Regulierung

Kosten-Nutzen-Verhältnis bei MIFID: in der Schieflage

Die europäische Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (Markets in Financial Instruments Directive = MIFID) ist eines der weitreichendsten kapitalmarktpolitischen Vorhaben der vergangenen Jahre. Die MIFID ist zentraler Baustein eines integrierten europäischen Finanzmarktes mit dem Ziel, in der EU die geltenden Bestimmungen für die Erbringung von Wertpapierdienstleistungen zu harmonisieren. Dabei spielen Wettbewerb und Markttransparenz im Wertpapierhandel sowie ein verbesserter Anlegerschutz eine zentrale Rolle. Zu begrüßen ist, dass der deutsche Gesetzgeber über eine 1:1-Umsetzung in deutsches Recht1) gewährleisten will, dass die heimische Finanzwirtschaft keine nachteiligen Rahmenbedingungen vorfindet.

Kritisch zu betrachten ist die Umsetzungsfrist, die bereits Anfang November 2007 abläuft. Diese Frist ist äußerst knapp bemessen, worauf auch letztmals in der öffentlichen Anhörung vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages am 7. März 2007 hingewiesen wurde2). Der kurze Umsetzungszeitraum, der in den verspäteten Vorgaben der EU und des nationalen Gesetzgebers seine Ursache hat, stellt die Finanzwirtschaft vor erhebliche Probleme. Auch die vom Europäischen Parlament eingestandene Verlängerung auf Ende Oktober sieht die Finanzwirtschaft als nicht ausreichend an.

Knapper Zeitplan zulasten der Finanzwirtschaft

Unabhängig von den Inhalten ist deshalb schon allein der Zeitplan eine Zumutung für die Finanzdienstleister.

Bereits die Umsetzung in nationales Recht hätte laut EU-Vorgaben bis zum 31. Januar 2007 erfolgen sollen. Da der Bundestag die Neuregelungen jedoch erst in seiner Sitzung am 29. März 2007 beschlossen hat, kann von einer fristgerechten nationalen Umsetzung nicht die Rede sein.

Unberücksichtigt ist ferner, dass vom Committee of European Securities Regulators (CESR)3) wichtige Auslegungen zur MIFID noch ausstehen, die anschließend auch noch von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Ba Fin) in Rechtsverordnungen umgesetzt werden müssen.

Die fristgerechte Umsetzung wird in Deutschland und in anderen EU-Staaten große zeitliche Probleme mit sich bringen4). All dies kann zum Anlass genommen werden, das bestehende EU-Rechtsetzungsverfahren, das sogenannte Lamfalussy-Verfahren, kritisch zu hinterfragen. Es kann nicht angehen, dass systemimmanente Verzögerungen auf EU-Ebene bei der Umsetzung der MIFID oder bei anderen Richtlinien und Verordnungen wie zum Beispiel Sepa5) zulasten der betroffenen Finanzwirtschaft gehen.

Die aufgezeigte zeitliche Umsetzungsproblematik stellt allerdings nur die Rahmenbedingung für die inhaltlichen Regelungen der MIFID dar, die zu hohen Kostenbelastungen für die Finanzwirtschaft führen werden und deren Nutzen grundsätzlich kritisch zu hinterfragen ist.

Die MIFID-Umsetzung wird ohne jeden Zweifel enorme Kosten verursachen und die Bürokratielast der Kreditwirtschaft auf einen neuen Rekord führen. Zwar ist es löblich, dass die Bundesregierung im Regierungsentwurf zur Umsetzung der MIFID über das Finanzmarkt-Richtlinien-Umsetzungsgesetz (FRUG)6) die Kostenbelastungen durch die erweiterten Informations-, Transparenz- und Aufzeichnungspflichten erkennt. Die bloße Erkenntnis reicht aber nicht aus. Der Gesetzgeber darf sich nicht hinter EU-Vorgaben verstecken und eine 1:1-Umsetzung der MIFID als Entbürokratisierungserfolg darstellen, sondern muss sich aktiv auf EU-Ebene für Entbürokratisierung einsetzen.

Noch mehr Kosten durch die MIFID

Die Berechnungen der anfallenden Gesamtkosten für die MIFID-Umsetzung gehen weit auseinander. Sie reichen von 1,2 Milliarden Euro (Accenture) über zwölf Milliarden Euro (Sun Microsystems) bis beinahe 40 Milliarden Euro (PPI Consulting Group). Die tatsächlichen Kosten, die üblicherweise als die Multiplikation von Menge mit Preis definiert sind, werden sich vermutlich zwischen diesen Schätzungen bewegen. Im Rahmen der MIFID-Umsetzung können verschiedene Kostenarten identifiziert werden, von denen einige im Folgenden aufgezeigt werden.

1. Kosten für IT: Die Kosten für die Neuanschaffung oder Anpassung der IT-Infrastruktur werden laut Deutschem Aktieninstitut (DAI) rund fünf Milliarden Euro betragen.

