Interview

Redaktionsgespräch mit Uwe Fröhlich / "Wir müssen eine drohende Belastung unserer Institute abwenden"

2012 ist nicht nur das internationale Jahr der Genossenschaften, auch der BVR feiert mit 40 Jahren ein feines Jubiläum. Was hat sich in diesen 40 Jahren an der Aufstellung und den Anforderungen an einen Bankenlobbyverband geändert?

Die letzten Jahrzehnte waren von erheblichen Veränderungen für unsere Mitglieder, aber auch deren Kunden gekennzeichnet. Die Gobalisierung, der technische Fortschritt - wie das Internet - und die europäischen und internationalen politischen Rahmenbedingungen sind dabei nur einige Stichworte. Ein Spitzenverband muss sich auf diese Herausforderungen einstellen. Das betrifft alle unsere Tätigkeiten: die professionelle Institutssicherung, die strategische Unterstützung der Banken und die Interessenvertretung. Durch die verstärkte Bankenregulierung der letzten Jahre aus Berlin, Brüssel oder London ist das letzte Element sicherlich noch etwas wichtiger geworden. Aber für mich gehören immer alle Leistungsbereiche im BVR zusammen. Nur so bleiben wir stark.

Sind Sie mit dem Erreichten bislang zufrieden? Ist es durch das Wirken des BVR gelungen, größeren Schaden von Ihren Mitgliedsinstituten abzuwenden?

Die Erfolge unserer über 1121 Mitgliedsbanken sprechen sicher auch für die Arbeit der Verbände. Aber das ist für uns kein Grund zum Ausruhen. Gerade bei der politischen Regulierung stehen in diesem und im nächsten Jahr Strukturentscheidungen an, die große Konsequenzen für die Gruppe haben können. Da müssen wir vielleicht nicht immer Schaden, aber in jedem Fall eine drohende Belastung unserer Institute abwenden. Das ist eine Daueraufgabe.

Inwieweit haben sich die Adressaten der Botschaften verändert? Wie viel mehr müssen Sie heute auf Europa schauen?

Die Zeit rein nationaler Bankenregulierung ist lange vorbei. Aber die Vorgaben der EU haben sich inzwischen noch intensiviert. Zwei Drittel der Impulse für europäisches Bankenrecht kommen schon heute aus

Brüssel - mindestens! Deswegen haben wir viele neue Adressaten. Der Bundestag ist da leider oft nur noch stiller Beobachter. Mit den europäischen Aufsichtsbehörden EBA in London und ESMA in Paris wird sich das noch steigern: Dann ist auch das Europäische Parlament nicht mehr bei allen Details der Aufsicht beteiligt. Hier sehe ich für die Zukunft ein echtes Problem demokratischer Beteiligung. Wesentliche Entscheidungen gehören ins Parlament - ob in Berlin oder Straßburg.

Hat der BVR 40 Jahre nach der Gründung noch eine ebenso lange Zukunft vor sich oder wird er mehr und mehr Einfluss an die European Association of Co-operative Banks (EACB) abtreten müssen?

Ich glaube nicht an einen schwindenden Einfluss des BVR. Brüssel ist ja kein geschlossener Gesetzgeber. Für jede Position braucht man Mehrheiten in der EU-Kommission, im europäischen Parlament, aber auch im Ministerrat, wo die deutsche Regierung vertreten ist. Nationale Interessenvertretung findet auch auf internationaler Ebene statt und wird nie überflüssig, insbesondere bei der Besonderheit unseres Bankenmarktes in Deutschland. Aber die europäische Flankierung ist unverzichtbar. Dafür arbeiten wir eng und gern mit unseren europäischen Kollegen in der EACB zusammen.

Wie fühlt man sich als oberster Repräsentant der deutschen Genossenschaftsbanken derzeit in Berlin? Können Sie unter den deutschen Politikern in den vergangenen Jahren eine größere Wertschätzung für die Kreditgenossen ausmachen?

Viele Politiker haben in der Finanzmarktkrise erlebt, wie stabil und verlässlich unser genossenschaftliches Bankenmodell ist. Das spüren wir sehr positiv in unseren Gesprächen. Gleichzeitig ist die Distanz zu "den Banken" gewachsen. Da können wir nur immer wieder auf die nötige Differenzierung pochen. Es gibt nicht "die Politik", und eine regional arbeitende Genossenschaftsbank ist eben keine Investmentbank.

Haben sich Ihre Kontakte zu Mitgliedern des Europaparlamentes in den vergangenen Jahren signifikant erhöht?

