Aufsätze

Die finanzmarktpolitischen Vorhaben der Bundesregierung im Jahre 2007 weniger Bürokratie, mehr Wachstum

Es vergeht kein wirtschaftspolitisches Symposium, keine Diskussionsveranstaltung und erst recht kein Unternehmertreffen in unserem Land, bei dem an die Politik nicht die Forderung nach Bürokratieabbau und Deregulierung gerichtet wird - auch und gerade im Bereich der Finanzmarktpolitik. Allerdings rangieren solche Forderungen sozusagen als "Standard-Beigabe" - meist am Ende der jeweiligen wirtschaftspolitischen Wunschliste. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass sich die mit der Bürokratie für die Unternehmen verbundenen Kosten lange Zeit - wenn überhaupt - nur sehr grob quantifizieren ließen. In den Niederlanden und Dänemark vorgenommene Messungen der Bürokratiekosten legen jedoch den Schluss nahe, dass wir es auch in Deutschland nach wie vor mit einem volkswirtschaftlich bedeutsamen Problem zu tun haben: So wurde ermittelt, dass die Gesamtbelastung der holländischen Wirtschaft durch Bürokratiekosten rund 16,4 Milliarden Euro beträgt, dies entspricht zirka 3,6 Prozent des BIP. In Dänemark beläuft sich die Gesamtbelastung auf 4,3 Milliarden Euro, immerhin noch 2,3 Prozent des BIP.

Vor diesem, für das Wachstumspotenzial der deutschen Wirtschaft bedeutsamen Hintergrund hat das Bundeskabinett am 25. April 2006 das Programm "Bürokratieabbau/Bessere Rechtsetzung" beschlossen. Dabei geht es nicht darum, bestehende Bürokratien zu konservieren und lediglich deren Kosten genauer und detaillierter zu erheben, als dies bisher möglich war. "Bessere Rechtsetzung" bedeutet in erster Linie, dass vor regulierenden Maßnahmen deren Notwendigkeit in jedem Einzelfall geprüft und nachgewiesen werden muss. Eine zentrale Rolle bei diesem volkswirtschaftlich wichtigen Modernisierungsprojekt kommt dem aus unabhängigen Experten bestehenden Normenkontrollrat zu, der seine Arbeit Ende 2006 aufgenommen hat.

Überprüfung des Normenbestands

In diesem Zusammenhang wird zurzeit auch der Normenbestand, für den das Bundesministerium der Finanzen die Federführung besitzt und der naturgemäß auch EU-Regelungen umfasst, auf damit für die Wirtschaft einhergehende Informations- und Berichtspflichten überprüft.

Die Erfahrungen einzelner Mitgliedstaaten beim Bürokratieabbau haben auch einen wichtigen Anstoß für die Initiative zur "Besseren Rechtsetzung" auf EU-Ebene gegeben. Dies ist umso wichtiger, als beispielsweise im Finanzmarktbereich zirka 80 Prozent aller Regelungen ihren Ursprung im Gemeinschaftsrecht haben. Der Europäische Rat hat daher im vergangenen Juni der Kommission den Auftrag erteilt, bis Anfang 2007 Vorschläge für konkrete Ziele zur Reduzierung des Verwaltungsaufwandes zu unterbreiten. Auf dieser Grundlage wird sich die deutsche EU-Ratspräsidentschaft dem Thema "Bürokratieabbau" mit besonderem Engagement widmen.

EU-Finanzmarktpolitik

Alleine aufgrund der Bedeutung des Finanzdienstleistungssektors für die deutsche Volkswirtschaft haben wir ein großes politisches Interesse an der Fortführung der europäischen Finanzmarktintegration: Mit einer Bruttowertschöpfung von rund 86 Milliarden Euro oder einem Anteil von etwa 4,2 Prozent leistet der Finanzdienstleistungssektor einen bedeutenden Beitrag zum deutschen BIP. Rund 1,4 Millionen hoch qualifizierte Beschäftigte arbeiten in der Finanzbranche, und mit über 80 Millionen Privatkunden ist der deutsche Finanzmarkt der größte Retailmarkt für Finanzdienstleistungen in Europa. Deshalb ist gerade aus deutscher Sicht die weitere europäische Finanzmarktintegration - auch mit Blick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit zum Beispiel gegenüber den USA - ohne Alternative.

