Leitartikel

Von Notenbankern und Politikern

Es dürfte kein Zufall sein, dass die Autoren dieses Heftes mit ihrer Gratulation zum 80. Geburtstag des früheren Bundesbankpräsidenten Karl Otto Pöhl einmal mehr das Profil unabhängiger Notenbanken schärfen und die besondere Verpflichtung der Deutschen Bundesbank und heute der Europäischen Zentralbank zur Sicherung der Preisstabilität betonen. Denn in währungspolitischen Extremsituationen besinnt man sich gerne auf zentrale Prinzipien und Werte. Mit der deutschen Wiedervereinigung standen der damalige Bundesbankpräsident und seine Kollegen im Zentralbankrat einer geldpolitischen Herausforderung gegenüber, die ähnlich wie die heutige Finanzkrise keine wirklichen historischen Vorbilder hatte, an denen man sich einfach hätte orientieren können, sondern es musste Neuland betreten werden. Auch seinerzeit wähnte sich die deutsche Politik in einer Ausnahmesituation, auf die es entschlossen, schnell und wirksam zu reagieren galt. Auch damals schnellte die Staatsverschuldung rasant nach oben, weil von der Übernahme der hiesigen Sozialversicherungssysteme bis hin zu dringlichen Investitionsmaßnahmen in die Infrastruktur der neuen Bundesländer unkonventionelle und teils weitreichende Maßnahmen als notwendig angesehen wurden, um die Integration der neuen Bundesländer in die alte Bundesrepublik ohne politischen Schaden zu vollziehen. Auch damals gab es zunächst einen breiten politischen und gesellschaftlichen Konsens über die grundsätzliche Richtung, und die geld- und wirtschaftspolitischen Detailfragen und Folgewirkungen konnten erst allmählich aufgearbeitet und differenziert bewertet werden. In der heutigen Finanzkrise ist der Ausgangspunkt der Umwälzungen zwar nicht direkt politisch bedingt, sondern allenfalls ein wenig politisch motiviert. Und zudem ist das gesamte, inzwischen noch viel stärker vernetzte Gefüge der Weltwirtschaft betroffen. Aber ebenso wie damals vielleicht ein wenig zu früh von blühenden Landschaften gesprochen wurde, sehen heute einige Beobachter den Tiefpunkt der Finanzkrise schon erreicht oder gar überwunden. Für ein endgültiges Resümee indes ist es bei Weitem noch zu früh. Denn insbesondere die möglichen Folgewirkungen der vielschichtigen Verwerfungen an den internationalen Kapitalmärkten auf die Strukturen der globalen (Finanz-)Wirtschaft wie auch der künftigen Weltwährungsordnung lassen sich im jetzigen Stadium längst noch nicht absehen. Als gesichert festhalten lässt sich lediglich, dass es vor gut einem Jahr nicht zu einem totalen Kollaps des Finanzsystems gekommen ist und sich die Auswirkungen auf die Realwirtschaft in den Industrieländern wie in vielen Schwellenländern bisher in beherrschbaren Dimensionen gehalten haben. Welche Schuldenberge sich weltweit aufgetürmt haben, welche latenten Spannungen von den noch größer gewordenen Ungleichgewichten der Handels- und Zahlungsbilanzen wichtiger Länder und Wirtschaftsregionen ausgehen und wie sich die währungspolitischen Gewichte zwischen den etablierten Industriestaaten und den aufstrebenden Schwellenländern verschieben, spielt in der allgemeinen Wahrnehmung einstweilen noch eine untergeordnete Rolle. Würde man heute in Fachkreisen fragen, wer die (Finanz-) Welt vor dem drohenden Zusammenbruch bewahrt hat, dürfte man als Retter in höchster Not auf eine interessante Konstellation stoßen: Gehäuft gelobt und gewürdigt werden die Notenbanker und die Politiker. Dabei gilt die Wertschätzung für dieses Zweckbündnis dieser Tage sicher nicht der Prävention. Und es ist auch kein Vertrauensvorschuss auf einen geordneten Abbau der weltweiten Ungleichgewichte. Sondern honoriert wird in erster Linie das schnelle und beherzte Krisenmanagement. Durch die Entwicklung geläufiger und weniger geläufiger Wirtschaftsindikatoren wie dem Auftragseingang im Maschinenbau und anderen Branchen, dem Exportvolumen, den