Aufsätze

Genossenschaftsverbände: Fusion oder Kooperation?

Vier der fünf regionalen Prüfungsverbände der Genossenschaftsorganisation haben per Kooperationsvereinbarung beschlossen, künftig eng zusammenzuarbeiten. Unausgesprochen verfolgen sie damit eine Gegenstrategie zu dem Genossenschaftsverband e. V. mit Sitz in Frankfurt. Während dieser das Ziel eines einheitlichen nationalen Prüfungsverbandes anstrebt, wollen die vier Verbände durch Kooperation untereinander eine Fusion verhindern. Beide betonen das Wohl und den Nutzen für die Mitglieder. Hier stehen sich zwei Strategien diametral gegenüber. Was nützt der Gruppe mehr? Welche Strategie ist zukunftsfähiger?

Einrichtungen der Genossenschaften

Kooperation ist den Genossenschaften systemimmanent und insofern auf den ersten Blick gut. Doch Verbände sind keine Genossenschaften, sondern Einrichtungen der Genossenschaften, haben diesen zu dienen. Verbände haben keinen Selbstzweck. Die Sonderstellung des Genossenschaftsverbandes als gesetzlicher Prüfer steht dem nicht im Wege und ist mit beiden Strategien vereinbar. Also geht es allein um die Frage, mit welcher Strategie die Verbände ihren Mitgliedern besser dienen. Die entscheidenden Parameter in dieser Betrachtung lauten Qualität und Preis, aus Sicht der Genossenschaften: Leistungspalette und Kosten. Daran muss sich der jüngste Vorstoß der vier Verbände messen lassen. Letztendlich führt dies zur Frage der Härte der Kooperation.

Sie muss schon mehr bieten als das, was durch gemeinsame Arbeit heute in einem vorhandenen Gefäß bereits möglich wäre, nämlich im Spitzenverband DGRV in Berlin, dem alle angehören und den sie zum großen Teil mitfinanzieren. Die Verbändekooperation wird auch keine Initiativen entfalten können, die kraft Satzung Aufgabe des DGRV ist, also schon kooperierend geregelt ist, wie zum Beispiel die nationale, europäische und internationale Lobbyarbeit in Sachen Rechnungswesen, Prüfung und Genossenschaften. Hier sollte kein Regional-/Zentralfunktionskonflikt gleich dem Bund-/Länderkonflikt der Politik entstehen. Das Mehr nur auf die Leistungsebene zu den Mitgliedern zu beziehen, indem man nur austauscht oder die Entwicklung nach dem Motto "Einer für Alle" koordiniert, rechtfertigt nicht zwingend den eingeschlagenen Weg an dem DGRV vorbei.

Messbarkeit und Kontrolle

Wenn also die neue Kooperation nicht zum kostenintensiven Nebengefäß degenerieren will, muss sie schon Nägel mit Köpfen machen. Solches wäre das Zusammenlegen der Back Ends aller Verbände in einer Unit - gleich in welchem Rechtskleid oder bei welchem der beteiligten Verbände. Also zum Beispiel eine Funktion Rechnungswesen für alle, eine Personalverwaltung, eine IT-Abteilung beziehungsweise IT-Gesellschaft. Alles was nicht unmittelbar dem Geschäftszweck dient, muss allein schon aus Kostengründen in der Kooperation zentriert werden. Ein anderes Beispiel wäre das Poolen von Mitarbeitern in einer Unit, zunächst die Spezialisten, dann die gesamte Gruppe, etwa Prüfer oder Juristen. Dies alles käme einem der Fusion vorgeschalteten Schritt gleich.

Dass man dazu (noch) nicht bereit ist, lässt die Verkündung der Verlautbarung vermuten. Die aufgezählten Prämissen, unter denen die vier Verbände Nutzen stiften wollen, lauten:

- "Mitgliedernähe und Mitgliederkenntnis, -Willensbildung und Meinungsbildung in der Region,

- Bewahrung des Vermögens in der Region,

- Verlässlichkeit und Verbindlichkeit,

- Leistungsstärke, Kompetenz und Schnelligkeit".