2. Bildungskosten/Schulung: Da die MIFID eine große Anzahl von Mitarbeitern eines Finanzdienstleisters betreffen werden (insbesondere in den Bereichen Compliance, Meldewesen, Vertrieb, Marketing, interne Revision), wird der Bildungsaufwand entsprechend hoch sein. Eine unzureichende Schulung der Mitarbeiter birgt zudem die Gefahr erhöhter rechtlicher Risiken, wenn zum Beispiel Kundenkategorisierungen und Anlageberatungen nicht den gesetzlichen Erfordernissen entsprechen.

3. Zusatzaufwand Beratung: Der Zusatzaufwand in der Beratung ergibt sich aus den gegenüber dem Wp HG höheren Anforderungen beim Einholen von Kundeninformationen. Die Finanzwirtschaft hatte gehofft, dass die neuen Anforderungen der MIFID nur auf Neugeschäfte ab dem 1. November 2007 angewendet werden müssen und keine Überarbeitung von Altbeständen notwendig wird. Dies hätte der Finanzwirtschaft einen unnötigen Verwaltungsaufwand erspart.

4. Dokumentationspflichten: Neben der Aufnahme neuer Sonderbedingungen für das Wertpapiergeschäft und neuer Basisinformationen für die Kunden müssen alle bestehenden Informations- und Dokumentationspflichten überprüft und angepasst werden.

5. Archivierung/Aufbewahrung: Die erforderlichen Nachweise für die Erfüllung der MIFID sind von den Wertpapierdienstleistungsunternehmen aufzubewahren. Da der Umfang der Nachweise zugenommen hat, entstehen zwangsläufig für die Archivierung und Aufbewahrung zusätzliche Kosten.

6. Mögliche Prozess- und Haftungsrisiken: Kosten für die Finanzwirtschaft können sich auch aus einer nicht fristgerechten Umsetzung der MIFID ergeben. Insbesondere drohen den Instituten Prozess- und Haftungsrisiken, wenn sie sämtliche Informationen - auch Änderungen der Geschäftsbedingungen - nicht fristgerecht mit dem Kunden vereinbaren oder den Kunden nicht entsprechend informieren. In einer Ende Dezember durchgeführten Umfrage gaben immerhin 22 Prozent der befragten Banken an, die MIFID nicht rechtzeitig umsetzen zu können7). Daneben bringt die bisher nur im Entwurf vorliegende Verordnung zur Konkretisierung der Verhaltensregeln und Organisationsanforderungen für Wertpapierdienstleistungs-Unternehmen (Wp DVer OV) erhebliche Rechtsunsicherheiten mit sich, da sie eine Vielzahl von unbestimmten Rechtsbegriffen und offenen Formulierungen enthält.

Das Gutachten der IW Consult GmbH über "Bürokratiekosten in der Kreditwirtschaft" vom Dezember 2006, bezifferte den bürokratischen Aufwand der deutschen Kreditwirtschaft auf rund 3,1 Milliarden Euro. Die Umsetzung der MIFID wird diesen Betrag weiter in die Höhe treiben.

Diese enormen Kosten machen deutlich, wie dringend notwendig Bürokratieabbau ist. Nur wenn es gelingt, Überregulierungen zu vermeiden, kann die Wirtschaft nachhaltig wachsen. Diese Erkenntnis sowie Vorschläge für eine "bessere Regulierung" finden sich auch in dem Weißbuch der Europäischen Kommission zur Finanzdienstleistungspolitik 2005 bis 2010. Es bleibt zu hoffen, dass der in Deutschland jüngst eingerichtete Nationale Normenkontrollrat8) dazu beiträgt, die bürokratischen Belastungen der Wirtschaft zurückzudrängen.

Wo bleibt der Nutzen?

Alle Kapitalmarktteilnehmer haben ein elementares Interesse an qualifizierten Informationen als Grundlage für ihre Entscheidungen. Jeder Abbau von Informationsasymmetrien führt zu mehr Wettbewerb. Von einer größtmöglichen Transparenz kann eine Volkswirtschaft nur profitieren. Deshalb haben auch die Banken ein Interesse daran, dass ihre Kunden informiert sind. Dies ist umso notwendiger, als die Wissenslücken über Geld nach wie vor sehr hoch sind und qualifizierte Geschäfte nur mit informierten Kunden generiert werden können.

Der genossenschaftliche Förderauftrag stellt die Volksbanken Raiffeisenbanken seit über 150 Jahren vor die Aufgabe, ihre Mitglieder und Kunden umfassend zu beraten und ihnen bei ihren Finanzentscheidungen zur Seite zu stehen. Der Auftrag, die Mitglieder zu fördern, ist immer

die bessere Garantie für seriöse Beratung als jede noch so gut gemeinte Verbraucherschutzmaßnahme. Eine fundierte, umfassende Kundenberatung und -information gehören zur genossenschaftlichen Unternehmensphilosophie der Hilfe zur Selbsthilfe.

