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... Michael Meister - Externe Ratings als Grundlage für Anlagevorschriften: Wie dringlich ist der Änderungsbedarf?

Europa befindet sich gegenwärtig in einer außerordentlich schwierigen Lage. Die Krise, die ihren Ausgang auf dem amerikanischen Immobilienmarkt nahm, sich dann zu einer Finanz- und Wirtschaftskrise entwickelte und sich nun zu einer Staatsschuldenkrise ausgewachsen hat, legte zunächst schonungslos die Schwächen der Finanzmarktregulierung und sodann die desolate Finanzlage einiger EU-Mitgliedstaaten offen. Es sind Entwicklungen, die vor vielen Jahren eingesetzt haben, die jetzt in der Krise kulminieren. Sie beeinträchtigen die Handlungsfähigkeit der politischen Führung in Irland, Portugal, Italien und Griechenland. Dort kam es zum Rücktritt der amtierenden Regierungen. IWF, EZB und Europäische Kommission bestimmen de facto die Politik dieser Staaten mit, um Fehlentwicklungen schnellstmöglich zu korrigieren und die entstandenen Probleme zu lösen.

Vertrauen durch richtig gesetzte Rahmenbedingungen fördern

Auch in den Vereinigten Staaten von Amerika und in Japan sind die Schulden so erdrückend, dass die politische Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist. Selbst die Schweiz, ein Hort des Vertrauens und der Stabilität, schaut sorgenvoll auf die Entwicklung des Euro. Die Schwäche der europäischen Währung und die damit einhergehende Stärke des Franken verursachen massive realwirtschaftliche Probleme.

In dieser Situation, in der es um den Wohlstand der Gesellschaft, die Existenz unserer Währung und der internationalen Finanzordnung geht, kommen der Politik zwei Aufgaben zu: Sie muss kurzfristig Maßnahmen zur Bewältigung der Krise ergreifen und dann die Rahmenbedingungen so ordnen, dass einerseits die Wahrscheinlichkeit für eine neue Krise sinkt und andererseits die Wettbewerbsfähigkeit der Finanzmärkte nicht eingeschränkt wird. Nur wenn diese beiden Aufgaben erfolgreich bewältigt werden, entsteht Vertrauen bei allen Marktteilnehmern. Dieses Vertrauen ist ein zentrales Erfordernis für die Überwindung der Krise. Dabei ist sie auf die Mitwirkung aller Finanzmarktakteure angewiesen. Politik kann dieses Vertrauen nicht verordnen, sie kann es nur durch richtig gesetzte Rahmenbedingungen fördern.

Die Wiederherstellung des Vertrauens während der Finanzkrise erfolgte durch nationale, aber international eng abgestimmte Rettungsmaßnahmen. Die Regierungen von Belgien, Luxemburg und den Niederlanden übernahmen große Teile des strauchelnden Konzerns Fortis. In Großbritannien wurde die Hypothekenbank Bradford & Bingley verstaatlicht, wenig später retteten Frankreich, Belgien und Luxemburg den Immobilienfinanzierer Dexia. In Deutschland wurde für den Münchner Immobilienfinanzierer Hypo Real Estate gebürgt. Garantien und Eigenkapitalhilfen für angeschlagene Banken wurden beschlossen. Allen stand die Insolvenz von Lehman Brothers und ihre Folgen vor Augen. Keine Regierung möchte unkalkulierbare Kettenreaktionen in der nationalen und internationalen Finanzwelt riskieren, weil ein systemrelevantes Finanzinstitut insolvent wird.

Kritik an den Ratingagenturen

Auch jetzt in der Staatsschuldenkrise gilt die Wiedergewinnung von Vertrauen als Schlüssel zur Beendigung der Krise. Die Finanzmarktakteure müssen davon überzeugt werden, dass ein Staat willens und in der Lage ist, über viele Jahre nicht mehr auszugeben als er einnimmt, ja sogar Haushaltsüberschüsse zu erwirtschaften, mit denen Schulden getilgt werden können. Nur so wird wieder die Bereitschaft entstehen, diesen Staaten Kredite zu geben. Wiederum die Gefahr möglicher Kettenreaktionen für die Staaten und die Finanzwelt vor Augen, wird nicht die Insolvenz einzelner Staaten angestrebt, sondern es gilt, den angeschlagenen Volkswirtschaften die erforderliche Zeit zu verschaffen, damit sie ihre Verhältnisse ordnen, Vertrauen aufbauen und sich so wieder selbstständig am Kapitalmarkt finanzieren können. Dazu dienen die zunächst bilateral gewährten Hilfen und jetzt die Mittel aus dem EFSF beziehungsweise ESM.

