VERBUNDSTRATEGIE

"Wir wollen bewusst einen Stein ins Wasser werfen" - Interview mit Oliver Klink und Eva Wunsch-Weber

Oliver Klink, Foto: Taunussparkasse

Schon seit 2001 haben Frankfurter Volksbank und Taunus Sparkasse Erfahrungen mit gemeinsamen SB-Standorten gemacht. Nun bauen sie ihre Kooperation aus und haben für 26 gemeinsame Filialen die Marke "Finanzpunkt" geschaffen. So will man Standorte sichern und für Kunden und Mitarbeiter Perspektiven schaffen. Mit Blick auf die Bankenlandschaft in Deutschland hoffen die Partner, mit ihrem Ansatz Denkanstöße zu geben. Red.

Über die Zusammenarbeit von Volksbanken und Sparkassen im Filialbereich ist schon seit langem viel gesprochen worden. Weshalb hat es so lange gedauert, bis das in nennenswertem Umfang realisiert wurde? Ist der Leidensdruck jetzt so groß geworden?

Klink: Zwei traditionell stark profitabelwachsende Banken gestalten etwas völlig Neues. Mit der Initiative Finanzpunkt schaffen wir eine Win-Win-Situation für unsere Kunden, für unsere Region und für uns. Das ist für uns als Taunus Sparkasse, aber auch für die Frankfurter Volksbank eine hervorragende Basis, um gestalterischen Mut zu beweisen.

Wunsch-Weber: Erstmals in der deutschen Bankengeschichte haben zwei Geldinstitute aus unterschiedlichen Finanzverbünden eine flächendeckende Kooperation vereinbart. Wir nutzen dabei den positiven Erfahrungsschatz aus Selbstbedienungsfilialen, die wir schon seit 2001 gemeinsam betreiben. Das hat uns geholfen, in eine vertiefende Diskussion einzutreten.

Die Frage, wie sich die Möglichkeiten für Kunden im analogen wie auch im digitalen Bereich entwickeln und wie sich das Nutzungsverhalten verändert, ist heute relevanter denn je. Wir wissen, dass die Kunden sowohl digitales als auch analoges Bankgeschäft nutzen wollen. 60 Prozent unserer Kunden sind heute in beiden Welten unterwegs. Und wir erkennen immer genauer, bei welchen Themen sie uns auf welche Weise kontaktieren werden. Auch das hat sicher geholfen.

Was haben Sie denn aus der Kooperation bei SB-Standorten gelernt?

Wunsch-Weber: Ein wichtiger Punkt ist gegenseitiges Vertrauen. Die Sacharbeit hat immer gut funktioniert und wir konnten uns wechselseitig darauf verlassen, dass die SB-Filialen auf dem Stand blieben, den wir erwartet haben.

Klink: Wir haben festgestellt, dass wir die gleiche Einstellung haben. Wir brauchen diese Filialen und es lohnt sich, mit dem "Finanzpunkt" ein gemeinsames Label daraus zu machen.

Wenn man zwei oder in der Zukunft womöglich auch drei Partner in einer kleinen Geschäftsstelle hat und jeder sich mit seinem Logo verewigt, dann wirkt das für die Kunden sehr unaufgeräumt.

Umgekehrt nehmen Kunden diese SB-Standorte als Teil der regionalen Infrastruktur wahr. Daraus insgesamt ist die Idee entstanden, den gemeinsamen Treffpunkt für Finanzen als das zu bezeichnen, was es ist. Finanzen und Punkt: also "Finanzpunkt".

Was für Auswirkungen erwarten Sie von dem Label "Finanzpunkt" auf die Wahrnehmung der jeweils eigenen Marke?

Wunsch-Weber: Unsere Erfahrung zeigt, dass Menschen sehr schnell Dinge miteinander verknüpfen. Wir gehen davon aus, dass es gelingt, die Marke Finanzpunkt mit Volksbank und Sparkasse zu verknüpfen. Und sie positiv anzunehmen. Das hat auch die Marktforschung im Vorfeld der Zusammenarbeit gezeigt.

Sind Sie mit den Verbänden im Gespräch, um das Label vielleicht zum neuen Markenzeichen für eventuelle künftige weitere Kooperationen nach diesem Vorbild zu machen? Oder ist das zu weit in die Zukunft gedacht?

Klink: Wir haben unsere Verbände natürlich rechtzeitig informiert. Sie stehen dem Thema sehr positiv gegenüber. Unsere Initiative ist eine Alternative zu dem üblichen Reflex, Geschäftsstellen zu schließen und den Kunden allein zu lassen. Und wir wollen bewusst einen Stein ins Wasser werfen, ohne irgendjemandem etwas vorzuschreiben.

