Gespräch des Tages

Bundesverfassungsgericht - Erbschaftssteuer - in Erwartung der Entscheidung

Das Erbschaftssteuergesetz in seiner "Reformfassung" aus 2009 steht bekanntlich verfassungsrechtlich erneut "auf der Kippe". Das Bundesverfassungsgericht wird im Herbst darüber entscheiden, ob die speziellen Verschonungsregeln für Betriebsvermögen mit dem Grundgesetz vereinbar sind oder ob sie - was für die meisten Beobachter offenkundig ist - wegen der gravierenden Unterschiede zur Besteuerung von Privatvermögen gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 GG verstoßen. Sollte das BVerfG diesen Verstoß feststellen, hätte das zwangsläufig nicht allein zur Folge, die Verschonung von Betriebsvermögen zum Nachteil der bisher Begünstigten im Gesetz zu modifizieren oder zu streichen und es im Übrigen zu belassen wie es ist. Schon der BFH, der mit seinem Vorlagebeschluss vom 5. Oktober 2012 das Verfahren vor dem BVerfG in Gang gesetzt hatte, war der Meinung, dass die Verschonungsregeln für Betriebsvermögen teils für sich allein, teils in ihrer Kumulation zu einer durchgehenden, das gesamte Gesetz erfassenden verfassungswidrigen Fehlbesteuerung führen, und dass andere Steuerpflichtige in ihrem Recht auf eine gleichmäßige, der Leistungsfähigkeit entsprechende und folgerichtige Besteuerung verletzt würden. Notwendige Folge eines Verdikts des BVerfG wäre daher, das "Ob" und "Wie" der Besteuerung von Erbschaften und Schenkungen von Grund auf gesetzgeberisch neu zu überdenken und zu regeln.

"Option Nr. 1" für den Gesetzgeber wäre dann, die Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung insgesamt abzuschaffen. Damit würde vor allem auch der schwerwiegende, aber im Kern zutreffende Vorwurf an den Staat obsolet werden, dass eine allein durch das Versterben eines Bürgers (oder durch seine lebzeitige Freigiebigkeit) ausgelöste Besteuerung seines legal und versteuert erworbenen und nun auf dessen Erben beziehungsweise Beschenkten übergegangenen Vermögens (und zwar Betriebs- wie Privatvermögen) in Wahrheit eine staatliche Teilannektion darstellt oder wie eine "Geldbuße für Vermögensbildung" wirkt. Gerade auch vor dem Hintergrund der Besteuerungspraxis in anderen europäischen und außereuropäischen Staaten wird die Grundsatzdiskussion darüber aufleben müssen, ob ein Rechtsstaat eine praktisch enteignungsgleiche "Erbschafts- und Schenkungssteuer" in die Zukunft fortschreiben kann. Der Verfasser dieses Beitrags hat sich dazu schon früher mehrfach geäußert (vergleiche dazu unter anderem NJW 2007, 1339 und NJW-ZRP 2010, 130).

Es ist bemerkenswert, dass bereits neun1) von 30 europäischen Staaten auf die Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung ganz verzichten, dass 13 weitere Staaten2) wenigstens von erbenden Ehepartnern keine Steuern erheben, fünf Staaten3) diese nur bis maximal unter 20 Prozent besteuern, und dass nur die drei Staaten Belgien (mit drei bis 30 Prozent), Ungarn (2,5 bis 21 Prozent) und schließlich Deutschland (mit sieben bis 30 Prozent) als "Spitzenreiter" figurieren. Im außereuropäischen Bereich findet seit Langem beispielsweise in so unterschiedlichen Staaten wie Ägypten, Australien, Indien, Kanada, Neuseeland, Russland (seit 2006!), Singapur und Türkei keine Besteuerung von Erbschaften mehr statt. Es erscheint vor diesem internationalen Hintergrund nicht abwegig, auch in Deutschland die Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung infrage zu stellen, zumal sie nur marginal zum gesamten Steueraufkommen beiträgt und zudem mit einem unverhältnismäßig hohen Erhebungsaufwand verbunden ist, der dem Staat nur ein geringes "Netto" belässt.

