Aufsätze

Langfristige Finanzierungen durch Versicherer: Stimmen die Rahmenbedingungen?

Das Thema langfristige Investitionen erhält seit einigen Monaten zunehmende Aufmerksamkeit. Gleich mehrere internationale Institutionen beschäftigen sich mit der Frage, wie die Bedingungen für langfristige Investitionen verbessert werden können. Das Grünbuch der Europäischen Kommission zur langfristigen Finanzierung der europäischen Wirtschaft und das G30-Papier "Longterm Finance and Economic Growth" gehen das Thema gleichzeitig an. Ausschlaggebend für diese Untersuchungen sind die negativen Erfahrungen mit kurzfristigem Finanzmarktverhalten während der Finanzmarktkrise.

Versicherer als nachhaltige Investoren

Versicherer sind mit einem Kapitalanlagenbestand von rund 1 355 Milliarden Euro die größten institutionellen Investoren in Deutschland. Die Allokation der Kapitalanlagen der Assekuranz unterscheidet sich aufgrund des besonderen Geschäftsmodells - der langfristigen Absicherung von Risiken sowie langlaufender Garantien in der Lebensversicherung - fundamental von derjenigen anderer Anleger wie etwa Hedgefonds oder Investmentfonds. Im Vordergrund stehen für Versicherer sichere Investitionen mit stabilen Kapitalflüssen. Die Kapitalanlagen gliedern sich daher in einen sehr hohen Anteil bonitätsstarker und diversifizierter Renteninvestments bei gleichzeitig nur geringen Teilen risikoreicher Anlagen wie etwa Aktien. Die Abbildung auf Seite 508 stellt die Portfoliostruktur sowie die Anlageklassen innerhalb der Rentenpapiere im Überblick dar.

Insbesondere Lebensversicherer haben einen sehr langfristigen Anlagehorizont und halten mit über 50 Prozent den größten Anteil an den gesamten Kapitalanlagen der Assekuranz. Ende 2012 lag die durchschnittliche Restlaufzeit ihrer festverzinslichen Anlagen bei mehr als zehn Jahren. Ein Großteil der Investments wird bis zur Fälligkeit gehalten. Der Grund für dieses Anlageverhalten liegt in den ebenfalls langlaufenden Verbindlichkeiten und Garan -tien von Lebensversicherern. Rentenprodukte weisen beispielsweise Ansparphasen von oftmals 20 bis 40 Jahren auf. Der jährlich zu erwirtschaftende durchschnittliche Rechnungszins in der Lebensversicherung liegt bei rund 3,2 Prozent. Aufgrund des bestehenden Produktportfolios sind Versicherer deshalb auf Investitionen mit sicheren und stabilen Kapitalflüssen angewiesen.

Aus Risikosicht wird den Unternehmen eine langfristige Kapitalanlage durch regelmäßige Prämieneinnahmen ermöglicht, welche - anders als bei Banken - eine Refinanzierung unnötig machen. Versicherer sind daher an sicheren, beständigen und langlaufenden Kapitalflüssen interessiert und unterscheiden sich mit diesem Fokus deutlich von anderen, eher auf kurzfristige Gewinnmaximierung fixierten Finanzmarktakteuren. Mit ihrer spezifischen Kapitalanlage sind sie heute verlässliche Kapitalgeber für die Finanzierung von Immobilien und Unternehmen, von Banken und der öffentlichen Hand.

Vor dem Hintergrund des historisch niedrigen Zinsumfeldes und eines weiterhin von großer Verunsicherung geprägten Kapitalmarktumfeldes ist es zudem naheliegend, über neue, von den Gesetzen des Finanzmarktes weitgehend entkoppelte, langfristige Investitionsmöglichkeiten nachzudenken. Dafür bieten sich insbesondere Investitionen über Eigen- und Fremdkapital in Infrastruktur und erneuerbare Energie mit langen Nutzungsdauern, planbaren und stabilen Kapitalflüssen und Bereitstellungsprovisionen beziehungsweise öffentlichrechtlichem Bezug an. Aber auch traditionelle Investitionen in langlaufende Pfandbriefe und Anleihen sowie Hypothekendarlehen werden als attraktiv angesehen.

