Aufsätze

Der Wille zur Stabilitätsgemeinschaft - die Bundesbank in der europäischen Währungsintegration

In den Jahren 1996/97, also kurz vor dem Start der Europäischen Währungsunion (EWU), prallten zwei unterschiedliche Integrationsüberzeugungen noch einmal öffentlich - aufeinander: Der Präsident der Deutschen Bundesbank, Hans Tietmeyer, hielt die Währungsunion nur für nachhaltig Erfolg versprechend und damit verantwortbar, wenn die strikte Einhaltung der Maastrichter Konvergenzkriterien und darüber hinausgehende Vergemeinschaftungen wichtiger Politikfelder nachhaltig Preisstabilität versprächen; das "solide Fahren" des Unionzuges sei wichtiger als ein bestimmter, früherer Abfahrtstag.

Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt deutete diese Überlegungen als Verhinderungsstrategie und nannte Tietmeyer "den wichtigsten Gegner der Währungsunion". "Der Euro", so Schmidt, "ist doch primär keine ökonomische Veranstaltung. Das glauben nur die Waigels, Tietmeyers und andere Geldpolitiker ... Der Euro ist eine strategische Veranstaltung. Er ist Teil des Aufbaus Europas. Und deshalb müsste die Debatte auch von Außenministern geführt werden".

Stabilitätsentwürfe für EWS und EWU

Schmidts Vorwurf, Tietmeyer sei ein Euro-Gegner, ging in die Irre. Aber der Schlagabtausch spiegelte die beständige und für den deutschen Weg zum Euro bedeutsame Rollenverteilung wider: Die Außenpolitik stieß, jeweils aus übergeordneten politischen Gründen, die verschiedenen Schritte der Währungsintegration an; sie drängte zur Eile. Die Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik reagierte auf diese Initiativen, indem sie sie mit möglichst weitgehenden Vorkehrungen zur Sicherung der Preisstabilität anzureichern versuchte. Die Bundesbank beeinflusste die Entstehung der Europäischen Währungsunion aber auch jenseits ihrer währungsdiplomatischen Aktivitäten erheblich: Ihr Stabilitätserfolg gab der Währungsunionsidee Schubkraft und machte sie dann zum Vorbild für die Unionsverfassung.

Ohne das Vorwärtsdrängen der Außenpolitik wäre die Europäische Währungsunion, wie sie zum 1. Januar 1999 errichtet wurde, nicht entstanden - aber ohne die heute 50 Jahre alte Deutsche Bundesbank eben auch nicht.

Die Initiativen der letzten 40 Jahre zur europäischen Währungsintegration gingen auf französischer Seite von den Staatspräsidenten Pompidou, Giscard d'Estaing und Mitterrand, auf deutscher Seite von den Bundeskanzlern Brandt, Schmidt und Kohl (sowie Außenminister Genscher) aus. Frankreich litt bis Ende der 1980er Jahre unter einer im Vergleich zu Deutschland schwachen Währung. Es strebte im Grunde lediglich einen Europäischen Reservefonds an, mit dessen Hilfe die Wechselkurse zwischen den europäischen Währungen auf einem Durchschnittswert stabilisiert und die Kursschwankungen zum Dollar minimiert werden sollten.

Preisstabilität als Ziel war lange Zeit von nachrangiger Bedeutung, die Übertragung geldpolitischer Kompetenzen auf eine gemeinsame europäische Institution akzeptierte man - notgedrungen - erst in der dritten, der letzten Integrationsphase. Die deutsche Außenpolitik war bemüht, Frankreich vergleichsweise weit entgegenzukommen; sie leitete der Wunsch, Deutschlands Einbindung in Europa zu demonstrieren und die Akzeptanz ihrer Ost-(und schließlich der Wiedervereinigungs-)politik zu fördern.

Stärkste Währung als Bezugspunkt für Interventionen

Die Grundposition der deutschen Wirt-schafts-, Finanz- und Geldpolitik war hingegen: Währungsunion ja, aber nicht ohne entsprechende institutionelle Ausgestaltung und nicht ohne vorherige Stabilitätsorientierung der nationalen Wirtschaftspolitiken und politische Union. Diese Position beeinflusste - in der ersten Integrationsphase - den Bericht zur Errichtung einer europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, der 1970 unter Leitung des luxemburgischen Ministerpräsidenten Werner erstellt wurde. Bundeskanzler Brandt war über die nachgeordnete Rolle, die der Reservefonds im Werner-Bericht spielte, enttäuscht; er sah seine Integrationspläne durch die Geldpolitik behindert.