Allerdings! In den letzten Jahren sind durch Vertragsänderungen die Kompetenzen des Europäischen Parlamentes immer weiter gestiegen - da müssen wir uns auch auf Verbandsseite entsprechend positionieren. Treffen mit EU-Parlamentariern gehören für den BVR zum Alltag wie Treffen mit Bundestagsabgeordneten oder anderen politischen Entscheidungsträgern.

Sind Sie als Präsident der deutschen Genossenschaftsbanken mit der deutschen und europäischen Politik zufrieden? Welche finanz- und wirtschaftspolitischen Anliegen halten Sie derzeit in Deutschland und Europa für besonders wichtig?

Eine Großbaustelle in regulatorischer Hinsicht ist Basel III. Selbst wenn die Genossenschaftsbanken die entsprechenden Anforderungen nach mehr Eigenkapital von höherer Qualität und besserer Liquiditätsausstattung in der Regel jetzt schon erfüllen, werben wir intensiv darum, dass die Komplexität reduziert und die Besonderheiten von Verbundgruppen wie den Genossenschaftsbanken differenzierend berücksichtigt werden - das gilt zum Beispiel für Größe, Risikogehalt oder systemische Bedeutung. Unser Engagement beim Thema Basel III hilft am Ende auch der Realwirtschaft. Der Gesetzgeber hat es - Stichwort Risikogewichtung von Mittelstandskrediten - in der Hand, dafür zu sorgen, dass Banken das Kreditgeschäft als eine ihrer Kernaufgaben weiter sicherstellen können.

Außerdem stehen Arbeiten der Europäischen Kommission zum Krisenmanagement und zur Abwicklung von Kreditinstituten an. Die Richtlinienänderungsvorhaben zur Einlagensicherungsrichtlinie, die unser Plädoyer für den Sparerschutz aufgreifen, haben sich aufgrund der bisher nicht erfolgten Einigung in den sogenannten Trilog-Gesprächen verzögert und sollten übrigens auch keinesfalls mit dem Krisenmanagementvorhaben der Kommission verquickt werden. Dann wäre nämlich mit noch größeren zeitlichen Verzögerungen bei der Verbesserung des Sparerschutzes auf europäischer Ebene zu rechnen.

Wie beurteilen Sie die (Geld -)Politik der EZB und der anderen wichtigen Notenbanken weltweit?

Die Geldpolitik hat mit ihren sehr mutigen und unkonventionellen Entscheidungen in der Finanzkrise erheblich zur Stabilisierung der Finanzmärkte beigetragen. Dabei hat sie auch schwere Entscheidungen treffen müssen, zum Beispiel beim Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB oder der sehr großzügigen Versorgung der Märkte mit Liquidität. Jetzt kommt es darauf an, den Rückzug aus den Sondermaßnahmen geordnet vorzubereiten. Sonst tritt eine Gewöhnung der Marktteilnehmer ein und der Entzug fällt dann später umso schwerer.

Auch Genossenschaftsbanken und Sparkassen haben in beträchtlicher Zahl an dem zweiten Dreijahrestender teilgenommen. Sind solche Aktivitäten von Primärinstituten aus Sicht des BVR vertretbar? Kann man sich unter diesen Umständen noch über Wettbewerbsverzerrungen beschweren, wenn auch die eigenen Institute diese Vorteile in Anspruch nehmen?

Mit dem zweiten Dreijahrestender Ende Februar hat die EZB als "Zwischenfinanzierer" in der Krise ihren Beitrag zur Stabilisierung der Märkte geleistet und der Politik besonders in den schwächeren Euroländern Zeit gegeben, ihre wirtschaftliche Grundverfassung zu verbessern. Auch Volksbanken und Raiffeisenbanken haben an den Dreijahrestendern teilgenommen. Die Beträge waren zusammengenommen allerdings gering. Im Mittelpunkt des Geschäftsmodells der Genossenschaften steht es nicht, Geschenke der EZB in Anspruch zu nehmen. Übrigens verzerren diese EZB-Maßnahmen sehr wohl den Wettbewerb, denn sie schenken insbesondere Banken ohne tragfähiges Geschäftsmodell Zeit und Ertragssubventionen und vermindern so den Anpassungsdruck.

Wie zufrieden sind Sie mit der Entwicklung Ihrer Mitgliedsbanken im abgelaufenen Jahr? Wo stimmt die Richtung, wo gibt es noch Aufholbedarf?

