Aufsätze

Zukunftsüberlegungen der Raiffeisen-Bankengruppe Tirol

Tirol weist nach der Tiroler Landesstatistik von 2013 eine Fläche von 12 640 Quadratkilometer aus, wobei der Dauersiedlungsraum nur eine Fläche von 1 503 Quadratkilometer beträgt. Das Land wird in neun Bezirke eingeteilt und weist 279 politische Gemeinden, davon elf Stadtgemeinden und 20 Marktgemeinden aus. Die Wohnbevölkerung betrug um Jahr 2012 rund 715 900 Einwohner. Im Jahr 2012 stehen 6 919 Lebendgeborenen 5 606 Verstorbene gegenüber. Die Verteilung der Altersstruktur sieht in etwa so aus: Rund 15 Prozent der Bevölkerung stellen die null- bis 15-Jährigen dar, knapp 20 Prozent die 15- bis 30-Jährigen, etwas über 30 Prozent die 30- bis 50-Jährigen und bereits 34 Prozent die 50- bis 100-Jährigen. Tirol ist unter anderem für seinen Tourismus bekannt, der sich auf Basis von jährlich rund 42 bis 44 Millionen Nächtigungen in mannigfacher Gestaltung niederschlägt.

Eine heterogene Bankengruppe

Der Raiffeisen-Geldsektor ist in Tirol zum 31. Dezember 2013 mit 242 Bankstellen vertreten, die von 78 selbstständigen Raiffeisenbanken und der Raiffeisen-Landesbank AG gehalten werden. Dies bedeutet, dass sich beinahe in jeder Gemeinde eine Raiffeisen-Bankstelle befindet. Im Vergleich mit den anderen Bankensektoren beträgt der Bankstellenanteil rund 47 Prozent. Allerdings ist die Bankengruppe, gemessen an der Bilanzsumme, sehr heterogen. Die Spannbreite beläuft sich bei den Primärgenossenschaften von knapp 20 Millionen Euro bis knapp 700 Millionen Euro. 51 Raiffeisenbanken, also fast zwei Drittel, haben weniger als 20 Mitarbeiter.

Sowohl das Bilanzsummenwachstum als auch die Ertragssituation haben sich in den letzten Jahren deutlich verflacht. Das Betriebsergebnis ist auf durchschnittlich 0,72 Prozent der durchschnittlichen Bilanzsumme zurückgegangen, das Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit hat sich durch niedrige Risikokosten infolge der starken Dezentralisierung zwischen 0,6 Prozent und 0,68 Prozent der durchschnittlichen Bilanzsumme eingependelt. Die Eigenmittelquote der Tiroler Raiffeisenbanken liegt, bereits nach Basel III berechnet, bei rund 17,7 Prozent, wobei die Kernkapitalquote rund 15,6 Prozent beträgt. Raiffeisen ist in Tirol unbestritten der Marktführer, der Kundenanteil liegt bei fast 50 Prozent. Sowohl im Einlagen- wie auch im Ausleihungsbereich liegt Raiffeisen an vorderster Front. Insgesamt können die Tiroler Raiffeisenbanken der Primärebene auf rund 125 000 Mitglieder, 1 800 Angestellte und 1 400 Funktionäre verweisen.

Was den Aufbau der Organe der Raiffeisenbanken betrifft, sind in Tirol noch alle denkbaren Formen vorhanden. Es gibt Raiffeisenbanken, die einen hauptberuflichen Vorstand eingeführt haben, es gibt solche, die einen gemischten Vorstand (Geschäftsleiter und ehrenamtliche Funktionäre) aufweisen und solche, die nach wie vor einen ehrenamtlichen Vorstand haben. Alle Raiffeisenbanken sind mit einem ehrenamtlichen Aufsichtsrat ausgestattet, selbst wenn dieser aufgrund der Größe gesellschaftsrechtlich nicht zwingend vorgesehen ist.

Ergebnisdruck Demografie als große Herausforderungen

Eine der ganz großen Herausforderungen ist der immer stärker werdende Ergebnisdruck. Zunehmender Wettbewerb auch durch Nichtbanken verschärft die Situation deutlich, was sich insbesondere bei dem derzeitigen Niedrigstzinsniveau besonders negativ auswirkt. Da in diesem Bereich eine baldige Erholung oder gar nennenswerte Trendumkehr unrealistisch erscheint, muss diese Entwicklung in alle strategischen Überlegungen einbezogen werden. Die sich infolge internationaler Bestrebungen immer mehr aufweichenden Bestimmungen über das Bankgeheimnis potenzieren die angespannte Situation zusätzlich, da immer mehr Nichtösterreicher ihre Gelder aus Österreich abziehen, was speziell Tirol als Tourismusland besonders zu spüren bekommt.

