Leitartikel

Verlust der Stimme

Wenn am 2. Februar im feinen Hotel Atlantic in Hamburg Stadt, Land und Kommunen, Kreditwirtschaft und Mittelstand, Handwerk und Konzerne, Funk, Fernsehen und schreibende Journaille zusammenkommen, dann ist auf den ersten Blick klar, es gibt etwas zu feiern und zu ehren. Auch der Anlass ist angesichts der Zusammensetzung der ausgezeichneten Teilnehmerliste nicht schwer zu erraten: Es muss etwas mit Sparkassen zu tun haben. Und dass in der Hansestadt dann sofort der Name Haspa fällt, vermag ebenfalls nicht weiter zu überraschen. Doch schon bei der Rechtsform dieser größten deutschen Sparkasse - sie ist eine AG unter einer Finanzholding in der juristischen Person alten hamburgischen Rechts - und besonders bei den Unterschieden zwischen einer freien Sparkasse und dem Rest der großen öffentlich-rechtlichen Familie bedarf es mitunter schon ein klein wenig Aufklärung.

Man darf sich erinnern: Die freien Sparkassen waren es, die mit ihrer Gründung im 18. Jahrhundert die Basis der deutschen Sparkassenorganisation gelegt haben. Die Initiatoren waren dabei nicht etwa die Städte oder Gemeinden, sondern wirtschaftlich engagierte Privatpersonen. Und die Freien waren es auch, die sich wiederholt bei der Einführung neuer Produkte als Innovatoren erwiesen haben. Zu erwähnen sind unter anderem die Sparkassenbriefe, das kommerzielle Auslandsgeschäft, die Gründung banknaher Tochtergesellschaften, die Beteiligung an Wirtschaftsunternehmen sowie die Einführung sparkasseneigener börsenfähiger Inhaberschuldverschreibungen. Gab es zunächst mehr als 100 solcher meist als Verein organisierten Häuser wurden sie im Lauf der Jahre schnell von den öffentlich-rechtlichen Instituten überflügelt. Bereits bei Gründung des Verbandes der freien Sparkassen im Jahr 1920 in Göttingen konnte nur noch ein kleiner Teil der gesamten S-Organisation als "frei" bezeichnet werden. Heute zählt der Verband noch ganze sieben echte Mitglieder unter mehr als 450 Sparkassen insgesamt, und mit Wehmut blickt mancher zurück, als drei der zehn größten deutschen Sparkassen Freie waren - vor gerade einmal zehn Jahren.

Ein Zitat dazu: "Nie war es schöner, Sparkasse zu sein. Diese Worte werden aus dem Munde des Sprechers der Frankfurter Sparkasse, der zugleich die freien, das heißt privatrechtlichen, nicht öffentlich-rechtlichen Sparkassen vertritt, mit Sicherheit nicht überraschen. Übrigens sind zwei der vier größten Sparkassen privatrechtliche Institute. Von vielen wird jedoch bezweifelt, dass die Sparkassenidee in einer Zeit, die vom rasanten Umbruch geprägt ist, tatsächlich noch Zukunft hat. Ich sehe selbstverständlich eher Grund zu Optimismus. Die Sparkassen werden im Wettbewerb der Regionen künftig sogar eine noch wichtigere Rolle spielen. Sie müssen allerdings zu einem Überdenken der gegenwärtigen Strukturen bereit sein." Das war Klaus Wächter 1998 auf der Kreditpolitischen Tagung dieser Zeitschrift. Dass bei all diesen (heute immer noch aktuellen) Überlegungen die privatwirtschaftliche Idee der Freien den Öffentlich-Rechtlichen immer wieder als Modell der idealen Sparkassen-Zukunft vorgehalten wurde, wen wundert's? Schließlich sind die freien Sparkassen vom Grundsatz her Institute ohne jene kommunale Bindung, die das öffentlich-rechtliche Kreditwesen heute immer noch auszeichnet und zugleich kritikanfällig macht.