Schiffstonnagen oder dem seinerzeitigen Einbruch vieler Rohstoffpreise alarmiert, haben beide Gruppen ohne Zögern und sehr massiv gehandelt und ihre Maßnahmen im Großen und Ganzen international recht gut koordiniert. Gemeinsam haben Notenbanken und Politik mit Stützungsmaßnahmen ein Auffangnetz gespannt und damit ein Asset in die Waagschale geworfen, das die Banken selbst untereinander ziemlich verspielt haben - Vertrauen. Dass auch die Institution Bundesbank in ihren geldpolitischen Entscheidungen in der schwierigen Anfangsphase der deutschen Währungsunion nach innen wie außen auf Vertrauen bauen konnte, schildert Claus Köhler im Rückblick auf die stabilitätsorientierte Geldpolitik der achtziger Jahre (Seite 1211). Und wenn Axel A. Weber in seiner differenzierten Analyse der Konsequenzen der Staatsverschuldung (Seite 1195) die Dilemmasituation heutiger Notenbanker umschreibt, dürfte das Karl Otto Pöhl und seinen Mitstreitern bekannt vorkommen. Auch sie hatten und brauchten vor 20 Jahren das Zutrauen der Menschen, das sich die Bundesbank nicht zuletzt durch Karl Otto Pöhl erworben hatte. Auf dessen Verlässlichkeit, Planungssicherheit und Gespür für das Machbare, so Rüdiger von Rosen (Seite 1203) und Matthias Graf von Krockow (Seite 1202) aus unterschiedlicher Warte, gründete sich sein guter Ruf, auf dem sich Mitte der neunziger Jahre auf anderem Feld aufbauen ließ. Mit maßgeblicher Hilfe von Karl Otto Pöhl, so weiß Jan Pieter Krahnen zu berichten (Seite 1205), wurde seither auf dem Terrain der Geld-, Währungs-, und Kapitalmarkttheorie am Standort Frankfurt mit dem jetzigen House of Finance ein Kompetenzzentrum errichtet, von dem heute auch die Bundesbank, die EZB und viele internationale Forscher profitieren. So hilfreich und bemerkenswert die Harmonie zwischen Zentralbanken und Politik seit gut einem Jahr auch erscheinen mag, so wenig ist sie im grundsätzlichen Verhältnis untereinander angelegt. Auch an dieser Stelle zeigen sich Parallelen zwischen der Anfangsphase der deutschen Währungsunion und dem Krisenmanagement des vergangenen Jahres. Im Gefolge der Lehman-Pleite waren einfach die Krisensymptome so gewaltig, dass unterschiedliche Interessenlagen hinten angestellt werden mussten und gemeinsames Handeln angesagt war. Folglich haben die Notenbanken die Zinsen nach unten geschraubt und zu immer unkonventionelleren Maßnahmen der Liquiditätsversorgung gegriffen - im Falle der EZB etwa der Entschärfung der Regeln für forderungsbesicherte Anleihen als Sicherheiten für Refinanzierungsgeschäfte und dem Zwölf-Monats-Tender. Flankierend haben die Politiker in nahezu allen wichtigen Nationen umfangreiche Maßnahmen zur Konjunkturankurbelung der Binnenwirtschaft und zur Stützung ihrer einheimischen Banken beschlossen und dafür ihre Staatshaushalte in kaum für möglich gehaltenen Dimensionen aufgebläht. Vor 20 Jahren galt es für Politik und Bundesbank, gemeinsam die einmalige historische Chance zur Wiedervereinigung wahrzunehmen. Zumindest mit Blick auf die Schrittfolge zur deutschen Wirtschafts- und Währungsunion sowie die damit einhergehende Staatsverschuldung - einschließlich der Schaffung des Ausgleichsfonds als Sondervermögen des Bundes zur Durchführung der Währungsumstellung - wurde die Notenbank zwar eingebunden, hatte sich aber auch vielen politischen Vorgaben zu beugen. Das wird besonders am Beitrag von Theo Waigel noch einmal deutlich (Seite 1200). Prinzipiell hatten und haben die deutschen und haben derzeit die europäischen Notenbanker stets die Gefahren einer hohen Staatsverschuldung im Blick. Und so lösen sie sich auch heute zunehmend aus den Fesseln der Akutbehandlung der Weltwirtschaft und intensivieren die Bestandsaufnahme der finanziellen Lage. Auch unter den heutigen Politikern häuft sich die Zahl derer, die der gewaltigen Schuldenberge gewahr werden, die jeglichen finanzpolitischen