Wunsch-Weber: Bei den Kollegen stößt das Konzept schon jetzt auf große Aufmerksamkeit. Auf dieser Basis gibt es vielleicht die Chance, dass auch mehr daraus wird. Ich bin von zahlreichen Kollegen angesprochen worden, für die der Ansatz eine Initialzündung darstellt, sich ebenfalls auf den Weg zu machen und mit ihren Sparkassenkollegen über Möglichkeiten der Kooperation zu sprechen.

In unserem Geschäftsgebiet gibt es noch sieben weitere Sparkassen und ich würde mich freuen, wenn wir das Thema mit ihnen in der Rhein-Main-Region noch weiter vorantreiben könnten. Wenn es im Rhein-Main-Gebiet funktioniert, strahlt das sicher auch darüber hinaus aus.

Ist die Zusammenarbeit als Experiment angelegt oder ist es eine klare strategische Entscheidung?

Klink: Das 21. Jahrhundert hat mit Co-Working und Sharing Economy ein Denkmodell verändert. Nach Car-Sharing kommt jetzt das Bank-Sharing. Hinzu kommt: Die Zeiten, in denen man zwei oder drei Jahre herumexperimentieren konnte, sind vorbei. Deshalb testen wir nicht mit ein oder zwei Standorten, sondern wir sind der festen Überzeugung, dass unser Weg der richtige ist. Deshalb haben wir einen langfristigen Vertrag geschlossen und sind ziemlich sicher, dass das Konzept funktionieren wird.

Wie viele der Filialen, die jetzt in die Kooperation eingebracht werden, hätten ansonsten auf der Streichliste gestanden?

Klink: Die Finanzpunkte sind ein mutiger Schritt in die Zukunft und kein Versuch, Halbtote mithilfe der Frankfurter Volksbank am Leben zu erhalten. Es handelt sich durchweg um Standorte in einer funktionierenden Infrastruktur, bei denen die Kunden eine Präsenz wünschen, auch wenn sie nicht mehr so häufig in die Filiale kommen.

Dieser Kundenauftrag ist klar. Und wir glauben, eine intelligente Lösung für die kleinen Geschäftsstellen gefunden zu haben: Wenn die Kunden weniger häufig kommen, genügt es, wenn wir nicht so oft vor Ort sind, sodass wir uns die Kosten teilen können. Das scheint im Moment ein guter Weg zu sein, um die Geschäftsstellen zu erhalten.

Wunsch-Weber: Wenn es nur darum ginge, potenzielle Schließungen zu vermeiden, würden wir ja beide nicht in die Finanzpunkte investieren und unsere Präsenz vor Ort erweitern.

Wir wollen mit unserer Initiative auch in Sachen Infrastruktur einen Punkt setzen. Der Finanzpunkt soll der Marktplatz vor Ort sein, an dem Kunden ihre Finanzangelegenheiten erledigen können. Und vielleicht können wir damit auch über die Bankenwelt hinaus ein Signal für die Infrastruktur kleinerer Ortschaften setzen - nämlich, dass es sich durchaus lohnt, hier zu investieren.

Klink: Für die Kunden bedeuten die Finanzpunkte ja auch, dass nicht nur Standorte gesichert werden, sondern sie zudem die Auswahl zwischen zwei Wettbewerbern haben. Das ist heute keine Selbstverständlichkeit mehr.

Was für Standorte waren es, die Sie in die Kooperation einbringen?

Klink: Von den insgesamt 26 Standorten ist einer für beide Partner ganz neu. An den übrigen Orten war zumindest eines der beiden Institute präsent. Vier Standorte, die zuvor mit Mitarbeitern der Taunus Sparkasse besetzt waren, werden künftig zumindest mit einer gemeinsamen SB-Filiale gesichert. Ein weiterer Standort, der bisher gemeinsamer SB-Standort war, wird ausgebaut. Dort werden künftig Mitarbeiter vor Ort sein.

Wunsch-Weber: Auch für die Frankfurter Volksbank sind vier Finanzpunkte Standorte, die bisher nicht bedient wurden.

