Leitartikel

Problem erkannt - Lösung gesucht

Ob, wie stark, von wem und mit welchen Mitteln langfristige Investitionen gefördert werden sollten, mag umstritten sein. Ihre volkswirtschaftliche Bedeutung steht hingegen außer Frage. Großprojekte der ökonomischen Infrastruktur in den Feldern Transport, Kommunikation und Versorgung ebenso wie der sozialen Infrastruktur von öffentlichen Dienstleistungen über Bildung bis zum Gesundheitswesen sind wichtig für stabile Abläufe in einer Volkswirtschaft und eröffnen allen Akteuren bessere Wachstumschancen. Eine gute Anbindung an das Straßennetz, leistungsfähige Flughäfen, eine zuverlässliche Energieversorgung, der Zugang zu schnellen Datennetzen gehören ebenso zu den Grundvoraussetzungen effizienter Wirtschaftsabläufe wie die leistungsfähige Müllentsorgung, gute Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser. Und auch langlebige Wirtschaftsgüter wie Schiffe, Flugzeuge sowie Fabrik- und Verwaltungsgebäude auf neuem technischen Stand stellen einen Teil der Grundausstattung für eine gedeihliche Entwicklung der Wirtschaft dar.

Wurden solche Projekte hierzulande in der Vergangenheit überwiegend von Banken finanziert, müssen diese im Zuge der Regulierungsmaßnahmen der Finanzkrise und der damit verbundenen Marktbedingungen genauer denn je prüfen, ob sich dieses Engagement in dem derzeitigen wirtschaftlichen Umfeld noch lohnt. Denn sie können sich angesichts der anhaltenden Niedrigzinsphase auf der Passivseite überwiegend nur mit kurzfristigen Einlagen refinanzieren, müssen aber bei langfristigen Finanzierungen auf der Aktivseite oft bis zu dreißig Jahre in die Zukunft planen - mit allen Unwägbarkeiten der wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen. Das verlangt von Banken ein aufwendiges Risikomanagement, und sie müssen darüber hinaus die tendenziell höheren Risikokosten für langfristige Engagements im Zweifel wieder mit spürbar höheren Eigenkapitalanforderungen absichern.

Was aber heißt das mit Blick auf den enormen Bedarf an langfristigen Finanzierungen, der von der OECD bis zum Jahre 2030 weltweit auf jährlich 1,8 Billionen US-Dollar veranschlagt wird (siehe Beitrag Kraus)? Wie sollen allein für Europa in den kommenden 15 Jahren die geschätzten zehn Billionen US-Dollar für die Erhaltung und den Ausbau der Infrastruktur aufgebracht werden? Geschlossen werden kann die absehbare Finanzierungslücke der Kreditwirtschaft möglicherweise durch ein stärkeres Engagement der institutionellen Anleger. Versicherungen, Pensionsfonds und Fondsgesellschaften zeichnen sich üblicherweise durch ein vergleichbar stabiles Aufkommen an neuen Mitteln aus, die sie möglichst solide und langfristig anlegen wollen, um für ihre Klientel die gewünschte Rendite zu erzielen. Nahe liegende Frage also: Wieso sollten sich solche Kapitalsammelstellen mit ihrem enormen Anlagebedarf nicht viel stärker als bisher als verlässliche Kapitalgeber in der langfristigen Finanzierung engagieren?

Dass die grundsätzliche Bereitschaft dazu aus der Warte der Versicherer, der Fondsgesellschaften, der Projektentwickler, der (Förder-) Banken und auch der Politik vorhanden ist, wird in den Beiträgen dieses Heftes deutlich. Auch der Vollzug konkreter Projekte konnte in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder vermeldet werden, sei es der 200-Megawatt-Offshore-Windpark vor Borkum, der 10-Megawatt-Solarpark im brandenburgischen Niedergörsdorf, die strukturierte Finanzierung eines neuen Gas- und Dampfturbinen-Kraftwerks der Stadtwerke Düsseldorf über 650 Millionen Euro oder der von Allianz Global Investors aufgelegte Spezialfonds über rund 100 Millionen Euro zur Beteiligung an Projekten für erneuerbare Energien. Trotzdem ist der ganz große Durchbruch nicht in Sicht. Entscheidend für das Engagement neuer Partner ist nämlich ein stabiler ordnungspolitischer Rahmen mit Planungs- und Rechtssicherheit sowie aufsichtsrechtlicher Berechenbarkeit. Wer Investitionszeiträume von zehn, zwanzig oder mehr Jahren abdecken muss, braucht Vertrauen in die Beständigkeit der einmal getroffenen politischen und aufsichtsrechtlichen Entscheidungen. Und das ist derzeit angesichts kaum der durchschaubaren nationalen und globalen Regulierungsinitiativen mit all ihren Nebenwirkungen und unerwünschten Zweit- oder Drittrundeneffekten nicht gegeben - Musterbeispiel Finanztransaktionssteuer.

