehen. Denn nach Angaben des GDV ist die Aktienquote in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken: Lag sie 2007 noch bei 8,5 Prozent, waren Ende 2011 nur noch 2,9 Prozent in Aktien investiert.

Damit nicht genug: Während die Zinsen gesunken sind, steigen die Kapital- und Risikoanforderungen, zum Beispiel im Rahmen der EU-Richtlinie Solvency II. Diese macht auch Zinsgarantien teurer und damit unattraktiver. Diesem Dilemma können die Versicherer nur entkommen, indem sie ihre Strategien in der Vermögensverwaltung ändern. Denn nur so kann es ihnen gelingen, ihre Garantieverzinsungen zu erwirtschaften oder im Rahmen neuer Modelle attraktive Renditen zu erzielen, um aus Sicht der Anleger interessant zu bleiben. Zudem müssen sie strengeren regulatorischen Anforderungen genügen.

Finanzmarkt mit vielfältigen Chancen

Aber es gibt gute Nachrichten: Angesichts der neuen Investmentwelt und eines veränderten regulatorischen Umfeldes bieten sich Versicherern zahlreiche Chancen, um ihre Anlagestrategien zu optimieren. Zum einen können sie ihre Risiko-Rendite-Profile optimieren, zum anderen ihr Portfoliomanagement effizienter gestalten.

Eine erste Maßnahme könnte sein, die Zahl der externen Asset Manager zu reduzieren. Denn wenn auf vielen Rentenmärkten nur noch zwei Prozent Ertrag zu erzielen sind, wird es offensichtlich, dass Kosten eine Rolle spielen. Dabei sollte der nötige Konsolidierungsprozess allerdings nicht nur darauf abzielen, den Anbieter mit den geringsten Gebühren zu wählen. Vielmehr werden die Versicherer sich auf jene Investment-Manager zubewegen, die wettbewerbsfähige Gebührenmodelle für ein Bündel verschiedener Leistungen anbieten können. Diese Bündel umfassen Risikomanagement, Asset-/Liability-Studien und Bilanzoptimierung - selbstverständlich zusammen mit der Kerndienstleistung einer guten Performance des Vermögens.

Regulatoren, Ratingagenturen und Analysten werden von Versicherern immer umfassendere und schnellere Stresstests für verschiedene Strategieszenarien verlangen. Das wird möglicherweise dazu führen, dass in der Unternehmensstrategie diejenigen Transaktionen bevorzugt werden, die nachweisbar das Risiko diversifizieren und Abhängigkeiten verringern. Am Ende könnten einige Versicherer feststellen, dass Vermögensverwalter, die sie bislang mandatiert hatten, auch interessante Ziele für Fusionen und Übernahmen darstellen. Strategische Zukäufe in diesem Bereich könnten sowohl die Gebühren reduzieren als auch neue Ertragsquellen erschließen.

Höhere Risiken als Muss

In der Verwaltung des Vermögens selbst wird den Gesellschaften nichts anderes übrig bleiben, als höhere Risiken am Kapitalmarkt einzugehen. Sie sollten dies jedoch als Chance begreifen, denn der Kapitalmarkt bietet ihnen günstige Gelegenheiten.

Die Kombination aus erhöhter Volatilität am Kapitalmarkt und höheren Eigenkapitalanforderungen wird Banken weiterhin zwingen, ihre Bilanzen zu verkürzen. Im Zuge dessen werden sie sich aus bestimmten Geschäftsfeldern verabschieden, Vermögenswerte verkaufen und Risiken verbriefen. Das bietet Versicherern, die es im starken Wettbewerb mit den Banken bislang schwer hatten, eine Chance: Sie können die Lücke, die der nachlassende Risikoappetit der Kreditinstitute hinterlässt, füllen.