Klink: Ausgewählt haben wir die jeweiligen Immobilien danach, wie gut sie in das Finanzpunkt-Konzept hineinpassen. Getrieben aus der Kundensicht spielen hier Erreichbarkeit, Parkmöglichkeiten und Barrierefreiheit eine ganz wichtige Rolle. In den meisten Fällen gehört die Immobilie der Sparkasse oder der Volksbank, die übrigen sind angemietet. Organisatorisch haben wir ein Betreibermodell gewählt: Wo die Immobilie im Eigenbesitz ist, wird dem Partner eine Pauschalmiete berechnet, wo der Standort angemietet ist, ist ein Partner Mieter, der andere Mitnutzer und die Miete wird geteilt.

Nach welchen Kriterien haben Sie die Standorte ausgewählt, die in die Kooperation eingebracht werden?

Wunsch-Weber: Entscheidend ist letztlich das Kundenverhalten. Mittlerweile wird seit einer geraumen Zeit analysiert, wann der Kunde über welchen Kanal mit welchem Anliegen zu seiner Bank kommt. Daraus lässt sich das Nutzungsverhalten von Filialstandorten oder digitalen Angeboten sehr genau erkennen. Auf dieser Basis lassen sich solche Entscheidungen treffen.

Klink: Anders als es viele Online-Anbieter glauben machen wollen, wachsen wir an unseren Filialstandorten, sogar mit Girokonten. Es gibt also überhaupt keinen Grund, vom Tod der Filiale zu sprechen.

Wie wichtig ist die Präsenz vor Ort heute noch für die Neukundengewinnung?

Klink: Den Kunden ist die Möglichkeit wichtig, eine Filiale aufsuchen zu können, auch wenn sie es seltener tun als früher. Eines der Kernthemen im 21. Jahrhundert lautet: Geschäftsstellen sind ein integraler Bestandteil einer Multikanalstrategie, genauso wie eine App oder Online-Banking. Diesen Vorteil kampflos aufzugeben, wäre grob fahrlässig.

Wunsch-Weber: Natürlich beschaffen sich Kunden immer häufiger zuerst Informationen aus dem Internet. Wir wissen aber aus unseren eigenen gelebten Erfahrungen heraus: Eine Online-Information bedarf häufig einer Verifizierung im Rahmen eines persönlichen Gesprächs, vor allem, wenn es um Themen etwas komplexerer Art geht. Auch die Videoberatung kann das nicht vollständig ersetzen.

Woran liegt das? Stehen die Kunden der Technik noch etwas fremd gegenüber? Oder wird der digital zugeschaltete Berater doch anders wahrgenommen als der, dem man persönlich gegenübersitzt?

Wunsch-Weber: Es sind vermutlich beide Dinge. Das eine ist jedoch eher ein Lerneffekt. Videoberatung können sowohl Kunde als auch Berater sicher ein Stück weit lernen. Studien zeigen jedoch, dass sich die dabei verbleibende Distanz tatsächlich auswirkt. Insofern glauben wir, dass diejenigen Themen, für die der Kunde eine Beratung wahrnehmen möchte, nicht komplett durch Videoberatung dargestellt werden können.

Es würde sich also nicht lohnen, SB-Standorte mit Kabinen für die Videoberatung auszustatten?

Wunsch-Weber: In einer Videoberatung kann man nur recht einfache Fragen in die Kommunikation fassen. Und für diese Art der Kommunikation gibt es heute ganz andere Alternativen, für die der Kunde nicht mehr in einen Filialstandort kommen muss.

Klink: Der Kunde ist heutzutage mobil erreichbar, komplett interaktiv und will die Präsenz eines Kundenberaters vor Ort. Darauf geben wir mit unserer Multikanalstrategie eine Antwort. Und die Finanzpunkte sind eine profitable Option, für den Kunden an seinem Wohnort zu sein, auch wenn er uns nicht mehr so häufig braucht. Wenn das so ist, dann teilt man sich eben Räume und Zeit und kann auf diese Weise das erfüllen, was der Kundenauftrag ist. Das sollte in Dienstleistungsbranchen immer höchste Priorität haben.

Wie viel investieren Sie in die gemeinsamen Filialen? Und wie hoch ist das Kostensenkungspotenzial der gemeinsamen Finanzpunkte gegenüber einer eigenen Filiale?

Wunsch-Weber: Wir investieren gemeinsam 5 Millionen Euro. Die Synergieeffekte entstehen dadurch, dass wir die Sachkosten teilen. Die Personalkosten bleiben natürlich separat.

Klink: Das Kostensenkungspotenzial beträgt etwa 40 Prozent. Wir teilen uns die gesamten Fixkosten wie Miete oder Abschreibungen. Bei der SB-Infrastruktur stehen in einer normalen Filiale vielleicht zwei Geldautomaten; im Finanzpunkt auch - aber eben nur einer je Institut, ohne dass das für die Kunden mit Einschränkungen verbunden wäre. Sie können auch den Automaten des jeweils anderen Instituts kostenfrei nutzen.

