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... Edmund Stoiber / Bürokratieabbau in der europäischen Kreditwirtschaft: Was ist erreicht? Was bleibt zu tun?

Die sogenannte Hochrangige Gruppe zum Bürokratieabbau berät die EU-Kommission ehrenamtlich bei der Überprüfung bürokratischer Belastungen für Unternehmen aufgrund europäischen Rechts. Ziel ist es, im Rahmen eines Aktionsprogramms bis Ende 2012 25 Prozent der durch europäische Informationspflichten bedingten Verwaltungslasten für Unternehmen abzubauen. Die damit angestrebte Entlastung der 23 Millionen Unternehmen in Europa von überflüssiger Bürokratie kann ein zusätzliches Wirtschaftswachstum von 1,5Prozent mobilisieren.

Bürokratiekosten deutlich gesenkt

Die Gruppe hat unter meiner Leitung die 13 wichtigsten Politikbereiche durchforstet und Vereinfachungsvorschläge im Bereich des Europäischen Gesellschaftsrechts, im Mehrwertsteuerrecht, im öffentlichen Auftragswesen, im Lebensmittelrecht, im Verkehrswesen, im Arzneimittelrecht, in der Landwirtschaft, im Umweltrecht, im Arbeitsrecht, im Fischereiwesen, bei den Finanzdienstleistungen, im Bereich Statistik sowie in der Kohäsionspolitik gemacht. Das Einsparvolumen der verabschiedeten Vorschläge beträgt rund 41 Milliarden Euro.

Darüber hinaus hat die Gruppe über 100 Vorschläge von Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmern sowie von Verbänden erhalten. Insgesamt wurden der EU-Kommission bisher weit über 300 Abbaumaßnahmen vorgeschlagen. Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat in einer Zwischenbilanz am 21. Februar 2012 festgestellt, dass bereits Abbaumaßnahmen mit einem Volumen von rund 30 Milliarden Euro auf EU-Ebene von Kommission, Parlament und Rat beschlossen worden sind, wie die Ersetzung von Mehrwertsteuerrechnungen in Papierform durch elektronische Rechnungen und die Entlastung von Kleinstunternehmen von den europäischen Bilanzierungsvorschriften. Bis Ende 2012 will die Kommission die Verwaltungslasten um insgesamt rund 41 Milliarden Euro verringern. Das würde rund 33 Prozent der gemessenen Bürokratiekosten entsprechen. Damit würde das 25-Prozent-Ziel der Kommission sogar noch deutlich übertroffen werden. Ich unterstütze diese ehrgeizigen Bemühungen der Kommission nachdrücklich.

Wettbewerb beim Bürokratieabbau

Im Jahr 2011 hat die Gruppe zudem einen Bericht ("Was Europa besser machen kann") erarbeitet, wie europäische Vorgaben in den Mitgliedstaaten am unbürokratischsten umgesetzt werden können. Ausgangspunkt waren Brüsseler Berechnungen, dass rund ein Drittel der durch europäische Vorgaben bedingten Bürokratiekosten für Unternehmen auf ineffiziente Verwaltungsverfahren in den Mitgliedstaaten oder auf ein Draufsatteln bei der Umsetzung des EU-Rechts zurückgehen. Wenn alle Mitgliedstaaten den besten Beispielen folgen würden, könnte ein Drittel der Verwaltungslasten abgebaut und europaweit ein Einsparpotenzial von bis zu 40 Milliarden Euro erreicht werden.

Am 21. Februar 2012 habe ich diesen Bericht an Kommissionspräsident José Manuel Barroso übergeben. Ich erwarte, dass die EU-Staaten jetzt ihre Hausaufgaben machen. Bürokratie bei der Umsetzung von EU-Recht kann und muss massiv abgebaut werden. Konkrete Vorschläge dazu liegen jetzt auf dem Tisch. Europa muss in der Schuldenkrise alle Wachstumskräfte mobilisieren. Bürokratie gehört zu den größten Hemmnissen überhaupt für die Wirtschaft. Es sollte künftig regelmäßig deutlich gemacht werden, ob EU-Bürokratie durch London, Paris oder Berlin noch gesteigert wird. Wie die Pisa-Studien in der Bildungspolitik würde dieser Wettbewerb auch beim Bürokratieabbau einen starken Impuls zu Verbesserungen auslösen.