Nach und nach werden immer mehr Versicherer erkennen: Das Risiko in den vermeintlichen sicheren Häfen wie etwa Bundesanleihen nimmt zu, wenn die Wahrscheinlichkeit für ein Ende der ultralockeren Zinspolitik steigt. Dann werden sie sich verstärkt in höher verzinsten Krediten engagieren. Es ist zu erwarten, dass sie dabei über den traditionellen High-Yield-Bond hinausschauen und sich zum Beispiel Immobilienanleihen (Senior und Mezzanine), Leveraged Loans oder Collateralised Loan Obligations zuwenden werden. Denn dort winken höhere Zinsen und bessere Risiko-Rendite-Profile.

Nicht nur was die Strukturen angeht, werden die Versicherer ihr Anlagespektrum erweitern. Auch geografisch werden sie neue Bereiche des Anleihemarktes für sich erschließen. Schon jetzt lässt sich eine starke Nachfrage europäischer und US-amerikanischer Versicherer nach Anleihen aus den Schwellenländern beobachten. Schließlich liegen die Renditen dieser Papiere deutlich über denen klassischer Staatsanleihen aus Europa und den USA.

Es sind weitere Investitionen in das Segment der Schwellenländer-Anleihen zu erwarten. Dafür werden das gute Risiko-Rendite-Profil dieser Papiere und das Streben der Investoren nach breiterer geografischer Streuung sorgen. Die Schwellenländer zeigen im Gegensatz zu den Industrienationen weiterhin ein starkes Wachstum. Zudem führen die steigende Emissionstätigkeit und die verstärkte Nachfrage zu einer höheren Liquidität bei den entsprechenden Papieren.

Auch bei den Finanzinstrumenten, die zum Einsatz kommen, werden Versicherer neue Wege beschreiten. Im Anleihebereich werden sie ihre Strategien vermutlich vermehrt über börsennotierte Indexfonds (ETFs) umsetzen. Ein Grund dafür ist, dass der Primärmarkt für Bonds nicht mehr genug hergibt, um den Appetit aller Investoren zu stillen. Das zeigt sich unter anderem daran, dass das Volumen von Credit-ETFs auf dem US-Markt im Jahr 2011 die Positionen von Market Makern übertroffen hat. ETFs bieten Investoren, die sich am Bond-Sekundärmarkt engagieren wollen, viele Vorteile. Dazu gehören schnelle Anpassungen in der Asset-Allokation, ein kostengünstiger Zugang auch zu exotischeren Marktsegmenten sowie geringere Transaktionskosten im Vergleich zum außerbörslichen Handel der einzelnen Bonds. Zudem ermöglichen Analysetools externer Dienstleister den Versicherungen, ihre ETF-Bestände im Zusammenhang mit ihren sonstigen Anleihebeständen zu überwachen.

Illiquide Vermögenswerte - ein Wettbewerbsvorteil

In der Finanzkrise ist deutlich geworden, dass Liquidität einen echten Wert hat. Denn plötzlich haben Investoren illiquide Güter weitgehend gemieden. Inzwischen ist die Risikoprämie für Illiquidität so hoch gestiegen, dass es sich wieder lohnt, auf die ständige Verfügbarkeit aller finanziellen Mittel zu verzichten: Infrastrukturprojekte, Immobilien und Hedgefonds können das Anlagespektrum von Versicherern erheblich bereichern.

Hedgefonds sind für einige Versicherer bereits Bestandteil ihrer Portfolios. Aber nach der Hedgefonds-Strategie, die unkorrelierte Erträge in jeder Marktlage liefert, haben viele Gesellschaften bislang vergeblich gesucht. Nach Jahren enttäuschender Wertentwicklungen müssen sie nun neue Ansätze für die Produktauswahl finden. Sie sollten sich dabei nicht länger ausschließlich von den Strategien der Fonds leiten lassen, denn diese machen kaum einen konsistenten und nachvollziehbaren Performanceunterschied aus.