Auch die Personalkosten sinken, weil wir nur noch an zwei Tagen mit Zweier-Teams vor Ort sind. Was übrig bleibt und der Grund dafür ist, dass die Ersparnis nicht genau 50 Prozent beträgt, sind unter anderem Infrastrukturkosten wie Leitungskosten, die wir einfach doppeln müssen - zumindest momentan noch.

Wäre es nicht denkbar, nur eine Leitung zu legen und je nachdem, wer sich einloggt, mal zum einen, mal zum anderen Rechenzentrum zu routen?

Wunsch-Weber: Das ist sicher eine Frage, die den Rechenzentralen zu stellen ist. Es wäre in jedem Fall visionär, wenn Finanzinformatik und Fiducia GAD diese Möglichkeit eröffnen würden. Wir geben vielleicht jetzt einen Anstoß zum Nachdenken.

Aber das ist eine andere technische Hausnummer, die zu bewältigen ist. Das liegt unter anderem an der Sicherstellung des Datenschutzes nach Stand der Technik.

Klink: Für die Rechenzentren kann das eine ganz spannende Sache sein, dass jetzt das Henne-Ei-Problem gelöst ist. Denn bevor sich die Rechenzentren darüber austauschen, etwas gemeinsam zu machen, muss es jemanden geben, der dafür einen Bedarf hat. Wenn man durch eine Kooperation auf der IT-Seite die Kosten noch weiter senken könnte, wären wir sofort dabei. Stand heute sind wir mit der glasklaren Trennung der IT auf dem richtigen Weg.

Wunsch-Weber: Die IT ist ein gutes Beispiel dafür, dass bei der Zusammenarbeit noch viel Luft nach oben ist und man das Modell noch weiterdenken kann. Jetzt wollten wir aber erst einmal beginnen.

Ist die Gestaltung der Finanzpunkte als komplett papierlose Filialen der Datenschutzthematik geschuldet?

Wunsch-Weber: Ja, aber Datenschutz ist nicht der einzige Aspekt. Wenn man schon etwas Neues aufbaut, kann man es auch gleich auf dem neuesten Stand tun. Warum sollte man heute eine papierhafte Filiale einführen, anstatt den Mitarbeitern einen Anreiz zu geben, in einem sehr modernen Büro zu arbeiten?

Klink: Dahinter steht auch das, was wir für den Kunden erreichen wollen, nämlich eine fallabschließende Beratung. Hier nutzen wir die neuen Möglichkeiten vollumfänglich an einer Stelle, wo man es vielleicht nicht erwartet hätte, nämlich in den kleinen Geschäftsstellen.

Die Mitarbeiter müssen ja zwischen den einzelnen Standorten hin und her wechseln. Wie kommt das Konzept bei ihnen an?

Klink: Wir haben eingespielte Teams, die in identischer Umgebung an drei verschiedenen Standorten arbeiten und dabei ihre jeweiligen Stammkunden haben werden. Mit den Finanzpunkten wird auch das Einzelkämpfertum in den Kleinfilialen beendet.

Wunsch-Weber: Das Konzept gibt den Mitarbeitern Zukunftssicherheit, das ist zentral. Sie wissen: Investitionen bedeuten Standortsicherung und ein Bekenntnis zu ihren Arbeitsplätzen in der Region - und das mit modernster Technik. Insofern ergibt sich für die Mitarbeiter ein deutlicher Mehrwert. Das haben sie in der Region bei den internen Präsentationen bestätigt

Kann das Modell insofern auch bei der Mitarbeitergewinnung helfen?

Wunsch-Weber: Es ist für einen jungen Menschen sicher wichtig zu wissen, dass sein künftiger Arbeitgeber zukunftsorientiert ist, sich mit aktuellen Themen beschäftigt und eine klare Wertenomenklatur hat. Dazu gehört die Verantwortung für die Region und für die Menschen.

Klink: Das kann ich nur unterstreichen. Unsere rund 60 Auszubildenden haben stehende Ovationen gegeben, als wir das Konzept vorgestellt haben. Das ist doch eine schöne Bestätigung.

Oliver Klink, Vorsitzender des Vorstands, Taunus Sparkasse, Bad Homburg
Eva Wunsch-Weber, Vorsitzende des Vorstands, Frankfurter Volksbank eG, Frankfurt am Main

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