Regulatorische Hindernisse

Entscheidend für das Engagement von Versicherern als langfristige Investoren sind Planungssicherheit, aufsichtsrechtliche Stabilität und ein stabiler ordnungspolitischer Rahmen. Vor dem Hintergrund von Investitionszeiträumen von zehn, zwanzig oder mehr Jahren ist das Vertrauen in die Beständigkeit und Rechtssicherheit der einmal getroffenen politischen und aufsichtsrechtlichen Entscheidungen essenziell. Bei der Analyse der konkreten Hürden für langfristige Investitionen sind die direkten Hindernisse für entsprechende Anlagen aufgrund nationaler oder internationaler Regelungen sowie indirekte Hindernisse aufgrund versicherungsfremder Regulierungsinitiativen zu unterscheiden.

Europäische Regulierungshindernisse:

Auf europäischer Ebene sind derzeit viele Regulierungsinitiativen zu verzeichnen, welche unmittelbare Auswirkungen auf die Kapitalanlagen von Versicherern haben.

Mit dem zukünftigen Regulierungsregime Solvency II wird in Europa erstmals flächen deckend eine risikobasierte Beaufsichtigung von Versicherungsunternehmen eingeführt. Leider wird bei den bisherigen Vorschlägen für die Eigenmittelunterlegung der Kapitalanlagerisiken dem besonderen Geschäftsmodell der Assekuranz nicht ausreichend Rechnung getragen. So sind die Versicherer als klassische Hold-to-Maturity-Anleger Spread- und Migrationsrisiken bei Investitionen in Anleihen nicht beziehungsweise kaum ausgesetzt. Dennoch müssen sie Spreadrisiken im Solvency-II-Modell übermäßig hoch bewerten.

Das setzt Anreize für kurzfristige statt langfristige Investitionen. Ferner unterschätzen beziehungsweise ignorieren die Eigenmittelanforderungen im Standardmodell für Pfandbriefe und Hypothekendarlehen die stark risikomindernden Effekte der Bedeckung. Des Weiteren sind die Eigenmittelanforderungen von 49 Prozent (plus/minus zehn Prozent) für sichere Infrastrukturbeteiligungen und pauschal 25 Prozent für Immobilieninvestments nicht hilfreich für langfristige Investitionen.

Sorgfältige Vorbereitung des Stresstests

Bei der Eigenmittelunterlegung von Pfandbriefen und Hypothekendarlehen sollten unbedingt der Deckungsstock beziehungsweise die grundpfandrechtliche Sicherheit angerechnet werden. Für weitgehend risikoarme Investitionen in Infrastruktur sollte eine separate Risikoklasse mit einer deutlich niedrigeren Eigenmittelunterlegung etabliert werden, welche dem geringeren Risikoprofil angemessen ist. Entsprechende Investitionen werden typischerweise nicht kurzfristig gehandelt, sodass deren Bewertung auf ihren künftigen Nettorückflüssen beruht, die oftmals langfristig garantiert sind. Die für Immobilienanlagen vorgesehene Eigenmittelunterlegung von 25 Prozent orientiert sich am volatilen Gewerbeimmobilienmarkt für den Großraum London und sollte deshalb nicht auf die wesentlich stabileren Immobilienmärkte in Kontinentaleuropa angewendet werden. In der Standardformel sollte daher nach regionalen Immobilienmärkten unterschieden werden.

Voraussichtlich noch im Jahr 2013 wird die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen EIOPA einen Vorschlag für einen europäischen Stresstest vorlegen. Mit einem Stresstest wird überprüft, ob das Versicherungsunternehmen trotz einer möglichen eintretenden und anhaltenden Risikosituation auf dem Kapitalmarkt in der Lage sein wird, auch zukünftig die gegenüber den Versicherungsnehmern eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen. Die Auswirkungen des Kapitalanlagerisikos werden im Hinblick auf die Verpflichtungen des Unternehmens einfach und transparent dargestellt. Daher sind Stresstests ein beliebtes und bewährtes Instrument der Aufsichtsbehörden. Eine falsche Kalibrierung des Stresstests könnte Marktteilnehmer unnötig verunsichern und unter Umständen zu erheblichen Auswirkungen sowohl auf die Allokation in einzelne Anlageklassen als auch auf die Fristigkeiten der Kapitalanlagen führen. Bei der Kalibrierung des Stresstests durch EIOPA sollte daher beachtet werden, dass das Stresstest-Modell die Risikosituation angemessen darstellt und nicht überzeichnet.