Hinzu kommt, dass bei aller freundschaftlichen Verbundenheit der beiden S-Familienzweige - der Verband der freien Sparkassen ist seit 1924 Mitglied des DSGV und die einzelnen Mitgliedsinstitute sind ebenfalls Mitglieder der jeweiligen S-Regionalverbände - bei den Freien doch stark darauf geachtet wird, nicht die "Fesseln kommunaler Sparkassen" angelegt zu bekommen. Soll heißen, es tunlichst zu vermeiden, sich auch nur annähernd etwas so Hinderlichem wie des Regionalprinzips zu unterwerfen. Daraus aber, wie es der freie Verband gerne tut, schon die einzige Zukunftsfähigkeit für ein jedes Sparkassenhaus abzuleiten, geht zu weit. Im Gegenteil: Gerade solche Freiheiten machen die Freien so interessant.

Interessant vor allem für Landesbanken, die auf der Suche nach einträglichem Retailgeschäft da kaum vorbeischauen können. Die Folge ist bei Betrachtung jeder Sparkassen-Rennliste augenscheinlich: Die Freien verlieren immer mehr an "individueller" Bedeutung. Die ehemals stolze Landesgirokasse stärkt im schwäbischen und badischen Ländle, nützlich verbunden mit der BW-Bank, die neue Mutter LBBW. Und das von Klaus Wächter vor wenigen Jahren noch so gelobte Frankfurter Haus ging jüngst in der Helaba auf. Bei beiden, so ist tunlichst anzumerken, war es keineswegs die Rechtsform, die zum Verlust der Eigenständigkeit führte. In Stuttgart unterwarf sich die vom heutigen WestLB-Chef Thomas Fischer geführte Girokasse der Bündelung der Kräfte. In Frankfurt vermochte man die eigene Kraft und Größe nicht mehr richtig einzuschätzen und verlor den Boden unter den Füßen. Ob alles anders gekommen wäre, wenn es da nicht die gesetzliche Einbahnstraße gegeben hätte, dass privatwirtschaftliche Institute öffentlich-rechtliche Sparkassen zwar übernehmen dürfen, dieses aber mit dem zwanghaften Wechsel zur Rechtsform des Übernommenen verbunden und somit inakzeptabel war? Wären Stuttgart plus Esslingen plus Rhein-Neckar oder Fraspa plus Naspa plus Offenbach und am besten noch Taunus heute noch stolz und frei? Es bleibt Spekulation.

Stattdessen passierte ausgerechnet den privaten Sparkassen das, wovor Wächter einst die Schwestern warnte: "Die Verschmelzung von Landesbank und Sparkassen [...] wird die Dezentralität der Sparkassen untergraben. Kommunale Sparkassen verlieren ihre lokale Identität und unterscheiden sich nicht mehr von anderen Regionalbanken".

Doch liegt nicht genau in einer solchen Entwicklung die vermutliche und wahrscheinliche Zukunft der Sparkassen-Finanzgruppe - als verbundene, vielleicht nicht mehr bis in jedes Dorf dezentral organisierte Regionalbanken (ob mit oder ohne Landesbank), allerdings mit eben jenem Lokalkolorit behaftet, der den Unterschied im Retail- wie Mittelstandsgeschäft auszumachen vermag? Aktuelle Entwicklungen mögen die Tendenz zu größeren Einheiten unterstreichen: Nach der DSGV-Erhebung "Rentabilitätsprognose 2007" wird das operative Ergebnis der öffentlich-rechtlichen Institute in diesem Jahr nach mehreren stabilen Jahrgängen erstmals wieder unter die 10-Milliarden-Euro-Grenze fallen. Das

Verhältnis von Aufwendungen zu Erträgen soll sich nach den vorsichtigen, weil vorläufigen Schätzungen statt den erwarteten rund 63 Prozent demzufolge auf über 65 Prozent verschlechtern. Das Problem ist längst erkannt. Der ausgesprochen aggressive Konditionen-Wettbewerb und die flache Zinsstrukturkurve lassen die Margen zusammenfallen. Den DSGV-Hochrechnungen nach ist der Zinsüberschuss 2006 um 800 Millionen Euro auf 22,2 Milliarden Euro gesunken und soll im laufenden Jahr weiter auf 21,6 Milliarden Euro zurückgehen. Der Provisionsüberschuss soll dagegen lediglich um 600 Millionen Euro auf 6,2 Milliarden Euro zunehmen und kommt als Kompensation noch nicht in Frage.