Ratingagenturen spielen gerade in der Finanz- und Staatsschuldenkrise eine zentrale, aber nicht unumstrittene Rolle. Ihre Bonitätseinschätzungen sind bei zahlreichen Finanzmarktakteuren gefragt. Je nachdem wie diese ausfallen, können sie Unruhe an den Finanzmärkten auslösen oder Vertrauen schaffen. Kritisiert wird der fehlende Weitblick hinsichtlich der europäischen Konsolidierungsbemühungen und Fehler in der Staatsschuldenkrise. Beispielhaft werden genannt die Absenkung der Kreditwürdigkeit Portugals im Juli 2011, obwohl die portugiesische Regierung das ihr auferlegte Sparprogramm erfüllte, sowie die kürzlich vorgenommene Herabstufung mehrerer Mitgliedstaaten der Eurozone trotz der Bemühungen auf dem Europäischen Rat im Dezember 2011 zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise und die versehentliche Herabstufung Frankreichs durch Standard & Poor's im November 2011.

Sie werden als Mitverursacher der Finanzkrise verantwortlich gemacht, weil sie den verbrieften und strukturierten Subprime-Krediten zu geringe Ausfallwahrscheinlichkeiten bescheinigten und damit zur Verbreitung dieser "toxischen" Papiere beitrugen. Die Bonität der Investmentbank Lehman Brothers wurde erst eine Woche vor deren Zusammenbruch herabgesetzt. Aber auch schon vor der Finanz- und Staatsschuldenkrise sind Ratingagenturen in die Kritik geraten. Um die Jahrtausendwende wurde ihnen vorgeworfen, noch wenige Tage vor den Unternehmenszusammenbrüchen von Enron, Worldcom und Parmalat beste Bonitätsnoten vergeben zu haben. Die Asienkrise 1997 sowie die Russland- und Brasilienkrise 1998 sollen sie zu spät erkannt haben. All dies ließ den Ruf nach Regulierung der Ratingagenturen laut werden, dem zum Teil schon gefolgt wurde.

Abbau von Informationsasymmetrien

Trotz der berechtigten Kritik an den Ratingagenturen darf ihre Regulierung nicht über das Ziel hinausschießen. Sie erfüllen im Finanzmarkt eine wichtige Funktion, indem sie Informationsasymmetrien zwischen den Marktteilnehmern abbauen und so einen faireren Wettbewerb ermöglichen. Marktteilnehmer verfügen regelmäßig nicht über alle für eine Investition erforderlichen Informationen, da die Informationsbeschaffung und -verarbeitung schwierig und mit hohen Kosten verbunden ist. Anleger erhalten über Ratings eine Meinung über die Kreditwürdigkeit von Emittenten und damit eine Entscheidungshilfe für Investitionsentscheidungen und Anlagestrategien. Soweit sich Anleger an den Ratings orientieren, erschließen Ratings einen breiteren Anlegerkreis und reduzieren damit die Emissionskosten. Sie können das Unternehmensimage verbessern und die Kreditvergabe erleichtern.

Auch die Aufsicht profitiert von Ratings. Basel II ermöglicht Kreditinstituten im sogenannten Standardansatz sowie bei Verbriefungspositionen für die Berechnung des vorzuhaltenden bankenaufsichtlichen Eigenkapitals auf Ratings von Ratingagenturen zur Bestimmung der Risikogewichte zurückzugreifen, sofern die Ratingagentur von der Bankenaufsicht anerkannt ist. Ratingagenturen haben sich überdies zu Beratern der Finanzmarktakteure und informellen Standardsetzern entwickelt. Angesichts dieser für die Finanzmärkte wichtigen Funktionen ist die Überlegung der Europäischen Kommission, die Veröffentlichung von Ratings für angeschlagene Volkswirtschaften auszusetzen, äußerst kritisch zu sehen. Anlegern, Emittenten und der Bankenaufsicht würden wichtige Informationen vorenthalten. Schon die Nicht-Veröffentlichung würde für Unruhe an den Finanzmärkten und Vertrauensverluste sorgen. Darüber hinaus würden Ratings als ein Instrument für eine bessere Haushaltsdisziplin entwertet. Schlechtere Bonitätsnoten sorgen regelmäßig für stärkere Anstrengungen bei der Haushaltskonsolidierung, um die Refinanzierungskosten zurückzuführen.

