Leitartikel

Basel III: Umsetzung durch Gleichmacherei

Man wird der deutschen Kreditwirtschaft gewiss nicht nachsagen können, sich zu wenig um das Thema gekümmert zu haben. Die gesamte hiesige Branche ist schon seit vielen Monaten, wenn nicht Jahren auf die Umsetzung von Basel III fixiert und diskutiert lebhaft die absehbaren Wirkungen auf volkswirtschaftlicher wie auf betriebswirtschaftlicher Ebene. Insofern war es sicher keine wirkliche Überraschung, was an belastbaren Umsetzungsvorschlägen aus Brüssel auf die Branche zugekommen ist. Spätestens nachdem die Europäische Kommission in der dritten Juliwoche dieses Jahres die Kreditwirtschaft und alle anderen Beteiligten mit einem Gesetzgebungsvorschlag zur mittlerweile erreichten Stufe vier der Capital Requirements Directive (CRD IV) in die Sommerfrische entlassen hat, ist freilich klar geworden, wie ernst Brüssel es meint.

Inhaltlich haben sich die Befürchtungen der hiesigen Betroffenen mehr als bewahrheitet. Rund drei Viertel des 600 Seiten Werkes sind als Verordnung formuliert. Und die verbleibende nationale Regelungskompetenz der Richtlinie wird zudem noch durch eine Fülle von sogenannten technischen Standards eingeschränkt, die von der Europäischen Bankenaufsicht (EBA) mit unmittelbarer Bindungswirkung für die Banken ausgearbeitet werden sollen.

Dabei haben BaFin und Bundesbank als zuständige Aufsichtsgremien sich schon seit dem Frühjahr in schöner Eintracht mit den beiden kreditwirtschaftlichen Verbänden des Sparkassen- und Genossenschaftssektors vehement gegen den Vorstoß der EU-Kommission gewehrt, statt auf die traditionelle Richtlinie mit ihrem Umsetzungsspielraum für nationale Besonderheiten künftig weitgehend auf das Instrument der allgemein gültigen Verordnung zu setzen (siehe auch Kreditwesen 11-2011). Umgekehrt hat die EU-Kommission ebenso eindeutig gegen die ständigen Sonderwünsche der Einzelstaaten argumentiert. Sie baut ihrem ebenso berechtigten Selbstverständnis nach auf spürbare Wachstumsimpulse durch Bürokratieabbau und einheitliche Marktverhältnisse. Wer in solchen Fragen in der Praxis Recht behält, lässt sich typischerweise später nicht mehr so genau nachvollziehen. Denn das hängt davon ab, was im kommenden Jahr im Europaparlament und im Europäischen Rat konkret zur Verabschiedung kommt. Und die tatsächlichen Wirkungen auf das Wachstum zeigen sich ohnehin erst in einigen Jahren.

Wie einige der hiesigen Akteure indes mit dieser nun schon recht weit konkretisierten Umsetzung von Basel III auf europäischer Ebene umgehen, ist allerdings bemerkenswert. Den deutlichsten Wandel hat dabei sicher die deutsche Sparkassenorganisation vollzogen. Haben die Sparkassen ebenso wie die Genossenschaftsbanken in der Vergangenheit peinlich genau darauf geachtet, im internationalen Kontext nur ja als gleichberechtigte Institute wahrgenommen zu werden, kann sich zumindest die DSGV-Spitze nun gut vorstellen, dass Deutschland dem Beispiel der USA folgt und Basel III nur für international tätige (Groß-)Banken vorgibt (siehe Beitrag Heinrich Haasis in Kreditwesen 17-2011). Für Sparkassen und Volksbanken müsste es dann keine Anwendung finden.

Auch wenn derzeit noch nicht klar ist, ob der DSGV-Präsident mit dieser Kehrtwendung im Zuge der vermutlich im ersten Halbjahr kommenden Jahres anstehenden Verabschiedung der CRD-IV-Regelungen durch die zuständigen EU-Instanzen nur den Spielraum für eine Modifikation der Vorschriften nach den eigenen Interessen austesten will, geht er mit dieser Forderung viel weiter als die Genossenschaftsorganisation. Letztere kritisiert zwar ebenfalls die mangelnde Differenzierung zwischen internationalen Großkonzernen und begrenzt operierenden Regionalinstituten, belässt es aber momentan bei der Forderung von Nachbesserungen für kleinere und mittlere Häuser mit einem überschaubaren Risikoprofil. Das umfasst etwa den Wunsch nach einer Reduktion die Risikogewichte für Mittelstands- und Realkredite, einer sachgerechten Berücksichtigung von Liquiditätsverbünden bei der Liquidity Coverage Ratio sowie einem völligen Verzicht auf eine Net Stable Funding Ratio (NSFR).

