Aufsätze

Bankenaufsicht und die Sorge für die Stabilität des Finanzsystems zwei komplementäre Perspektiven

Angesichts der zentralen Stellung des finanziellen Sektors und insbesondere der Kreditinstitute im Wirtschaftskreislauf ist es eine Aufgabe des Staates, die Funktionsfähigkeit des Finanzsektors zu sichern. In einer marktwirtschaftlichen Ordnung erfolgt dies durch die Setzung qualitativer und quantitativer Rahmenbestimmungen. Ein direkter Eingriff in einzelne Geschäfte der Institute erfolgt nicht. Die sogenannte mikro-prudenzielle Aufsicht setzt am Einzelinstitut an und steht auf zwei Säulen: die laufende Überwachung und die bankgeschäftlichen Prüfungen.

Kernpunkte mikro-prudenzieller Aufsicht

Zur laufenden Überwachung gehört die ständige Analyse der über die Institute vorhandenen Informationen, insbesondere Anzeigen und Meldungen nach dem KWG, Jahresabschlussunterlagen, Prüfungsberichte der Wirtschaftsprüfer sowie der in Aufsichtsgesprächen gewonnenen Informationen. Auch Marktinformationen werden natürlich genau analysiert. Diese so gewonnenen Primärinformationen sind eine wichtige Erkenntnisquelle über die Solvenz, Liquidität sowie die Risiko-, Ertrags- und Vermögenslage eines Institutes. Die bankgeschäftlichen Prüfungen sind ein wichtiges Instrument einer modernen, präventiven Aufsicht, da sie vor allem die Angemessenheit der Risikosteuerungsverfahren der Institute und ihre Eigenmittelausstattung zum Gegenstand haben. Das "klassische" Bild des Aufsehers, der entweder am Schreibtisch oder vor Ort im Institut "harte" Zahlen überprüft und Compli-ance-Checks durchführt, stimmt heute nicht mehr.

Qualitative Vorgaben gewinnen zunehmend an Bedeutung, wenn auch nicht jeder Aspekt rein qualitativ reguliert und beaufsichtigt werden kann. Die Bankenaufsicht wird zunehmend zu einer Art "System-TÜV". Dieser soll gewährleisten, dass die Institute innerhalb des regulatorischen Rahmens ein adäquates Risikomanagement betreiben und ihren maximalen Risikoappetit anhand ihrer Risikotragfähigkeit bestimmen. Dieser "Paradigmenwechsel" von der quantitativen zur stärker risikoorientierten und qualitativen Aufsicht wurde nicht zuletzt durch die neue Eigenkapitalvereinbarung des Baseler Ausschusses (Basel II) befördert. Dies gilt für die risikosensitivere Ausgestaltung der regulatorischen Kapitalanforderungen.

Darüber hinaus werden insbesondere in der sogenannten Säule 2 der Baseler Regelungen (Supervisory Review Process) qualitative Aufsichtselemente in den Vordergrund gerückt. Mit der Umsetzung von Basel II in Europa eröffnet sich zudem die Chance, die Konvergenz der aufsichtlichen Regeln und Praktiken stark voran zu bringen, um den Gegebenheiten eines zunehmend integrierten europäischen Finanzmarktes Rechnung zu tragen. Dies ist eine der Hauptaufgaben des seit 1. Januar 2004 tätigen "Committee of European Banking Supervisors (CEBS)", in dem alle Aufsichtsbehörden und Notenbanken der EU vertreten sind.

Hauptanknüpfungspunkte für die Kooperation auf europäischer Ebene sind insbesondere die großen grenzüberschreitend tätigen Bankengruppen. Die Kooperation der europäischen Aufseher liefert dabei wichtige zusätzliche Mosaiksteine, um ein Gesamtbild über diese Gruppen und deren Risikolage zu gewinnen. Große Bankengruppen können systemische Relevanz aufweisen. Sie bilden insoweit eine zentrale Schnittstelle zur makro-prudenziellen Analyse, die auf die Funktionsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit des Finanzsystems als Ganzes ausgerichtet ist. Gegenstand von Analysen auf dieser "Meta-Ebene" sind darüber hinaus aber auch Bankengruppen in anderer Abgrenzung (zum Beispiel Landesbanken, Hypothekenbanken), Konglomerate, Nicht-Banken und deren Verknüpfungen zum Bankensystem (Versicherungen und Fonds), einzelne Bankenmärkte (zum Beispiel Immobilienfinanzierung, Retail Banking) sowie strukturelle Trends (zum Beispiel Konzentration, Outsourcing, Kreditderivate).