Regulierungsvorhaben müssen also auf eine qualitativ bessere Erstellung und eine verantwortungsvollere Nutzung von Ratings abzielen. Die Qualität ließe sich schon durch einen stärkeren Wettbewerb zwischen den Ratingagenturen verbessern. Gegenwärtig beherrschen drei Ratingagenturen, von denen zwei eng miteinander verflochten sind, mehr als 90 Prozent des Marktes. Ein solches Oligopol ist mit der Idee einer sozialen Marktwirtschaft nicht zu vereinbaren. Ein stärkerer Wettbewerb zwischen Ratingagenturen macht Fehler unverzeihlicher und führt so zu einer sorgfältigeren Analyse. Darum ist die in der Privatwirtschaft vorhandene Absicht, eine europäische Ratingagentur zu gründen, zu begrüßen. Der Staat kann und sollte eine solche Agentur nicht realisieren, damit gar nicht erst der Eindruck entsteht, dass Staaten auf Ratings Einfluss nehmen wollen. Letztlich sind Ratings Sache der Finanzmarktakteure, die diese viel effizienter realisieren können. Der Staat hat dabei "nur" einen Rechtsrahmen, nicht aber die Inhalte vorzugeben.

Haftungsregelung für Ratingagenturen

Grundsätzlich zu begrüßen sind die von der Europäischen Kommission vorgelegten Maßnahmen zur Qualitätssicherung. Insbesondere die stärkere Einbindung der Marktteilnehmer bei Einführung neuer oder Änderung bestehender Ratingmethoden und die Verlängerung der Vorab-Benachrichtungspflicht von gerateten Unternehmen können besser als bisher gewährleisten, dass Schwächen in der Methodik und Fehler im Einzelfall minimiert werden. Eine ausgewogene Haftung setzt ebenfalls Anreize, fehlerfrei zu arbeiten.

Wie bei jedem Produkt sollte daher für Ratings gehaftet werden. Zwar kennt die deutsche Rechtsordnung bereits Haftungsvorschriften; sie sind allerdings gerade bei einem ohne Auftrag erstellten Rating eher schwach. Eine einheitliche und europäische Haftungsregelung für Ratingagenturen wäre daher ein weiteres Element für mehr Qualität. Ob die Qualität von Ratings durch einen regelmäßigen Wechsel der Ratingagentur vermieden werden kann, bleibt abzuwarten. Einerseits sind die bei jedem Wechsel entstehenden Reibungsverluste zu überwinden, andererseits stellt sich nicht mehr die Frage, ob ein Wechsel zu einer anderen Ratingagentur vorgenommen wird, um einem unerwünschten Rating aus dem Weg zu gehen. Die Markteintrittsbarrieren für neue Ratingagenturen könnten so gesenkt werden.

Eine verantwortungsvollere Nutzung von Ratings besteht in der Rückführung auf ihren ursprünglichen Zweck - nämlich einen Beitrag zum Abbau von Informationsasymmetrien zu leisten. Die Nutzer dürfen nicht von der Verpflichtung enthoben sein, ihren Investitionsentscheidungen eine eigene ausreichende Bewertung von Risiken zugrunde zu legen. Ratings sollen lediglich der Ausgangspunkt oder die Ergänzung eigener, unabhängiger Analysen von Investoren sein. Auf europäischer Ebene sollen daher zwei Ratings voneinander unabhängiger Ratingagenturen vorgesehen werden. Zwar steigen durch diese Maßnahme die Kosten für die Emittenten, jedoch kann ein ausgewogeneres Meinungsbild entstehen.

Stärkung eigener Risikoanalysen

Schließlich kann das Ziel einer verantwortungsvolleren Nutzung von Ratings durch eine Rückführung der Verwendung von externen Ratings im Aufsichtsrecht erreicht werden. Solche Bestimmungen finden sich im Kreditwesengesetz und in der Solvabilitätsverordnung, im Pfandbriefgesetz und in Rundschreiben der BaFin zum Versicherungsaufsichtsgesetz. Sicherlich wird man nicht gänzlich auf die Verwendung externer Ratings verzichten können. Aber das Bewusstsein der Marktteilnehmer für Risiken und die Unabhängigkeit von Ratingagenturen kann durch eine stärkere Verpflichtung zu eigenen Risikoanalysen deutlich gestärkt werden.

Das europäische Regulierungsvorhaben wird schon jetzt von einer der drei großen Ratingagenturen kritisiert. Dies sollte jedoch die Europäische Union nicht hindern, selbst die Standards zu setzen. Vernünftig regulierte Finanzmärkte stärken die Volkswirtschaften und machen sie weniger anfällig für Krisen. Das sollte die Lektion aus der Finanzmarkt- und Staatsschuldenkrise sein. Schließlich könnten die Ratingagenturen durch eine bessere Regulierung entstandene Vertrauensverluste wieder wettmachen.

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