Als mitgliedergetragene, regional verankerte Finanzdienstleister kennen die Volks- und Raiffeisenbanken ihre Mitglieder und Kunden. Diese Nähe ist ein Plus in der Beratung. Nur wer seinen Kunden nahe ist, kennt ihre Bedürfnisse und ihr Anlageverhalten und kann sie entsprechend beraten - und muss ihnen auch keine Fragen etwa über ihre Bildung und ihre Finanzsituation stellen, wie es die Offenlegungspflichten der MIFID verlangen. Finanzdienstleister als Vormund der Kunden?

Zu dieser genossenschaftlichen Beratungsverantwortung bekennen wir uns. Sie setzt auf die Nähe zum Kunden und auf den mündigen, eigenverantwortlichen Kunden. Sie setzt nicht auf Bürokratie, die sich in der Erfüllung von Dokumentationspflichten austobt, wie sie in der MIFID vorgeschrieben wird. Die MIFID bringt weder für die Finanzdienstleister noch für die Kunden neue Vorteile oder neue Informationsqualitäten, sie erzeugt vor allem hohe Kosten durch neue Bürokratie, die beide Seiten belastet.

Ein Übermaß an Informationen birgt immer das Risiko, die Orientierung zu verlieren und Wesentliches nicht mehr von Unwesentlichem zu unterscheiden. Wird das Informationsmaterial zu umfangreich, werden die meisten Anleger es ungelesen zur Seite legen9). Im Übrigen genießen die deutschen Depotkunden über das Wertpapierhandelsgesetz (Wp HG) und die zugehörigen Verordnungen der Bankenaufsicht bereits heute ein hohes Schutzniveau.

Das Kosten-Nutzen-Verhältnis gerät auch deshalb in eine Schieflage, weil die MIFID die Entscheidungsfreiheit der Kunden einengt. Noch schlimmer: Die MIFID macht über Angemessenheitsprüfungen die Finanzdienstleister zum Vormund des Kunden. Besonders kritisch sind die Offenlegungspflichten der Anleger gegenüber den Anlageberatern zu sehen. Europa nötigt die Finanzdienstleister dazu, für Wertpapieranlagen ihre Kunden über die Herkunft ihres Einkommens und ihrer Verbindlichkeiten, sogar über ihren Bildungsstand und ihren Beruf auszufragen. Hier ist kritisch zu hinterfragen, ob von einem höheren Bildungsstand automatisch auch auf einen höheren Kenntnisstand bei Finanzdienstleistungen geschlossen werden kann. Welche Kundenbetreuung, welche Produkte sind welcher Schulbildung angemessen? Besteht hier nicht die Gefahr, bestimmte Bildungswege und damit auch die Menschen selbst zu diskriminieren?

Eine besondere Ironie enthalten die umfänglichen Offenlegungsanforderungen bei Wertpapieranlagen angesichts der Tatsache, dass die Bankenaufsicht ihre strengen Auslegungsschreiben zur Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Kreditnehmern (Paragraf 18 KWG) erst jüngst aufgehoben hat.

Überzogene Regulierungen beschneiden Freiräume

Die MIFID ist eine weitere verpasste Gelegenheit, auf die Entscheidungsfreiheit und Mündigkeit der Kunden zu setzen. Stattdessen wird wieder einmal die Gängelung durch viele Paragrafen vorgezogen. Überzogene Regulierungen, wie sie hier zum Ausdruck kommen, beschneiden unnötig Freiräume und engen damit auch die Kreativität ein, die jede Volkswirtschaft braucht.

Der wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie stellt in seinem Gutachten "Mehr Vertragsfreiheit, geringere Regulierungsdichte, weniger Bürokratie" vom 16. September 2006 fest, dass das mangelnde Vertrauen in die Vertragsfreiheit der Bürger ursächlich für die hohe Regulierungsdichte und die hohe Bürokratielast ist.

Ein entscheidendes Zitat daraus: "Bürokratieabbau muss daher primär an der Vertragsfreiheit der Bürger ansetzen. Dabei wird von Seiten der Verbraucherschützer oder des Staates häufig der Einwand gebracht, dass die Eingriffe in die Vertragsfreiheit zum , Schutz des Schwächeren' erfolgen. Verkannt wird hierbei allerdings, dass der Wettbewerb unter den , Stärkeren' der beste und in der Regel auch ausreichende Schutz der , Schwächeren' ist. Wird über den Wettbewerb hinaus der , Schwächere' durch Spezialgesetze geschützt, welche die Kosten der , stärkeren' Marktseite nach oben treiben, dann werden diese Mehrkosten unter Wettbewerbsbedingungen regelmäßig auf die andere, also die , schwächere' Marktseite überwälzt. "

Auf die MIFID übertragen, lässt sich formulieren: Die MIFID hat keinen wirklichen Zusatznutzen für die Banken und die Kunden, sie erhöht nur durch zusätzliche Bürokratie die Kosten, die letztlich die Verbraucher zu tragen haben.

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