Nationale Regulierungshindernisse: In ihrer Anlagepolitik unterliegen Versicherer in Deutschland den Beschränkungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes sowie der Anlageverordnung und der korrespondierenden Rundschreiben mit ihren qualifizierten Anlageformen und quantitativen Anlagebegrenzungen. Aufgrund der gesetzlichen Umsetzung europäischer Richtlinien in deutsches Recht wird 2013 eine Anpassung der Anlageverordnung sowie des Kapitalanlagerundschreibens 4/2011 erforderlich werden.* Um langfristige Finanzierungen zu ermöglichen und zu erleichtern, sollten hierbei einige Anpassungen vorgenommen werden.

Bisher sind unverbriefte Darlehensforderungen, wie zum Beispiel Infrastrukturkredite oder Hypothekarkredite für Spezialfonds, auf 30 Prozent des Fondsvermögens beschränkt. Durch diese Quote werden Infrastrukturkredite innerhalb eines Spezialfonds unnötigerweise begrenzt. Denn so besteht regelmäßig die Notwendigkeit, dem Spezialfonds 70 Prozent andere Kapitalanlagen beizumischen und damit die Anlagestrategie nicht so fokussiert wie möglich auszugestalten. Sinnvoll wäre stattdessen eine Anhebung der Quote für unverbriefte Darlehensforderungen bis auf 100 Prozent des Fondsvermögens. Somit würde die Auflegung von infrastrukturspezifischen Fonds ermöglicht und die Anlage insbesondere für kleine und mittelgroße Versicherer erleichtert.

Anpassung der Anlageverordnung

Versicherer können bisher im Rahmen der Anlageverordnung keine Schuldscheindarlehen oder Konsortialdarlehen an Projektgesellschaften vergeben, die Infrastrukturprojekte in der Praxis häufig durchführen. Um sicherungsvermögensfähige Anlagen zu ermöglichen, sollten daher Schuldscheindarlehen oder Konsortialdarlehen an Projektgesellschaften, die ein Infrastrukturprojekt durchführen, positiv direkt in der Anlageverordnung unter § 2 Abs. 1 Nr. 4 ergänzend aufgeführt werden. Für Projektfinanzierungen sollte zudem eine eigene Quote von fünf Prozent eingeführt werden, um das Risikopotenzial dieser Anlagen sachgerecht abzubilden.

Um Investitionen in Infrastruktur und erneuerbare Energien unter der bis zur Einführung von Solvency II geltenden Anlageverordnung zu erleichtern, sollte es ferner für Beteiligungen an Infrastrukturprojekten eine gesonderte Quote von zehn Prozent geben. Damit würde dem niedrigeren Risikogehalt von Beteiligungen an weitgehend sicheren Investitionen in Infrastruktur entsprochen und eine klare Abgrenzung zu der Anlageklasse der unspezifischen "Beteiligungen" erreicht.

Mehr langfristiges Investitionskapital von Versicherungsunternehmen könnte mobilisiert werden, wenn die Versicherungsaufsicht die Ausnahme vom Verbot der Beteiligung an Konzernunternehmen (Konzernverbot) in der Kapitalanlageverordnung auch auf Investitionen in regulierte beziehungsweise weitgehend sichere Infrastrukturanlagen ausweiten würde. Die Anlageverordnung sollte dahingehend geändert werden, dass auch Kapitalanlagen in weitgehend sicheren konzerneigenen Infrastrukturprojekten als sicherungsvermögensfähig angesehen werden (vgl. § 2 Abs. 4, Nr. 3 AnlV).

Hindernisse aufgrund von Wechselwirkungen mit versicherungsfremden Regulierungen: Als Folge der seit 2007 anhaltenden Finanz- und Wirtschaftskrise werden gegenwärtig auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene Instrumente und Regelungen entwickelt, die künftige Krisen vermeiden oder zumindest deren Folgen begrenzen sollen. Dabei werden bisher die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Regulierungen zum Beispiel auf das langfristige Anlageverhalten leider nicht oder nur ungenügend analysiert und beachtet.

