Aufsätze

Vorreiterrolle bei der Stärkung der betrieblichen Altersversorgung

Baden-Württemberg hat seine ökonomische Spitzenstellung zu wesentlichen Teilen dem Mittelstand zu verdanken. Über 99 Prozent der baden-württembergischen Unternehmen zählen zum Mittelstand. Neun von zehn mittelständischen Firmen sind Familienunternehmen. Kleine und mittlere Unternehmen stellen rund zwei Drittel der Arbeitsplätze und bilden vier von fünf Lehrlingen aus. Der Mittelstand ist damit das Rückgrat der Wirtschaft, die stabile Säule für den Arbeitsmarkt und darüber hinaus der Garant des Wohlstandes für Millionen Arbeitnehmer und ihre Familien.

Schutz vor Altersarmut - eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Die Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe mit dem Ziel, die Bürgerinnen und Bürger vor Altersarmut zu schützen und dadurch zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes beizutragen.

Die Gesellschaft befindet sich in einem demografischen Umbruch: Der Anteil älterer Menschen und das Durchschnittsalter der Bevölkerung insgesamt nehmen zu. Gleichzeitig wird aufgrund der niedrigen Geburtenrate die Zahl der Menschen schon mittelfristig deutlich zurückgehen. Auch wenn diese Entwicklung Baden-Württemberg nur verzögert und abgeschwächt trifft, hat der demografische Wandel auch dort Auswirkungen auf alle Bereiche des Zusammenlebens und stellt eine große Herausforderung für die Politik dar. Eine gute Politik muss den unterschiedlichen Bedürfnissen und Wünschen der Menschen und speziell der Älteren gerecht werden. Hier kommt es sowohl auf die Verantwortung des Einzelnen an, wie auch auf eine fördernde und unterstützende Umgebung. Senioren sollen möglichst lange ein eigenverantwortliches Leben führen können. Hierzu tragen im besonderen Maß verlässliche Rahmenbedingungen bei der Altersversorgung bei.

Die gesetzliche Rente allein wird den Wohlstand im Alter auf längere Sicht nicht mehr sichern können. Deshalb müssen den Menschen Alternativen aufgezeigt werden. Die Landesregierung von Baden-Württemberg setzt sich dafür ein, dass die zweite und die dritte Säule der Altersversorgung, die betriebliche und private Vorsorge, gestärkt werden. Die Menschen müssen wissen, was sie neben einer berechenbaren gesetzlichen Rente benötigen, um ihren Lebensstandard im Alter sichern zu können. Es muss den Menschen klar gemacht werden, dass zur Stabilisierung und zur Sicherung eines angemessenen Lebensunterhalts im Alter künftig mehr Eigenverantwortung durch eine kapitalgedeckte Betriebs- oder Privatrente oder durch Bildung von Wohneigentum erforderlich wird.

Ein eigenes Konzept zur Förderung der Altersvorsorge

Bereits im Jahr 2005 wurde von der Landesregierung der Landesbeirat "Prosa - Pro Sicherheit im Alter" mit dem Ziel eingesetzt, ein baden-württembergisches Konzept zur Förderung der privaten sowie der betrieblichen Altersvorsorge zu erarbeiten.

In seinem Abschlussbericht hält der Landesbeirat die betriebliche Altersversorgung für die ausbaufähigste und -bedürftigste Säule. Gegenwärtig trägt sie lediglich fünf Prozent zum Ruhestandseinkommen der über 65-jährigen Personen bei und dies trotz der Tatsache, dass ihr mit den letzten Rentenreformen eine bedeutende Funktion bei der ergänzenden kapitalgedeckten Altersvorsorge zugewiesen wurde.

In westdeutschen Unternehmen mit mehr als 200 Beschäftigten, so eine Untersuchung von Infratest aus dem Jahr 2005, können fast alle der versicherungspflichtigen Mitarbeiter mit einer Betriebsrente rechnen, in ostdeutschen Unternehmen sind es zwischen 87 und 95 Prozent. Mit sinkender Mitarbeiterzahl nimmt die Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung ab. Bei Kleinstbetrieben mit bis zu vier Mitarbeitern erwirbt nur jeder vierte westdeutsche und lediglich jeder fünfte ostdeutsche Arbeitnehmer einen Anspruch auf eine betriebliche Zusatzversorgung. Außerdem hängt die Verbreitung der Betriebsrentenansprüche von der Branche ab, vom Tarifvertrag und davon, ob der Arbeitgeber Zuschüsse leistet.

