Aufsätze

Neue Wege zur Compliance-Awareness: "Wie man den Kasten sauber hält"

Wer sagt eigentlich, dass Compliance ein trockenes Thema sein muss? Die ING-Diba AG zeigt seit einigen Jahren mit ihrem bewährten Awareness-Rezept, dass es auch anders geht. Compliance gehört in die Köpfe der Mitarbeiter - und nicht in gewichtige Handbücher und Ordner. Um das zu erreichen, geht die Bank neue Wege. Einfache Spielregeln und ein Wertekompass weisen die Richtung (Abbildung 1) .

Verzicht auf Komplexität

Ein Bild kann mehr bewegen als ein ganzes Regelwerk. Und eine bildhafte Sprache vermag, eine vermeintlich trockene Materie interessant, nachvollziehbar und praxisnah in Erinnerung zu rufen. Sicher: Man kann zum Thema Compliance dicke Ordner und Handbücher füllen, man kann über die Notwendigkeit des gesetzes- und regelkonformen Handelns jedes Einzelnen dozieren und hoffen, dass die Botschaft bei den Adressaten nicht nur ankommt, sondern auch im Tagesgeschäft umgesetzt wird. Das ist ein möglicher Weg, aber es ist nicht der ING-Diba Weg. Denn die drittgrößte Privatkundenbank Deutschlands, in die im Jahr 2011 auch das Commercial Banking integriert wurde, setzt traditionell auf Einfachheit und Transparenz. Einfachheit bedeutet dabei keine Einbuße an Qualität - ganz im Gegenteil. Einfachheit im Sinne der Bank heißt: Verzicht auf Komplexität.

Dieses klar definierte Ziel stand im Vordergrund, als die Abteilung Compliance und Geldwäsche vor wenigen Jahren den Entschluss fasste, neue Wege zur Awareness zu gehen. Dabei gilt es, bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ein Compliance-Bewusstsein zu verankern. Compliance ist in diesem Verständnis nämlich nicht nur Sache der zuständigen Abteilungen, sondern ein Thema für alle im Unternehmen.

Einprägsame Bilder statt dicker Bücher

Das schafft man indessen nicht allein dadurch, dass man den Kollegen komplizierte Handbücher überreicht. Die neuen Wege zur Awareness der Bank führen über einprägsame Bilder, innovative Schulungen, spielerisches Lernen und die kontinuierliche Nutzung aller internen Medien. Das für Compliance zuständige Vorstandsmitglied der Bank, brachte das Ziel dieser Philosophie einfach auf den Punkt: "Immer schön den Kasten sauber halten!" lautet sein Appell, den er nicht nur bei den "Vorstand live"-Veranstaltungen und in Videobotschaften an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter richtet (Abbildungen 2 und 3). Dieser einfache Satz aus der Fußballsprache macht deutlich, worum es geht: Es gilt, kein Tor zuzulassen (und schon gar kein Eigentor), um Schaden vom eigenen Unternehmen abzuwenden, dies ist gerade bei Banken in der Vergangenheit zu häufig passiert. Im Fußball wacht der Schiedsrichter über die Einhaltung der Spielregeln, in einem Unternehmen kommt an dieser Stelle die Compliance-Funktion ins Spiel. Doch erfolgreich und fair wird das Spiel nur sein, wenn die ganze Mannschaft mitzieht, sprich: Wenn alle Kollegen den Compliance-Gedanken leben.

Compliance lässt sich mit den deutschen Begriffen Regeltreue oder Regelkonformität übersetzen. Beides klingt etwas sperrig, impliziert aber gleichzeitig, dass es bestimmter Regeln bedarf. Regeln brauchen eine moralische Legitimität, sonst werden sie schnell als Gängelung empfunden. Die ING-Diba leitet ihre Compliance-Regeln von ihrem Wertesystem ab, das wiederum auf den ING Business Principles beruht: Integrität, Verantwortung, Wertschätzung, Offenheit und Transparenz. Diese Grundprinzipien wurden auf Führungskräfte-Konferenzen der Bank weiter verfeinert. Am Ende standen sieben einfache Spielregeln. Dabei geht es unter anderem um den Umgang mit Geschenken, Datenschutz und Datensicherheit, Mitarbeitergeschäfte sowie um das Verhalten der Kollegen in der Öffentlichkeit und in den Sozialen Medien.

