Leitartikel

Global Governance: Wer regiert die Welt-(Finanzmärkte)?

Natürlicher Verstand kann fast jeden Grad von Bildung ersetzen, aber keine Bildung den natürlichen Verstand.

(Arthur Schopenhauer)

"Du musst dein Leben ändern". Das ist nicht die Botschaft von der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise auf dem G20-Weltfinanzgipfel für die Staats- und Regierungschefs der großen Industrie- und Schwellenländer. Das Einstiegszitat ist Titel des Sachbuches des Philosophen Peter Sloterdijk, wie wohl die Lektion auch zu den Verantwortlichen der Finanzkrise passte. Der Philosoph setzt auf die Intelligenz der Menschen - als Übende für ein globales Immunsystem: die globale Krise diktiere den Wandel. Sloterdijk rät zur "Makro-Struktur globaler Immunisierung" als gemeinsames Abwehrsystem in der Globalisierung. Eine solche Struktur eines gemeinsamen Abwehrsystems sucht in der Finanzkrise der Weltwirtschaft die beste und auch realisierbare Form von "Global Governance" von den Regierungen der großen Nationalstaaten, um mit internationaler Politik die große Krise zu bewältigen. Die zentrale Frage im gemeinsamen Markt- und Politikversagen lautet: Welche Governance hätte vom globalen System erbracht werden müssen, um das Entstehen der extremen Marktexzesse zu verhindern?

Die Fehler sind erkannt: "Eine zu laxe Geldpolitik, Finanzinnovationen mit Lücken der Regulierung sowie menschliche Schwächen haben zur Krise geführt; einseitige Schuldzuweisungen sind nicht möglich. Krisen dieser Art sind der Preis für Freiheit und Wohlstand, die marktwirtschaftliche Systeme mit sich bringen:" (Prof. Hanno Beck und Prof. Helmut Wienert, Hochschule Pforzheim). Die Hoffnungen richten sich erneut auf die schützende Hand des Nationalstaates, der in der ökonomischen und gesellschaftlichen Globalisierung unter internationalem Handlungsdruck steht bis zur Flucht in protektionistische Maßnahmen. Was fehlt ist eine bessere Global Governance. Prof. Dirk Messner, Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik in Bonn, der sich beruflich mit dem Thema befasst, definiert Global Governance als "Entwicklung eines Institutionen- und Regelsystems und neuer Mechanismen internationaler Kooperation, die eine kontinuierliche Problembearbeitung globaler Herausforderungen und grenzüberschreitender Phänomene erlauben."

"Global Governance" ist keine "Weltregierung". Es geht um die Erkenntnis, dass globale Phänomene nur kontrolliert werden können, wenn souveräne Nationalstaaten zusammen mit vorhandenen internationalen Institutionen problemlösende Vereinbarungen treffen und die einhalten. Nach den G20-Weltfinanzgipfeltreffen im November 2008 in Washington und im April 2009 in London, wo sich vor allem die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer als Weltwirtschaftskrisenmanager feiern ließen, kam die Hoffnung auf eine neue Weltfinanzordnung auf. Auf Expertenebene wird daran ernsthaft gearbeitet.

Marktversagen oder Staatsversagen? Beide haben die großen Risiken nicht richtig eingeschätzt - Marktteilnehmer wie Geld- und Finanzaufsichtspolitik. Was auf der Suche nach Global Governance fehlt, ist die notwendige makropolitische Kooperation der Nationen in der Aufarbeitung der Risiken der Schuldenblase und der globalen Ungleichgewichte. Es fehlte der kritische Blick auf die abgehobene Finanzwelt zur makropolitischen Immunisierung der riesigen Ungleichgewichte. Erkannt wurde, dass Global Governance in der Finanzwelt viel schwieriger zu installieren ist als im Welthandel mit dem WTO wegen der Entkoppelung von Finanz- und Realwirtschaft: Weltweite Finanzaktiva habe das Vierfache des Weltsozialprodukts erreicht, so die Deutsche Bundesbank.

