Leitartikel

Vertrauensrendite negativ

Mit einem Zuwachs von 4,9 Prozent auf inzwischen rund fünf Billionen Euro haben die deutschen Privathaushalte auch im vergangenen Jahr wieder Geldvermögen - netto - neu gebildet. In anschaulicheren Zahlen ausgedrückt besitzt jeder Deutsche, gleich welchen Alters, im statistischen Mittel inzwischen gut 45000 Euro auf der berühmten hohen Kante beziehungsweise 120000 Euro, wenn nur die erwachsenen Bürger betrachtet werden. Dank einer äußerst konservativen Verschuldungsneigung in Verbindung mit einer seit Jahren auf Privathaushaltsebene wohlgemerkt durchgehaltenen rigiden Sparpolitik haben die Deutschen damit inzwischen Anschluss an das Mittelfeld im Euro-Ländervergleich gefunden.

Wirtschaftlich deutlich schwächelnde Länder wie zum Beispiel Italien oder Frankreich weisen demgegenüber seit Langem im Schnitt deutlich höhere Vermögenswerte auf. Dass es für die deutschen Privathaushalte trotz eifriger Bemühungen zu mehr nicht reicht, liegt neben anderen Faktoren vornehmlich an dem geradezu masochistisch zu nennenden Anlageverhalten. Denn anders als unsere reicheren Nachbarn legen die meisten deutschen Sparer einer Studie der Allianz zufolge ihr Geld maßgeblich, nämlich zu 41 Prozent, in Bank- und Spareinlagen an. Erst mit weitem Abstand folgen Versicherungen und Pensionen (36) und das Schlusslicht bilden fast schon notorisch Anlagen in Wertpapieren (23), darunter Aktienanlagen mit einem Anteil am Geldvermögen von gerade mal mickrigen fünf Prozent (siehe Übersicht).

Gewiss ist das Anlageverhalten in Deutschland aufgrund der Vermögensvernichtungen durch Kriege und Hyperinflation im vergangenen Jahrhundert zu einem erheblichen Teil gewissermaßen erblich in Richtung Sicherheit vorgeprägt. Zudem boten Spar- und Termingeldanlagen lange Zeit zwar keine überragenden, immerhin aber auskömmliche Renditen. Wenn aber in dem Umfeld eines nunmehr schon seit mehreren Jahren anhaltenden Niedrigzinsniveaus der Trend zu den kaum noch verzinsten Bargeld- und Sichteinlagen sich noch verstärkt, dann muss das besondere Ursachen haben.

Klar erkennbar ist bei näherer Betrachtung die zeitliche Korrelation mit der durch die Pleite von Lehman Brothers ausgelösten Finanzkrise. Seit diesem einschneidenden Ereignis haben die von deutschen Anlegern getätigten Wertpapieranlagen deutlich zugunsten der Bankeinlagen, und hierbei wiederum mit Schwerpunkt auf kurzfristige Einlagen abgenommen. Die nachfolgende Wirtschafts-, Verschuldungs- und durch sie ausgelöste Eurokrise hat offensichtlich ein Übriges dazu getan, um bei den Anlageentscheidungen im Krisenmodus zu bleiben. Wer angesichts von realen Zinsverlusten einerseits und Rekordrenditen und Kursrekorden bei Aktien andererseits bei diesem ökonomisch unsinnigen Verhaltensmuster bleibt, zeigt damit zumindest eines: er hat kein ausreichendes Vertrauen in die Nachhaltigkeit der Rendite anderer Anlageformen.

Ein solches Vertrauensdefizit müsste eigentlich die gesamte Branche elektrisieren, die, wie es in einem Werbeklassiker so treffend hieß, von Anfang an in allem auf Vertrauen als Geschäftsgrundlage angewiesen ist. Nimmt man jedoch die aktuellen Kommunikationsaktivitäten zum Maßstab, so könnte man zu dem Eindruck kommen, dass dieser Krisenbefund noch gar nicht in den Köpfen vieler angekommen ist, dort entweder verdrängt oder als nicht geschäftsfördernd entsorgt wurde. Anders ist wohl kaum nachvollziehbar, dass auf Bankenkongressen über strengere Regularien lamentiert wird, neue Geschäftsmodelle diskutiert werden und das Bankgeschäft als Technologie-Industrie umdefiniert wird, während in der realen Welt mit Rabattschlachten um Einlagen gekämpft wird, per Telefon Kunden "gekeilt" und im Bankbetrieb die Mitarbeiter zu Formularausfüllungsgehilfen degradiert werden. Natürlich müssen alle Kreditinstitute verstärkt auf ihre Kosten achten und versuchen, die mit mehr regulatorischem Kapitaleinsatz zu erzielende Rendite zu stabilisieren. Wer allerdings aus kurzfristigen Kostenüberlegungen die Wertpapierberatung in Verkaufsagenturen verlegt und den Berater auf normierte provisionsgetriebene Drücker reduziert, sollte sich dann nicht über die Reaktion der Kunden wundern. Nach einer jüngsten Untersuchung der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) vom August dieses Jahres gab von den Befragten rund die Hälfte an, schlechte Erfahrungen mit der Beratung gemacht zu haben. In der Konsequenz ist nur knapp ein Fünftel der Befragten bereit, die Entscheidung für die Anlage durch die Bank vornehmen zu lassen.

Wenn sogar wirtschaftserfahrene Unternehmer und ausgefuchste Kämmerer, wie jüngsten höchstrichterlichen Entscheidungen zu entnehmen war, ein Recht auf "objektgerechte Beratung" einklagen können, die Bank also deutlich auf Risiken hinweisen muss, dann sollten es sich die Finanzinstitute überlegen, ob sie diese Verpflichtung nicht auch dem Privatanleger gegenüber - auch jenseits der Beraterprotokolle - an den Tag legen sollten. Gerade weil die Welt komplexer, schneller und dadurch unübersichtlicher geworden ist, müssen die Fachkenntnisse und Führungs- sowie Organisationsmethoden stets aufgefrischt werden. Bei allen notwendigen Bemühungen um die Pflege des Humankapitals durch Vermehrung des Wissens der Mitarbeiter, darf aber das Wissen um die wichtigste Ressource, wenn nicht gar einzig beständige Grundlage erfolgreichen Wirtschaftens nicht verloren gehen, nämlich das Vertrauen der Kunden.

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