Letztlich ist das aber nur ein unterstützendes Nebenargument. Hauptgrund für die Wahl dieser Option nach einem die Verfassungswidrigkeit bestätigenden Urteil des BVerfG ist und bleibt das Fehlen eines wirtschaftlich begründbaren Besteuerungstatbestands, was eben dieser Steuer den Straf- oder Annektionscharakter gibt. Erweiterte Verschonungsregeln, welcher Art auch immer, könnten da nur mildernd wirken, im Kern bliebe der Vorwurf aber bestehen.

Die Option "Abschaffung" würde sich indessen angesichts der politischen Großwetterlage und der leider vorherrschenden Neidkultur wohl nur stellen, wenn das BVerfG sie klipp und klar verlangt und ein Totalverdikt über diese Besteuerung verhängt. Wenn das Gericht so weit nicht geht, sondern nur punktuelle Gleichheitsverstöße beanstandet, aber die Besteuerung grundsätzlich bestätigt, sollte der Gesetzgeber in diesem Kontext aber als Option Nr. 2 den Grundüberlegungen der 22 von 30 europäischen Staaten folgen und wenigstens Ehepartner (sowie eingetragene Lebenspartner) von einer Besteuerung ausnehmen, weil die Bildung von vererbbarem Vermögen in aller Regel ein Gemeinschaftsprojekt beider Partner ist und der Überlebende zu Recht kein Verständnis dafür aufbringen kann, dass er nach und neben dem Verlust des Partners/der Partnerin auch einen Teil seines oder des gemeinsam gebildeten Vermögens an den in diesem Fall "ausplündernden" Staat verlieren soll.

Sollte auch diese Option nicht durchsetzbar sein, wäre wenigstens das Ziel zu verfolgen, die Partnerfreibeträge (derzeit 500 000 Euro) entsprechend der Dauer der Ehe/Partnerschaft progressiv zu staffeln, also zum Beispiel den Grundfreibetrag jeweils nach fünf, zehn, 15 und so weiter Jahren bis zum "Deckelungsbetrag" nach 25 Jahren (im Beispiel: drei Millionen Euro) um die gleichen Beträge anzuheben. Das würde auch zulassen, die sowohl rechtspolitisch missratene als auch gegen das Gleichheitsgebot verstoßende Steuerbefreiung des Familienheims wieder zu streichen: Missraten, weil die zehnjährige Pflicht zur Nachnutzung durch den erbenden Partner in der überwiegenden Fallzahl nicht, allenfalls durch die um Jahrzehnte jüngere Zweit- oder Drittfrau erfüllbar ist. Gleichheitswidrig, weil - bei gleichem Gesamtwert der Nachlässe - der/die erbende Partner/in eines verstorbenen Wohnungsmieters einen erheblich höheren Steuerbetrag zu entrichten hat als der/die Partner/in eines verstorbenen Eigentümers eines Familienheimes, ohne dass dieser Unterschied durch Belange des Gemeinwohls begründet wäre.

Insoweit ist zu empfehlen, die Steuerfreiheit des Familienheimes zu streichen und das aus Gründen des Vertrauensschutzes der Steuerzahler damit zu koppeln, den Ausgangsfreibetrag für alle Partner von Mietern und von Wohn-Eigentümern um den durchschnittlichen Wert eines Familienheimes anzuheben (zum Beispiel zu den bestehenden 500 000 Euro weitere 400 000 bis 500 000 Euro). Eine entsprechende Entlastung müsste dann auch erbenden Abkömmlingen zuteil werden. Das sind nur einige Problempunkte, die aber, wenn die Option Nr. 1 nicht gezogen wird (oder werden kann), neben dem Hauptanliegen einer dem Gleichheitsgrundsatz entsprechenden Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung von Betriebs- und Privatvermögen nicht unter den Tisch fallen dürfen.

Rechtsanwalt Dr. Claus Steiner, Wiesbaden

Fußnoten

1) Estland, Lettland, Malta, Österreich, Portugal, Rumänien, Schweden, Slowakei, und Zypern

2) Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Irland, Litauen, Luxemburg, Polen, Slowenien, Tschechien, Großbritannien, Island, Norwegen

3) Finnland, Griechenland, Italien, Zypern, Liechtenstein

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