Vorsichtige Empfehlungen im Bereich der Finanzdienstleistungen

Die Expertengruppe zum Bürokratieabbau hat bei ihrer Arbeit auch den Bereich Finanzdienstleistungen auf Abbaumöglichkeiten durchforstet und konkrete Vereinfachungsvorschläge beschlossen. Wegen der Finanzkrise und der daraus resultierenden Erkenntnis, dass in diesem Bereich zum Schutz der Verbraucher mehr Regelungen nötig sind, hat die Gruppe sehr vorsichtige Empfehlungen gemacht. Außerdem ist die Europäische Kommission hier sehr zurückhaltend. So sind Investmentfirmen zurzeit verpflichtet, den zuständigen Behörden über ihre Einhaltung der Regeln mit einer Häufigkeit, je nach Größe, zwischen monatlich und halbjährlich zu berichten (Art. 35 der Richtlinie 2006/49/EG).

Die Expertengruppe hatte überlegt, die Berichtshäufigkeit für alle Firmen auf halbjährlich zu reduzieren und die Berichterstattungszeitpunkte zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten zu harmonisieren. Das hätte ein Einsparvolumen von 37 Millionen Euro jährlich bedeutet. Diesen Vorschlag hat die Kommission aber wegen Bedenken hinsichtlich einer möglichen Schwächung der Überwachung der Finanzinstitutionen nicht aufgegriffen. Ein wichtiger Vorschlag der Expertengruppe, die Änderung der Prospekt-Richtlinie, ist dagegen erfreulicherweise aufgegriffen und umgesetzt worden.

Hier hat die Kommission auf Vorschlag der Expertengruppe den Verwaltungsaufwand für Emittenten und Finanzintermediäre verringert, zum Beispiel durch eine Lockerung der Angabepflichten für bestimmte Wertpapieremissionen von kleinen Unternehmen oder kleinen Kreditinstituten oder durch die Aufhebung von Angabepflichten, die sich mit der Transparenzrichtlinie überschnitten haben. Gleichzeitig wurde der Anlegerschutz verbessert, zum Beispiel durch Verbesserung von Format und Inhalt der Prospektzusammenfassung. Das Einsparvolumen dieses Richtlinien-Vorschlags, der Ende 2010 in Kraft getreten ist, wird auf rund 300 Millionen Euro geschätzt.

Weniger Gängelung

Im Kern ist die große Frage bei der Bürokratie das Spannungsfeld zwischen Freiheit und Sicherheit. Wie viel Freiheit wollen wir eigentlich? Wie viel Sicherheit erwarten wir uns vom Staat, die dieser dann letztlich durch Regelungen, also Bürokratie, gewährleisten muss? Dieses Spannungsfeld müssen wir neu austarieren. Meine Haltung dazu ist: Weniger Gängelung in den Fragen des alltäglichen Lebens und mehr Leitplanken in den wirklich großen Fragen, vom Klimaschutz bis zu den Finanzströmen. Wenn wir das schaffen, werden wir unter dem Strich weniger Bürokratie und mehr Akzeptanz für die europäische Idee bekommen. Da dies eine Daueraufgabe ist, hat José Manuel Barroso jetzt das Mandat der Expertengruppe bis zum Ende der Kommission Barroso II im Oktober 2014 verlängert und erweitert. Künftig soll der Schwerpunkt unserer Arbeit noch stärker auf einer Entlastung der KMU liegen und auch eine Überprüfung von Verwaltungsverfahren einbeziehen.

Die Zwischenüberschriften wurden von der Redaktion eingefügt.

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