Keine "Unternehmens-Polizisten"

Die Einhaltung dieser Spielregeln, die sich an den Schlüsselbegriffen Verantwortung, Fairness, Zuverlässigkeit und Partnerschaft orientieren, ist eine wichtige Voraussetzung zum Erhalt und zur Stärkung des Vertrauens. Nach der Finanzkrise der vergangenen Jahre versuchen viele Institute, das Vertrauen ihrer Kunden zurückzugewinnen. Doch zurückgewinnen muss man nur, was man zuvor verspielt hat. Soweit darf es gar nicht erst kommen. Deshalb will die ING-Diba mit ihrem Wertesystem Vertrauen festigen und weiter ausbauen. Denn die Bank ist Teil eines Netzwerks, das sehr stark auf Vertrauen aufbaut. Das betrifft vor allem, aber sicher nicht nur, die vertrauensvolle Beziehung zu den Kunden. Weitere wichtige Teile dieses Netzwerks sind die Öffentlichkeit einschließlich der Medien und die Reputation, die das Institut dort genießt. Ferner sind dies die Aufsichtsbehörden und die Muttergesellschaft, die ING Group.

Compliance-Officer werden in manchen Häusern bisweilen als "Unternehmens-Polizisten" wahrgenommen. Salopp ausgedrückt, kann es in diesen Fällen mit der Awareness nicht allzu weit her sein. Ein Compliance-Officer sollte kein "Polizist", sondern ein Werte-Bewahrer sein. Dies ist jedenfalls die Philosophie der ING-Diba. Allerdings kann und muss der Compliance-Officer bei Regelverstößen gelbe und rote Karten ziehen. Wie erwähnt, braucht auch die Verteidigungslinie Compliance die Unterstützung des gesamten Teams, um "den Kasten sauber zu halten". Das bedeutet zum Beispiel, dass jährlich ein Awareness-Plan durch das Ressort Compliance ausgearbeitet wird. Daran sind alle beteiligt, die unternehmensinterne Regeln aufstellen, also die Abteilungen Personal, Datenschutz, Unternehmenskommunikation, Operational Risk Management und eben Compliance.

Eine wichtige Rolle in der Unternehmenskultur der Bank spielt darüber hinaus der Whistleblower-Officer (WBO) - ein interner Kollege, der dem Betriebsrat angehört. Jeder Kollege kann sich - auf Wunsch auch anonym - mit Hinweisen an den WBO wenden. Diese Anonymität bleibt auch dann gewahrt, wenn im nächsten Schritt Compliance hinzugezogen wird.

Compliance als "Grundrauschen"

Entscheidend für den Awareness-Erfolg ist jedoch in erster Linie, das Compliance-Bewusstsein aller Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ständig wachzuhalten und weiterzuentwickeln. Hierzu setzt das Ressort Compliance unterschiedliche Tools und Medien ein. Wichtig erscheint dabei, ein kontinuierliches "Grundrauschen" sicherzustellen. Compliance-Themen sind breit gefächert und sollen nicht nur ab und zu oder, wenn ein schlimmer Fall in der Zeitung steht, aufgegriffen werden, sondern ein ständiges Thema sein. Dafür sorgt zum Beispiel die Unternehmenskommunikation. Im Mitarbeitermagazin "Diba intern" erscheinen häufig Beiträge über Compliance-relevante Themen, wobei in journalistischer Aufbereitung Geschichten erzählt und einfache Botschaften vermittelt werden. Natürlich spielt Compliance auch im Intranet sowie in den Geschäftsberichten und sonstigen Unternehmens-Publikationen eine wichtige Rolle.

Weitere Wege, Awareness voranzubringen sind die regelmäßigen Compliance-Schulungen. So folgt das E-Learning der Bank ebenfalls der Maxime, Wissen spielerisch und eingängig zu vermitteln. Die Kollegen dürfen nicht mit einer wahren Folienschlacht vom Thema abgeschreckt werden. Für ihre innovative Schulung erhielt die Abteilung Compliance und Geldwäsche unlängst den E-Learning Award 2013. Im E-Learning wurde das Thema Basketball aufgegriffen, zu dem die Bank dank ihres prominenten und sympathischen Werbeträgers Dirk Nowitzki eine besondere Affinität hat. Die Präsenzschulung ist in erster Linie für neue Mitarbeiter des Unternehmens gedacht, um dort die hauseigenen Werte kennenzulernen und die eigene Verantwortung in Bezug zu seiner täglichen Arbeit zu verstehen. Auch dabei wird das Thema Compliance motivierend statt dozierend mit vielen Praxisbeispielen aufbereitet.