Der Werner-Plan scheiterte vor allem daran, dass Frankreich keine geld- und wirtschaftspolitischen Kompetenzen an neue Gemeinschaftsorgane abgeben wollte. Und der 1971 errichtete Europäische Wechselkursverbund, die konkrete Integrationsveranstaltung der 1970er Jahre, brach bald auseinander; bei den großen Inflationsdifferenzen, zum Beispiel zwischen dem französischen Franc und der stärkeren D-Mark, ließen sich feste Wechselkurse nicht halten.

Um den schwächeren Währungen, also auch dem Franc, feste Wechselkurse auch ohne die Preisdisziplin der währungsstärkeren Länder zu ermöglichen, verabredeten Giscard d'Estaing und Helmut Schmidt im Frühjahr 1978 ein neues "Europäisches Währungssystem" (EWS): Die Währungsreserven sollten umgehend vergemeinschaftet werden. Die Wechselkurse sollten stabilisiert werden, indem diejenige Währung intervenierte, die sich über die zugelassene Bandbreite hinaus vom Durchschnitt der Marktbewertungen aller Teilnehmerwährungen (der "Korbwährung" ECU) entfernte.

Einschneidende Änderungen im Vertragswerk erreicht

In einem inflationierenden Umfeld wäre eine stabilitätsbedachtere Bundesbank verpflichtet gewesen, unbegrenzt die anderen Teilnehmerwährungen zu kaufen; mit der Geldmenge wäre das Inflationspotenzial in Deutschland gestiegen. Die Bundesbank, die zu dem Plan im Vorhinein mit Bedacht nicht konsultiert worden war, protestierte und erreichte einschneidende Änderungen im EWS-Vertragswerk: Die zulässigen Bandbreiten wurden nicht im Verhältnis zur Korbwährung ECU, sondern zwischen den einzelnen Mitgliedswährungen festgelegt.

Erreichte eine Währung gegenüber einer anderen die Bandbreitengrenze, hatten beide Seiten, die Stark- und die Schwachwährungszentralbank, zu intervenieren. Wie schon im Europäischen Wechselkursverbund blieb die stärkste Währung, nicht eine Durchschnittswährung, der Bezugspunkt für Interventionen. Ein gemeinsamer Europäischer Reservefonds wurde zurückgestellt, die Verpflichtung zu Währungsbestandskrediten blieb begrenzt. Und die Bundesbank erhielt die mündliche Zusage des Bundeskanzlers, bei Gefährdung der Geldwertstabilität die Ankäufe anderer Währungen aussetzen zu können.

Das weitgehend im Sinne der Bundesbank konstruierte EWS hat im Zusammenspiel mit der fortgesetzten Stabilitätspolitik der Bundesbank die Entstehung der Europäischen Währungsunion in doppelter Weise befördert: Es hat einerseits in Europa eine allgemeine Stabilitätsorientierung der Wirtschafts- und Währungspolitik angestoßen. Und es hat andererseits den Wunsch der Schwachwährungsländer beflügelt, durch Errichtung eines Gemeinschaftsorgans dem Diktat der Geldpolitik der Bundesbank zu entkommen. Wie das?

Ankerrolle der D-Mark

Die Verbraucherpreise stiegen im Durchschnitt der Jahre 1978 bis 1982 in Deutschland um 4,75 Prozent, in Frankreich zum Beispiel dagegen um 11,71 Prozent. Die Inflationsunterschiede schlugen sich in mehrfachen - vertraglich vorgesehenen - Neufestsetzungen der Wechselkurse nieder. Der französische Franc verlor 1979 bis 1983 gegenüber der D-Mark knapp 28 Prozent seines Wertes.

Wenn Frankreich prestigemindernde Abwertungen beziehungsweise den Verlust seiner Währungsreserven vermeiden wollte, musste es seine Inflationsraten auf das deutsche Niveau hinunterbringen. Den dazu notwendigen radikalen Wechsel von einer expansiven zu einer restriktiven Wirtschafts- und Geldpolitik schlug Frankreich ab 1982/83 ein. Frankreich, so Staatspräsident Mitterrand, müsse sich, um seinen politischen "Rang" zu wahren, dem internationalen Wettbewerb stellen.

Andere Länder folgten Frankreich. Tatsächlich gingen die Inflationsunterschiede zurück, die zwischen Deutschland und Frankreich zum Beispiel 1983 bis 1989 von 6,3 Prozent auf 1,4 Prozent. Die Neufestsetzungen der Wechselkurse innerhalb des EWS wurden dementsprechend seltener. Die D-Mark hatte im EWS - unbeabsichtigt - eine Ankerrolle übernommen und trug damit wesentlich zu den niedrigen Inflationsraten in Europa bei, eine Voraussetzung für die schließliche Errichtung der Währungsunion.

