Aufsätze

Entscheidende Jahre gemeinsam mit Karl Otto Pöhl

Es war am Tag vor meiner Vereidigung zum Bundesminister der Finanzen am 20. April 1989. Als ich am Nachmittag auf dem Memminger Militärflugplatz in ein Flugzeug stieg, das mich nach Bonn bringen sollte, rief mich der damalige Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl an und teilte mir mit, dass der Zentralbankrat soeben die Zinsen erhöht habe. Auf meine erstaunte Bemerkung, warum dies ausgerechnet einen Tag vor meinem Amtsantritt erfolgt sei, antwortete er lakonisch: "Es ist doch besser, wenn es in der Amtszeit Ihres Vorgängers passiert, als wenn Sie es zu verantworten haben". Später habe ich begriffen, dass er wohl recht hatte.

Unabhängigkeit und Geldwertorientierung

Neben meinem erfahrenen Staatssekretär Hans Tietmeyer war Karl Otto Pöhl ein wichtiger Begleiter auf meinen ersten europäischen und internationalen Schritten. Er war mir ein sachkundiger, fairer und menschlich verlässlicher Partner. Auf unserer ersten gemeinsamen Ecofin-Konferenz im Mai 1989 in Spanien stand der Delors-Bericht auf der Tagesordnung. Unter dem Kommissionsvorsitzenden Delors war von den europäischen Notenbankpräsidenten ein Plan zu einer europäischen Währung mit einem Statut einer europäischen Zentralbank erarbeitet worden. Dieses Papier und insbesondere der Entwurf für das Statut einer europäischen Zentralbank trägt maßgeblich die Handschrift Karl Otto Pöhls.

Die Vorschriften über die Unabhängigkeit und Geldwertorientierung einer europäischen Zentralbank entsprach in allen Punkten der Vorstellung der Deutschen Bundesbank. Ihre Unabhängigkeit war durch einen europäischen Vertrag noch stärker gesichert als die Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank, die durch einfaches Gesetz des Bundestages hätte abgeändert werden können.

Anstoß zu einer intensiven Zusammenarbeit mit Frankreich

Trotzdem ließ Karl Otto Pöhl seine Bedenken gegen ein solches Projekt durchaus erkennen. Am Tegernsee kam es einige Monate später zu einer Begegnung mit dem französischen Finanzminister Pierre Bérégovoy, seinem Zentralbankpräsident Jacques de Larosière und dem Staatssekretär im französischen Tresor Jean-Claude Trichet. Bei der abendlichen Unterhaltung ergriff Karl Otto Pöhl die Initiative und stellte plötzlich fest: "Lasst uns an die Arbeit gehen und versuchen, die Dinge zu regeln". Dies war der Beginn einer intensiven Zusammenarbeit mit Frankreich, die letztendlich auch zum Erfolg führte.

Ich habe auch Verständnis für seine Verärgerung, dass er von dem Entschluss des Bundeskanzlers Helmut Kohl, des FDP-Vorsitzenden Graf Lambsdorff und mir über den Vorschlag einer deutschen Währungsunion nicht vorher informiert worden war. Er befand sich an diesem Tage zu einem Gespräch in Ostberlin mit dem dortigen Präsidenten der Notenbank.

Am Abend zuvor hatten wir uns noch in Bonn unterhalten und ich hatte ihm meine Besorgnis über die Handlungsfähigkeit der DDR- Regierung geäußert. Ich glaubte nicht, dass gewählte demokratische Politiker in der DDR die politische Kraft haben würden, die schmerzhaften Anpassungsprozesse, die für eine Reform des Wirt-schafts-, Finanz- und Währungssystems in der DDR erforderlich waren, durchzusetzen. Es wird der Moment kommen, bemerkte ich zu Pöhl, wo es in Anlehnung an einen Kriminalfilm heißt: "Kobra, übernehmen Sie! ".

Politische Prärogative

Als Präsident Pöhl noch in Ostberlin von den Plänen der drei Parteivorsitzenden hörte, reagierte er skeptisch über ein solches Vorhaben. Doch bereits am nächsten Tag akzeptierte er die politische Prärogative und arbeitete ab diesem Zeitpunkt mit seinem Vizepräsidenten Helmut Schlesinger und Hans Tietmeyer engagiert und sachkundig an diesem wohl wichtigsten Projekt vor der Deutschen Einheit mit.

Gemeinsam mit ihm entwarfen wir den Vorschlag, Hans Tietmeyer, der aus dem Finanzministerium zur Bundesbank gewechselt war, als Berater für den Bundeskanzler zeitweilig abzuordnen. Die Bundesbank hat dieses Projekt technisch und logistisch hervorragend begleitet und gemeistert. Es kam zu keinem Zeitpunkt zu einer Gefährdung der Stabilität des deutschen Marktes.

Auch von den Amerikanern anerkannt und geschätzt

Gleichzeitig gingen die Vorarbeiten zu dem Vertragswerk voran, die später im Vertrag von Maastricht ihre Vollendung fanden. Auch hier spielte die Deutsche Bundesbank im Konzert der europäischen Währungshüter eine dominierende und dominante Rolle. Im internationalen Bereich wurde Karl Otto Pöhl auch von den mächtigen Amerikanern anerkannt und geschätzt.

Dabei konnte er bei ernsten und schwierigen Verhandlungen charmant und kompromissbereit, bisweilen aber auch sehr ernst und ironisch, werden. Als er einmal bei einem Frühstück um acht Uhr mit der amerikanischen Seite im Hotel Four Seasons in Washington dem amerikanischen Finanzminister Nick Brady und dem Präsidenten der Federal Reserve Alan Greenspan unverblümt und ohne lange Einleitung mitteilte: "I have not the slightest intention to reduce the interest rates", sank die Stimmung beim anschließenden Empfang im Weißen Haus auf den Nullpunkt. Doch Karl Otto Pöhl verstand es immer wieder, mit Regierungen und Notenbanken ein konstruktives und persönlich gewinnendes Verhältnis aufzubauen.

Er war in den schwierigen Jahren 1989 bis 1992 ein wichtiger Ratgeber der Regierung und ein unbestechlicher Wächter über die Währung. Als er in der Frankfurter Paulskirche von den maßgeblichen Repräsentanten Deutschlands verabschiedet wurde, fand ich im Gästebuch der Paulskirche als letzten Eintrag die Namen der sowjetischen Politiker, die kurz nach ihrem Besuch in Frankfurt erfolglos gegen Gorbatschow geputscht hatten. Was wäre mit unseren Projekten der deutschen und der europäischen Einigung wohl geschehen, wenn die Geschichte durch dieses Ereignis einen anderen Gang genommen hätte?

So war Karl Otto Pöhl an wichtigen Weichenstellungen für Deutschland und Europa mit Engagement und seinem großen Einfluss beteiligt.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X