Wie erwartet favorisierte der G20-Weltfinanzgipfel den Internationalen Währungsfonds (IWF) als Kandidat für Global Governance, und zwar in einer Doppelfunktion: einmal als globaler Promoter für eine expansive Geld- und Finanz politik zur Überwindung der Weltrezession; und zum anderen für ein globales Frühwarnsystem - zusammen mit dem Financial Stability Forum (FSF), das 1998 von der G10 bei der BIZ in Basel nach der Long-Term-Capital-Management-Krise für globale Finanzstabilität gestartet wurde, und jetzt auf G20-Größe zum FSB (Financial Stability Board) aufgewertet werden soll. Das Urteil über das Comeback des IWF, der vor der globalen Krise schon im Abseits stand, war gespalten: Einerseits wurde die Verdreifachung der IWF-Finanzmittel auf 750 Milliarden US-Dollar, insbesondere die Schaffung von 250 Milliarden US-Dollar durch Sonderziehungsrechte (SZR) von den Konjunkturbesorgten begrüßt, anderseits wegen kaum konditionierten SZR-Krediten von Stabilitätsbesorgten kritischer bewertet. Der Plan für ein globales Frühwarnsystem von IWF und FSB, künftige Risiken für Makro- und Finanzstabilität rechtzeitig zu orten, ist ehrgeizig. "Vor allzu hohen Erwartungen", warnt Bundesbankpräsident Axel A. Weber.

Das Rennen um Global Governance ist noch nicht entschieden. Raghuram G. Rajan (Universität Chicago), der den IWF als Chefökonom 2003 bis 2006 gut kennt, will den IWF zur "Weltwirtschaftsregierung" aufwerten, und zwar über den G7/G8/G20-Mitgliedstaatenkreis hinaus mit dem IWF- Lenkungsausschuss IMFC (International Monetary and Financial Committee) mit G20-Mitgliedstaaten, ergänzt durch die kleinen IWF-Mitgliedstaaten und Entwicklungsländer abwechselnd auf Zeit in den IMFC-Board gewählt. Rajan will den IMFC durch die Minister der Mitgliedsländer beschlussfähig machen, anstatt des bisherigen IWF-Beamtenapparats. Wirtschafts-Nobelpreissträger 2001, Prof. Joseph E. Stiglitz, hat den Glauben an den IWF und die Weltbank, wo er 1997 bis 2000 selbst Chefökonom war, ganz verloren. Er möchte Weltbank und IWF abschaffen und fordert eine globale Lösung mit der UNO: "Die Vereinten Nationen sind die einzige Institution, die den erforderlichen Maßnahmen Nachdruck verleihen kann". Stiglitz ist zurzeit Vorsitzender einer Expertenkommission der UN zur Reform des internationalen Geld- und Finanzsystems: einem UN-Weltwirtschaftsrat.

Wer soll und kann "Weltwirtschaft" und "Weltfinanzmärkte" regieren? Die Vorschläge von Rajan und Stiglitz bleiben aus heutiger Sicht eine gute geopolitische Idee oder gar eine Utopie. Das zeigen UNO wie IWF nach Satzung mit Mandat und Realität. Die Geschichte der UNO - angefangen mit der Anerkennung der Menschenrechte und der Realität der UN-Mitgliedstaaten bis zum Veto-Recht im Weltsicherheitsrat für die alten Weltmächte - enthüllt den Stiglitz-Plan als Illusion. Und den IWF zur "Weltwirtschaftsfinanzregierung" zu machen, bleibt wohl auch nur ein Idee des Ex-IWF-Chefökonomen Rajan.

Auch wenn auf der IWF-Agenda seit Jahren die IWF-Stimmrechtsreform steht, die reale geopolitische Balance ist noch nicht in Sicht. Die USA und die anderen alten G5-Staaten - Japan, Deutschland, Großbritannien und Frankreich führen den IWF wie bei seiner Gründung in Bretton Woods 1944. Wie reformbedürftig der IWF ist, zeigte sich vor dem G20-Weltfinanzgipfel in London, als China ein neues Weltwährungssystem forderte, weil der US-Dollar in seiner Doppelrolle - als kreditbasierte nationale Währung und als Weltreservewährung, so Chinas Notenbankpräsident Zhou Xiaochuan, überfordert sei. Als Alternative schlägt Peking die IWF-Sonderziehungsrechte als Währungskorb (aus Dollar, Yen, Euro und Pfund-Sterling - und Yuan?) vor. Schon sprechen Experten von der G2 (USA und China).

