Leitartikel

Sanios Abschied

Es war und ist sicherlich ein Bild mit Seltenheitswert: Ganz zum Ende erhob sich die Community und verabschiedete den Mann, der sie in den vergangenen Jahr(zehnt)en bewacht und beschützt hatte, mit lang andauernden Standing Ovations in den Ruhestand. Die versammelten Spitzen des deutschen Finanz- und Kreditgewerbes - die Deutsche Bank ebenso wie die Landesbanken, die Verbandspräsidenten, Privatbankiers, Immobilienbanken bis hin zu den Vertretern der genossenschaftlichen Finanzgruppe - verneigten sich vor Deutschlands oberstem Bankenaufseher Jochen Sanio und zollten einer wahrlich bemerkenswerten Berufslaufbahn Respekt.

Dass gerade ihm eine solche Ehre zuteil wurde, bewegte auch den angeblich so harten Hund, denn sie ist keineswegs selbstverständlich. Sanio war bestimmt kein Leisetreter und auch nicht immer übermäßig freundlich zu den von ihm beaufsichtigten Instituten. Doch schätzen die Menschen seine gerade Art, durch die man stets wusste woran man war, sein Pflichtbewusstsein und sein gutes Wissen um all die "echten und vermeintlichen Besonderheiten" des deutschen Finanzplatzes, die er national wie international mit viel taktischem Geschick, aber auch enormer Beharrlichkeit verteidigte. Von daher kann man die Bemerkung manch eines der Anwesenden, er sei nur gekommen, um sicher sein zu können, dass der BaFin-Chef auch wirklich aufhöre, getrost als Sprücheklopferei abtun.

Der Spannungsbogen von Sanios Wirken in der Bankenaufsicht reicht von Herstatt bis Herakles, von 1974 bis 2011. Dazwischen lagen noch die Mannheimer Lebensversicherung, IKB und HRE. Wer kaum nach seinem Eintritt in das BAKred mit einer derart heftigen Bankenkrise wie dem Zusammenbruch des Hauses Herstatt konfrontiert wird, den kann eigentlich so leicht nichts mehr erschüttern, möchte man meinen. Viele Jahre galt das für den Aufseher Sanio, der als Nachfolger von Wolfgang Artopoeus Ende der neunziger Jahre zunächst an die Spitze des BAKred rückte, um dann auf den politischen Wunsch des damaligen Finanzministers Hans Eichel hin, die Banken-, Versicherungs- und Wertpapieraufsicht unter dem Dach der BaFin zu vereinen und deren Präsident zu werden. Doch die vergangenen Jahre haben Spuren hinterlassen. Die Turbulenzen an den Finanzmärkten haben dem "Aufsichtsdominator" den Mut genommen, das Ringen um die eigenständige Zukunft der BaFin als Instanz neben der Bundesbank gegen die Pläne der Koalition hat Kraft gekostet, und das Verhalten von Banken und Politikern in Sachen Markt und Aufsicht haben ihm Illusionen genommen.

Noch pessimistischer und schonungsloser als ohnehin schon gewohnt fielen denn auch Sanios Abschiedsworte aus. Die schöne Welt der Banken habe sich durch die politisch motivierte Deregulierung zu einem riesigen, weltumspannenden Finanzgebilde entwickelt, das sich von den Aufsehern nicht mehr beherrschen lasse. Bereits heute beträgt das ausstehende Volumen an Derivaten ein Vielfaches des "ordentlichen" Bankgeschäfts mit der Realwirtschaft, was auch dem Bundesfinanzminister, seines Zeichens oberster Dienstherr der BaFin, ein Dorn im Auge ist.

Sanio räumte ein, er war "naiv genug zu glauben, nach Lehman lasse sich ein lückenloses Netz von Aufsichtsregeln spannen, um den zügellosen Märkten klare Grenzen zu setzen". Heute weiß er es besser und muss feststellen, dass sich das "Window of opportunity für eine schärfere Aufsicht" bereits wieder geschlossen habe. Und auch seine Forderung nach einem klaren Verbot der schlimmsten Geschäftsfelder bezeichnet er nur noch als "frommen Wunsch". Doch, man kann es ihm glauben, dass er seine Rolle in diesem Spiel als beendet ansieht, auch wenn keineswegs alle Aufgaben erfüllt sind. Sanio geht gerne und überlässt den immensen Druck ohne Reue anderen Schultern.

