Genossenschaftsverbund 2011

Servicegesellschaften: in beiden Rechenzentrumswelten zuhause

Outsourcing - kaum ein anderer Begriff polarisiert so sehr wie dieses "Imponierwort", das im Wettbewerb der Unwörter des Jahres fast schon einmal den ersten Platz belegt hätte. Nicht zuletzt durch die Finanzkrise ist die Debatte um eine Auslagerung von Geschäftsbereichen jedoch aktueller denn je. Die Krise und der immer stärker werdende Verdrängungswettbewerb werden dazu führen, dass sich alle Kreditinstitute noch stärker auf das klassische, eher risikoarme Geschäft mit Privat- und Gewerbekunden oder alternativ das risikoarme regionale Kundengeschäft konzentrieren werden. Insbesondere für die genossenschaftlichen Primärbanken wird der Wettbewerb um die Privatkunden nichts von seiner Intensität verlieren.

Bündelung der Kräfte

Um in diesem Umfeld erfolgreich bestehen zu können, bedarf es erheblicher Anstrengungen. Die Volksbanken Raiffeisenbanken - so appelliert der BVR fast jährlich in seinem Kompass - sind aufgerufen, ihre Vertriebsanstrengungen zu verstärken und gleichzeitig die Kostenoptimierung mit hoher Priorität voranzutreiben. Dabei ist die Auslagerung von Banktätigkeiten eine Option und zugleich Chance, um sich auf die eigentlichen Kernkompetenzen, nämlich den Vertrieb, konzentrieren zu können.

Darüber hinaus können die auslagernden Primärbanken von einer deutlichen Komplexitätsreduktion profitieren, ein Aspekt, der angesichts der stetig steigenden Anforderungen durch Regulierung, Systeme und Schnittstellen immer mehr an Bedeutung gewinnt. Als ein wichtiger Baustein der genossenschaftlichen Finanzgruppe wird sich deshalb das Outsourcing von Produktionsleistungen weiter etablieren. Aufgrund ihrer arbeitsteiligen Struktur bietet die genossenschaftliche Finanzgruppe hierfür die ideale Basis.

Inzwischen finden nicht nur auf Seiten der Primärbanken Umgestaltungen in nennenswertem Ausmaße statt. Auch die gesamte Branche der Servicegesellschaften ist mittlerweile in eine neue Phase eingetreten, erste Anzeichen einer Konsolidierung sind erkennbar. Beispielsweise bündeln drei Dienstleistungszentren im Rhein-Main- Gebiet ihre Kräfte und schaffen einen bundesweit agierenden Komplettanbieter von auslagerungsfähigen Marktfolge- beziehungsweise Backoffice-Tätigkeiten für den Sparkassenverbund.

In der genossenschaflichen Finanzgruppe gibt es ebenfalls Bestrebungen, die Kräfte von Auslagerungsdienstleistern zu bündeln. Jüngstes Beispiel sind die beiden Servicegesellschaften "VR- Banken- Service", Paderborn, und "VR Finanz-Dienst-Leistung", Berlin, die seit Mitte dieses Jahres eng zusammenarbeiten.

Dabei könnten diese beiden Servicegesellschaften unterschiedlicher kaum sein. Auffälligstes Differenzierungsmerkmal ist sicherlich das genutzte Rechenzentrum: Während die Kunden der VR-Banken-Service ausschließlich Banken aus dem Gebiet der Rechenzentrale GAD betreuen und wie die VR-Banken-Service Nutzer von "bank 21" sind, konzentriert sich die VR-Finanz-Dienst-Leistung derzeit noch auf Kunden aus dem Gebiet der Rechenzentrale Fiducia. Doch nicht nur die genutzten Systemplattformen, sondern auch die Entstehungsgeschichten der beiden Servicegesellschaften sind unterschiedlich.

Grüne-Wiese-Ansatz

Im Zuge strategischer Überlegungen analysierten Ende 2004 mehrere ostwestfälische Genossenschaftsbanken gemeinsam mit der WGZ Bank AG und der GAD, ob und welche in den Banken existierenden Dienstleistungen ausgelagert werden können. Diese sollten in einer gemeinsamen Gesellschaft gebündelt werden, um durch Synergieeffekte sowohl Qualitäts- als auch Kostenvorteile für die einzelnen Banken generieren zu können. Im Vordergrund der Überlegungen stand dabei, die Komplexität im Geschäftssystem zu reduzieren und die Konzentration auf die Kernkompetenzen eindeutig in den Vordergrund zu stellen. Auch heute noch verfolgt die Servicegesellschaft deshalb keinen klassischen Gewinnmaximierungsansatz. Ziel des im Januar 2005 gestarteten Projekts VR-Ban-ken-Service war die Definition neuer, maßgeschneiderter Prozesse für die in einem ersten Schritt definierten Bündelungsfelder Zahlungsverkehr, Marktfolge Passiv, Revision, Recht und Beauftragtenwesen.