Bevor jedoch die EU-Kommission konkrete weitere Integrationsschritte ins Auge fasst, muss sie jeweils zwei zentrale Fragen sorgfältig prüfen. Erstens: Bestehen auf einem nationalen Finanzplatz schwerwiegende Hindernisse, die den europäischen Wettbewerb behindern und damit Wohlfahrtsgewinne verhindern? Und zweitens: Welche Marktergebnisse liefern die auf dem betrachteten nationalen Markt gewachsenen Strukturen, Abläufe und Institutionen?

Dieses "Denken in Marktergebnissen" muss Entscheidungen für oder gegen weitere Integrationsschritte begründen. Haben wir es mit intakten nationalen Märkte und Infrastrukturen zu tun, dann gebietet das Subsidiaritätsprinzip, dass diese nationalen Marktergebnisse nicht durch überzogenes Harmonisierungsbestreben aufs Spiel gesetzt werden.

"Gute Gesetzgebungspraxis" und "bessere Regulierung" dürfen gerade im Bereich der EU-Finanzmarktpolitik keine Lippenbekenntnisse sein. In ihrem "Weißbuch zur Finanzdienstleistungspolitik für die Jahre 2005 bis 2010" hat die EU-Kommission beide Prinzipien zu Prioritäten ihrer Arbeit für die nächsten fünf Jahre erklärt. Wir werden die EU-Kommission daher insbesondere während der bevorstehenden deutschen EU-Ratspräsidentschaft beim Wort nehmen, die Notwendigkeit konkreter Integrationsschritte mit einer umfassenden Kosten-/Nutzenanalyse und einer ernst gemeinten Folgenabschätzung zu unterlegen.

Auch die Verbände können und müssen ihren Beitrag zum Bürokratieabbau leisten. Neben Kommission, Ministerrat und Europaparlament tragen auch sie eine Mitverantwortung wenn es darum geht, Gesetz- und Verordnungsentwürfe aus dem EU-Bereich zu entschlacken. Nicht selten ist die Realität jedoch eher dadurch gekennzeichnet, dass Verbandspräsidenten vehement Bürokratieabbau einfordern, während ihre eigenen Rechtsabteilungen Rechtssicherheit für jeden noch so merkwürdigen Einzelfall verlangen.

Nationale Finanzmarktpolitik

Gerade in diesen Monaten verlangt die Politik den Finanzmarktakteuren einiges ab. Schließlich werden mit Basel II und der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente - oder MiFID - fast zeitgleich die "Grundgesetze" für das Kredit- und Wertpapiergeschäft der Kreditinstitute neu in deutsches Recht umgesetzt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass der Ruf nach konsequenter Deregulierung lauter geworden ist. Konkrete Ansatzpunkte für Deregulierungen finden sich mit Blick auf das Jahr 2007 vor allem bei der Novelle des Investmentgesetzes, der MiFID-Umsetzung sowie bei der Evaluierung der Bankenaufsicht.

Novelle Investmentgesetz: Die im Jahr 2007 anstehende Novelle des Investmentgesetzes ist eines der "Startprojekte" der Bundesregierung im Kontext von "Deregulierung und Bürokratieabbau". Hauptziel der Novelle ist es, den Fondsstandort Deutschland wettbewerbsfähiger zu gestalten. Wir wollen erreichen, dass der Finanzplatz Deutschland gerade im Hinblick auf alternative Investmentformen weiter für institutionelle Anleger wie Versicherungen und Pensionsfonds an Attraktivität gewinnt. Einen Fortschritt in punkto Deregulierung erreichen wir dabei durch eine konsequente Eins-zu-eins-Umsetzung von EU-Recht und ein Überprüfen jener Bereiche, in denen die bisherige nationale Regulierung über Brüsseler Mindestanforderungen hinausgeht. Die "Eins-zu-eins"-Umsetzung der EU-Investmentrichtlinie ist somit eine klare Leitlinie für die anstehende Novelle des Investmentgesetzes.

Belebung der öffentlichen Investitionstätigkeit

Daneben wollen wir im Investmentgesetz Regelungen für die Asset-Klasse "Infrastrukturfonds" schaffen. Damit können dann auch Investmentfonds nicht nur, aber eben auch gezielt für Privat Public Partnership (PPP)-Projekte genutzt werden. Zur Belebung der aufgestauten öffentlichen Investitionstätigkeit bei gleichzeitig stark angespannten öffentlichen Haushalten sind solche innovativen Lösungen mehr denn je gefragt. Wir stehen vor der Aufgabe, mit weniger Steuermitteln mehr Investitionen schneller als bisher zu realisieren und streben daher eine beträchtliche Ausweitung des Anteils von PPPs an den öffentlichen Investitionen an.