Eigentlich klingt dies nach Selbstverständlichkeiten und sollte ohnehin jegliches Verbandstun bestimmen. Reihenfolge und Inhalte dieser Prämissen verraten das politische, emotionale Kalkül. Der unternehmerische Ansatz der Kooperation bleibt im Verborgenen. Zwar werden am Ende betriebswirtschaftliche Schlagwörter angeführt, doch fehlt völlig die Operationalisierung, das konkret Messbare, so als ginge man der Kontrolle aus dem Weg.

Direkte Erfolgsmessung

Dabei sollten auch für Verbände die Zeiten des Unverbindlichen, des sich nicht Festlegens vorbei sein. Genossenschaftliche Verbandsarbeit benötigt Reportinglevels, stellt sich heute direkter Erfolgsmessung. Dies sollte sie deutlich von der in der Sparkassenorganisation üblichen Verbandsarbeit unterscheiden. Hier wurde eine Chance liegen gelassen, da sollte zumindest gegenüber der genossenschaftlichen Öffentlichkeit nachgearbeitet werden.

Außerdem wird an der Aufzählung der Prämissen auffällig, dass sich deren Realisierung weder in einer Kooperations- noch in einer Fusionsstrategie wesentlich unterscheiden. Sie sind immer eine Frage der richtigen inneren Organisation und der vorangestellten Satzung. Nimmt man nur die Prämisse Mitgliedernähe heraus, so kann zum Beispiel mit Key-Accounting diese überall so verwirklicht werden, dass sich die Mitglieder umfassend betreut fühlen. Doch gilt für die Genossenschaftsorganisation wie bei einer mittelständischen Organisation der Grundsatz, dass man vom Chef, sprich Vorstand, betreut werden will.

Basisdemokratie

Und hier herrscht ein krasses Missverhältnis unter den Verbänden. Relativiert man die Zahl der Verbandsmitglieder auf die Zahl der Vorstandsmitglieder eines einzelnen Genossenschaftsverbandes, dann zeigt sich, dass die Verbände in Oldenburg beste und in Frankfurt günstige Relationen ausweisen, die in Stuttgart und ganz besonders in München und in Münster sind unter diesem sehr wichtigen Aspekt eher als mitgliederfern zu bezeichnen. Die Delegation von Mitgliedernähe allein auf nachgeordnete Hierarchieebenen ist darüber hinaus vor dem Hintergrund der wachsenden Betriebsgrößen der Genossenschaften für alle Beteiligten kontraproduktiv.

Willens- und Meinungsbildung in der Region sind zunächst in der Satzung eines jeden Verbandes zu verankern, deren höchste Stufe sich als Basisdemokratie auslebt. Sie ist vereinskonform und muss sich von der notwendigen kapitalorientierten Willensbildung der Genossenschaften gegenüber den Verbundunternehmen unterscheiden.

Doch ein Blick in die Satzungen zeigt, dass längst nicht alle Verbände ihre Willensbildung basisdemokratisch in der Region ermöglichen. So sollten Mandate in den Gremien auch über die Region direkt und nicht durch ein wie auch immer gebildetes Gremium indirekt besetzt werden. Letzten Endes hat ja das Fehlen solchen Satzungsgefüges und die dadurch gelebte indirekte Meinungsbildung unter anderem zur Entstehung von Interessengemeinschaften geführt.