Netto 313000 Menschen mehr als im Jahr zuvor sind inzwischen Mitglied einer Genossenschaftsbank. Hier stimmt die Richtung ganz bestimmt: Über 17 Millionen Mitglieder haben die deutschen Genossenschaftsbanken jetzt. Jeder fünfte Bundesbürger ist im Boot, das ist ein Vertrauensbeweis, der uns auch Verpflichtung ist. Im täglichen Geschäft müssen wir immer wieder aufs Neue zeigen, dass Verbraucherschutz und Orientierung an den Kundenbedürfnissen ein zutiefst genossenschaftliches Thema ist.

Auch das Ergebnis des Jahres 2011 war erfreulich: ein Jahresüberschuss von 3,0 Milliarden Euro nach Steuern, Einlagenanstieg auf 524 Milliarden Euro, Kreditvergabe in Höhe von 425 Milliarden Euro. Das Kreditgeschäft wies mit einem prozentualen Zuwachs von 4,5 Prozent die höchste Steigerungsrate seit mehr als zehn Jahren auf. Der Einlagenüberhang von 100 Milliarden Euro zeigt, dass Wachstumsspielräume vorhanden sind, den Kreditwünschen von Privat- und Firmenkunden auch langfristig gerecht zu werden. Unser Geschäft findet aber in einem Markt mit großem Verdrängungswettbewerb statt. Wettbewerbsfähige Kostenstrukturen bleiben daher ein wichtiges Thema für unsere Finanzgruppe.

Der Wettbewerb insbesondere um Privatkunden und Mittelstand nimmt wieder erheblich an Fahrt auf: Ist der genossenschaftliche Finanzverbund gut genug positioniert, dem zu begegnen?

Wie gesagt, unsere guten Geschäftszahlen sprechen für sich. Wir sind wichtiger Finanzier des Mittelstandes und dort besonders der Gewerbekunden. Die Ratingagenturen bestätigen unsere gute Positionierung: Die Stabilität und der Zusammenhalt unserer Finanzgruppe war die Begründung der jüngsten Ratinganhebung durch Standard & Poor's von A+ auf AA- (mit stabilem Ausblick). Sie haben aber natürlich recht, der Wettbewerb im Retailgeschäft verschärft sich. Die Genossenschaftsbanken wollen einen fairen Wettbewerb und kritisieren zu Recht staatlich gestützte Institute, die mit marktfernen Konditionen Kundeneinlagen einwerben. Politik und Aufsicht engagieren sich manchmal etwas halbherzig für ein ausgeglichenes Wettbewerbsumfeld. Ich kann gar nicht häufig genug darauf hinweisen: Staatlich gestützte Banken dürfen den Wettbewerb im Kundengeschäft nicht verzerren, so sieht es auch das aktuell verabschiedete "Soffin-2"-Gesetz vor.

Die aufsichtsrechtlichen Anforderungen nehmen immer nur zu: Stimmt mit Blick auf die Interessenvertretung und Umsetzung dieser Dinge die Arbeitsteilung im Verbund?

Der BVR ist der Spitzenverband der deutschen Genossenschaftsbanken und vertritt verantwortlich die Interessen der genossenschaftlichen Finanzgruppe auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Gerade beim Aufsichtsrecht gehen wir in Berlin, Brüssel und London intensiv in den Dialog mit politischen Entscheidungsträgern, um praktische Auswirkungen von geplanten Regulierungen aufzuzeigen und sinnvolle Änderungsvorschläge zu unterbreiten. Alle Mitglieder unserer Finanzgruppe unterstützen den BVR dabei. Ganz wichtig ist, dass wir regional, national und international mit eindeutigen Botschaften auftreten und mit starker, einheitlicher Stimme sprechen. Wesentliche Positionierungen sind mit den BVR-Gremien abgestimmt und werden in Arbeitsgruppen unter wesentlicher Mitarbeit der Regionalverbände, Zentralbanken und Verbundunternehmen vorbereitet. Ich bin mit dieser Vorgehensweise und den daraus resultierenden Ergebnissen durchaus zufrieden.

Könnte der genossenschaftliche Finanzverbund die DZ Bank notfalls mit Kapital unterstützen? Wie offensiv oder defensiv kann sich der BVR in dieser Frage positionieren?

Selbstverständlich könnte die genossenschaftliche Finanzgruppe das. In der Vergangenheit ist dies ja auch bereits erfolgreich geschehen. Die Unabhängigkeit von staatlichen Stützungsmaßnahmen à la Soffin wird auch künfig eine unserer wesentlichen strategischen Ziele in der Finanzgruppe sein.