Die durch Basel III beziehungsweise deren europäische Umsetzung verschärften Regulierungen der Kapital- und vor allem der Liquiditätsbestimmungen verlangen teilweise Veränderungen in der Bilanzstruktur, aus denen weder die Bank noch der Kunde einen wirklichen Nutzen haben, ganz abgesehen von den steigenden Kosten, die durch einen damit verbundenen überbordenden Bürokratismus verursacht werden. Trotz allem Bekenntnis zum Proportionalitätsgrundsatz ist von einer Vereinfachung nur wenig bis gar nichts zu erkennen.

Eine weitere Herausforderung liegt in der Entwicklung der Bevölkerung. Schon aus den Eingangsausführungen ist deutlich erkennbar, dass die Überalterung in Tirol eine Tatsache ist, die sich fortschreiben wird. Dies bedeutet für die Raiffeisenbank eine Überprüfung ihrer Zielgruppenorientierung genauso wie eine Überprüfung der Produktpallette. Gleichzeitig muss aber auch dem Trend Rechnung getragen werden, dass das Internet auch im Kundenverhalten immer mehr an Bedeutung gewinnt, was sich vor allem bei den Jugendlichen niederschlägt. Bei all dem darf aber auch nicht übersehen werden, dass sich bei wesentlichen Teilen der Bevölkerung durch steigende Lebenshaltungs- wie auch Wohnungskosten eine negative Einkommensentwicklung abzeichnet. Dies schließt eine negative Auswirkung auf den Einlagenbereich und damit auf die traditionelle Refinanzierungsart der Raiffeisenbanken nicht aus. So ist schon in den letzten Jahren ein deutlicher Seitwärtstrend im Einlagenwachstum festzustellen.

Qualifizierte Geschäftsleiter und Aufsichtsräte gesucht

Für die Raiffeisenbank ergeben sich in der eigenen Organisationsform ebenfalls einige neue Herausforderungen. So ist es durch die teilweise geringe Größe der einzelnen Raiffeisenbank nicht mehr selbstverständlich, qualifizierte Geschäftsleiter in genügendem Ausmaß zu finden. Wenn derzeit von 78 Raiffeisenbanken geredet wird, bedeutet dies einen Mindestbedarf von bestens ausgebildeten Geschäftsleitern im Ausmaß von 156! Gut ausgebildete "Banker" ziehen es oft vor, bei größeren Einheiten Führungspositionen anzustreben, da sie "einem Überleben" der kleinen Einheiten nicht trauen.

Eine ähnliche Problematik ergibt sich auch bei der Wahl von Funktionären (ehrenamtliche Vorstands- beziehungsweise Aufsichtsratsmitglieder), da diese genossenschaftsrechtlich aus den Reihen der Mitglieder kommen und ebenfalls eine adäquate Qualifikation aufweisen müssen. Die EU-rechtlichen Vorgaben (Guidelines on the assessment of the suitability of members of the management body and key function holders (EBA/GL/2012/06, F & P-GL) - gestützt auf Art. 11 Abs. 1 und Art. 22 RL 2006/48/ EG (CRD)7 in Verbindung mit Art. 16 Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (EBA-VO)) sind aktuell sehr fordernd, vor allem, was die Anforderungen an den Funktionär betrifft.

Zukunftsüberlegungen - optimale Betriebsgröße

Bei dezentral organisierten und damit auch klein strukturierten Einheiten stellt sich im Zusammenhang mit einem zunehmenden Ertragsdruck in der Regel immer wieder die Frage nach der optimalen Betriebsgröße, obwohl diese Frage bisher noch nie allgemein gültig und zufriedenstellend gelöst werden konnte. Die Festlegung einer bestimmten Mindestgröße kann bei der Komplexität der Herausforderungen auch nicht zielführend sein. In der Praxis zeigt sich auch immer wieder, dass eher größere Einheiten Überlegungen für Zusammenschlüsse anstellen als kleinere und mittlere Einheiten.