Mit einer Exponierung von rund 50 Prozent gegenüber Banken (inklusive Pfandbriefen) sind Versicherer wichtige Kapitalanleger in und Refinanzierer von Banken. Der 2012 von der Europäischen Kommission vorgelegte Vorschlag für eine Richtlinie zur Bankenrestrukturierung und -abwicklung wird von der Versicherungswirtschaft in zahlreichen Punkten kritisch beurteilt. So ist die angedachte Ausnahme hinsichtlich einer Gläubigerbeteiligung bei Forderungen mit Restlaufzeiten unter einem Monat abzulehnen, da hierdurch das Pari-Passu-Prinzip missachtet wird und Investoren mit längeren Laufzeiten systematisch benachteiligt würden. Zudem ist zu befürchten, dass sich durch eine Ausnahme für kurzfristige Forderungen die Refinanzierungsstrukturen insgesamt verändern und die Refinanzierungsprobleme von Banken in finanziellen Schwierigkeiten verstärken könnten.

Die europäischen Entflechtungsvorschriften (Richtlinien 2009/72/EG und 2009/73/ EG) sehen eine Trennung von Energieerzeugung und Energietransport vor. Das Ziel der Regelungen ist der Aufbau eines europäischen Energiebinnenmarktes und die Förderung des Wettbewerbs im Energiebereich. Aufgrund der strikten Auslegung dieser Vorschriften werden allerdings Investitionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette in erneuerbare Energien verhindert. Investoren sehen sich einem "Entweder/oder"-Konflikt gegenüber. Eine pragmatische Auslegung der Richtlinien wäre notwendig, welche das fehlende strategische Interesse von Finanzinvestoren an der Ausübung von Marktmacht im Energiebereich angemessen berücksichtigt.

Neben diesen beispielhaft aufgeführten Regulierungsinitiativen mit direkten und indirekten Auswirkungen auf das langfristige Anlageverhalten existiert noch eine Reihe weiterer Regulierungen, zum Beispiel bilanzieller (IFRS) und steuerlicher (Finanztransaktionssteuer) Art, welche langfristige Investitionen für Versicherer deutlich erschweren können.

Das gegenwärtige Zins- und Produktumfeld sorgt dafür, dass das Interesse der Assekuranz an langfristigen Investitionen und Finanzierungen zunimmt. Darüber hinaus wird auch das Aufsichtsumfeld unter Solvency II Anreize setzen, die derzeit zwischen Aktiva und Passiva bestehende Durationslücke möglichst zu verringern. Versicherer sind daher bereit, sich verstärkt in langfristigen Finanzierungen zu engagieren. Aufgrund regelmäßiger Prämieneinnahmen und produktseitig geringen Liquiditätsanforderungen sind sie risikoseitig wie kaum eine andere institutionelle Investorengruppe in der Lage, langfristig zu investieren. Grundvoraussetzung hierfür ist allerdings, dass hinderliche Rahmenbedingungen unter Beachtung des Geschäftsmodells und der Geschäftsrisiken der Versicherer sinnvoll angepasst werden.

Anlagebedingungen verbessern und falsche Anreizwirkungen verhindern

Für die Versicherer geht es dabei in erster Linie darum, die Anlagebedingungen für traditionelle Anlageklassen, in die sie bereits heute erfolgreich investieren, zu verbessern und falsche, das heißt kurzfristige aufsichtsrechtliche Anreizwirkungen zu verhindern oder zumindest abzumildern. Daneben interessieren sie sich zunehmend auch für den maßvollen Ausbau von direkten und indirekten Finanzierungen über Fremd- und Eigenkapital im Bereich von langfristigen Infrastrukturprojekten und erneuerbaren Energien.

Aufgrund des noch relativ geringen Angebots und der hohen Anforderungen für solche Anlagen ist auf mittlere Sicht allerdings nicht mit erheblichen Verschiebungen in der Allokation der Kapitalanlagen der Versicherer in diese Assetklasse zu rechnen. Neben dem notwendigen Aufbau von Expertise zur Analyse der infrastruktur spezifischen Risiken müssen auch neue Prozesse für Monitoring, Risikocontrolling und Berichterstattung eingeführt werden. In diesem Zusammenhang sind vielfältige Kooperationsmöglichkeiten zwischen Banken und Versicherern denkbar, bei denen jede Seite die Vorteile des eigenen Geschäftsmodells und der eigenen Kompetenz einbringen kann.

* Es handelt sich hierbei um das Gesetz zur Umsetzung der europäischen Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM-Umsetzungsgesetz) sowie Anpassungen aufgrund der bereits seit 16. August 2012 unmittelbar geltenden europäischen Verordnung für OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (EMIR-Verordnung).

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