Handlungsspielraum schon im Keim zu ersticken drohen. Die Notenbanker verweisen gerade wieder stärker auf die starken Ungleichgewichte von Zahlungs- und Leistungsbilanzen in großen Wirtschaftsräumen sowie das höchst bedrohliche Inflationspotenzial und suchen nach dem richtigen Zeitpunkt für die Trendwende in der Geldpolitik. Nachdem einige Zentralbanken wie Australien und Norwegen im Oktober 2009 schon wieder vorsichtige Zinsschritte nach oben eingeleitet haben, gibt es auch aus der EZB immer stärkere Signale wenigstens den Anfang des Ausstiegs einzuleiten. So werden die Rating-Anforderungen für ABS bei Kreditgeschäften des Eurosystems ab März 2010 wieder verschärft. Nach außen klingt die Suche vieler Staaten und Notenbanken nach den angemessenen geldpolitischen Maßnahmen derzeit noch unverändert harmonisch. Im Prinzip streben alle nach einem geordneten Exit aus den notgedrungen aufgebauten Beteiligungen an großen nationalen Finanzdienstleistern und/oder der hohen Staatsverschuldung. Deutlich wird das nicht zuletzt an dem vor gut einem Monat verabschiedeten Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung. "Die Grundlage für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft ist nur gegeben, wenn der Weg in den Verschuldungsstaat gestoppt wird." Oder: "Die Einhaltung des europäischen Stabilitätspakts hat für uns Priorität. Gleiches gilt für die Wahrung der Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank und der Europäischen Zentralbank." Solche Absichtserklärungen der Politik klingen gut und liegen in der Sache auf der Linie der Notenbanken. Aber je mehr sie sich konkreten Maßnahmen annähern, umso auffälliger werden die Diskrepanzen zwischen konsensfähig klingenden Worten und ersten Andeutungen zur konkreten Regierungsarbeit. Wer zuletzt die Vorschläge zur Umsetzung und Finanzierbarkeit des angekündigten Maßnahmenkataloges verfolgt hat, darf doch sehr daran zweifeln, inwieweit sich der verbreitete Harmoniekurs einhalten lässt. Das gilt nicht nur auf der politischen Ebene zwischen den beiden Regierungsparteien. Sondern auch aus der EZB und der Bundesbank kamen in den vergangenen Wochen Statements, die Vorbehalte gegen jegliche Art der Kreditfinanzierung von Steuererleichterungen erkennen lassen, also klare Worte in Richtung Politik. Dass es mit dem Drang nach Unabhängigkeit in der Europäischen Zentralbank bisher so gut funktioniert, wird an den teilweise sehr persönlich gehaltenen Ausführungen dieses Heftes deutlich, hängt maßgeblich von den handelnden Personen ab. So war und ist Jean-Claude Trichet sowohl an der Festlegung der konstituierenden Prinzipien bei der Schaffung der Notenbank als auch an der Umsetzung ihrer konstituionellen Merkmale beteiligt (Seite 1192). Ebenso wie Theo Waigel stellt der heutige EZB-Präsident bei der Würdigung der Verdienste Karl Otto Pöhls um die Unabhängigkeit der EZB ein Treffen am Tegernsee Ende August 1989 als entscheidende Wegmarke hin zu einer starken EZB heraus. Wenn er dieses Prinzip für die neue EZB als ungeheuer wichtig erachtet und akzeptiert hat, so die beruhigende Einsicht, kann es jetzt keine Überraschung sein, dass er die Unabhängigkeit als deren Präsident vehement verteidigt. Bei allem Mut zum Handeln war freilich der Umgang mit der Finanzkrise für Politiker und Notenbanker bisher noch vergleichsweise einfach, denn die grundsätzliche Berechtigung der eingeleiteten Maßnahmen war unbestritten. Aber die echte Herausforderung, das deutet Jean-Claude Trichet durchaus offensiv an, kommt mit der Umsetzung der Exit-Strategie. Er dürfte vermutlich noch in seiner jetzigen Amtszeit einige Bewährungsproben für die Unabhängigkeit der EZB von politischen Einflüssen erleben. Hans Otto Pöhl übrigens hat dieses hohe Gut seinerzeit als wichtiger empfunden als sein Amt als Bundesbankpräsident. Mo.

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