Leitartikel

Deutsche Bank: Umschalten auf Offensive

Das Ergebnis der Deutschen Bank für das Geschäftsjahr 2012 ist gewiss nicht gut. Ein Gewinn vor Steuern von 1,4 Milliarden Euro kann das Spitzenpersonal nicht einmal ansatzweise zufriedenstellen. Das vierte Quartal der abgelaufenen Periode erinnert mit einem Verlust vor Steuern von 2,2 Milliarden Euro gar an die schlimmsten Zwischenberichte aus der Hochphase der jüngsten Finanzmarktkrise. Doch der Blick auf die maßgeblichen Verlustquellen aus Q4-2012 zeigt auch die Handschrift des neuen Führungsduos und deren Bereitschaft zu Veränderungen. Auf den ersten Blick kann man diesen Quartalsabschluss sicher als Generalabrechnung mit der Ära Ackermann einstufen. In der Diktion waren Jürgen Fitschen und Anshu Jain an dieser Stelle freilich zu Recht betont vorsichtig, schließlich waren beide im vergangenen Jahrzehnt mit an Bord und haben wesentliche strategische Entscheidungen der Bank mitgetragen und umgesetzt. Die Art der Darbietung, die neuen Akzente in der Unternehmensausrichtung und auch erste Signale in der Kennzahlenentwicklung lassen gleichwohl den Willen erkennen, auf dem im September 2012 präzisierten Weg eines Kulturwandels voranschreiten zu wollen. Zumindest am Tag der Ergebnispräsentation hat diese Botschaft offensichtlich auch die Analysten und die Märkte erreicht. Die Bank verzeichnete trotz der erschreckenden Zahlen ein Kursplus, der Gesamtmarkt ein leichtes Minus.

Die Gründe für diese erst einmal vergleichsweise milde Beurteilung des Berichtsjahres 2012 sind leicht nachvollziehbar. So resultiert ein Großteil der Belastungen des vierten Quartals aus der Aufarbeitung umstrittener Geschäftspraktiken aus der Vergangenheit. Nicht nur erhebliche Aufwendungen für "signifikante Rechtsstreitigkeiten" sind schon möglichst weitgehend in den vorläufigen Abschluss eingeflossen, sondern auch die teilweise noch schwebenden Verfahren, angefangen vom Fortgang der Dinge im Kirch-Prozess über schon laufende oder möglicherweise noch drohende Klagen hinsichtlich der RMBS-Aktivitäten in den USA, den Untersuchungen rund um Libor-Manipulationen und CO2-Emissionen bis hin zu offenen Fragen in dem Finanzierungsgebahren gegenüber (deutschen) Kommunen (siehe Beitrag in diesem Heft). All dies könnte noch weitere Risiken mit zusätzlichem Rückstellungsbedarf bergen.

Nach wie vor recht rau ist für die Deutsche Bank auch das Klima der öffentlichen Meinung - besonders an ihrem Heimatmarkt. Das fängt an mit Kundgebungen von Kritikern, die sich wieder einmal die Bilanzpressekonferenz ausgesucht hatten, um draußen vor der Tür ihre Vorbehalte gegen die Aktivitäten der Bank zu artikulieren - diesmal in der weltweiten Nahrungsmittelindustrie. Und es reicht bis zu diversen Nebenbemerkungen aus den Medien und der Politik, die speziell in einem Wahljahr das Misstrauen der Öffentlichkeit gegenüber der Bank mit mehr oder weniger dezenten Hinweisen auf deren Geschäftsgebaren hoch zu halten suchen. Bei so viel Widrigkeiten hinsichtlich einer sympathischen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit hat das neue Führungsduo allerdings nicht nur das gewohnt trotzige Selbstbewusstsein in die eigene Stärke bei der Marktbearbeitung demonstriert, sondern es war darüber hinaus der Wille zu spüren, in zentralen Fragen der Außendarstellung mit teilweise locker anmutender Gelassenheit aus der Defensive zu gelangen.

Das zeigte sich nicht zuletzt am betont harmonischen Zusammenspiel des Führungsduos anlässlich der ersten gemeinsamen Präsentation der Jahreszahlen. Gleich mehrfach war bei dem in den vergangenen Jahren sehr nüchtern wirkenden sowie knapp und konzentriert antwortenden Anshu Jain ein Anflug von heiterer Leichtigkeit zu spüren. Das demonstrierte er nicht zuletzt bei seiner Antwort auf die obligatorische Frage nach den künftigen Ambitionen seines Hauses in der Agrar- und Nahrungsmittelindustrie, die er mit einem schmunzelnden Hinweis auf die insgesamt doch eher überschaubare Bedeutung dieses Geschäftsfeldes in der Gesamtausrichtung der Bank seinem Co-Chef Jürgen Fitschen überließ. Dieser wiederum fand hör- und sichtbar Gefallen daran, die Position seines Hauses in diesem früher oft so heiklen Thema offensiv und gut informiert zu vertreten. Er warb dabei nicht nur um Verständnis für die wichtige Rolle großer Kreditinstitute bei der Finanzierung der dringlichen Investitionen in weltweite Agrarprojekte und die damit verbundene Infrastruktur. Sondern er bekundete ebenso seine Offenheit und seine Lernbereitschaft für einen konstruktiven Dialog in der schwierigen Grenzziehung zwischen notwendigen Absicherungsgeschäften im Nahrungsmittel- beziehungsweise Rohstoffmarkt und unerwünschten Spekulationen.

