Gespräch des Tages

Ratingagenturen I - Hängepartie oder Hängeparty?

Kein guter Western, in dem die Schurken nicht gehängt, keine einschneidende Finanzkrise, bei der nicht Schuldige gesucht und an den Pranger gestellt werden. Bei Enron und Worldcom waren es die Wirtschaftsprüfer, nach dem Platzen der Dot-Com-Blase die Analysten der Investmentbanken, bei der derzeitigen US-Immobilienkrise läuft die Rolle des Schuldigen auf die Ratingagenturen zu. Zu Recht?

Dass die Beurteilung der Zahlungsfähigkeit von Schuldnern weltweit zu 90 Prozent in den Händen von Moody's Investors Service, Standard & Poor's und Fitch Ratings - also eines Oligopols - liegt, ist nicht neu. Ebenso wenig die damit verbundene Macht: von ihrer Beurteilung, das heißt der von ihnen beschäftigten Analysten und der angewandten Risikomodelle, hängt ab, wie sich Staaten und Unternehmen refinanzieren können. Dass die Agenturen sich selbst für bedeutend halten und auf ihre gute Performance hinweisen, entspricht einem gängigen unternehmerischen Selbstverständnis. Dass es andere tun und ihre Einschätzungen zum Maßstab dafür machen, was als sichere Anlage gelten kann, ist amerikanische Finanzgeschichte: Bereits 1936 wurde noch unter dem Office of the Comptroller of the Currency die bis heute geltende Regelung etabliert, dass Banken keine Staatsanleihen in ihrem Portfolio haben dürfen, die unterhalb des "Investment Grade" angesiedelt sind. Der gleiche Grundsatz wurde später für staatliche Versicherungen festgelegt und gilt heute für die großen institutionellen Anleger in Form der Pensionsfonds. Das damit ausgegebene Signal an die Marktteilnehmer ist eindeutig: Auf die Einschätzung der Agenturen ist Verlass.

Doch dieses Vertrauen schwindet. Während die Banken untereinander Kredite zurückhalten, weil sie die Ausfallrisiken aus den Kreditvergaben ihrer Wettbewerber nicht erkennen können und den Ratings nicht trauen, sind sie gleichzeitig ihren Aktionären gegenüber so dreist und antworten auf Fragen nach ihrer eigenen Betroffenheit: "Wir haben nur Bestände mit AAA oder AA+ in unseren Depots ...". Also glaubt man nun an das eigene Rating und an das der Wettbewerber nicht? Offensichtlich sind in der Wahrnehmung der Beteiligten selbst Top-Ratings kein sicherer Hafen, keine Garantie dafür, dass Schuldner ihre Schulden bedienen beziehungsweise bedienen können. Und das hat systemische Gründe: bei den immer komplexer geschnürten Finanzierungspaketen, die von Kreditgeber zu Kreditgeber durchgereicht werden, entstehen große schwarze Löcher, die sich zum Beispiel beim Rating der Rhineland Funding Capital Corporation darin äußerten, dass Moody's explizit ausführte, dass der Fonds Mortgages gekauft habe und daraus Risiken entstehen könnten, die von der Agentur nicht bewertet worden seien. Demnach war bekannt, dass es keine Prüfung der dem Fonds (teilweise) zugrunde liegenden Papiere gab. Who is to blame?

Es hat rituellen Charakter, wenn in Krisenzeiten Bestandsaufnahmen und schärfere Regelungen verlangt werden. Meistens bleibt es bei der Bestandsaufnahme: Nach Enron und Co. ließ der US-Kongress die Chefs der Ratingagenturen antanzen, beklagte fehlenden Wettbewerb und Transparenz, aber substanzielle gesetzliche Regelungen blieben aus. Heute ist Merkel, Sarkozy, EU-Kommission und Kongress zuzustimmen, wenn sie Überprüfungs- und Regelungsbedarf sehen, aber die Politik tut gut daran, nicht in verbalen Aktionismus zu verfallen, der zum Selbstläufer wird und dann zu überzogenen Regelungen führt. Wie kann man mehr Wettbewerb und eine möglichst lückenlose Transparenz herstellen, muss eine wichtige Frage sein.

Die amerikanische Börsenaufsicht SEC hat erst seit Mai die Kompetenz einer routinemäßigen Untersuchung der Ratingagenturen und ihrer Wertpapiergesetz-Compliance. Und selbst ausgewiesene Kapitalmarkt- und Rechtsexperten weisen auf die Zulassungspflicht von Anlageberatern hin, während Agentur-Analysten Ratings vergeben dürften, ohne einen Nachweis ihrer Befähigung erbringen zu müssen. Eine andere Frage ist, wer die Ratings bezahlen sollte. Bisher sind es die Emittenten, aber sollten es nicht die Anleger sein? Einen Gebrauchtwagen würde man sicherlich als Verbraucher mit einem besseren Gefühl kaufen, wenn das Gutachten nicht vom Händler bezahlt wurde. Und schließlich: Es gilt auch den Steuerzahlern und Sparern zu zeigen, dass der Gesetzgeber Missstände beseitigt.

Den Anleger vor Intransparenz, Manipulation und Betrug zu schützen ist die Aufgabe des Gesetzgebers. Wie viele Risiken er eingehen will, entscheidet der Anleger indes selbst. Dass der amerikanische Immobilienmarkt überbewertet war, ist nicht erst seit einem Monat bekannt. Schon im "Wilden Westen" galt: Wenn man nicht in der Lage war, rechtzeitig den Kopf aus der Schlinge zu ziehen, durfte man sich auf manche Spiele nicht einlassen unabhängig dessen, was andere sagten. Kein Grund also für eine Hängeparty. Bettina Wieß

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