Überraschender Vorschlag einer gemeinsamen Währungsunion

Die Disinflation hatte allerdings ihren Preis. Frankreich zum Beispiel bezahlte sie mit Zinssätzen, die deutlich über den deutschen lagen. Nur so war der Wechselkurs zur D-Mark zu halten. Politikwechsel, wie der 1982/83 vollzogene, benötigen offenbar lange Zeit, bis sie die Finanzmärkte von ihrer Nachhaltigkeit überzeugen. Die hohen Zinsen belasteten aber Wachstum, Konjunktur und Beschäftigung. In dieser Situation drängte Frankreich - im Januar 1988 - energisch darauf, die Zielbestimmung der Wirtschafts- und Geldpolitik in Europa nicht länger einem Land - Deutschland - zu überlassen, sondern in die Hände aller Länder zu legen; sein Vorschlag konzentrierte sich aber erneut vor allem auf die Interventionsverpflichtung für diejenigen Währungen, die anormal vom Durchschnittswert der Währungen abwichen.

Der deutsche Außenminister Genscher reagierte, ohne Abstimmung mit der Leitung der Bundesbank, aber unter Hinweisen aus der Bundesbank auf zentrale institutionelle Voraussetzungen, im Februar 1988 mit dem Vorschlag einer gemeinsamen Währung und Zentralbank. Finanzminister Stoltenberg, nun in Abstimmung mit der Leitung der Bundesbank, benannte im März 1988 zusätzliche Voraussetzungen für eine Währungsunion: weitere Konvergenzfortschritte bei der Reduzierung der Inflationsraten und Budgetdefizite, und zwar unter den Bedingungen eines liberalisierten Kapitalverkehrs, sowie Fortschritte in Richtung auf eine politische Union. Mit diesen französischen und deutschen Vorstößen, deren Anlass also ebenfalls in der Stabilitätspolitik der Bundesbank zu suchen ist, wurde die letzte Phase der Errichtung der EWU eingeleitet.

Eine Vereinbarung zwischen Regierungen

Die EWU wurde 1992 in Maastricht zwischen den Regierungen, nicht den Zentralbanken vereinbart. Aber die Bundesbank war an den vorbereitenden Beratungen 1988 bis 1991 maßgeblich beteiligt. Ihr Präsident Karl Otto Pöhl war Mitglied des Delors-Ausschusses, der 1988/89 das Grundkonzept formulierte, und leitete den Ausschuss der Zentralbankgouverneure der EWG, der das Statut der Europäischen Zentralbank (EZB) entwarf. Direktoriumsmitglied Hans Tietmeyer war Mitglied des Währungsausschusses der EWG, der unter anderem die Eintrittskriterien in die EWU entwarf, und beriet die Regierungskonferenz, die den Maastricht-Vertrag vorbereitete. Und Helmut Schlesinger, ab August 1991 Präsident der Bundesbank, hatte zum Beispiel wesentlichen Anteil an der Regelung der Wechselkurskompetenzen in der EWU.

Alles in allem wurde die Position, welche die Bundesbank im Einklang mit dem Bundesfinanzministerium vertrat, überwiegend, wenn auch nicht vollständig in den Verhandlungen durchgesetzt - und dies vor allem gegen die ursprünglichen französischen Pläne.

Es wurden eine gemeinsame Währung und ein dezentral strukturiertes, von politischen Weisungen unabhängiges Zentralbanksystem beschlossen, vorrangiges Ziel sollte die Sicherung der Preisstabilität sein. Die EZB erhielt auch die Entscheidungskompetenz zwar nicht für das Wechselkursregime, aber doch für die Deviseninterventionen. Die "allgemeinen Orientierungen" des Ministerrates zur Wechselkurspolitik durften die Sicherung der Preisstabilität nicht beeinträchtigen.

Umstrittener Starttermin für die EWU

Das Modell Bundesbank stand Pate - und dies im Übrigen auch noch bei der späteren Entwicklung der geldpolitischen Strategie und des Instrumentariums der EZB. Die Eintrittskriterien (niedrige Inflationsraten, Zinssätze, Wechselkursschwankungen, Schuldenstände und Haushaltsdefizite) wurden, auch dies eine Anregung der Bundesbank, quantitativ und damit operationalisierbar definiert. Und in der Übergangsphase bis zum Start der EWU, solange es die gemeinsame unabhängige Zentralbank noch nicht gab, sollten die geldpolitischen Kompetenzen vollständig in der Hand der nationalen Zentralbanken verbleiben.

Nicht einverstanden war die Bundesbank mit der Schnelligkeit, mit der die EWU verwirklicht werden sollte - mit der Festlegung der Regierungskonferenz schon auf Ende 1990 und schließlich mit der Fixierung eines unabänderlichen Starttermins der Union auf den 1. Januar 1999. Aber diese Beschleunigung war wohl letztlich der Preis für die Zustimmung Frankreichs zur deutschen Wiedervereinigung. Die Bundesbank hätte es vorgezogen, die Entscheidung über einen Starttermin erst bei hinreichender Konvergenz der beteiligten Volkswirtschaften zu treffen.