Kernpunkte makro-prudenzieller Analysen

Im Zentrum der makro-prudenziellen Arbeit steht die kompetente Fachanalyse, die eine Rückkoppelung zur mikro-prudenziellen Aufsicht ermöglicht. Mit Blick auf die Risikobeurteilung gilt es, Schockpotenziale sowie länger anhaltende negative Entwicklungen zu identifizieren und ihre systemische Relevanz einzuschätzen. Bei dieser auf die Zukunft gerichteten Betrachtung darf es sicherlich nicht darum gehen, Risiken der Finanzstabilität "unter jedem Kieselstein" zu suchen oder regelmäßig neue potenzielle Krisenherde auszurufen. Doch darf andererseits der Blick nicht zu sehr eingeengt werden, um in der Lage zu bleiben, problematische Entwicklungen möglichst frühzeitig auf dem Radarschirm zu erkennen.

Seriöserweise versucht die makro-prudenzielle Analyse, nachdem sie Risikofaktoren identifiziert hat, Vorstellungen über Wirkungs- und Verstärkungskanäle zu entwickeln und mindestens qualitative Einschätzungen zu Eintrittswahrscheinlichkeiten und Schadenshöhe (hoch/niedrig, steigend/fallend) zu fundieren. Häufig handelt es sich um seltene, aber in ihrer Wirkung sehr bedeutsame Ereignisse und Entwicklungen.

Neben der Beleuchtung möglicher Schockszenarien geht es um Analysen zu den Stabilitätsimplikationen struktureller Veränderungen im Banken- und Finanzsystem sowie Auswirkungsstudien zu Regulierungs- beziehungsweise Deregulierungsvorhaben. Hierbei kommt es insbesondere auch darauf an, den Aspekt der Finanzstabilität in die interne oder in die öffentliche Diskussion beziehungsweise in internationale Gremien einzubringen. Auf europäischer Ebene ist das "Banking Supervision Committee" des ESZB zu nennen, dessen Aufgabenschwerpunkt auf der Analyse der Systemstabilität und struktureller Entwicklungen im europäischen Finanzsektor liegt.

Interdependenzen

Finanzstabilität wird wesentlich durch die "Differenz" zwischen Risikolage und Risikotragfähigkeit bestimmt. Beide Größen weisen sowohl makro- als auch mikro-prudenzielle Elemente auf. Die makro-prudenzielle Analyse der Risikolage startet, auch unter Verwendung der in der mikro-prudenziellen Aufsicht gewonnenen Informationen, mit der Suche nach Risikofaktoren und möglich erscheinenden realwirtschaftlichen oder Finanzmarkt getriebenen Schocks. In einer Rückkoppelung geht diese dann wieder über in eine stärker mikro-prudenzielle Überprüfung, ob bei einzelnen Intermediären, Gruppen von Intermediären oder bestimmten "Ecken" im Finanzsystem eine Konzentration von Risiken auftritt, die virulent werden, falls ein Schock auftreten sollte.

Ähnlich verwoben sind mikro- und makroprudenzielle Aspekte hinsichtlich der Risikoträgfähigkeit. Sie definiert die Fähigkeit einzelner Banken sowie des Bankensystems, temporäre Verluste zu absorbieren. Einerseits ist die Risikotragfähigkeit der größeren Institute Voraussetzung für die Widerstandsfähigkeit des Bankensystems.

Andererseits resultiert die Risikotragfähigkeit des Bankensystems nicht nur aus der Ertragslage, der Kapitalausstattung und den Reserven der einzelnen Kreditinstitute, sondern hängt auch zum Beispiel von der Existenz von Sicherungseinrichtungen und Verbundstrukturen ab.