"Horizonte" heißt ein weiteres internes Angebot der Bank - und der Name ist durchaus Programm. Denn dabei haben die Mitarbeiter die Möglichkeit, für die Dauer von drei bis sechs Monaten ihren Arbeitsplatz innerhalb des Unternehmens zu wechseln. Konkret: Kollegen aus anderen Abteilungen arbeiten für mehrere Monate zum Beispiel in der Abteilung Compliance und Geldwäsche. Sie erweitern damit ihren Horizont, indem sie einen für sie ganz neuen Teil des Unternehmens kennenlernen. Ausgestattet mit monatelangen Praxis-Erfahrungen kehren sie dann an ihren eigentlichen Arbeitsplatz zurück und erweisen sich dort meist als gute Botschafter der Compliance-Philosophie. Wer nicht gleich für mehrere Monate in eine andere Abteilung wechseln möchte, hat die Möglichkeit zu einer sogenannten Stippvisite. Im Rahmen dieses Angebots lernen Mitarbeiter jeweils für einen Tag die Abteilung Compliance und Geldwäsche kennen.

PIP: Dialog zwischen Führungskräften und Mitarbeitern

Ein weiteres ausgesprochen effizientes Instrument zum Aufbau von Awareness ist PIP. Diese Abkürzung steht für "Promoting Integrity Program". PIP gibt den Führungskräften Gelegenheit, außerhalb des Tagesgeschäfts im Dialog mit ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern die Regeln der Compliance zu erklären. Dabei werden erfahrungsgemäß ganz unterschiedliche Facetten dieses Themas diskutiert, je nachdem, welche Aspekte die jeweiligen Kollegen besonders betreffen. Mit PIP erreicht die Bank, dass Compliance über die Führungskräfte direkt an die rund 3 000 Beschäftigten der ING-Diba kommuniziert wird. Aktionen wie Roadshows oder Quiz runden die Tool-Palette zum Aufbau von Awareness ab. Das Konzept kommt offenkundig an, jedenfalls ist nach den Ergebnissen der Internen Revision die Wahrnehmung beziehungsweise Kenntnis von Compliance-relevanten Vorgaben sehr positiv.

All diese Maßnahmen müssen schließlich eingebettet sein in eine werteorientierte Unternehmenskultur. In diesem Zusammenhang kommt den Führungskräften eine besondere Aufgabe zu. Niemand sollte deren Vorbildfunktion unterschätzen. Alle Spielregeln und Awareness-Tools werden auf Dauer keine Wirkung entfalten, wenn Führungskräfte ihr Verhalten und Handeln nicht an den gemeinsam erarbeiteten Werten ausrichten. Wichtig erscheint darüber hinaus, dass sich nach dem bewährten Prinzip "Geben und Nehmen" die Mitarbeiter wertgeschätzt fühlen. Anders ausgedrückt: Sie müssen auch ganz persönlich die Wertekultur des Unternehmens spüren. Dazu gehört ein offener Umgang mit Fehlern. Diese sind erlaubt, weil man aus ihnen lernt. Allerdings nur, wenn Fehler nicht vertuscht, sondern erkannt, ausgeräumt und zukünftig vermieden werden.

Das bewährte Awareness-Rezept der Bank besteht zusammenfassend aus vier einfachen, aber sehr wirkungsvollen Zutaten. Erstens: Vermeidung von Komplexität, Reduktion auf das Wesentliche wie zum Beispiel auf die erwähnten sieben Spielregeln. Zweitens: Verankerung der gemeinsam definierten Werte bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Drittens: Klare und verständliche Kommunikation, die motiviert statt doziert und die fortlaufend verständliche Bilder in den Köpfen erzeugt. Und viertens: Führungskräfte, die im direkten Sinne des Wortes vorbildlich sind und die Unternehmenskultur der Bank leben. Mit diesem Rezept will die Bank auch künftig ihren "Kasten sauber halten".

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