Leitartikel

Kontaktlos

Schon vor zehn Jahren wurde dem mobilen Zahlen eine große Zukunft prophezeit. Doch so mancher, der auf einen raschen Durchbruch setzte, musste sich eines Besseren belehren lassen. Die Technik und auch die Nutzer waren schlicht noch nicht so weit.

Jetzt haben sich die Rahmenbedingungen geändert. Und doch sind viele Marktteilnehmer der Meinung: Vor dem Mobiltelefon kommt die kontaktlose Karte. Das hat zweierlei Gründe: Zum einen hat das kontaktlose Zahlen per Karte den Vorteil, dass die Option auf Zahlen per Einschieben der Karte in den Kartenleser erhalten bleibt, wohingegen sie beim rein mobilen Zahlen komplett entfällt. Und dies ist ein nicht unwesentlicher Aspekt, solange die Infrastruktur von einer flächendeckenden Ausstattung mit Kontaktlos-Lesern weit entfernt ist. Daneben gilt zu bedenken, dass sich das Zahlungsverhalten der Verbraucher nur langsam ändert.

Die Akzeptanz neuer Technologien mag heute schneller vonstatten gehen als in der Vor-Internet-Ära. Und doch braucht ein Medienwechsel (von der Karte zum Mobiltelefon) zweifellos mehr Zeit als ein bloßer Technologiewechsel (vom Magnetstreifen zum Chip, von kontaktbehafteten zu kontaktlosen Zahlungen). "Der direkte Übergang von Chip und PIN nur zum Handy funktioniert nicht", formulierte es deshalb Gerhard Romen, Director Mobile Financial Services bei Nokia in cards Karten cartes 3/2011.

Beim kontaktlosen Zahlen in Deutschland ist Visa mit seiner Lösung Paywave bislang praktisch nicht präsent. Hier hatte die Einführung der Chip-und-PIN-basierten Debitkarte V-Pay schlicht Priorität, um endlich im deutschen Debitmarkt Fuß zu fassen. Eine aktuell bekannt gegebene Kooperation mit dem Terminalhersteller Ingenico soll aber nun die Voraussetzung für die Einführung von Paywave-Karten im Jahr 2012 schaffen. Mastercard hat das Thema bereits sichtbar vorangetrieben und darf sich hierzulande als Vorreiter bezeichnen. Pilotprojekte gab es anfangs nur an Flughäfen. Inzwischen gibt es mit Orlen Deutschland und der Restaurantkette Vapiano jedoch zwei Partner, die Paypass bundesweit akzeptieren. Woran es zum echten Durchbruch fehlt, ist zunächst noch die Kartenbasis: Im Wesentlichen sind es drei Kartenportfolios, die mit Kontaktlos-Chip ausgestattet sind: die Lufthansa Card, die Payback-Maestro-Karten und das mit rund 100000 Karten vergleichsweise überschaubare Kreditkartenportfolio von MLP.

Wo es aber an Karten fehlt, lassen sich Fortschritte bei der Akzeptanz nur sehr bedingt erreichen. Um dieser Henne-Ei-Problematik zu begegnen, hat die Sparkassenorganisation vor rund einem Jahr angekündigt, ihr Debitkartenportfolio auf die Kontaktlos-Technologie umzustellen. Den Anfang macht die Pilotregion Hannover - Braunschweig - Wolfsburg, wo bis Mitte 2012 bereits eine Million Karten mit Kontaktlos-Chip im Markt sein soll. Zum Jahresende 2012 sind bundesweit 14 Millionen Karten geplant. Und 2013 soll jeder dritte Bundesbürger über eine entsprechende Karte verfügen. Bei Mehrkosten von 60Cent pro Karte und dem Aufwand, der bei einigen Instituten durch vorzeitigen Kartenaustausch entsteht, erbringt die Sparkassenorganisation hier beträchtliche Vorleistungen. Doch es scheint, dass sich dieses Engagement lohnt. Das Interesse seitens der Akzeptanten ist groß. Als erstes haben Esso und die Douglas-Holding einen Kooperationsvertrag mit dem DSGV unterzeichnet. Beginnend im April, sollen bis Ende 2012 bundesweit alle 1100 Esso-Stationen in Deutschland, die 446 Douglas-Parfümerien sowie 700 Filialen von Thalia, Christ, Appelrath-Cüpper und Hussel für die Akzeptanz kontaktloser Zahlungen auf Basis der Debitkarte der deutschen Kreditwirtschaft ausgestattet werden.

