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Anlagen in Schwellenländern? - Kein Grund zu allgemeiner Euphorie

Wenn vom Investieren in aufstrebende Märkte die Rede ist, geschieht das mit einer ganzen Menge Enthusiasmus, ja sogar von einem Hype könnte man sprechen. Ein nüchterner Blick legt jedoch folgende Einschränkungen nahe: Es ist viel schwerer für Schwellenländer, die Schwelle zu einer voll entwickelten Volkswirtschaft nachhaltig zu überschreiten, als gemeinhin gedacht. Es sind nicht immer die Aktienmärkte, die am stärksten vom Wachstum profitieren, sondern eher die Währungen und die Anleihemärkte. Und es ist unwahrscheinlich, dass Schwellenländer ihr Wachstum aufrechterhalten können, wenn der Rest der Welt nicht mitzieht.

Einkommen und Einkommensverteilung als Kriterien

Was aus einem sich entwickelnden Land ein aufstrebendes Schwellenland macht, ist eine Frage der Definition. Die Weltbank verwendete den Begriff "emerging" erstmals im Jahre 1981 und bezeichnete damit die Shortlist der Wirtschaftssysteme innerhalb der sich entwickelnden Länder mit investierbaren Aktienmärkten, die sich von mittlerem zu höherem Einkommen entwickelten. Ab 1999 formierten sich die G20, die elf "systemisch relevante" Entwicklungsländer umfassten. Was braucht es schließlich, um vom aufstrebenden Markt zum Status eines voll entwickelten Marktes aufzusteigen?

Abbildung 1 zeigt eine Art "Development Scorecard" für die wichtigsten Schwellenländer. Die Weltbank verwendet eine Grenze von 12 475 US-Dollar, bei der aus dem Pro-Kopf-Einkommen einer "middle income"-Volkswirtschaft das einer "high income"-Volkswirtschaft wird. Manche Wirtschaftswissenschaftler ziehen es vor, sich auf eine relative Kaufkraftparität zu kon zentrieren, bei der ein mittleres Einkommen bei zehn bis 75 Prozent des EU-Durchschnittswerts pro Kopf liegt. Akademische Forschungen zeigen, dass die Verteilung des Einkommens ebenfalls von Bedeutung ist, wenn die Wahrscheinlichkeit bewertet werden soll, dass sich ein Entwicklungs land zu einem Industrieland entwickelt. Je einheitlicher die Verteilung, also je niedriger der sogenannte Gini-Koeffizient, umso wahrscheinlicher entwickelt sich ein Land zu einem höheren Status. Weitere Faktoren sind die Qualität der Institutionen eines Landes, Fortschritte bei Strukturreformen und die Demografie.

Welchen Ländern ist nach diesen Kriterien der Übergang gelungen? Erstaunlich wenigen über lange Zeiträume hinweg. Laut Weltbank haben seit 1960 gerade einmal 13 Länder den Sprung von Einkommen der höheren Mittelklasse zu höheren Einkommen geschafft - fünf davon sind allein die asiatischen Tigerstaaten plus Griechenland, Irland, Spanien und Israel. Eine der Herausforderungen besteht in der Beibehaltung der überdurchschnittlichen Wachstumsraten über Jahrzehnte, die es dauern würde, damit die Einkommensniveaus mit denen der Industrieländer übereinstimmen.

Verlangsamte Wachstumsgeschwindigkeit seit 2009

Als Ganzes haben sich die aufstrebenden Märkte gut geschlagen, insbesondere während der Jahre des Wachstumsbooms von 2003 bis 2007, in denen ihr Anteil am weltweiten BIP von 20 Prozent auf 34 Prozent und ihr Anteil an den weltweiten Aktienmärkten von vier Prozent auf zehn Prozent gestiegen war. Anschließend war nach dem Rückschlag im Jahre 2009 aber nur noch wenig Fortschritt zu beobachten. Die Wachstumsgeschwindigkeit verlangsamt sich und die Aktienmärkte hinken ihren Konkurrenten aus den Industrieländern hinterher.

Auch auf die Entwicklung von Marktinfrastrukturen zu schauen, ist sehr lehrreich. Nur fünf von 38 Ländern, die auch schon im Jahre 1900 funktionierende Aktienmärkte hatten, haben sich seither weiterentwickelt. Es sind immer noch die Märkte, die auch schon im Jahr 1900 voll entwickelt waren, die heute noch die Aktienmärkte dominieren und 84 Prozent des MSCI All World ausmachen (Abbildung 2).

Schnelle Anfangsgewinne nicht aufrechtzuerhalten

Ein Gutteil des schnellen Wachstums von aufstrebenden Ländern geht auf billige Arbeitskräfte zurück. Ohne Marktzugangsschranken führen allmählich steigende Löhne und Gehälter zur weiteren Verlagerung der Arbeitsplätze in noch billigere Länder, insbesondere für einfache Industrieproduktion. Die im Zuge neuer Energiequellen veränderten Energiekosten in den USA werden den Wettbewerbsvorteil für energieintensive Produktion in die USA oder ihre Nachbarstaaten zurückverlagern. Selbst im Dienstleistungssektor hat sich zum Beispiel in Indien, das beträchtliche Marktanteile im IT-Sektor gewonnen hatte, die Inflation der Löhne und Gehälter dort so schnell beschleunigt, dass die Entscheidung zur Auslagerung nicht mehr so eindeutig war. Es scheint also schwieriger zu sein, den Sprung vom mittleren zum höheren Einkommensniveau zu schaffen als von der niedrigeren zur unteren Mittelklasse oder von der unteren zur höheren Mittelklasse.