Allein es fehlt an Möglichkeiten zum Gegensteuern. Weder der nun laut DSGV-Papier zu erwartende Jobabbau im S-Lager noch der vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) wieder mal vorgeschlagene Rückzug des Staates aus dem Bankgeschäft durch die Möglichkeit der Umwandlung von Sparkassen in Stiftungen werden ausreichen. Positiv erwähnt soll aber sein, dass das DIW nicht etwa den öffentlichen-rechtlichen Sektor für die Probleme der deutschen Kreditwirtschaft verantwortlich macht. Im Gegenteil, in der Untersuchung heißt es, über längere Zeitreihen hinweg hätten sich Sparkassen wie Genossenschaftsbanken als renditestarke Institute erwiesen, im Gegensatz zu privaten Banken und Landesbanken.

Das Thema Stiftungen als Modell für Deutschland ist dabei keineswegs neu. Mit Blick auf das europäische Ausland zeigt sich, dass die private Rechtsform für Sparkassen grundsätzlich darstellbar ist. Der Großteil der Institute in den übrigen Ländern ist nicht öffentlich-rechtlich aufgestellt und gerade Österreich wird den Deutschen immer wieder als Vorbild vorgehalten. In der Tat ist die Umwandlung der ehemaligen Vereinssparkassen in Stiftungen ein gutes, weil oft erfolgreiches Beispiel. Und der Stiftungsgedanke kommt den

Gründungszielen der Sparkassen nahe und steht den Grundsätzen der Eigentümerlosigkeit und Gemeinwohlorientierung keinesfalls im Weg. Wie erfolgreich diese Sparkassen-Stiftungen aus dem Ausland sein können, haben auch die Deutschen schon schmerzvoll erfahren dürfen. Der HVB-Käufer Unicredit ist ein solches ehemals kommunales Stiftungskonglomerat. Ganz übermütig war es also offensichtlich nicht, als Klaus Wächter damals sagte: "Wir Sparkassen kaufen die Deutsche Bank."

Neun Jahre später ist freilich klar: Die Geschichte ist anders verlaufen. Die Zukunft privatwirtschaftlicher Sparkassen in Deutschland ist keineswegs sicher, geschweige denn aufblühend. Hätte sich der Verband der Freien nicht schon sehr früh erfolgreich werbend über die Grenzen in das benachbarte europäische Ausland begeben, es würde ihn heute wohl kaum noch geben. Neben den sieben ordentlichen Mitgliedern zählen zum Stamm des Verbandes eine öffentlichrechtliche Sparkasse (mit privater Vergangenheit) und mittlerweile 36 ausländische Institute. Von den ehemals so starken heimischen Instituten ist lediglich die Haspa übrig geblieben, die angesichts ihrer dominierenden Stellung in der Metropolregion Hamburg und des umsichtigen Geschäftsumgangs wohl aber auch in jeder anderen Rechtsform erfolgreich sein würde. Als Vorreiter für die private S-Idee taugen die Hamburger auch nicht mehr, zu sehr sind sie mit eigenen Aufgaben wie der norddeutschen Retail-Holding beschäftigt. Die übrigen Institute sind schlicht und einfach zu klein, um bundesweit Gehör zu finden.

Daran allein liegt es aber freilich nicht, dass die Freien Sparkassen in der öffentlichen Wahrnehmung abfallen. Es fehlt auch an gewichtigen Stimmen. Noch ist keiner in Sicht, der ähnlich gut und anspruchsvoll und einflussreich die Sache der Freien zu seiner macht wie Karl-Joachim Dreyer, der an diesem 2. Februar in den Ruhestand verabschiedet wird - oder wie einst Klaus Wächter.P.O.

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