Mit Blick auf schädliche Auswirkungen diverser Regulierungsvorhaben auf die langfristige Finanzierung der Wirtschaft ist der Gefahr einer fehlenden Folgenabschätzung insofern ein wenig vorgebeugt, als die EU-Kommission Ende März dieses Jahres das Grünbuch "Langfristige Finanzierung der europäischen Wirtschaft" vorgelegt hat. Dort verweist sie zwar auf die stabilisierende Wirkung einer nachhaltigen Finanzierung und betont deren enorme volkswirtschaftliche Bedeutung, widmet sich aber auch den sogenannten kumulierenden Effekten, also möglichen negativen Auswirkungen durch die Interdependenzen zwischen verschiedenen Regulierungstatbeständen. Um Letztere im Falle der langfristigen Finanzierung zu identifizieren und möglichst von vornherein zu vermeiden, hat die EU-Kommission bis zum 25. Juni dieses Jahres zur Konsultation über offene Fragen eingeladen. Angefangen von der Rolle von Banken und Förderinstituten in der langfristigen Finanzierung, der Bedeutung der institutionellen Anleger bis hin zu flankierenden Maßnahmen zur Steuerpolitik, zur Rechnungslegung und zur Corporate Governance reicht die Diskussionsgrundlage.

Dabei gibt sich die EU-Kommission ausdrücklich dialogbereit und lässt mit ihren Fragestellungen im Konsultationsprozess eine Offenheit für unkonventionelle Lösungen aus der Praxis erkennen. Zwar klingt die zu Beginn des Grünbuchs aufgeworfene Grundsatzfrage, ob Europa einen Weg aus der traditionell starken Abhängigkeit der Vermittlungstätigkeit der Banken hin zu einem diversifizierteren System finden kann, nach erkanntem Handlungsbedarf. Doch bei aller Sympathie für einen deutlich höheren Anteil an direkter Kapitalmarktfinanzierung sowie einem stärkeren Engagement institutioneller Anleger für langfristige Finanzierungen wird die Bereitschaft bekundet, "den Eigenheiten der einzelnen Finanzmarktakteure Rechnung zu tragen" und bei Bedarf neue Regulierungsmaßnahmen einzuführen oder bereits vorhandene wieder zu ändern.

Betrachtet man das Thema langfristige Finanzierung isoliert, lassen die Überlegungen und praktischen Übungen verschiedener Akteure allseits ein konstruktives Bemühen erkennen, zusammen mit der Politik zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Vielleicht bringen die praktischen Übungen ja eine Produktvariante hervor, langfristige Finanzierungen nicht mehr für die Gesamtlaufzeit sicherzustellen, sondern in kürzere Laufzeiten aufzuteilen, wobei dann freilich ein Refinanzierungsrisiko bleiben würde. Vielleicht wird es eine eigene Assetklasse Infrastruktur geben. Und vielleicht führt auch das von der EU initiierte Modell der Projektanleihen in eine steile Erfolgskurve. Vieles spricht auch dafür, dass die vorhandenen Kompetenzen der Kreditwirtschaft wie etwa deren Know-how bei der Risikobewertung und/oder die gute Kenntnis von Unternehmen und Branchenstrukturen bei aller wünschenswerten Kanalisierung langfristiger Investitionen auch künftig gesucht wird. Aber es bleibt die alles entscheidende Frage, ob die eher zaghaften Übungen der Marktpartner ausreichen werden, den enormen Bedarf an langfristigen Investitionen in Deutschland, Europa und in aller Welt zu decken. Eine Einschränkung des Wachstumsklimas kann jedenfalls nur bedingt im Sinne der Politik und der Regulierer sein.

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