Diese Aspekte haben bei den Fusionsverhandlungen zwischen Verbänden in der Vergangenheit eine große Rolle gespielt und finden in deren Satzungen Niederschlag. Verbände müssen hierin sehr akribisch sein, wollen sie verhindern, dass neben ihnen Ersatzgefäße entstehen, die mehr und mehr geeignet erscheinen, politische Willensbildung zu artikulieren. Dies alles führt langfristig nicht nur zur Schwächung der Verbände, sondern auch zur Schwächung der Genossenschaften selbst, denn wenn mehr Zungen reden, entsteht eher Wirrwarr als verständliche Lautstärke. Verlässlichkeit und Verbindlichkeit gehen mit dieser Betrachtung einher.

Die Bewahrung des Vermögens in der Region ist im Sinne der Selbstbestimmung der jeweiligen Genossenschaften in der betroffenen Region eine Selbstverständlichkeit, darf aber nie soweit gehen, dass Entscheidungsprozesse dieser Art so zementiert werden, dass sich nie was ändern kann. Nicht der Verband hat dies zu entscheiden, sondern stets die Genossenschaften, denen das Vermögen gehört. Verbände mit eigener Fusionserfahrung bildeten in der Vergangenheit häufig Sondervermögen, über die per Satzung nur die betroffenen Regionen bestimmen durften und eben nicht das Verbandsgremium, das üblicherweise für das Vermögen betreffende Beschlüsse fasst wie der Verbandsrat.

Mutig vorausdenken und vorausgehen

Ein wesentlicher Aspekt bleibt in der verlautbarten Kooperationsstrategie der vier Verbände unberücksichtigt: Die Veränderungen der Märkte, denen die Genossenschaften, also die Verbandsmitglieder, durch Bündelung der Kräfte via Fusionen gefolgt sind. Verbandsstärke und Bilanzsumme der größten Verbandsmitglieder müssen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Alles andere gefährdet den gesetzlichen Prüfungsauftrag und dient auch nicht einer zielgerichteten Betreuung und fachlichen Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Nicht das Mitglied sollte den Verband auf seine Zukunft vorbereiten, sondern umgekehrt. Gesucht ist nicht der dirigistische, sondern der feststellende und zugleich moderierende Verband, der mit seinen Argumenten überzeugt.

Verbände müssen mutig vorausdenken und auch ebenso vorangehen. Das alles verlangt nicht nach dem bequemen Verband, der nach dem Motto funktioniert, wir fragen die Mitglieder, was sie wollen und genau nur dies machen wir. Erst als neutraler "Sparringspartner" entfaltet er seinen größten Nutzen. Doch dieser Qualitätsschritt verlangt größeres Spezialistentum, gelebte Erfahrung, was nur begrenzt via Kooperation zu verwirklichen ist. So wird durch die Kooperation die Schlagkraft der Gruppe geschwächt. Denn an deren Spitze steht ein viel zu kleiner DGRV, der nie die quantitativen Voraussetzungen für internationale Anerkennung erfüllen kann, der nicht ausreichend Spezialisten vorhalten kann, dem große Mandate nicht in die Bücher fließen. Letztendlich geht allen Verbänden wirtschaftliche Kraft verloren.

Wie wenig die genossenschaftlichen Prüfungsverbände mit der Entwicklung Schritt halten konnten, zeigt folgendes Beispiel, das zu allem Übermaß noch verdeutlicht, dass die drei "S" der Gruppe (Selbsthilfe, Selbstverwaltung, Selbstverantwortung) nur unzureichend ausgelebt werden. Betrachtet man nur die Genossenschaftsbanken, so sind die dort aufgelaufenen Kundenvolumina längst nicht mehr wie früher einmal allein in der Bilanz der Kreditgenossenschaft. Man findet sie in der Größenordnung von 30 und mehr Prozent in den Bilanzen der Verbundunternehmen.

