Aufsätze

Karl Otto Pöhl: ein angesehener Bundesbankpräsident

Pöhl hat in den Jahren 1977 bis 1991, als Vizepräsident und Präsident der Deutschen Bundesbank, das Ansehen dieses Instituts im Inland und im Ausland gestärkt. Die Bundesbank wurde in dieser Zeit im Inland als Fels in der Brandung und von den europäischen Zentralbanken als primus inter pares angesehen. Erreicht hat er das, indem er das Wichtigste im monetären Bereich, nämlich Vertrauen, erwarb und stark auf die Bundesbank fokussierte. Ihm gelang das, weil er einen klaren Blick für das notwendige Vorgehen hatte, um die Stabilität der D-Mark nach innen und außen zu sichern. Dabei war er immer bereit, die Argumente Anderer zu hören und zu diskutieren. Durch dieses Vorgehen erlangte er bei inländischen Banken und ausländischen Partnern Verständnis für die Maßnahmen, die die Bundesbank treffen musste und die manchmal auch diese Banken und Partner belasteten.

Suche nach dem "optimalen Kompromiss"

Die Geld- und Kreditpolitik bewegt sich nur selten in einem Umfeld, in dem man sagen kann, Preisstabilität ist gefährdet oder sie ist nicht gefährdet. In der Wirklichkeit wirken vielfältige Kräfte auf die Wirtschaft ein: Güterangebot und -nachfrage, die Lohnabschlüsse der Sozialpartner, die Lage am Arbeitsmarkt, Einfuhr und Ausfuhr, die Wechselkurse, politische Ereignisse und vieles andere mehr. Schon der Gesetzgeber hat bei der Begründung zum Bundesbankgesetz darauf hingewiesen, dass neben dem wichtigsten monetären Ziel, der Preisstabilität auch andere Ziele, wie zum Beispiel Vollbeschäftigung, zu beachten sind. Er meinte, "ist also jedes dieser verschiedenen Ziele wichtig, so wird es manchmal nötig sein, unter Würdigung aller Umstände den für das "Gesamtinteresse" oder das "Wohl des Landes" optimalen Kompromiss zu finden." (Deutscher Bundestag, 2. Wahlperiode, 1953, Drucksache 2 781, Seite 23). Vor dieser Notwendigkeit stand die Bundesbank und damit auch Pöhl immer wieder.

In solchen Situationen durfte man kein Dogmatiker sein. Pöhl war es ganz und gar nicht. Er war Pragmatiker. Im Jahre 1981 stiegen in Deutschland die Verbraucherpreise um sechs Prozent. In derselben Zeit erhöhte sich die Arbeitslosenquote auf fünf Prozent. Die Leistungsbilanz wies ein Defizit auf und die D-Mark wertete gegenüber dem US-Dollar ab. Die Bundesbank musste feststellen, dass die USA und andere wichtige Industrieländer deutlich höhere Geldmarktzinsen aufwiesen. Die Bundesbank hatte bereits den Diskontsatz auf 7,5 Prozent und den Lombardsatz auf neun Prozent erhöht, Sätze die geeignet waren, die Preissteigerungsrate zurückzuführen. Die pragmatische Lösung bestand darin, den Lombardkredit auszusetzen und nur noch von Fall zu Fall Sonderlombardkredit zu zwölf Prozent zu gewähren. Dadurch wurden die Zinsdifferenzen zu anderen Industrieländern weitgehend abgebaut. Die Abwertung der D-Mark wurde gebremst. Da der Diskontsatz unverändert blieb, änderten sich auch die meist an den Diskontsatz gebundenen Kreditzinsen nicht. Die Wirtschaft, insbesondere Klein- und Mittelbetriebe, wurde von diesen Operationen also nicht zusätzlich belastet.

Pöhl begründete die Maßnahme damit, "dass es für ein Land mit einem Leistungsbilanzdefizit schwierig sei, eine Politik niedriger Zinsen zu verfolgen; eine Fortsetzung der DM-Abwertung nütze zwar den Exporteuren, gefährde jedoch die Geldwertstabilität, weil über den Wechselkurs Inflation importiert werde." (Archiv der Gegenwart AdG Band 1981, Seite 24 288). Sobald sich ein Zinssenkungsspielraum bot, weil sich die Leistungsbilanz besserte, die Wechselkurse erhöhten und andere Industrieländer ihre Zinsen senkten, verringerte die Bundesbank den Zinssatz für Sonderlombard. Im Mai 1982 wurde er abgeschafft. Von da ab wurde wieder normaler Lombardkredit gewährt. Die Rate für Verbraucherpreise ging zurück.