Die Herausforderungen für seine Nachfolgerin sind gewaltig. So gewaltig, dass Jochen Sanio sicherlich jedem davon abgeraten hätte, diesen Posten zu übernehmen, spricht er doch von einer "Mission Impossible". Er wurde zum Glück höchstens gefragt, hatte aber keinen Einfluss. Die BaFin braucht zweifelsohne eine starke Führungskraft und hat eine Präsidentin bekommen, die durchsetzungsstark wirkt.

Jochen Sanio wünscht Elke König, das Foto zeigt beide bei der feierlichen Stabübergabe in der Frankfurter Dependance der BaFin, vor allem eines: Viel Fortune. Dann komme es nämlich vielleicht nicht so schlimm, wie es tatsächlich ist, schließlich habe die deutsche Aufsicht bei "Fortuna noch einiges gut". Glück hatten beide, Jochen Sanio, dass ihm in seinen letzten Amtstagen, und Elke König, dass ihr in ihren ersten Tagen, nicht doch noch die befürchtete Explosion der Kreditwirtschaft vor die Füße gefallen ist. So konnte die neue Präsidentin wenigstens schon mal die engeren Mitarbeiter kennenlernen und zeigte sich durchaus zufrieden mit der Hinterlassenschaft ihres Vorgängers. Das Haus sei gut geführt, die Mannschaft sei hochqualifiziert und leiste mit großem Engagement eine wichtige Arbeit.

Worauf kommt es für Elke König nun an? Sie müsse, so Finanzminister Schäuble, die Meinungsführerschaft der BaFin in internationalen Gremien verteidigen. Sie muss darüber hinaus mit den Schwierigkeiten der zunehmenden Regulierung zurechtkommen, das Zusammenspiel zwischen der europäischen EBA und den nationalen Behörden deutlich verbessern, um Verwirrungen und Verwerfungen ob des zweifelhaften Handelns der EBA bei den beiden vergangenen Stresstests künftig zu verhindern und das Wissen dieser Behörde hinsichtlich der unterschiedlichen Bankensysteme in Europa zu verbessern.

Dabei muss sie, wie Jochen Sanio auch, weise zwischen berechtigten nationalen Interessen und nationalen Egoismen unterscheiden. Denn natürlich kann und darf sich kein Abgesandter davon freimachen, stets im deutschen Sinne zu denken und das Bestmögliche für Deutschland und seine Finanzwirtschaft erreichen zu wollen. Genau das wird in der Heimat von ihr erwartet. Sie wird den Kontakt zum Partner Bundesbank pflegen dürfen und weiter um eine Optimierung des eigenen Hauses kämpfen müssen. Schließlich kann die BaFin noch den ein oder anderen Mitarbeiter gebrauchen, und der Personalrat drängt mit Blick auf die Kollegen der Bundesbank verständlicherweise nach besserer Entlohnung.

Man traut Elke König all das zu, wenn man sie so sieht und hört. Als Betriebswirtin und Mathematikerin weiß sie wohl zu rechnen. Ihre Erfahrungen in der Wirtschaftsprüfung, der Versicherungswirtschaft und internationalen Gremien wie dem Londoner IASB werden ihr zugute kommen. Sie wirkt gegenüber europäischen Tendenzen aufgeschlossener als ihr Vorgänger, ohne dabei das Wissen um die deutschen Belange aus den Augen zu verlieren.

Und wer glaubt, nur weil nun eine Frau die BaFin führt, werde es international zu einem Bedeutungsverlust kommen, dürfte sich täuschen. Die Geschichte, von der Antike bis zur Moderne, weiß immer wieder von weiblichen Kriegern zu berichten, von den zahlreichen Königinnen über die Assyrerin Semiramis, die Keltin Boadicea und die Amazonen bis hin zu Jeanne d´Arc und den Premierministerinnen. Alle wussten sich mit Geschick und Tatkraft zu behaupten, auch wenn nicht alle Vorhaben erfolgsgekrönt waren. Gemeinsam mit Frau Lautenschläger-Peiter, Vize-Präsidentin der Deutschen Bundesbank und Gabriele Hahn, die als Exekutivdirektorin die Versicherungsaufsicht der BaFin leitet, herrscht nun echte Frauen-Power.

Ob die Aufsicht damit eine Bessere werden wird, Krisen verhindern und Banken ordentlich und mit Augenmaß regulieren kann? Wie heißt es so schön bei den Rolling Stones: "You can´t always get what you want. But if you try sometimes you just might find you get what you need."

Noch keine Bewertungen vorhanden


X