Diese Sollprozesse wurden auf Basis eines "Grüne-Wiese-Ansatzes" definiert, sodass auch innovative und teils ungewöhnliche Ansätze in die Prozessdefinition einfließen konnten. Nach Definition der Sollprozesse wurden diese kritisch auf technische und inhaltliche Machbarkeit überprüft, wobei sich sogenannte Startprozesse ergaben, die die künftigen Abläufe der späteren VR-Banken-Service darstellten. Diese konnte im Januar 2006 schließlich ihren operativen Geschäftsbetrieb aufnehmen. Das aktuelle Leistungsspektrum umfasst nahezu alle Tätigkeiten in den Bereichen Zahlungsverkehr, Marktfolge Passiv (Wertpapiergeschäft, Produktverwaltung und Mgliitederwesen), Markt- Service- Center (Kunden-/Kontoanlagen und-änderungen), Pfändungsbearbeitung, Revision (Übernahme der Internen Revision) sowie Recht mit dem Inkasso-Service.

Mittlerweile betreut die Servicegesellschaft mit etwa 60 Mitarbeitern mehr als 40 Kunden mit einer Gesamtbilanzsumme von 25 Milliarden Euro bei der Abwicklung nachgelagerter Banktätigkeiten ohne Kundenkontakt. Im Geschäftsjahr 2010 bearbeitete sie rund acht Millionen Geschäftsvorfälle. Eine lokale oder regionale Fokussierung respektive Beschränkung gibt es dabei nicht. Zwar besteht der aktuelle Kundenkreis überwiegend aus Kreditinstituten mit Sitz in Nordrhein-Westfalen, jedoch zählen auch Banken mit Sitz in anderen Bundesländern zur derzeitigen Kundschaft. Gesellschafter der VR-Ban-ken-Service sind derzeit die GAD, die WGZ Bank AG, die Volksbank Gütersloh und als Mehrheitsgesellschafter die Volksbank Pa-derborn-Höxter-Detmold.

Partner mit gänzlich anderer Historie

Die Historie der VR-Finanz-Dienst-Leistung ist eine gänzlich andere. Die gemeinsam von Berliner Volksbank und Fiducia gegründete Servicegesellschaft nahm im Mai 2009 ihren Geschäftsbetrieb auf. Mehrheitsgesellschafter war mit damals 75,5 Prozent die Berliner Volksbank. Zunächst übernahm der Dienstleister ausgewählte Servicetätigkeiten für die Berliner Volksbank und beschäftigte rund 400 ehemalige Volksbank-Mitarbeiter. Ziel der Berliner Volksbank war es, durch kontinuierliche Prozessverbesserung zunächst geringere Produktionskosten zu realisieren. In einem zweiten Schritt sollten auch andere Banken aufgenommen werden.

Nach den Gründungsaktivitäten im Geschäftsjahr 2009 lag der Fokus 2010 auf der Konsolidierung und Optimierung der mit der Berliner Volksbank erarbeiteten Leistungsprozesse. Bereits Ende 2010 zeigten die Vertriebsaktivitäten den angestrebten Erfolg. Darüber hinaus wurde im Geschäftsjahr 2010 das Leistungsspektrum der VR-Finanz-Dienst-Leistung erweitert. Hierfür wurde eine weitere Marktfolgeeinheit, das qualifizierte Kreditgeschäft, aus der Berliner Volksbank herausgelöst und integriert.

Im Mai vergangenen Jahres bekam die VR-Finanz-Dienst-Leistung ferner eine neue Gesellschafterin. Nachdem die DZ Bank AG bereits die Gründungsphase begleitet hatte, wurde sie mit 24,5 Prozent an der Gesellschaft beteiligt. Die weiteren und bisherigen Gesellschafter Berliner Volksbank und Fiducia IT AG halten aktuell 51 Prozent und 24,5 Prozent der Anteile.

Mit Unterstützung durch die Verbundpartner

Inzwischen bietet die Servicegesellschaft Leistungen aus allen Bereichen, die vom BVR mit hohem Industrialisierungspotenzial bewertet wurden und damit die größten Einsparpotenziale für Banken enthalten. Das größte Leistungsspektrum umfasst dabei die Kontenbearbeitung, zu dem das Kartengeschäft, das Bearbeiten von Nachlässen und Pfändungen, die Nachforschung sowie der gesamte Zahlungsverkehr gehören. Im Kreditgeschäft übernimmt der Dienstleister die Kundenanalyse, die Sicherheitenbearbeitung und auch die Vertragserstellung. Weitere Leistungen werden im Bereich des Wertpapierservices erbracht. Die VR Finanz-Dienst-Leistung ist derzeit für drei Kunden tätig.