Ob eine Strukturänderung in Form eines Zusammenschlusses notwendig und sinnvoll ist, kann nur aus dem Verhältnis der Bank zu ihrem Umfeld abgeleitet werden. Solange die Bank in der Lage ist, ihr Tätigkeitsgebiet zu bearbeiten, die Nachfragen aus ihrem Tätigkeitsgebiet zu befriedigen und dabei einen Ertrag zu erwirtschaften, der zu einem stetigen Eigenmittelzuwachs führt, bei gleichzeitiger Garantie, dass die Mitarbeiter auf geordnete Urlaubsabwicklungen und angemessene Fortbildungsschritte verweisen können, stellt sich die Frage nach einem Zusammenschluss nicht zwingend und zwar unabhängig von der Größe. Sind einzelne dieser Parameter nicht mehr gewährleistet, dürfen aber in den Überlegungen über die weitere Entwicklung Zusammenschlüsse nicht ausgespart bleiben.

Ein Zusammenschluss ist aber nicht die einzige Lösungsmöglichkeit. Um den Ertragsdruck zu mildern, können auch Gestaltungen über eine stärkere Zusammenarbeit untereinander (zwischen Raiffeisenbank und Zentralinstitut, aber auch zwischen Raiffeisenbanken untereinander) einen durchaus vernünftigen Lösungsansatz bieten. Derartige Kooperationen können in verschiedenster Ausprägung ausgestaltet sein. So können sie von einer Entlastung in Spitzenzeiten oder zeitlichen Befristung durch unerwartete Störeffekte bis hin zum Outsourcen reichen. Die Raiffeisenbanken in Tirol haben sich in den letzten Jahren mit derartigen Kooperationsfragen intensiv auseinandergesetzt und verschiedenste Ausgestaltungen ausprobiert.

Vorangegangen ist dieser Diskussion eine kritische Selbstanalyse der eigenen Bank über Schwächen und Stärken im Hinblick auf ihre eigene Zukunftsfähigkeit. Bei dieser Analyse wurden nicht nur verschiedenste Kennzahlen ermittelt und beurteilt, sondern auch andere Gebiete (Markt und Kunde, Organisation, Mitarbeiter und Führung) nach verschiedenen Anforderungen überprüft und beurteilt. Aus dem Ergebnis dieser Analyse, die unter dem Begriff "Zukunftscheck" durchgeführt wurde, hat jede Raiffeisenbank für sich selbst die Hauptherausforderungen festgelegt und erforderliche Maßnahmen abgeleitet. Dabei sind auch verschiedenste Kooperationsmodelle überlegt, erarbeitet und umgesetzt worden.

Kooperationsmodelle im Blick

Kooperationsmodelle sind deshalb so wichtig, weil sich die sonst üblichen Kosteneinsparungen durch Arbeitsplätzeabbau und Standortschließungen nur bedingt mit der genossenschaftlichen Werteausrichtung in Einklang bringen lassen. Solange es haltbar ist, fühlen sich die Raiffeisenbanken für die Arbeitsplatzsicherung und die Nahversorgung verantwortlich. Man darf dabei aber nicht übersehen, dass es auch Grenzen gibt. Die genossenschaftliche Ausrichtung kann nicht dazu führen, wirtschaftlich nicht mehr vertretbare Arbeitsplätze und Standorte nachhaltig zu erhalten. Wenn es notwendig ist, dürfen auch diese Überlegungen kein Tabuthema sein. Bei Standortschließungen kann in der Praxis festgestellt werden, dass sehr oft vorerst verkürzte Öffnungszeiten und reduzierte Tätigkeiten ausprobiert werden, um Kosteneinsparungen unter eingeschränkter Aufrechterhaltung des Standortes zu erzielen.

Beim geänderten Kundenverhalten stellt sich immer häufiger die Frage, ob es mit einem gemeinsamen Internetauftritt getan ist, um den Anforderungen vor allem der Jugend und heranwachsenden Generation Rechnung zu tragen. Derzeit wird überwiegend die Meinung vertreten, dass mit der Kombination aus traditionell abgewickeltem Bankgeschäft vor Ort und der Internetmöglichkeit alle Wünsche abgedeckt sind. Ob dies wirklich genügt, ist aus heutiger Sicht nur schwer einzuschätzen. Es stellt sich nämlich die Frage, ob mit einem ständig abnehmenden Vorortegeschäft, was mit dem Heranwachsen der neuen Generationen zu erwarten ist, die anfallenden Standortkosten mit jenem Kundenanteil, der den Vorortekontakt und die Vororteberatung in Anspruch nehmen will, nachhaltig noch abgedeckt werden können. Dies gilt umso mehr, als die Weiterentwicklung der Telekommunikationstechnologie kostengünstigte Möglichkeiten bietet, mit seinem "Kundenbetreuer" über einen Bildschirm jederzeit in Kontakt zu treten, und zwar von seinem eigenen Wohnzimmer aus. Es wird eine spannende Frage werden, inwieweit die heranwachsende Generation überhaupt noch den persönlichen Kontakt in einem Umfang fordert, der für eine Kostenabdeckung notwendig ist.