Stattdessen sollten die Versicherer Risikofaktoren wie Inflation, Liquidität, Politik und Konjunktur analysieren, welche die Wertentwicklung der verschiedenen Anlageklassen beeinflussen. Ein solcher Ansatz hilft, die Unterschiede und Leistungen verschiedener Hedgefonds-Strategien besser zu verstehen. Dies wiederum ist die Grundlage dafür, ein Portfolio zu konstruieren, das in verschiedenen Marktphasen konsistenter reagiert. Das erfordert auch, mehr Zeit in die Auswahl von Hedgefonds-Managern zu investieren und nicht einfach nur Strategien hinterherzulaufen, die gerade angesagt sind. Zudem müssen die Versicherer erkennen, dass ein großes verwaltetes Vermögen für einen Hedgefonds keinen Vorteil bedeuten muss. In der Folge werden sie vermehrt aufstrebende Manager in Betracht ziehen.

Langfristige Infrastrukturinvestitionen

Die Verpflichtungen der Versicherer haben langfristigen Charakter. Daher hatten Immobilien immer schon ihren Platz in der Asset-Allokation der Gesellschaften. Aus dieser Erfahrung ergibt sich ein Wettbewerbsvorteil in Bezug auf andere illiquide Vermögenswerte mit kalkulierbaren Cash-Flows. Diesen Vorsprung sollten die Versicherer besser ausspielen - zum Beispiel bei Infrastrukturprojekten. Aktuell bieten langfristige Infrastrukturinvestitionen etwa zwei bis drei Prozentpunkte mehr Ertrag als vergleichbare US-Staatsanleihen.

Gelegenheiten im Bereich Infrastruktur, an denen sich die Versicherer beteiligen könnten, gibt es reichlich: Rund drei Billionen Dollar Investitionsbedarf erwartet die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) weltweit bis zum Jahr 2018. Versicherer können helfen, diese dringend benötigte Kapitalquelle aufzustocken.

Die anstehenden und noch geplanten Regulierungsänderungen wie Solvency II werden die Kapital- und Risikovorschriften für Versicherer verschärfen. Gleichzeitig wird die neue Investmentwelt mit erhöhter Volatilität dazu führen, dass die Risikobudgets der Gesellschaften je nach Zeitpunkt und dann herrschendem Marktumfeld in unterschiedlichem Maße strapaziert werden. Dies macht es schwierig, Risiken im Zuge konstanter Anlagestrategien zu budgetieren.

Flexiblere und effizientere Anlagestrategien

Daher werden die Versicherer ihre Anlagestrategien insgesamt flexibler gestalten müssen. Es bietet sich an, die Anlageportfolios künftig an zweierlei Maßstäben zu messen: zum einen wie bereits üblich an Kapitalmarktindizes, zum anderen an Risikobudget-Indizes. Um Letztere berechnen zu können, wird es notwendig sein, sämtliche Anlagebestände stets aufgrund aktueller Marktkonditionen zu preisen.

Sofern sich die Risikobudgets ändern, sollten die Versicherer ihre Anlagepositionen entsprechend anpassen. Das ist möglich, indem sie das Risiko in bestimmten Assetklassen durch Verkäufe oder Absicherungsstrategien herunterfahren oder indem sie in weniger riskante Vermögenswerte umschichten. Optimal wäre es, wenn diese Anpassungen automatisch abliefen, sobald sich die Risikoindizes bewegen.

Änderungen am Geschäftsmodell?

Dass die Versicherer angesichts der neuen Investmentwelt über Änderungen am Geschäftsmodell und Produktinnovationen nachdenken, ist richtig. Darüber sollten sie jedoch nicht vergessen: Auch das Asset Management bietet vielfältige Möglichkeiten, um sich dem veränderten Marktumfeld anzupassen. Die genannten Beispiele zeigen dies.

Die Versicherer müssen lernen, die neue Investmentwelt für sich zu nutzen. Denn nur so wird es ihnen gelingen, die Erwartungen ihrer Kunden zu erfüllen. Ein Verlust des Vertrauens in Lebensversicherungen in Folge unerwartet niedriger Renditen hätte nicht nur negative Folgen für das Geschäft der Finanzvertriebe. Hinzu kämen dramatische Konsequenzen für die Altersvorsorge der Deutschen.

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