Doch welcher genossenschaftliche Prüfungsverband betreut, prüft, berät sie? Sind da nicht durch das Beharrungsvermögen in den Regionen Kompetenzen bei den Prüfungsverbänden verloren gegangen? Man würde den Primärinstituten wesentlich mehr dienen, wenn man in deren Interesse in der Lage wäre, Prüfungs-, Beratungs- und Qualifizierungsleistungen auch auf den Verbund auszudehnen. Für die Geschlossenheit und die Selbsthilfe der genossenschaftlichen Organisation ist es zwingend geboten, dass ein starker Prüfer und Berater in Konkurrenz zu den Bigs der Branche zur Verfügung steht. All dies wird nicht über die Kooperations-, wohl aber über die Fusionsstrategie erreicht werden können. Gerade in einem mit immer höherer Arbeitsteiligkeit ausgestatteten Verbund - bedingt durch das veränderte Kundenverhalten - muss im Sinne der genossenschaftlichen Prinzipien der Genossenschaftsverband seine Leistungen auch auf den Verbund ausdehnen können. Doch genau das wird mit der Kooperationsstrategie verhindert.

Kooperationen nur als Zwischenschritt

Abgesehen davon ist es ein Anachronismus, wenn der sekundäre Bereich der Organisation gebündelt und damit national aufgestellt ist, doch die Verbände nicht. Statt mutig voranzugehen, strategische Entwicklungen selbst im eigenen Tun vorzuleben, verharren sie in ihrer Strategie der vermeintlichen Mitgliedernähe und versäumen den großen unternehmerischen Wurf. Mit jedem Tag der Beharrung schwindet ihr direkter Einfluss auf die Entwicklung der Organisation. Damit geht die Schwächung der Primärinstitute einher, weil sie einen starken Mitstreiter nicht an ihrer Seite haben. Sie verbauen sich außerdem den Weg zu mehr Einfluss auf Europa. Ihre Zersplitterung schwächt nicht nur die Genossenschaften selbst, sondern auch deren mittelständischen Mitglieder, die Firmenkunden. Dies konnte man beim Gebären aller Wirtschaftsgesetze und Rechnungslegungsvorschriften der jüngeren Zeit feststellen.

Welch ein Pfund hätte man in der Hand, gäbe es einen nationalen Genossenschaftsverband, mit einer Anzahl von Wirtschaftsprüfern, die ihn mit einem Schlag zu den Größten der Branche aufsteigen lässt, mit einer Anwaltszahl im Maßstab führender europäischer Sozietäten, mit einer Zahl an Unternehmensberatern, die ein ausgeprägtes Spezialistentum ermöglicht. Dies wäre auch ein Gewinn für die DZ Bank AG, für alle Verbundunternehmen, für alle Zentralen des genossenschaftlichen Warensektors und auch für die drei Spitzenverbände BVR, DRV und ZGV, die mit einem starken Fachspezialisten im Rücken europäisch und international wesentlich effizienter agieren könnten. Sie sollten ihren Mitgliedern diese Erkenntnis mehr als bisher nahe bringen.

Kooperationen wie die jetzt verkündete können nur Zwischenschritte sein. Doch die Zeit läuft der genossenschaftlichen Organisation davon. In Zeiten fortschreitender Globalisierung macht das Tempo auch nicht vor Europa halt und heute sind selbst dort schon die Genossenschaften trotz hohen Bemühens aller ins Hintertreffen geraten. Die Verbände täten gut daran, in diesem Sinne wieder Fahrt aufzunehmen.

Günstiges Zeitfenster nutzen

Schließlich steht dahinter die Erkenntnis, wer starke, leistungsfähige Genossenschaften auch in Zukunft vor Ort möchte, wer die Selbstständigkeit der einzelnen Genossenschaften dauerhaft schützen will, kommt nicht um die aus Qualitäts- und Kostengründen notwendige Zentrierung aller nicht von der Genossenschaft selbst erbringbaren Leistungen aus. Dies gerade jetzt herauszustellen, wo allenthalben gute Ergebnisse geschrieben werden, wäre Kennzeichen einer vorausschauenden Verbundstrategie und würde erhebliche Vorteile gegen konkurrierende Verbundgruppen sowie Konzerne bringen.

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