Leitartikel

Ansporn oder Ballast?

Sportliche Herausforderungen sind gut. Sie können nicht nur Ehrgeiz entfachen und neue kreative Ideen hervorbringen, sondern sie lassen auch die realistische Aussicht, den Weg an die Spitze zu schaffen beziehungsweise vorgegebene Ziele erreichen zu können.

Ob diese Begrifflichkeiten im übertragenen Sinne für eine gute Bankenaufsicht und ein zeitgemäßes Risikomanagement treffend sind, darf freilich bezweifelt werden. Zu gigantisch türmen sich auf diesen wichtigen Feldern des gelebten Bankenalltags die Probleme all der beschlossenen und noch kommenden Anforderungen. Zu dicht liegen die Termine für die Umsetzung der regulatorischen Vorgaben aus Brüssel, Berlin und anderswo. Wenn die (Projekt-)Arbeit an einer Baustelle vor dem Abschluss steht, müssen oft wieder neue eingerichtet werden. Zwar haben sich die meisten Betroffenen längst mit Regulatorik als Daueraufgabe zu arrangieren gelernt. Aber in der Gesamtschau vermitteln derzeit viele Spezialisten der Kreditinstitute in diesem zunehmend wichtiger werdenden Steuerungsbereich den Eindruck von Dauerstress an der Belastungsgrenze, der leicht kontraproduktiv wirken könnte.

Derweilen konzentrieren sich die Interessenvertreter einzelner Banken oder ihrer Verbände auf die Überzeugungsarbeit bei den politischen Interessenvertretern auf nationaler und europäischer Ebene. Sie wollen sicherstellen, dass ungleiche Sachverhalte möglichst auch differenziert behandelt werden. So machen sich die Genossenschaftsbanken dafür stark, die Einhaltung der vorgesehenen Liquidity Coverage Ratio in Verbundorganisationen nicht für jedes einzelne Institut, sondern auf Gruppenebene zu verlangen. Und den Sparkassen liegt es besonders am Herzen, die Eigenkapitalunterlegung für Mittelstandskredite besser zu stellen als bisher vorgesehen. Schon bei solch grundsätzlichen Eingaben an die Politik fällt die Grenzziehung zwischen sachlich begründeter Differenzierung und unvertretbarer Sonderbehandlung, sprich ungerechtfertigter Klientelpolitik, enorm schwer. Wer will schon stichhaltig nachweisen, dass die vergleichsweise niedrige Ausfallquote im deutschen Mittelstandskredit nicht doch mit der guten wirtschaftlichen Lage und/oder mit den verbesserten Bonitätsratingsystemen der beiden

Verbünde beziehungsweise der hiesigen Kreditwirtschaft insgesamt zu tun hat und nicht einfach auf ganz Europa übertragbar ist? Wer findet bei der Gratwanderung zwischen zweckmäßigen nationalen Gestaltungsmöglichkeiten und dem Verzicht auf mögliche Harmonisierungsgewinne schon das sachgerechte Optimum?

Noch viel schwerer fallen Differenzierung und Sonderbehandlung bei der Klärung vieler komplexer Einzelfragen. Adressrisiken, Compliance, Datenmanagement, EBA-Rechtsfragen, FINREP, Modellvalidierung, Stresstests und Zinsänderungsrisiken lauten in alphabetischer Reihenfolge allein die Schlagworte der in dieser ZfgK-Ausgabe aufgegriffenen Themen. Jedes Einzelne hat das Zeug für umfangreiche Projektarbeit und/oder Grundsatzdiskussionen über den weiteren Weg zu einer vernünftigen Regelungsdichte der Bankenaufsicht und des Risikomanagements. Und alle verlangen bei den relevanten Stellschrauben nach klugen Maßstäben für eine fundierte Entscheidung zur Gleich- oder Ungleichhandlung. Als zusätzliche Hindernisse für die erfolgreiche Umsetzung kommen noch die Interdependenzen all der angestoßenen Maßnahmen sowie der ambitionierte Zeitplan hinzu. Selbst viele Consultants, die in der Branche auf diesen Spezialgebieten Projekte begleiten, erfreuen sich nur bedingt an dem auf Jahre hinaus verlockenden Beratungspotenzial und warnen vor einer Überforderung der Institute.

Mit welcher Taktfolge die Regulatoren derzeit bei der Verabschiedung des Maßnahmenkataloges zur Reform des Finanzsektors arbeiten, zeigen allein schon die für das laufende Jahr wichtigen Initiativen im Zusammenhang mit den national noch gestaltbaren Richtlinien (Capital Requirements Directive - CRD IV) und den als Verordnung konzipierten allgemein verbindlichen Regelungen (Capital Requirements Regulation - CRR I). Wie die Übersicht verdeutlicht wurden in den ersten Monaten dieses Jahres jeweils ein erster Entwurf des CRD-IV-Umsetzungsgesetzes und zur 4. MaRisk-Novelle, ein überarbeiteter Entwurf zur künftigen Meldung unterjähriger Finanzdaten und ein Entwurf zum Handelsbuch vorgelegt. Für Ende Juni wird die Veröffentlichung zum EBA-Reporting erwartet. Ende September steht im EU-Parlament die Verabschiedung von EMIR als neue Kapitalmarktregulierung für OTC-Derivate an, und auch Regelungen für systemrelevante Institute und Schattenbanken bleiben weiterhin auf der Agenda. Auch die folgenden Jahre bis 2019 sind als Zeitrahmen zur Inkraftsetzung vom Basel III schon gut ausgelastet, angefangen von dem schrittweisen Ansteigen der Kapitalquoten über das Thema Verschuldung bis hin zu den Liquiditätskennziffern LCR und Net Stable Funding Ratio. Jeweils verbunden ist das alles mit den politischen Entscheidungen zur Umsetzung der europäischen Regelungen analog zu BaselIII oder über technische Standards der EBA.

Bei all diesen Projekten ernten die Fachleute für Risikomanagement und Aufsichtswesen in den Instituten und dem relevanten Umfeld der Beratungs- und IT-Branche hohen Respekt und fachliche Anerkennung. Das aufgebaute Herrschaftswissen der Regulatoren, Berater und IT-Spezialisten qualifiziert diese sicher auch für anspruchsvolle Aufgaben im Top-Management der Banken. Aber die Motivationslage scheint doch ungleich schwerer als auf der

Marktseite. Denn die Erfolge der Vertriebsleute lassen sich immer am Geschäft festmachen und münden meist in eine erfolgsorientierte Vergütung. Die Risikomanager der Kreditwirtschaft werden hingegen daran gemessen, dass im eigenen Haus eigentlich gar nichts passiert

- erst recht nicht solch fatale Fehleinschätzungen wie kürzlich wieder bei J. P. Morgan. Und im Zusammenspiel mit den Regulatoren sollen sie auch noch zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems beitragen. Ob diese hehren Ziele zusammen mit dem verbesserten Standing in der Bankhierarchie als Ansporn reichen, ist noch nicht entschieden. Auch aufseiten der Regulierer und Risikomanager muss die Komplexität beherrschbar und vermittelbar bleiben. Sonst erweist sich die Mission Regulierung auf lange Sicht als zu anspruchsvoll und wird damit zum schädlichen Ballast.

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