Kosten- und Effizienzvorteile

Nach einer aktuellen Studie des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales stieg bis Ende des Jahres 2006 der Verbreitungsgrad dabei stetig an: 2002 waren nur 38 Prozent der Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft in einem System betrieblicher Altersversorgung, 2004 waren es bereits 46 Prozent und Ende des Jahres 2006 verfügten rund 65 Prozent der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten über eine Betriebsrentenanwartschaft.

Aufgrund der Tatsache, dass sich bei der betrieblichen Altersvorsorge nicht der Einzelne in einem individualisierten Markt bewegen muss, sondern Unternehmen sich in kollektiven Versorgungsstrukturen für ihre Mitarbeiter engagieren und auch die Betriebsräte ihren wichtigen Beitrag hierzu leisten, bietet sie beim Aufbau einer kapitalgestützten Altersversorgung Kosten- und Effizienzvorteile. Dies gelingt dadurch, dass die Unternehmen ohne Gewinnerzielungsabsicht ihr Wissen in Einkauf, Aufbau und Controlling von Versorgungsstrukturen einbringen und so ihren Mitarbeitern kostengünstige Altersicherungsprodukte zur Verfügung stellen, die der Einzelne für sich am Markt nicht einkaufen kann.

Die Unternehmen haben das Interesse, die betriebliche Altersversorgung so wirkungsvoll und kostengünstig wie möglich zu organisieren. Deshalb verhandeln sie beziehungsweise kaufen sie die Leistungen, soweit sie sie nicht selbst erbringen, beispielsweise von Finanzdienstleistern so ein, wie sie auch bei anderen Zulieferern Rohstoffe oder Dienstleistungen einkaufen. Dies führt aufgrund der großen Zahl der nachgefragten Produkte zu Skaleneffekten und Synergien.

Speziell für kleine und mittelständische Unternehmen können Versorgungswerke der Tarifparteien und Verbände optimierte kollektive Konzepte bieten, die vielfach auch nicht tarifgebundenen Betrieben offen stehen. Die dadurch entstandene gebündelte Nachfragemacht sorgt für ein überlegenes Preis-Leistungs-Verhältnis für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und erreicht, dass die betriebliche Altersvorsorge in ihrer konsequenten kollektiven Strukturierung eine außerordentliche Leistungsfähigkeit entfaltet.

Neben ihrer Funktion als Zusatzsicherung hat die betriebliche Altersversorgung zusätzlich eine unternehmensstrategische Dimension. Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert gründeten verantwortungsbewusst handelnde Unternehmen, auch aus Baden-Württemberg, erste betriebliche Versorgungswerke, deren Ursprünge eher patriarchalischen oder karitativen Charakter hatten. Mit dem gesellschaftlichen Fortschritt wandelte sich die "Altersfürsorge" der damaligen Zeit zur "Altersversorgung" als Teil einer Gesamtvergütung.

Eine unternehmensstrategische Dimension

Damit entwickelte sich die betriebliche Altersversorgung zu einem Bestandteil der Arbeitgeberidentität und ist aus der Philosophie vieler Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Durch die Gewährung einer betrieblichen Altersversorgung bekennen sich die Unternehmen zu ihrer Mitverantwortung für die sozialen Belange ihrer Beschäftigten. Nicht zuletzt wird dadurch die Bindung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an das Unternehmen sowie dessen Attraktivität am Arbeitsmarkt erhöht.

Aus Sicht der baden-württembergischen Landesregierung spricht deshalb vieles dafür, dass die Unternehmen auch in der Zukunft mit sich weiter wandelnden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ihre Mitarbeiter in einem ihrer bedeutendsten persönlichen Risiken, der finanziellen Vorsorge für ein immer länger werdendes Leben, unterstützen werden.

Das Wachstum bei der betrieblichen Altersvorsorge in den Jahren 2002 bis 2006 kommt vor allem von der Entgeltumwandlung, mit der die Arbeitnehmer ihre betriebliche Altersversorgung selbst finanzieren. Dabei spielte das Altersvermögensgesetz, aufgrund dessen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegenüber ihrem Arbeitgeber einen Rechtsanspruch auf die Entgeltumwandlung haben, eine wichtige Rolle.