Schnelle unabhängige Reaktion

Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, dass eine Zentralbank unabhängig von Regierungsentscheidungen handeln kann. Bei den schnellen Bewegungen auf den monetären Märkten muss eine Zentralbank in der Lage sein, ebenso schnell mit Zinsen und Liquidität zu reagieren. Aber es kam und kommt immer wieder vor, dass Regierungen versuchen, durch Kritik die Zentralbank unter Druck zu setzen. So geschah es auch im Oktober 1982. Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte auf einem Gewerkschaftstag der IG Bau, Steine, Erden gesagt: "Es wird Zeit, dass der Zentralbankrat erkennt, dass seine rigide Geldpolitik ganz wesentlich zur Verschärfung der Arbeitslosigkeit in Deutschland beiträgt". Diesen Vorwurf ließ Pöhl nicht auf der Bundesbank sitzen. Er bezeichnete ihn als "unberechtigt, zumal die Bundesbank ihrem gesetzlichen Auftrag, die Währung stabil zu halten, erfolgreich nachgekommen sei. Mit einer anderen Politik wären die ausgeglichene Leistungsbilanz, eine Inflationsrate unter fünf Prozent und Lohnabschlüsse bei vier Prozent nicht zu erreichen gewesen." (AdG, Band 1982, Seite 26 069).

Immer wieder stören Wechselkursschwankungen die wirtschaftliche Entwicklung. Das war auch im September 1984 der Fall. Eine starke Aufwertung des US-Dollar und damit eine Abwertung der D-Mark brachten Unruhe in die Märkte. Es bestand die Sorge, dass die Aufwertung des US-Dollar die amerikanische Wettbewerbsfähigkeit untergräbt und die Abwertung der D-Mark die Preisstabilität gefährdet. Dann wird schnell eine Änderung der Geldpolitik gefordert. Pöhl hat rasch klargemacht: "Wir machen keine wechselkursorientierte Politik" (AdG, Band 1984, Seite 28 077). Wenn, wie in diesem Fall, die Märkte aus den Fugen geraten, dann sind Interventionen am Devisenmarkt angesagt. Die Bundesbank hat auch in dieser Situation interveniert. Aus den Fugen geraten heißt, die Spanne zwischen Geld- und Briefkursen wird immer größer. Die Devisenmärkte drohten funktionsunfähig zu werden. Ziel solcher Interventionen am Devisenmarkt ist es, die Funktionsfähigkeit wieder herzustellen.

Die klare Haltung von Pöhl in dieser Frage dürfte die Amerikaner veranlasst haben, seinem Kurs zu folgen. Diese Haltung Pöhls in der Wechselkursfrage hat sich nie geändert. Als im Dezember 1987 die wichtigsten Zentralbanken gemeinsam zugunsten des US-Dollar intervenierten, machte er klar: "Der deutsche Beitrag zur Stabilisierung der Wechselkurse finde dort seine Grenze, wo die Erfüllung des gesetzlichen Auftrags der Bundesbank, die Preisstabilität zu sichern, gefährdet würde." (AdG, Band 1987, Seite 31 753).

Aktiencrash 1987

Ein ähnliches Problem wie bei den Wechselkursen ergab sich bei Aktienkursen. Im Oktober 1987 kam es zu einem beachtlichen Kurssturz an der Wall Street, der sich auf andere Aktienmärkte weltweit übertrug. Die USA waren der Auffassung, die Zentralbanken müssten darauf mit expansiven Eingriffen reagieren. In Deutschland aber stieg die Gefahr für die Preisstabilität. Die Bundesbank erhöhte daher schrittweise ihren Zuteilungssatz im Offenmarktgeschäft von 3,60 Prozent auf 3,85 Prozent. Das führte zu einer harschen Kritik des US-Finanzministers Baker: "Wenn die Deutschen meinen, sie müssten ihre Zinsen erhöhen, anstatt sie stabil zu halten oder zu lockern, was wir selbstverständlich möchten, dann ist es wichtig, dass wir uns hinsetzen und die Konsequenzen eines solchen Schrittes untersuchen." (AdG, Band 1987, Seite 31 549). Sicher ist es dem Geschick Pöhls zuzuschreiben, dass in einem anschließenden Gespräch zwischen Bundesfinanzminister Stoltenberg, US-Finanzminister Baker und Pöhl in Frankfurt die Differenzen ausgeräumt werden konnten.