Trotz der genannten Unterschiede in der Unternehmensgeschichte ist die Basis für eine Kooperation der beiden Servicegesellschaften jedoch exzellent: Die VR-Fi-nanz-Dienst-Leistung verfügt über eine leistungsfähige Aufbau- und Ablauforganisation und über kompetente Mitarbeiter mit langjähriger Erfahrung in bankfachlichen Themen. Dabei profitieren sie von den Erfahrungen einer der größten Genossenschaftsbanken Deutschlands. Die VR-Banken-Service bringt in die Zusammenarbeit umfangreiches Know-how in der effizienten Gestaltung von Sollprozessen mit ein. Zudem verfügt sie über langjährige Erfahrungen in dem Auf- und Ausbau von Kundenbeziehungen zu unterschiedlich strukturierten Genossenschafts- und Privatbanken.

Initiiert wurde die Zusammenarbeit zwischen den beiden Servicegesellschaften durch die beiden Hauptgesellschafter - die Berliner Volksbank und die Volksbank Pa-derborn-Höxter-Detmold. Sie sehen in der Kooperation die einmalige Chance, im Hinblick auf das Outsourcing und damit die Bündelung der Kräfte die weiteren Entwicklungen in der genossenschaftlichen Finanzgruppe maßgeblich mitgestalten zu können.

Die beteiligten Verbundpartner unterstützen die Zusammenarbeit. Sie halten dies für einen weiteren wichtigen Schritt, um Doppelarbeiten innerhalb der genossenschaftlichen Finanzgruppe zu vermeiden, bedeutende Entwicklungsschritte zu beschleunigen und das Know-how der Primärbankebene gebündelt zur Verfügung zu stellen.

Felder der Zusammenarbeit

Die Zusammenarbeit hat bereits begonnen. In einem ersten Schritt werden die Servicegesellschaften ihr umfassendes Leistungsspektrum, das bereits heute alle Backof-fice-Tätigkeiten einer Primärbank abdeckt, aufeinander abstimmen und Dienstleistungen gegenseitig austauschen. Dazu gehören beispielsweise Leistungen aus den Bereichen Zahlungsverkehr, Marktfolge Aktiv und Passiv, Marktservicecenter, Wertpapierservice, Beauftragtenwesen, Pfändungsbearbeitung, Revision und Recht.

Primäres Ziel der beiden Partner ist es, einheitliche Produkte und Prozesse zu etablieren. Darüber hinaus werden sie perspektivisch ein Beratungsangebot zum Thema "Outsourcing" schaffen, um interessierte Institute in Fragen der Strategie und der operativen Umsetzung von entsprechenden Maßnahmen professionell zu begleiten.

Im Hinblick auf den anhaltenden Kostendruck und weiterhin schrumpfende Margen im Kundengeschäft wollen die VR-Banken-Service und die VR-Finanz-Dienst-Leistung einen nachhaltigen Nutzen für die genossenschaftlichen Primärbanken schaffen. Dieses soll mit fachlicher Unterstützung und in enger Abstimmung mit den beteiligten Verbundpartnern erfolgen. Bereits heute erreichen die Kunden der beiden Servicegesellschaften signifikante Produktivitätsvorteile. Eine weitere Bündelung der Kräfte im genossenschaftlichen Sinne wird sowohl Kosten- als auch Qualitätsvorteile langfristig sichern und ausbauen. Dabei profitieren die Kunden in Zukunft noch stärker von den absolut leistungsfähigen Angebotspaletten der beiden Dienstleister und ihrer jahrelangen Erfahrung mit Genossenschaftsbanken aller Größen.

Abstimmung und Harmonisierung

Gleichzeitig stellt der bereits geschilderte Unterschied in den Systemplattformen darüber hinaus einen unschätzbaren Vorteil für die gemeinsame Marktbearbeitung der beiden Servicegesellschaften dar. Um effiziente Bankprozesse zu sichern und das Preis-/Leistungsverhältnis in der Abwicklung von Bankprozessen zu verbessern, werden die VR-Banken-Service und die VR-Finanz-Dienst-Leistung künftige Entwicklungen und Leistungserweiterungen untereinander abstimmen und möglichst harmonisieren. Somit können die Primärbanken auf substanzielle Kenntnisse aus beiden Rechenzentrumswelten zugreifen und auf diese Weise von dem umfangreichen Know-how der beiden Dienstleister profitieren. Durch dieses gemeinsame koordinierte Vorgehen werden weitere Doppelarbeiten zur Weiterentwicklung von Servicegesellschaften in der genossenschaftlichen Finanzgruppe vermieden.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X