In der zentralen Komponente Ertragslage mischen sich makroökonomische Größen wie Konjunktur und Zinsentwicklung, institutsspezifische Ausrichtungen wie Strategie und Kosteneffizienz mit strukturellen Merkmalen wie Wettbewerbsgrad und Finanzierungstradition. Darüber hinaus wirken in die Risikotragfähigkeit auch die Ausgestaltung und die gelebte Praxis aufsichtlicher Normen, wie etwa die Mindestanforderungen an die Eigenkapitalunterlegung, sowie institutionelle Rahmenregelungen hinein.

Auch in ganz praktischer Hinsicht bestehen zwischen der risikoorientierten mikro-prudenziellen Aufsicht und der makro-prudenziellen Analyse eine Reihe von Interdependenzen, und zwar in beide Richtungen. So stellen die beiden folgenden Aspekte eher technische Übergänge zwischen mikro- und makro-prudenzieller Arbeit dar:

- Aggregation: Einzeldaten werden verdichtet; entweder die Daten von kleineren Instituten zu Gesamteinschätzungen über Bankengruppen oder die Informationen über systemrelevante Banken zu einer Art "Risikolandkarte" des deutschen Bankensystems,

- Folgeabschätzung möglicher Schocks: Stresstests vermitteln einen Eindruck, welche Auswirkungen mögliche makroökonomische Szenarien zu Konjunktur- und Zinsentwicklungen, die zu unterschiedlicher Kreditnachfrage und Kreditausfällen führen, auf die einzelnen Institute haben könnten. Verfeinerung des
"Fingerspitzengefühls" Weitere Berührungspunkte beziehen sich auf eine Verbesserung der qualitativen Einschätzungsvermögen, also eine Verfeinerung des "Fingerspitzengefühls":

- Mit Hilfe einer Schwachstellenanalyse:

Die Informationen und Daten aus der Mikroaufsicht erlauben es, einzelne "Soft Spots" zu erkennen oder zumindest bestimmte Anfälligkeitsmerkmale zu identifizieren. - In der Trenderkennung: Die Institutsaufsicht liefert wertvolle Hinweise auf Trends und gleichgerichtete Entwicklungen bei mehreren Instituten, noch bevor diese sich in "harten Daten" finden lassen. Insofern erweist sich die berühmte "anekdotische Evidenz" aus der Institutsaufsicht oftmals als ein Frühindikator für relevante Entwicklungen in der Finanzstabilität.

- In der Fundierung der Risikoorientierung der Aufsicht: Die Identifikation der Schockpotenziale hilft der Aufsicht, risikoorientiert vorgehen zu können.

Schließlich ermöglicht dann die Interaktion eine Rückkoppelung der Stabilitätsanalyse und damit das Hineinwirken in die praktische Aufsichtsarbeit. Diese Verwertbarkeit der analytischen Arbeit stellt nicht zuletzt ein Stück "raison d'être" der Stabilitätsanalyse dar, um nicht zur Wirkungslosigkeit (oder bestenfalls zu einem begrenzten "Moral Suasion") verurteilt zu sein.

Die enge, ja häufig untrennbare Verbindung mikro- und makro-prudenzieller Aspekte manifestiert sich auch in der Dynamik von Finanzkrisen. Finanzkrisen haben Auslöser, also zum Beispiel Schockimpulse, die oftmals einen Makro-Hintergrund besitzen. Um jedoch tatsächlich eine systemische Relevanz zu erreichen, muss dieser Impuls verstärkt werden und in eine Eigendynamik münden. Der Schock muss auf Schwachstellen im Geflecht der Intermediäre treffen, um sich ausbreiten zu können.