Das geopolitische Ringen um die Führung in der Weltwirtschaft und im Weltwährungssystem ist eröffnet. Hindernisse sind beim Favoriten IWF sichtbar. Offen ist die Funktion als Global Governance auch durch die noch ungelöste Forderung, alle IWF-Länderanalysen (IWF-Artikel-IV-Konsultationen) ohne die Zustimmung der betroffenen Staaten zu veröffentlichen. In unguter Erinnerung ist auch die jahrelange Weigerung der IWF-Vetomacht USA, ihr Finanzsystem vom IWF kritisch durchleuchten zu lassen; was jetzt erfolgen soll, nachdem das globale Finanzbeben im US-System ihr Epizentrum gezeigt hatte. Und hat sich nicht die G20 als Favorit für die Rolle des Leader of Global Governance schon positioniert - mit oder ohne IWF? Die G20-Weltfinanzgipfel in Washington und London - Fortsetzung folgt - mit den Staats- und Regierungschefs haben sich allein aus diesem Grunde kaum als effektive Governance bewährt für effiziente Koordinierung und Kooperation. Wenn vor dem großen Gipfel von Experten das Gipfel-Schluss-Kommunique fertig gestellt werden muss, dann ist das keine operative Governance.

Prof. Henrik Enderlein (Hertie School of Governance in Berlin) setzt auf die bewährte Konferenz der G7-Finanzminister und -Notenbanker mit G12 (G8 mit Russland plus China, Indien, Brasilien und Südafrika); entscheidend sei ein unabhängiges Sekretariat mit einem unabhängigen Generalsekretär. Ähnlich wie im Kontext der Welthandelsorganisation WTO müsste ein unabhängiges Sekretariat die Einhaltung von den neuen globalen Regeln (Compliance) mit institutionalisierten Durchsetzungsinstrumenten (Enforcement) verifizieren können und sich so zur supranationalen Organisation entwickeln.

Wie schwer ein Konsens der führenden Nationalstaaten zu erzielen ist, zeigt sogar die EU mit der Kommission als Wächter der EU-Integration und der supranationalen Europäischen Zentralbank (EZB) auf der Suche nach einer neuen Finanzaufsichtsstruktur der EU. Beim geplanten Makro- Frühwarnsystem ESRC (European Systemic Risk Council) unter Führung der EZB votierte UK sofort dagegen, obwohl EZB-Präsident Jean-Claude Trichet alle 27 EU-Staaten ins ESBC einbinden will, also auch London im "Euro-out".

Selbst Axel A. Weber wägt ab: "Der Einrichtung eines ESRC stimmen wir im Grundsatz zu, wenngleich wir erheblichen Klärungsbedarf sehen". Vorbehalte hat die Bundesbank beim Vorhaben, aus Ausschüssen neue Behörden zu machen.

Hier befürchtet sie die Asymmetrie von Rechten und Verantwortung. Es fehlt der EU die Politische Union: EU-Bankenaufsicht und Bankenrettung mit nationalem Fiskus ist noch nicht umsetzbar.

Wer regiert also die Welt und die Weltfinanzmärkte? Der Weg ist das Ziel - und noch weit. Es ist mit der Philosophenweisheit zu hoffen auf Üben mit natürlichem Verstand - vor kopierter Bildung auf dem Weg zur Global Gouvernance. Vom Philosophischen zur Realpolitik auf der Suche nach der besten Global Governance unter den genannten Kandidaten: UNO oder IWF mit FSB - oder doch besser die für Makrowirtschaftspolitik und Finanzaufsicht verantwortlichen Zentralbanker und Finanzminister in der G20 mit der Globalisierung geopolitisch abgerundeten Zusammensetzung? UNO und IWF stecken noch im eigenen Reformstau. Geeigneter wären für diese Rolle die neu adjustierte G20 mit FSB mit einem unabhängigen Sekretariat, das für Einhaltung der neuen Regeln (Compliance) mit Durchsetzungsinstrumenten (Enforcement) sorgt. Das ist aber eine harte Nuss mit dem Kern Souveränität. Hans Hutter

Noch keine Bewertungen vorhanden


X