Das Potenzial hierfür ist gegeben, denn gegenwärtig liegt dieser Anteil in Deutschland bei lediglich vier Prozent. Künftig wollen wir einen Anteil von etwa 15 Prozent und damit das Niveau vergleichbarer Industrieländer erreichen. Nicht zuletzt angesichts der weiterhin bestehenden ökonomischen und finanziellen Herausforderungen der Wiedervereinigung sind wir noch stärker als andere Länder auf eine Kombination privater und öffentlicher Investitionen angewiesen.

MiFID-Umsetzung: In der Öffentlichkeit ist das mit dem Kürzel "MiFID" umrissene europäische Gesetzgebungsvorhaben mit den verschiedensten Umschreibungen, wie zum Beispiel "Regulierungsmonster", versehen worden - jedenfalls wird es für gewöhnlich nicht mit "Deregulierung" in Verbindung gebracht. Dabei wird übersehen, dass es durchaus auch hierbei Ansätze für Deregulierung gibt: So werden beispielsweise künftig die Börsensegmente des geregelten und des amtlichen Marktes zu einem einzigen gesetzlichen Marktsegment, dem "Regulierten Markt" zusammengeführt.

Worte und Taten

Bei der Erarbeitung des nationalen Finanz-marktrichtlinie-Umsetzungsgesetzes mussten wir jedoch auch erfahren, dass nicht alle, die in Deutschland Lippenbekenntnisse zum Bürokratieabbau abgeben, ihren Worten auch Taten folgen lassen: Im Interesse eines geringeren bürokratischen Aufwandes und einer verbesserten Transparenz, insbesondere für ausländische Emittenten, hatte das Bundesfinanzministerium die Abschaffung der Zulassungsstellen bei den Börsen vorgeschlagen. Nach unserem Vorschlag sollte die Entscheidung über die Zulassung von Wertpapieren künftig der BaFin obliegen. Gegen diesen Vorschlag haben sich jedoch nicht nur die Regionalbörsen, sondern auch einige Verbände der Kreditwirtschaft ausgesprochen und damit eine Verringerung der bürokratischen Belastung verhindert.

Evaluierung der Bankenaufsicht: Wenn es um Deregulierung und Bürokratieabbau im Bereich der Finanzmarktpolitik geht, dann kommt die Rede eher früher als später auf das Thema Bankenaufsicht. Nicht von ungefähr enthält der Koalitionsvertrag vom 11. November 2005 daher den Auftrag an die Bundesregierung, einen Erfahrungsbericht bezüglich der Aufsicht über die Kreditwirtschaft vorzulegen. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesfinanzministerium das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mit einer Evaluierung der deutschen Bankenaufsicht beauftragt.

Der seit November 2006 vorliegende Evaluierungsbericht bildet die Basis für weiterführende Überlegungen des Bundesfinanzministeriums zur Gestaltung der Aufsichtstätigkeit. Ohne das Ergebnis dieser Überlegungen vorwegzunehmen, werden wir uns - gerade unter dem Aspekt des Bürokratieabbaus - genauso mit der Frage einer effizienten Arbeitsteilung zwischen Bundesbank und BaFin wie mit den Regelungen zur Bekämpfung der Geldwäsche auseinander zu setzen haben.

Bedingungen für mehr Wachstum verbessern

Als Fazit bleibt festzuhalten: Weder die deutsche Volkswirtschaft im Allgemeinen noch der deutsche Finanzmarkt im Besonderen können sich dem verstärkten globalen, marktgesteuerten Wettbewerb entziehen. Deshalb stellt sich die Bundesregierung den Chancen und Risiken des globalisierten Finanzmarktes mit einer ausgewogenen Finanzmarktpolitik, die beidem gerecht wird: einem angemessenen Regulierungs- und Aufsichtsrahmen, der die Finanzmarktstabilität sichert und der proaktiven Unterstützung von Marktentwicklungen.

Unser Ziel dabei ist klar: Wir wollen die Bedingungen für mehr Wachstum und mehr Beschäftigung im Finanzdienstleistungssektor und damit in der Gesamtwirtschaft verbessern. Gelingen kann uns dies nur, wenn wir uns auch immer wieder fragen, ob der Nutzen einer Regelung in einem vernünftigen Verhältnis zu ihren bürokratischen Kosten steht. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft wird sich dieses Themas mit besonderem Engagement annehmen.

Die Zwischenüberschriften sind teilweise von der Redaktion eingefügt worden.

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