Der unzureichenden Erfüllung der Eintrittskriterien, besonders der Schuldenstands- und Defizitkriterien, galt auch ihre zentrale Sorge im weiteren Verlauf der 1990er Jahre. Als sie dann in ihrer wichtigen abschließenden Begutachtung im März 1998 den Eintritt aller elf Staaten, wenn auch im Falle Italiens und Belgiens nur beim Eingehen zusätzlicher substanzieller Verpflichtungen, als stabilitätspolitisch vertretbar bezeichnete, sprang sie über ihren Schatten.

Desgleichen setzte sich die große Politik über den Wunsch der Bundesbank hinweg, die Währungsunion durch eine politische Union zu ergänzen. Die politische Union scheiterte an Unklarheiten über ihre Inhalte, aber auch am traditionellen Widerstand Frankreichs, politische Befugnisse auf neue Gemeinschaftsorgane zu übertragen.

Die Bundesbank führte ihre Kampagne für eine politische Union nicht mehr weiter, nachdem der 1997 verabschiedete Stabilitäts- und Wachstumspakt, nach dem bei Überschreitung eines jährlichen Haushaltsdefizits um mehr als drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ein Strafverfahren gegen das betreffende Land eingeleitet werden kann, in einem wichtigen Bereich für einen gewissen Einsatz gesorgt hatte. Aber es blieb zum Beispiel die Frage offen, wie im Falle von Wachstums- und Beschäftigungseinbrüchen die einzelnen Volkswirtschaften auf eine Wirtschafts- und Sozialpolitik verpflichtet werden sollen, welche die Wettbewerbsfähigkeit fördert und die die EZB nicht einem politischen Druck aussetzt, welche die Preisstabilität gefährdet.

Die Bundesbankverfassung ein deutscher Sonderweg?

Für Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl war es ein "kleines Wunder", dass die europäischen Partnerländer, deren Zentralbanken ja politisch abhängig waren, das Bundesbankmodell für die EZB akzeptierten. Dieses "Wunder" beruhte zum guten Teil darauf, dass Deutschland ohne die Übertragung des Bundesbankmodells nicht für eine Währungsunion zu haben gewesen wäre. Und eine Vergemeinschaftung des geldpolitischen Entscheidungsprozesses wollte man unbedingt. Denn Frankreich, so Mitterrand im Januar 1991, werde auf die Europa-Bank mehr Einfluss haben, als jetzt auf die D-Mark.

Aber das Bundesbankmodell besaß auch eine - wenn auch zum Teil widerwillig akzeptierte - Überzeugungskraft. Die D-Mark war eine der stabilsten Währungen der Welt. Daran hatte die politisch unabhängige deutsche Zentralbank maßgeblichen Anteil; sie konnte bei Gefährdung der Preisstabilität auf kurzfristige Konjunktur- und Beschäftigungsstabilisierung deutlich weniger Rücksicht nehmen als abhängige Zentralbanken.

Erhaltung des Stabilitätsbewusstseins als Zukunftsaufgabe

Das Bundesbankmodell hat sich auch in der EWU bisher bewährt. Aber wird es auch einen dauerhaften Platz in der europäischen Zentralbankverfassung haben oder fußt es auf einen speziellen deutschen Stabilitätsbewusstsein? Einige Langzeitbeobachtungen sprechen gegen einen festgelegten deutschen Sonderweg: Die Weisungsunabhängigkeit von politischen Stellen zum Beispiel, neben dem Preisstabilitätsziel das Kernelement des Bundesbankmodells, fand 1922 auf britischen Druck Eingang in die deutsche Zentralbankverfassung, ist also keine deutsche Erfindung. Für die Zeit vor der großen Inflation nach dem Ersten Weltkrieg gibt es keine Anhaltspunkte für ein hervorstechendes deutsches Stabilitätsbewusstsein. Und möglicherweise haben die zweistelligen Inflationsraten der 1970er und 1980er Jahre in Frankreich und anderen Ländern ein ähnliches Inflationstrauma erzeugt wie die beiden großen Nachkriegsinflationen in Deutschland.

Allerdings bedarf die Entwicklung und Erhaltung eines tragfähigen Stabilitätsbewusstseins auch der nachhaltigen Aufklärung der Öffentlichkeit über die realwirtschaftlichen Wirkungen und über die Voraussetzungen der Preisstabilität. Diese Aufklärung ist beziehungsweise bleibt eine elementare Zukunftsaufgabe auch in der Europäischen Währungsunion.

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