Aufbau einer Vertrauensbasis

Die aktuellen Entwicklungen in diesem Bereich zeigen, dass auch die Bundesregierung der kapitalgedeckten betrieblichen Altersvorsorge eine wichtige Rolle bei der Sicherung der Versorgung der Menschen im Alter beimisst. So hat sie im August dieses Jahres den Entwurf eines Gesetzes zur Förderung der betrieblichen Altersversorgung beschlossen, mit dem die Sozialversicherungsfreiheit der Entgeltumwandlung in derselben Form und Höhe wie bisher über 2008 hinaus unbefristet fortgesetzt werden soll. Außerdem wird das Lebensalter für die "Unverfallbarkeit" von arbeitgeberfinanzierten Betriebsrentenanwartschaften vom 30. auf das 25. Lebensjahr abgesenkt.

Ein wichtiges Handlungsfeld der Politik muss jedoch der Aufbau einer Vertrauensbasis der Bürgerinnen und Bürger sowie der Unternehmen zu den gesetzlichen Regelungen zur Förderung der zusätzlichen Altersvorsorge sein. Dies gilt in besonderem Maße für die betriebliche Altersversorgung. Auch hier gilt der Grundsatz, dass Alterssicherheit zwar einerseits Veränderung braucht, andererseits aber auch Kontinuität.

Es besteht die Gefahr, dass die ständige Diskussion um eine Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung durch immer neue gesetzgeberische Aktivitäten von der Notwendigkeit der Stabilität der rechtlichen Rahmenbedingungen ablenkt. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die betriebliche Altersversorgung aufgrund der bestehenden Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten bereits heute eine äußerst komplexe Materie ist. Hat sich ein Arbeitgeber in Abhängigkeit seiner Unternehmenssituation für einen bestimmten Durchführungsweg entschieden, wäre er gezwungen, sich bei substanziellen Änderungen der Gesetzeslage erneut intensiv mit diesem Thema zu beschäftigen.

Daher müssen aus Sicht der badenwürttembergischen Landesregierung auf politischer Seite die Stetigkeit der rechtlichen Rahmenbedingungen und der Vertrauensschutz oberste Priorität haben. Erforderlich ist also keine umfassende Gesetzesreform, erforderlich ist vielmehr, Vertrauen in die Beständigkeit der Rahmenbedingungen zu schaffen.

Dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung schafft eine solche dauerhafte Grundlage für die Förderung der betrieblichen Altersversorgung. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erhalten dadurch ebenso wie Arbeitgeber Planungssicherheit.

Ausweitung der Durchführungswege

Inwieweit die jetzt auf Bundesebene vorgesehenen Maßnahmen dazu beitragen können, die betriebliche Altersvorsorge auch in kleinen und mittelständischen Unternehmen dauerhaft und umfassend zu etablieren, bleibt jedoch abzuwarten. Aus diesem Grund beauftragte die Landesregierung die zuständigen Ressorts, die Umsetzung der im Bericht des Landesbeirats Prosa genannten Handlungsempfehlungen zu prüfen sowie Maßnahmen zu erarbeiten, wie Baden-Württemberg, im Rahmen seiner Mitbestimmungskompetenz auf Bundesebene, die betriebliche Altersvorsorgung weiterentwickeln kann.

Es ist vorgesehen, in diese Prüfung auch eine Ausweitung der derzeit möglichen Durchführungswege auf geeignete Formen der betrieblichen Altersversorgung auf der Basis von Investmentfonds (wie etwa Altersvorsorgesondervermögen) einzubeziehen, wenn diese die Qualitätskriterien der geförderten kapitalgedeckten Altersversorgung erfüllen.

In einem System der Altersvorsorge, das ergänzend zur ersten Säule, in der zweiten und dritten Säule auf die Selbstverantwortung der Menschen für ihre Altersversorgung setzt, ist die Vermittlung der Erkenntnis, dass eine Vorsorgenotwendigkeit besteht, von größter Bedeutung.

Zentrale Weichenstellungen in der frühen Lebensphase

Deshalb sollte eine Beschäftigung mit Themen wie Sparen und Altersvorsorge bereits in der Schulzeit beginnen, um das Entwicklungs- und Leistungspotenzial junger Menschen optimal zu nutzen. Schon in dieser Alters- und Lebensphase können zentrale Weichenstellungen dafür vorgenommen werden, dass sich junge Menschen im Erwachsenenalter intensiv mit derartigen Themen befassen.

Ziel der Politik ist es, dass Baden-Württemberg als leistungsfähiges und erfolgreiches Wirtschaftsland, in dem neben großen und international bekannten Unternehmen auch viele mittlere und kleinere Firmen einen starken Stand haben, zukünftig eine Vorreiterrolle bei der Stärkung der betrieblichen Altersversorgung einnimmt.

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