Diese Schwachstellen können zum einen typisch mikro-prudenzieller Natur sein, etwa einzelne Kreditinstitute oder andere Marktteilnehmer aus dem nicht- oder geringfügig regulierten Bereich, die strategisch falsch aufgestellt sind und die hinsichtlich des Umfangs ihrer Positionen groß genug sind, um ihre Kontrahenten und Kreditgeber signifikant zu tangieren. Die Schwachstellen können zum anderen aber auch eher makro-prudenziellen Charakter haben, indem sie erst durch die krisenhafte Interaktion auftreten, beispielsweise durch gleichgerichtetes Herdenverhalten oder Ertrags- und Risikokorrelationen über das Finanz-, Wirtschafts- und Währungssystem.

Rolle der Notenbank

Seit es in Deutschland eine allgemeine staatliche Bankenaufsicht gibt, ist die deutsche Notenbank maßgeblich daran beteiligt. Im Zuge der Reform der deutschen Aufsicht im Mai 2002 wurde der Bundesbank nach Paragraf 7 KWG die laufende Überwachung der Institute sowie die Durchführung und Auswertung von bankgeschäftlichen Prüfungen und das Bewerten von Prüfungsfeststellungen zugewiesen.

Der Blick über die Grenzen hinweg zeigt eine Vielzahl von Möglichkeiten zur institutionellen Ausgestaltung der Aufsicht. Es fällt aber auf, dass trotz der Schaffung integrierter Aufsichtsbehörden in der Mehrzahl der EU-Staaten die Notenbank entweder selbst mit der Banken- oder auch Finanzaufsicht betraut ist oder auf die eine oder andere Weise in den Aufsichtsprozess eingeschaltet ist.

Dies hat gute Gründe. Zentral ist dabei die Tatsache, dass zwischen den Aufgaben der mikro-prudenziellen Bankenaufsicht und der makro-prudenziellen Sorge um die Stabilität des Finanzsystems sowie der Geldpolitik vielfältige Querverbindungen und Synergien entstehen, wie oben bereits an einigen Beispielen erläutert. Diese können durch die Beteiligung der Notenbank an der Aufsicht in idealer Weise genutzt werden. So spielt zum Beispiel die Lage des Bankensystems eine zentrale Rolle für die Finanzstabilität und die Frage der Wirksamkeit der Geldpolitik. Umgekehrt ergeben sich aus gesamtwirtschaftlichen Entwicklungen und geldpolitischen Entscheidungen Rückwirkungen auf die Stabilität und Ertragslage des Bankensektors.

Aufgrund ihrer Geschäftsbeziehungen mit den Kreditinstituten und ihrer Präsenz vor Ort sowie generell ihrer Marktnähe hat die Bundesbank komparative Informationsvorteile, die sie in der Aufsicht gut verwerten kann. Sie verfügt über intime Kenntnisse des Finanzsektors und seiner wichtigsten Teilnehmer sowie der Infrastruktur des Marktes. Vor allem der direkte Zugang zu Informationen zum Beispiel über systemrelevante Kreditinstitute ist essenziell, um frühzeitig Warnsignale aufzunehmen, die auf eine Gefährdung der Stabilität hindeuten können. Auch für das notenbankeigene Kreditgeschäft mit Banken sind Bonitäts-Informationen über die wichtigsten Geschäftspartner der Bundesbank wichtig, da der Ausfall eines wichtigen Partners Störungen am Geldmarkt auslösen kann.

Überdies sorgt die Bundesbank für die Abwicklung des Zahlungsverkehrs und übt eine "Oversight"-Funktion über diesen aus, die ihre Rolle in der Bankenaufsicht sehr gut ergänzt. Störungen im Zahlungsverkehr können schwerwiegende Auswirkungen auf Banken und Unternehmen haben.

Mikro-prudenzielle Informationen "aus erster Hand", Informationen und Erkenntnisse aus der makro-prudenziellen Analyse sowie aus dem Zahlungsverkehr, von den Märkten und aus der Beobachtung internationaler Entwicklungen in Verbindung mit Analysekompetenz schaffen auch gute Voraussetzungen für Beiträge zur wissenschaftlichen Forschung und Diskussion auf dem Gebiet der Finanzmarktstabilität. Sie sind aber auch sehr gut geeignet, um "anwendungsorientiert" Anstöße in der politischen Diskussion geben zu können.

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