Es gibt seit geraumer Zeit Bestrebungen der größeren Volksbanken, ihre Interessen zu bündeln. Ist oder fühlt der BVR sich in dieser Sache als Moderator und/oder Ratgeber gefragt?

Bei über 1100 Mitgliedsinstituten ist es ganz natürlich, dass sich einzelne Institute zur Diskussion über spezifische gemeinsame Themen zum Erfahrungsaustausch zusammenfinden. Sofern diese Aktivitäten nach innen gerichtet sind und der gemeinsamen Fortentwicklung dienen, ist dagegen auch nichts einzuwenden. Nicht akzeptabel fände ich Aktivitäten, die die Entscheidungsfindung innerhalb der Finanzgruppe erschweren würden oder die den geschlossenen Auftritt nach außen beeinträchtigen. Wichtig ist, dass demokratische Prozesse stattfinden: Entscheidungen für die gesamte genossenschaftliche Finanzguppe werden allein in den satzungsgemäßen Gremien des BVR getroffen.

Welche Rolle sollten Kreditgenossenschaften in der Kommunalfinanzierung spielen? Ist das eine Frage der Marktbedingungen und individuellen Entscheidungen vor Ort, oder gibt es zu dieser Frage eine übergeordnete Interessenlage des BVR?

Auch die Kreditgenossenschaften betreiben in einigen Häusern Kommunalfinanzierung, ihr Kerngeschäft ist dieses aber nicht. Aktuell hat die Kreditwürdigkeit der staatlichen Gläubiger - Stichwort Griechenland durch die Staatsschuldenkrise erheblich gelitten. Und auch bei der Kommunalfinanzierung muss ja letztlich jede einzelne Kreditanfrage vor Ort individuell geprüft und entschieden werden, zumal die wirtschaftliche Situation der Kommunen durchaus unterschiedlich und in Teilen prekär ist. Also: Jede einzelne Genossenschaftsbank vor Ort prüft und entscheidet eigenverantwortlich. Denn sie - und nicht der Verband - trägt auch das potenzielle Kreditrisiko.

Wieso hat sich die Deutsche Kreditwirtschaft so vehement gegen den Vorstoß des Bundesfinanzministeriums gewandt, die Mitglieder aus der Kreditwirtschaft aus dem Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht auszuschließen? Wäre das bei vollständiger Finanzierung der BaFin durch den Bund nicht die sauberste Lösung?

Dies wäre richtig und konsequent. Denn wer auch nur den Anschein von Abhängigkeit der Bankenaufsicht fürchtet, muss die hoheitlichen Aufgaben der BaFin eben auch unabhängig durch die öffentliche Hand organisieren. Wer A sagt, sollte auch B sagen. Andere Ländern in Europa handhaben das auch so. Derzeit trägt aber die deutsche Finanzwirtschaft die erheblichen Kosten vollständig. Deshalb sitzen auch die Vertreter der Kreditwirtschaft im Verwaltungsrat der BaFin. Übrigens entscheidet der Verwaltungsrat vor allem über die effiziente Verwendung des Budgets und hat keinerlei Einfluss auf die operative Tätigkeit der BaFin.

Was halten Sie von der bisherigen Arbeit der European Banking Authority? Ist die EBA von ihren Aufgabenbereichen und Befugnissen richtig aufgestellt?

Das große Problem der EBA ist die gedankliche Entfernung zum Finanzstandort Deutschland. Die Politik in Deutschland und zum Teil auch in Europa unterstützt uns durchaus in dem Bemühen, auch für regionale Banken angemessene Regeln zu entwickeln. Regeln für internationale Großbanken müssen anders aussehen als Regeln für lokal oder regional tätige Institute. Das rufen wir in London und auch in Brüssel immer wieder in Erinnerung. Die EBA hat sehr viele Mandate zu bearbeiten, hier wird Proportionalität die zentrale Forderung bleiben. Nach dem Vorschlag der EU-Kommission sind zirka 150 Aufträge für technische Standards vorgesehen, die die EBA in wenigen Monaten erarbeiten soll. Das allein ist schon eine sehr große Arbeitsbelastung für die EBA. Die Qualität der Standards könnte leiden. Unabhängig hiervon bleibt unklar, wie zum Beispiel Konsultationen mit Banken in diesem kurzen Zeitrahmen möglich sein sollen. Auch das Beispiel der vergangenen Eigenkapitalstresstests hat gezeigt, dass die EBA sich zu vielen Themen erst noch finden muss.

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