Einfluss der Demografie

Auch die Demografie spielt dabei eine Rolle. China ist zwar mittlerweile die weltweit zweitgrößte Wirtschaftsmacht (am BIP gemessen), seine arbeitende Bevölkerung jedoch hat 2012 einen Wendepunkt erreicht und ist seitdem im Begriff, zu sinken. Die Erfahrung in Japan und Südkorea legt nahe, dass, sobald demografische Wendepunkte überschritten sind, sich das Wachstum verlangsamt und sich die frühen Gewinne aus der schnellen Verstädterung und aus den extrem niedrigen Löhnen und Gehältern nicht wiederholen.

Eine Reduzierung der Investitionen und des Energieverbrauchs in China zugunsten einer zunehmenden Inlandsnachfrage hätte selbstverständlich Auswirkungen auf andere aufstrebende Märkte. China hat in den letzten Jahren nahezu die Hälfte der weltweiten Industriemetallproduktion und ein Fünftel der Energie verbraucht. Bei den Handelsgüter und Energie produzierenden Ländern Brasilien und Russland hat die daraus resultierende Währungsstärke zwar die Einkommensniveaus in die Höhe getrieben, jedoch ihre Wettbewerbsfähigkeit in anderen Teilen der Erde reduziert. BRIC-Länder entwickeln sich also alles andere als homogen.

Konsequenzen für die Anleger?

Generell wird der zukünftige Wachstumstrend sowohl für aufstrebende als auch für entwickelte Märkte strukturell schwächer sein. Länder mit hohen Einkommen werden versuchen, ihre Defizite auszugleichen; von dort wird eher weniger Unterstützung kommen. Auch Kredite und ausländische Direktinvestitionen in Schwellenländer sind in 2012 um etwa ein Fünftel zurückgegangen. Auch wenn die Abhängigkeit von den entwickelten Märkten abgenommen und der Handel zwischen den aufstrebenden Märkten zugenommen hat, rechnet die Weltbank damit, dass sich die Schwellenländer der gedämpften globalen Entwicklung nicht entziehen können. Jede neuer liche Eskalation der Schuldenkrise von EU und USA wird das Wachstum beeinträchtigen.

1. In den frühen Phasen einer Entwicklung profitieren eher die Währungen oder die Staatsanleihen als die Aktien. Ein Gutteil des zunehmenden Anteils der Emerging Markets am globalen GDP ist verknüpft mit Aufwertung. Starkes Wirtschaftswachstum übersetzt sich nicht notwendigerweise eins zu eins in starke Performance des Aktienmarkts, genauso wenig wie Gewinne an Aktienmärkten nicht unbedingt wirtschaftliche Fortschritte widerspiegeln.

2. Akronyme wie BRIC verkennen, dass Schwellenländer nicht homogen sind. Gerade bei den BRIC-Staaten überwiegt das Trennende vor dem Gemeinsamen. Sie entwickeln sich oft sogar gegenläufig: Wenn etwa die Rohstoffpreise steigen, profitiert Brasilien; China dagegen verliert.

3. Bei Aktienmärkten ist es von Vorteil, sich die Zusammensetzung anzusehen. Die Titel, die zunächst gelistet werden und die Indizes der aufstrebenden Märkte dominieren, sind oft ehemalige staatliche Unternehmen, Versorger und Finanzinstitute, die wiederum nicht gerade die dynamischen Elemente der Wirtschaft ausmachen. Eine sorgfältige Selektion ist deshalb der Investition in einen Index vorzuziehen. Anleger sollten nur investiert sein in gut geführten Unternehmen; Börsennotierungen im Ausland könnten mehr Gewissheit hinsichtlich Unternehmensführung und internationale Buchführungsstandards bieten. Und für Investoren, die weniger auf Liquidität achten müssen, empfiehlt sich in aufstrebenden Märkten Private Equity vor Public Equity.

4. Unternehmensanleihen von Firmen in aufstrebenden Märkten sind relativ einfach in eine globale High-Yield-Anlagestrategie zu integrieren. Dieser Markt wächst rapide und hat in 2012 ein Volumen von über einer Billlion Dollar erreicht; davon sind 63 Prozent Anleihen von Finanzinstituten.

5. Im Markt für Staatsanleihen gab es bislang eine Anomalie: In den voll entwickelten Märkten bringen sie Mehrertrag, wenn das Wachstum niedrig ist. In den Emerging Markets scheint es umgekehrt zu sein - Staatsrisiken haben mehr Gewicht als der Zinszyklus. Angesichts der Sorgen um die Schuldentragfähigkeit der entwickelten Länder könnte es hier zu einer Konvergenz kommen, indem Länderratings in den entwickelten Ländern mehr in den Fokus geraten und in den Emerging Markets weniger. Gleichzeitig könnte sich auch der Einfluss des Zinszyklus annähern.

Investitionen in aufstrebenden Märkten sind eher ein Phänomen aus Zeiten des Wirtschaftsbooms als eine sichere Anlage oder eine effektive Diversifikation. Aufstrebende Märkte können nicht isoliert wachsen. Auch zeigt sich, dass sie meist nicht nachhaltig stärker wachsen. Und dass es sich lohnt zu unterscheiden.

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