Pöhl war integriert in die Vorbereitungen zweier Währungsunionen: der deutschdeutschen Währungsunion vom 1. Juli 1991 und der Europäischen Währungsunion vom 1. Januar 1999. In der Diskussion über diese Projekte standen sich zwei Gruppen gegenüber, die "Ökonomen" und die "Politiker". Die "Ökonomen" wollten bei der deutsch-deutschen Währungsunion, dass die Volkswirtschaften der Bundesrepublik und DDR erst einmal wirtschaftlich zusammenwachsen sollten, ehe die gemeinsame Währung eingeführt wird. Sie plädierten für eine Stufenlösung. Die "Politiker" waren der Meinung, man müsse sich ergebende Gelegenheiten für einen monetären Zusammenschluss nutzen, gleichgültig welche Diskrepanzen zwischen den Wirtschaftsräumen noch bestehen.

Deutsch-deutsche Währungsunion

Bei der Europäischen Währungsunion waren die "Ökonomen" der Auffassung, es müsse erst die politische Einigung Europas vollzogen werden, ehe man an die wirtschaftliche und damit monetäre Einigung denkt. Auch hier wurde eine Stufenlösung erwogen. Die "Politiker" wollten darauf nicht warten. Pöhl gehörte zu den "Ökonomen". Allerdings haben die "Politiker" in beiden Fällen obsiegt.

Die Gespräche über die deutsch-deutsche Währungsunion begannen mit einem Missklang. Pöhl hatte Bundeskanzler Kohl informiert, dass er den Präsidenten der Notenbank der DDR Kaminsky aufsuchen wolle. Der Bundeskanzler hatte das begrüßt. Als Pöhl nach dem Gespräch der Presse mitteilte, er und Kaminsky seien sich einig, dass es verfrüht sei, über eine Währungsunion zu reden, musste er erfahren, dass die Bundesregierung sich bereit erklärt hatte, unverzüglich mit der Regierung der DDR Gespräche über eine Wirtschafts- und Währungsunion aufzunehmen.

Die Bundesbank war eingeschaltet bei der Frage des Umtauschkurses Mark der DDR in D-Mark. Ihr Vorschlag lautete grundsätzlich 2 Mark der DDR zu 1 D-Mark. Um sozialen Gesichtspunkten Rechnung zu tragen, schlug die Bundesbank vor, jedem DDR-Bürger einen Betrag von 2 000 Mark der DDR zum Kurs 1 : 1 umzutauschen. Dieser Bundesbank-Vorschlag stieß auf breiten Widerstand in der DDR, aber auch in der Bundesrepublik. Man einigte sich schließlich auf eine Stufenlösung: Zum Kurs 1 : 1 wurden umgetauscht 2 000 Mark für Kinder bis 14 Jahre, 4 000 Mark für Personen von 15 bis 59 Jahre und 6 000 Mark für Personen ab 60 Jahre. Beträge darüber hinaus wurden mit 2 Mark : 1 DM getauscht. Hierbei handelte es sich um eine politische Entscheidung. Pöhl und der Zentralbankrat hatten sie hinzunehmen.

Bei der Diskussion um die Europäische Währungsunion warf man Pöhl vor, er wolle die Europäische Währungsunion verzögern (AdG, Band 1991, Seite 35 497). Das ist ein ungerechter Vorwurf. Worum es Pöhl als "Ökonom" ging, war die stufenweise Einführung der Europäischen Währung. Seine Vorstellung war erst wirtschaftliche und politische Festigung Europas und dann die einheitliche Währung. Er hat immer danach gesucht, wie man unter diesen Bedingungen schnell zum Ziel kommt. So hieß es im Juni 1990: "Nach Ansicht von Bundesbankpräsident Pöhl bildeten die Bundesrepublik, Frankreich und die Bene-lux-Länder eine Zone geld- und wirtschaftspolitischer Konvergenz und könnten deshalb bei der Einführung einer einheitlichen EG-Währung vorangehen." (AdG, Band 1990 Seite 34 616).

Am 16. Mai 1991 teilte Pöhl der Presse mit, dass er Ende Oktober nach der Jahrestagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank von seinem Amt zurücktritt. Er betonte, dass dieser Entschluss nur persönliche Gründe habe.

Pöhl gehörte 14 Jahre der Deutschen Bundesbank an. Auf seine Leistungen in dieser Zeit kann er stolz sein. Er hat für Deutschland viel getan. Dem heute Achtzigjährigen wünsche ich Gesundheit und viel Freude an den schönen Dingen des Lebens.

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