Junge Kunden als Zielgruppe

Die Tiroler Raiffeisenbanken haben sich in der letzten Zeit sehr intensiv mit Fragen der Kundenbindung beschäftigt und dabei die Erfahrung gemacht, dass die genossenschaftliche Ausrichtung, vor allem die genossenschaftliche Wertevermittlung, ein geeignetes Instrumentarium zu einer stärkeren Kunden- und Mitgliederbindung darstellen kann. Voraussetzung dafür ist, dass diese Werte dem Kunden auch erkennbar vermittelt werden. Unter dem Motto "In der Region - für die Region" wurde ein guter Ansatzpunkt gefunden, um dieses Vorhaben auch umzusetzen. In der Konsequenz bedeutet dies, dass sich der bisher gegenüber dem einzelnen Mitglied orientierte Förderungsauftrag tendenziell zu einer Regionsförderung umwandelt und damit zu einer indirekten Förderung (als Teilhabender in der Region) mutiert. Um diese geänderte Ausrichtung zu rechtfertigen, wäre es allerdings wünschenswert, dass auch ein entsprechender Bevölkerungsanteil der jeweiligen Region auch Mitglied der Raiffeisenbank ist, was durch die Zeichnung von Geschäftsanteilen wiederum eine nicht zu vernachlässigende positive Auswirkung auf die Erhöhung des Kernkapitals haben kann.

Eine besondere Herausforderung stellt in diesem Zusammenhang auch das Halten des jungen Kunden dar. Über das Schulsparen gelingt es den Raiffeisenbanken ganz gut, die Kinder als "Kunde" zu erreichen. Nach Abschluss der Schulausbildung besteht aber die große Gefahr, dass sich dieser Kunde wieder verliert, vor allem, wenn er aus dem ländlichen Bereich zur weitergehenden Hochschulausbildung oder zum Berufseinstieg in die Städte wechselt. Hier braucht es noch einige Überlegungen, um ein allzu großes Abwandern dieser Kunden zu verhindern, zumal er gerade in dieser Zeit durch Familien- und Hausstandsgründung zu einem ertragsbringenden Kunden wird.

Der nach der "fit& proper-Richtlinie" geforderte Ausbildungs- und Eignungsanspruch an Geschäftsleiter, Führungspersonen und Funktionäre kann nur über zielgerichtete Ausbildungsschritte erreicht werden. Insofern bietet sich eine spezielle Sektorausbildung an, die derzeit evaluiert und auf den aktuellen Stand gebracht wird. Bei diesem Leistungsangebot durch den Sektor ist auf ein angemessenes Verhältnis der Ausbildungszeit zu den qualitativen Anforderungen abgestimmt auf die tatsächlichen Tätigkeitsbereiche zu achten. Besonders wichtig ist die Balance beim ehrenamtlichen Funktionär, der ja auch für diese Ausbildung seine Freizeit zur Verfügung stellen muss. Dies erfordert eine zeitschonende und damit äußert effiziente Ausund Weiterbildung. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwarten, dass sich der Trend vom ehrenamtlichen Vorstand zum hauptberuflichen Vorstand verstärken wird.

Seit dem Krisenbeginn im Jahr 2008 befindet sich der Bankensektor inzwischen in einem gewaltigen Umbruch. Genossenschaftsbanken haben gezeigt, dass sie mit ihrem Geschäftsmodell als stabilisierender Faktor eine wichtige Rolle spielen. Trotzdem verlangen die Änderungen des Umfelds intensive Auseinandersetzungen mit der Zukunftsrolle einer Genossenschaftsbank. Dabei kommt auch den Regulatorien entscheidende Bedeutung zu, die zum Teil bereits strukturbeeinflussende Auswirkungen zeigen. Hier ist auch die Politik aufgefordert, darauf zu achten, dass die Regelwerke nicht wettbewerbsverzerrend wirken. Die Praxis zeigt, dass diese Fragen von den Verantwortlichen ernst genommen werden, allerdings muss erwartet werden, dass dem Denken auch das Handeln folgt.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X