Auch in einigen Sparkassen-Regionalverbänden, beispielsweise Hessen-Thüringen und Bayern wird das Thema Basel-III-Aussetzung offenbar geschmeidiger angegangen als an der DSGV-Spitze. Der bayerische Sparkassenpräsident Theo Zellner etwa hat sich kürzlich in einer gemeinsamen Initiative mit Stephan Götzl, seinem Präsidentenkollegen bei der dortigen Genossenschaftsorganisation, vehement für eine Wahrung der Interessen der Regionalbanken ausgesprochen. Und in eine ähnlich sachbezogene Richtung, nämlich die Gleichbehandlung des mittelständischen Kreditgeschäftes, einen Erhalt der Langfristkultur bei der Kreditvergabe und erkennbare Schritte zur Lösung des Problems der systemrelevanten Banken zielte auch Gerhard Grandke bei der Halbjahresberichterstattung der Sparkassen in Hessen und Thüringen.

Solche überschaubaren Modifikationen in der Ausgestaltung von Basel III erscheinen nach der momentanen Stimmungslage im Abstimmungsprozess mit den nationalen und internationalen Aufsichtsinstanzen derzeit der weitaus Erfolg versprechendere Weg, die eigenen Anliegen zu wahren als das grundsätzliche Beharren auf einem Sonderweg für große Teile der deutschen Kreditwirtschaft. Zwar klang es in den vergangenen Monaten erstaunlich übereinstimmend nach einem Konsens der deutschen Politik, der Kreditwirtschaft und der Aufsichtsinstanzen, die Anwendung von Basel III in den USA als Voraussetzung für eine Umsetzung in Europa zu nehmen. Und aus dem Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht drang kürzlich sogar eine Stimme für die Beibehaltung nationaler Befugnisse bei der Festlegung des Gültigkeitsbereiches der neuen Regelungen auf bestimmte Banken und Institutsgruppen. Doch ein offizielles Junktim zwischen der Anwendung auf europäischer und amerikanischer Seite gibt es nicht.

Auch die deutsche Aufsicht sieht bei allen Vorbehalten gegen das Instrument der Verordnung die Belange der deutschen Kreditwirtschaft im laufenden Basel-III-Prozess hinreichend gewürdigt und hat dementsprechend nicht einmal andeutungsweise für eine Befreiung einzelner Institute oder gar ganzer Bankengruppen plädiert. Eine große Koalition aus Kreditwirtschaft, Aufsehern, Wissenschaft und Politik für eine Freistellung deutscher (Verbund-)Institute ist jedenfalls den derzeitigen Gegebenheiten nach nicht zu erwarten. Aber die Aufmerksamkeit für die Auswirkungen der neuen Regelungen ist auf allen Ebenen weiter geschärft. Selbst der Bereich Regulatory Services von KPMG, der wie die Einheiten der anderen großen Beratungsgesellschaften an einer Aufsicht mit umfangreichen und dichten Regelungswerken auf Jahre hin gut verdienen dürfte, hat kürzlich vor der mittlerweile erreichten Komplexität des bekannten Vorschriftenkataloges gewarnt und ein gewisses Unwohlsein über eine Benachteiligung der mittelständisch strukturierten Bankenlandschaft in Deutschland geäußert.

Sollten sich in der jetzt angelaufenen neuen Runde an Verwerfungen der Kapitalmärkte die Indizien verstärken, dass kleinere mit der Realwirtschaft stärker verbundene Kreditinstitute besser geeignet sind, dem gewünschten Ziel der Finanzstabilität wieder näher zu kommen, wäre es fahrlässig, die Weichen der Regulierung in Richtung einer Begünstigung der Großbanken zu stellen. Diese mögliche Diskrepanz in der Umsetzung von Basel III dürfte sich freilich in dem Maße lösen lassen, als auch die angepeilten zusätzlichen Eigenkapitalanforderungen der sogenannten SIFIs konkrete Formen annehmen. Wären all diese Institute mit einem im Sinne einer impliziten Gewährträgerhaftung durch den Staat sachgerechten Eigenkapitalzuschlag belastet, dann müssten sich endlich auch die kleineren und mittleren Banken nicht mehr als Verlierer einer sinnvollen Basel-III-Regulierung betrachten.

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