Wie wichtig die Vorleistung der Kreditwirtschaft bei der Kartenemission ist, zeigt die Antwort von Henning Feller, dem Leiter Tankstellenvertrieb bei Esso Deutschland, auf die Frage nach der Akzeptanz von Paypass: Sicher ganz ungewohnt für die Kartenorganisation, wird Mastercard eher als Nischenplayer wahrgenommen. Wenn man die Chance habe, mit dem Marktführer zusammenzuarbeiten, so Feller, brauche man nicht mit den "kleineren Partnern" zu sprechen. Dass das Verfahren der deutschen Kreditwirtschaft für die Akzeptanten signifikant günstiger ist als die Konkurrenzverfahren der Kartenorganisationen kommt hinzu. Der DSGV spricht von Kostenvorteilen zwischen dem Faktor zwei bei großen Unternehmen bis zum Zehnfachen für kleinere Unternehmen. Sehr wahrscheinlich also, dass Mastercard seine bisherige Vorreiterrolle bei diesem Thema hierzulande in Kürze verlieren wird.

Karten- und akzeptanzseitig geht es also voran. Bleibt die Frage der Akzeptanz der neuen Technologie beim Kunden. Schließlich ist das Verfahren eine Weiterentwicklung der Geldkarte, die sich - nicht zuletzt wegen der Notwendigkeit des Aufladens - nie richtig durchgesetzt hatte. Beim kontaktlosen Zahlen ohne Autorisierung kommen Sicherheitsbedenken hinzu. Letzteren wird mit einer anfangs bewusst niedrig gesetzten Grenze beim maximalen Transaktionsbetrag (20 Euro) begegnet, die erst nach einer Gewöhnungsphase schrittweise heraufgesetzt werden soll. Und die Ladeproblematik wird durch das Ausweiten der Lademöglichkeiten auf den PoS gelöst. Reicht das Guthaben nicht aus, kann vor Ort nachgeladen werden. Zudem lässt die neue Möglichkeit des Aufladens per "Abonnement" oder im "Dauerauftrag" den Unterschied zwischen Prepaid und "normaler" Karte in der Praxis verschwinden. So kann der Kunde sich beispielsweise entscheiden, stets ein Guthaben von 50 Euro auf seiner Karte vorhalten zu wollen. Dies wird dann bei jeder Transaktion automatisch in Sekundenschnelle wieder aufgefüllt - was bei Verlust der Karte mit der Kartensperre gestoppt werden kann.

Die Voraussetzungen, kontaktlose Zahlungen im Markt zu etablieren und diese in der Folge ins Mobiltelefon zu integrieren, sind somit sicher gegeben wohlgemerkt komplementär zu den klassischen Bezahlverfahren. Zweifellos sind kontaktloses und mobiles Zahlen weder für alle Kundengruppen noch alle Einsatzbereiche gleichermaßen geeignet. Doch ist die Kreditwirtschaft gut beraten, sich für einen Markt zu rüsten, der zunehmend von Wettbewerbern aus dem Nicht-Banken-Bereich entdeckt wird. Die Sparkassen bereiten hier den Weg. Private Banken warten eher noch ab. Und die Genossenschaftsorganisation, die beim mobilen Zahlen vor Euphorie warnt (siehe Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 21/2011), hat sich zu ihrem Fahrplan in Sachen kontaktloser Technologie noch nicht näher erklärt.

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