Ähnlich offen konnte sich Anshu Jain hinsichtlich des Umgangs seines Hauses mit sogenannten Collateralized Debt Obligations präsentieren. Dass die kurz zuvor bekanntgewordene Veräußerung zweier CDO-Pakete an Hedgefonds zu dem versprochenen Maßnahmenpaket zum Abbau der Risikoaktiva und Stärkung der Eigenkapitalposition gehört und sich somit keinesfalls als uneinsichtiger Versuch der Wiederbelebung einer als gefährlich gebrandmarkten Variante des Verbriefungsgeschäftes interpretieren lässt, konnte er unschwer an der Entwicklung der Risikoaktiva verdeutlichen. So wurden den aktuellen Zahlen zufolge die risikogewichteten Aktiva-Äquivalente nach Basel III schon zum Jahresultimo 2012 auf 80 Milliarden Euro reduziert. Gleichzeitig konnte die für den 31. März 2013 angekündigte Ziel marke einer Rückführung dieser RWA-Komponente um 90 Milliarden Euro auf mindestens 100 Milliarden Euro angehoben werden. Damit einher geht ein anspruchsvolleres Ziel für die Kapitalausstattung. Nachdem die pro-forma Tier 1 Kernkapitalquote von 6,0 Prozent Ende 2011 über die noch im September vergangenen Jahres für Ende 2012 angepeilte Zielgröße von 7,2 Prozent auf tatsächlich schon 8,0 Prozent heraufgeschraubt wurde, konnte nun per Ende März 2013 ein anspruchsvolleres Ziel von 8,5 Prozent formuliert werden.

Ein nahezu gleichrangiger Stellenwert neben der Präsentation der Geschäftszahlen wurde einmal mehr der Erläuterung des angestrebten Kulturwandels eingeräumt. Dieser beginnt erstens mit der Neugestaltung der Vergütungspraxis unter Mitwirkung des eigens berufenen Vergütungspanels als Beratungsgremium. Die angepeilte Richtung läuft neben der schon eingeleiteten Reduktion der Boni auf die Verankerung der kulturellen Grundsätze und der Risikomanagement-Funktionen im Vergütungsprozess hinaus. In diesen Zusammenhang passt zweitens die angestrebte Stärkung der internen Kontrollsysteme bis hin zu Pflichtschulungen zum Thema Verhalten im Geschäftsalltag und Ethik. Und nicht zuletzt will man drittens bei den Mitarbeitern eine Grundhaltung für ein langfristiges und nach haltiges Geschäftsmodell verinnerlichen. "Wer sich nicht vorbehaltlos zu diesen Werten bekennen kann, der ist bei der Deutschen Bank am falschen Ort", so wird recht martialisch mit Trennung gedroht. Bis mit all diesen hehren Vorsätzen in der Öffentlichkeit nachhaltig Sympathiepunkte erreicht werden können, bedarf es freilich einer Art längerer Karenzzeit der Vertrauensbildung, wie auch Jürgen Fitschen freimütig einräumt. Die Frage ist deshalb, wie lange die Märkte ein Umfeld bieten, um solche Ziele glaubhaft zu leben. Wird der neue Wertekanon auch im von Investment-Bankern geprägten Geschäftsfeld Corporate Banking & Securities dauerhaft durchzuhalten sein, das nach Abtrennung der Nichtkerngeschäfte immer noch den mit Abstand größten Ertragsanteil beisteuert?

Die Phase ohne einen ständigen Blick auf die Eigenkapitalrendite oder die Kursentwicklung an den Börsen sowie permanente Kennzahlenvergleiche mit der Peergroup der globalen Wettbewerber ist jedenfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit kleiner als das notwendige Zeitfenster für die wirkliche Verankerung des Kulturwandels unter den Mitarbeitern aller Hierarchieebenen. Und dann ist da noch die offene Flanke der Regulierung als wahrscheinlich größte Herausforderung. Das fängt an mit der schieren Fülle an Auflagen. Es setzt sich fort über die enormen Unsicherheiten bezüglich der Umsetzung der vielen Regulierungsvorgaben, die teilweise unter den aufsichtsrechtlichen und politischen Instanzen kontrovers diskutiert werden. Und es reicht im Falle der Deutschen Bank in besonderem Maße bis zur Erhaltung eines wirklich weltweiten Level Playing Fields, das den asiatischen und angelsächsischen Wettbewerbern keine regulatorisch bedingten Vorteile verschaffen darf. An dieser Stelle die Balance zu wahren und dabei die wohlgemeinten Vorsätze zum Kulturwandel umzusetzen, ist die wahre Kunst der neuen Führungsspitze.

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